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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Theodor von Bernhardt als Nationalökonom

als das Walten Gottes in der Geschichte, bald als immanente sittliche Welt¬
ordnung, bald als geistiges Entwicklungsgesetz bezeichnet worden ist. Diese
Entwicklung, aber auch nur diese allein, kann man nun allerdings als eine
soziale und historische Notwendigkeit bezeichnen; die Geschicke jedes Volkes
sind aber davon abhängig, inwieweit es sich zum Träger dieser Entwicklung
zu macheu weiß.

In Bezug auf die geschichtliche Entwicklung der mitteleuropäischen Zu¬
stände wird von Bernhardi gezeigt, wie aus den Trümmern der großen, von
germanischen Eroberern gegründeten Reiche die Halbsouveränen und zuletzt
souveränen Staaten in dem Sinne von Privateigentum großer Grundherren
entstanden sind. Erst in neuerer Zeit ist der gleichsam Verlorne Begriff des
Staates wieder erwacht und hat sich von privatrechtlichen Anschauungen los-
gerungen. Wenn der Staat beginnt, bestimmte öffentliche Zwecke zu verfolgen,
bedarf er auch der Mittel, die ihm deren Erstrebung ermöglichen, d. h. eines
jährlichen Überschusses an Gütern, der nicht von den Produzenten des National¬
einkommens verzehrt oder genutzt wird, sondern dazu dient, die Klassen zu er¬
halten, die den Zwecken des Staats leben. Die allgemeinen Verhältnisse, die
die Nationalökonomie häufig ganz unbefangen als die natürlichen ansieht, sodaß
sie alle abweichenden nur als Ausnahmen gelten läßt, sind in Wirklichkeit
überall verhältnismäßig nen. Spät erst kann sich das Leben der Volker so
gestalten, daß die Arbeit, die der Mensch nicht sich selbst, sondern einem andern
leistet, von dem. der sie leisten will, selbst für eigne Rechnung ausgeboten und
ihm selbst bezahlt wird; das kaun nur eintreten, nachdem der Mensch freier
Herr über seinen Leib und seinen Willen geworden ist. Wo diese Periode des
Lebens der Gesellschaft anbricht, da wird sie zunächst die Lage der Arbeiter
wesentlich verbessern und die ganze Klasse einem erweiterten Leben entgegen-
führen. Im weitern Verlaufe scheint aber ein Wendepunkt eintreten zu müssen,
von dem an sich das Schicksal dieser Klasse verschlechtert, wenn sich nämlich
die Arbeiterschaft rascher vermehrt als das Nationaleinkommen. Sowohl der
Wettbewerb der Unternehmer -- der Lohnherren -- unter einander, der die
Verbillign"", der Produktionskosten erheischt, wie das vermehrte Angebot von
Arbeitskräften drückt den Arbeitslohn hinab. Dazu kommt, daß das Kapital
mit jeder Verbesserung der Verkehrsverhältnisse aus weiter" Kreisen des Welt-
Markts Arbeit heranziehen kann. Nur insoweit der Arbeiter selbst Koniument
der wohlfeiler gewordnen Güter ist, kommt ihm diese fortschreitende gewerbliche
Entwicklung zu statten. Es kann da den Arbeitern nichts helfen, wenn ihnen
d'e Theorie vorschreibt, sich nur soweit zu vermehren, als es das Mtlonnl-
vermöge" erlaubt. Bernhardi hebt nun hervor, daß Arbeit und Kapital zwar
überall in engster Verbindung thätig und gemeinsam an der Ergiebigkeit der
Arbeit interessirt. aber in Bezug auf die Verteilung des Gewinns unter sich
wirtschaftliche Gegner sind, denn was dem einen zufällt, das muß notwendiger¬
weise dem andern entgehen. Natürlich - sagt er - wird die Verteilung,


Theodor von Bernhardt als Nationalökonom

als das Walten Gottes in der Geschichte, bald als immanente sittliche Welt¬
ordnung, bald als geistiges Entwicklungsgesetz bezeichnet worden ist. Diese
Entwicklung, aber auch nur diese allein, kann man nun allerdings als eine
soziale und historische Notwendigkeit bezeichnen; die Geschicke jedes Volkes
sind aber davon abhängig, inwieweit es sich zum Träger dieser Entwicklung
zu macheu weiß.

