Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Viktoria!

Und es soll bei mir bleiben bis ans Ende meiner Tage; denn nicht um eine Welt
ist es mir feil, und es soll mich trösten, wenn die Hand zittrig und das Auge
unsicher wird, wie ein guter Freund -- das Beste, das wir haben und können.

Der große Arzt sagte kein Wort. Schweigend drückte er dem Freunde die
Hand, und eine Thräne rann über das Antlitz, auf dem sich edles Menschtum und
tiefes Erkennen paarten. Der Musiker sah diese Thräne und behielt die Worte,
die ungestüm seiner lebhaften und empfindlichen Seele entströmen wollten, für sich.




Als der Arzt zu Hause angekommen war. stieg er gleich in das obere Stock¬
werk hinauf, wo sein Sohn wohnte. Der war selber schon zu einem gelehrten
Naturforscher herangewachsen, und sein Sinn stand darauf, in der unerforschten
Welt der Tropen wie sein großes Vorbild Humboldt wichtige Forschungen anzu¬
stellen. Er war der Stolz seines Vaters, und kindliche Liebe kämpfte mit der
sehrenden Begeisterung für die Wissenschaft in seinem reinen Herzen den schweren
Kampf, aus dem er keinen Ausweg finden konnte.

Mein Sohn, sagte der Arzt und legte seine Hand wie segnend auf dessen
Hnupt, zieh mit Gott. Ich habe nun alles wohl überlegt. Du hast meine volle
Zustimmung: es wäre thöricht und eigensüchtig von mir, wollte ich dich, weil du
mein Einziger bist, bei mir zurückhalten. Geh und erwirb dir den Namen eines
der Wahrheit dienenden Mannes.

Dann wandte er sich schnell zum Gehen. In seinem Arbeitszimmer trat die
"Viktoria" des Freundes vor seine Seele, und er ließ den Thränen freien Lauf.

Die Vorbereitungen zur weiten Fahrt waren bald getroffen. In wenigen
Monden segelte das Schiff zur afrikanischen Küste und trug das Glück und den
Stolz des alten Mannes mit sich fort. An seinem Bug glitzerte über deu rauschenden
Wassern der stolze Name "Viktoria."




Die Wochen und Monate verstrichen, dann erst kamen die ersten glücklichen
Nachrichten. Damals war es noch ein ganz andres Wagnis als heute, wo kühne
Pfadfinder den dunkeln Erdteil durchstreift haben, und die Ansiedlungen der Weißen
sich an Küste und Strom hinziehen. Die gewaltige Tropenwelt mit ihren über¬
mächtigen Geheimnissen hatte den jungen Forscher aufgenommen, und seine Briefe
waren voll der Begeisterung an der herrlichen und schweren Arbeit und des
Zaubers der tropischen Wunder. Unter der Büste der Viktoria aber saßen die
drei Freunde und lauschten den Schilderungen des Urwaldes und der farben¬
prächtigen Welt des Sonnenlandes. Und der Musiker erfand eine mächtige Dichtung,
die an der fernen Küste im Schatten der Palmen spielte, und berauschte seine Phan¬
tasie mit den Schilderungen des Forschers. Der bahnte seinen Weg durch das
Dickicht und schien auch gegen das tückische Klima gefeit.




Eines Tages hatten sie wieder zusammen geplaudert. Ein ganzer Stoß von
Briefen war nach lauger Pause angehäuft zu gleicher Zeit angekommen. Der Arzt
las sie mit freudig bebender Stimme vor. Der Bildhauer lächelte befriedigt über
den Stolz seines Freundes. Des Musikers Geist durchzogen wilde, glänzende
Melodien. Und die Viktoria lächelte schwermütig darein. . . .

Grell erklang die Hausglocke. . . Für den Arzt.


Viktoria!

Und es soll bei mir bleiben bis ans Ende meiner Tage; denn nicht um eine Welt
ist es mir feil, und es soll mich trösten, wenn die Hand zittrig und das Auge
unsicher wird, wie ein guter Freund — das Beste, das wir haben und können.

Der große Arzt sagte kein Wort. Schweigend drückte er dem Freunde die
Hand, und eine Thräne rann über das Antlitz, auf dem sich edles Menschtum und
tiefes Erkennen paarten. Der Musiker sah diese Thräne und behielt die Worte,
die ungestüm seiner lebhaften und empfindlichen Seele entströmen wollten, für sich.




Als der Arzt zu Hause angekommen war. stieg er gleich in das obere Stock¬
werk hinauf, wo sein Sohn wohnte. Der war selber schon zu einem gelehrten
Naturforscher herangewachsen, und sein Sinn stand darauf, in der unerforschten
Welt der Tropen wie sein großes Vorbild Humboldt wichtige Forschungen anzu¬
stellen. Er war der Stolz seines Vaters, und kindliche Liebe kämpfte mit der
sehrenden Begeisterung für die Wissenschaft in seinem reinen Herzen den schweren
Kampf, aus dem er keinen Ausweg finden konnte.