In Bezug auf die geschichtliche Entwicklung der mitteleuropäischen Zu¬
stände wird von Bernhardi gezeigt, wie aus den Trümmern der großen, von
germanischen Eroberern gegründeten Reiche die Halbsouveränen und zuletzt
souveränen Staaten in dem Sinne von Privateigentum großer Grundherren
entstanden sind. Erst in neuerer Zeit ist der gleichsam Verlorne Begriff des
Staates wieder erwacht und hat sich von privatrechtlichen Anschauungen los-
gerungen. Wenn der Staat beginnt, bestimmte öffentliche Zwecke zu verfolgen,
bedarf er auch der Mittel, die ihm deren Erstrebung ermöglichen, d. h. eines
jährlichen Überschusses an Gütern, der nicht von den Produzenten des National¬
einkommens verzehrt oder genutzt wird, sondern dazu dient, die Klassen zu er¬
halten, die den Zwecken des Staats leben. Die allgemeinen Verhältnisse, die
die Nationalökonomie häufig ganz unbefangen als die natürlichen ansieht, sodaß
sie alle abweichenden nur als Ausnahmen gelten läßt, sind in Wirklichkeit
überall verhältnismäßig nen. Spät erst kann sich das Leben der Volker so
gestalten, daß die Arbeit, die der Mensch nicht sich selbst, sondern einem andern
leistet, von dem. der sie leisten will, selbst für eigne Rechnung ausgeboten und
ihm selbst bezahlt wird; das kaun nur eintreten, nachdem der Mensch freier
Herr über seinen Leib und seinen Willen geworden ist. Wo diese Periode des
Lebens der Gesellschaft anbricht, da wird sie zunächst die Lage der Arbeiter
wesentlich verbessern und die ganze Klasse einem erweiterten Leben entgegen-
führen. Im weitern Verlaufe scheint aber ein Wendepunkt eintreten zu müssen,
von dem an sich das Schicksal dieser Klasse verschlechtert, wenn sich nämlich
die Arbeiterschaft rascher vermehrt als das Nationaleinkommen. Sowohl der
Wettbewerb der Unternehmer — der Lohnherren — unter einander, der die
Verbillign»«, der Produktionskosten erheischt, wie das vermehrte Angebot von
Arbeitskräften drückt den Arbeitslohn hinab. Dazu kommt, daß das Kapital
mit jeder Verbesserung der Verkehrsverhältnisse aus weiter» Kreisen des Welt-
Markts Arbeit heranziehen kann. Nur insoweit der Arbeiter selbst Koniument
der wohlfeiler gewordnen Güter ist, kommt ihm diese fortschreitende gewerbliche
Entwicklung zu statten. Es kann da den Arbeitern nichts helfen, wenn ihnen
d'e Theorie vorschreibt, sich nur soweit zu vermehren, als es das Mtlonnl-
vermöge» erlaubt. Bernhardi hebt nun hervor, daß Arbeit und Kapital zwar
überall in engster Verbindung thätig und gemeinsam an der Ergiebigkeit der
Arbeit interessirt. aber in Bezug auf die Verteilung des Gewinns unter sich
wirtschaftliche Gegner sind, denn was dem einen zufällt, das muß notwendiger¬
weise dem andern entgehen. Natürlich - sagt er - wird die Verteilung,


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[0242] Theodor von Bernhardt als Nationalökonom als das Walten Gottes in der Geschichte, bald als immanente sittliche Welt¬ ordnung, bald als geistiges Entwicklungsgesetz bezeichnet worden ist. Diese Entwicklung, aber auch nur diese allein, kann man nun allerdings als eine soziale und historische Notwendigkeit bezeichnen; die Geschicke jedes Volkes sind aber davon abhängig, inwieweit es sich zum Träger dieser Entwicklung zu macheu weiß. In Bezug auf die geschichtliche Entwicklung der mitteleuropäischen Zu¬ stände wird von Bernhardi gezeigt, wie aus den Trümmern der großen, von germanischen Eroberern gegründeten Reiche die Halbsouveränen und zuletzt souveränen Staaten in dem Sinne von Privateigentum großer Grundherren entstanden sind. Erst in neuerer Zeit ist der gleichsam Verlorne Begriff des Staates wieder erwacht und hat sich von privatrechtlichen Anschauungen los- gerungen. Wenn der Staat beginnt, bestimmte öffentliche Zwecke zu verfolgen, bedarf er auch der Mittel, die ihm deren Erstrebung ermöglichen, d. h. eines jährlichen Überschusses an Gütern, der nicht von den Produzenten des National¬ einkommens verzehrt oder genutzt wird, sondern dazu dient, die Klassen zu er¬ halten, die den Zwecken des Staats leben. Die allgemeinen Verhältnisse, die die Nationalökonomie häufig ganz unbefangen als die natürlichen ansieht, sodaß sie alle abweichenden nur als Ausnahmen gelten läßt, sind in Wirklichkeit überall verhältnismäßig nen. Spät erst kann sich das Leben der Volker so gestalten, daß die Arbeit, die der Mensch nicht sich selbst, sondern einem andern leistet, von dem. der sie leisten will, selbst für eigne Rechnung ausgeboten und ihm selbst bezahlt wird; das kaun nur eintreten, nachdem der Mensch freier Herr über seinen Leib und seinen Willen geworden ist. Wo diese Periode des Lebens der Gesellschaft anbricht, da wird sie zunächst die Lage der Arbeiter wesentlich verbessern und die ganze Klasse einem erweiterten Leben entgegen- führen. Im weitern Verlaufe scheint aber ein Wendepunkt eintreten zu müssen, von dem an sich das Schicksal dieser Klasse verschlechtert, wenn sich nämlich die Arbeiterschaft rascher vermehrt als das Nationaleinkommen. Sowohl der Wettbewerb der Unternehmer — der Lohnherren — unter einander, der die Verbillign»«, der Produktionskosten erheischt, wie das vermehrte Angebot von Arbeitskräften drückt den Arbeitslohn hinab. Dazu kommt, daß das Kapital mit jeder Verbesserung der Verkehrsverhältnisse aus weiter» Kreisen des Welt- Markts Arbeit heranziehen kann. Nur insoweit der Arbeiter selbst Koniument der wohlfeiler gewordnen Güter ist, kommt ihm diese fortschreitende gewerbliche Entwicklung zu statten. Es kann da den Arbeitern nichts helfen, wenn ihnen d'e Theorie vorschreibt, sich nur soweit zu vermehren, als es das Mtlonnl- vermöge» erlaubt. Bernhardi hebt nun hervor, daß Arbeit und Kapital zwar überall in engster Verbindung thätig und gemeinsam an der Ergiebigkeit der Arbeit interessirt. aber in Bezug auf die Verteilung des Gewinns unter sich wirtschaftliche Gegner sind, denn was dem einen zufällt, das muß notwendiger¬ weise dem andern entgehen. Natürlich - sagt er - wird die Verteilung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/242>, abgerufen am 25.07.2024.