Mein Sohn, sagte der Arzt und legte seine Hand wie segnend auf dessen
Hnupt, zieh mit Gott. Ich habe nun alles wohl überlegt. Du hast meine volle
Zustimmung: es wäre thöricht und eigensüchtig von mir, wollte ich dich, weil du
mein Einziger bist, bei mir zurückhalten. Geh und erwirb dir den Namen eines
der Wahrheit dienenden Mannes.

Dann wandte er sich schnell zum Gehen. In seinem Arbeitszimmer trat die
»Viktoria" des Freundes vor seine Seele, und er ließ den Thränen freien Lauf.

Die Vorbereitungen zur weiten Fahrt waren bald getroffen. In wenigen
Monden segelte das Schiff zur afrikanischen Küste und trug das Glück und den
Stolz des alten Mannes mit sich fort. An seinem Bug glitzerte über deu rauschenden
Wassern der stolze Name „Viktoria."




Die Wochen und Monate verstrichen, dann erst kamen die ersten glücklichen
Nachrichten. Damals war es noch ein ganz andres Wagnis als heute, wo kühne
Pfadfinder den dunkeln Erdteil durchstreift haben, und die Ansiedlungen der Weißen
sich an Küste und Strom hinziehen. Die gewaltige Tropenwelt mit ihren über¬
mächtigen Geheimnissen hatte den jungen Forscher aufgenommen, und seine Briefe
waren voll der Begeisterung an der herrlichen und schweren Arbeit und des
Zaubers der tropischen Wunder. Unter der Büste der Viktoria aber saßen die
drei Freunde und lauschten den Schilderungen des Urwaldes und der farben¬
prächtigen Welt des Sonnenlandes. Und der Musiker erfand eine mächtige Dichtung,
die an der fernen Küste im Schatten der Palmen spielte, und berauschte seine Phan¬
tasie mit den Schilderungen des Forschers. Der bahnte seinen Weg durch das
Dickicht und schien auch gegen das tückische Klima gefeit.




Eines Tages hatten sie wieder zusammen geplaudert. Ein ganzer Stoß von
Briefen war nach lauger Pause angehäuft zu gleicher Zeit angekommen. Der Arzt
las sie mit freudig bebender Stimme vor. Der Bildhauer lächelte befriedigt über
den Stolz seines Freundes. Des Musikers Geist durchzogen wilde, glänzende
Melodien. Und die Viktoria lächelte schwermütig darein. . . .

Grell erklang die Hausglocke. . . Für den Arzt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229171"/>
          <fw type="header" place="top"> Viktoria!</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_583" prev="#ID_582"> Und es soll bei mir bleiben bis ans Ende meiner Tage; denn nicht um eine Welt<lb/>
ist es mir feil, und es soll mich trösten, wenn die Hand zittrig und das Auge<lb/>
unsicher wird, wie ein guter Freund &#x2014; das Beste, das wir haben und können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_584"> Der große Arzt sagte kein Wort. Schweigend drückte er dem Freunde die<lb/>
Hand, und eine Thräne rann über das Antlitz, auf dem sich edles Menschtum und<lb/>
tiefes Erkennen paarten. Der Musiker sah diese Thräne und behielt die Worte,<lb/>
die ungestüm seiner lebhaften und empfindlichen Seele entströmen wollten, für sich.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_585"> Als der Arzt zu Hause angekommen war. stieg er gleich in das obere Stock¬<lb/>
werk hinauf, wo sein Sohn wohnte. Der war selber schon zu einem gelehrten<lb/>
Naturforscher herangewachsen, und sein Sinn stand darauf, in der unerforschten<lb/>
Welt der Tropen wie sein großes Vorbild Humboldt wichtige Forschungen anzu¬<lb/>
stellen. Er war der Stolz seines Vaters, und kindliche Liebe kämpfte mit der<lb/>
sehrenden Begeisterung für die Wissenschaft in seinem reinen Herzen den schweren<lb/>
Kampf, aus dem er keinen Ausweg finden konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_586"> Mein Sohn, sagte der Arzt und legte seine Hand wie segnend auf dessen<lb/>
Hnupt, zieh mit Gott. Ich habe nun alles wohl überlegt. Du hast meine volle<lb/>
Zustimmung: es wäre thöricht und eigensüchtig von mir, wollte ich dich, weil du<lb/>
mein Einziger bist, bei mir zurückhalten. Geh und erwirb dir den Namen eines<lb/>
der Wahrheit dienenden Mannes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_587"> Dann wandte er sich schnell zum Gehen. In seinem Arbeitszimmer trat die<lb/>
»Viktoria" des Freundes vor seine Seele, und er ließ den Thränen freien Lauf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588"> Die Vorbereitungen zur weiten Fahrt waren bald getroffen. In wenigen<lb/>
Monden segelte das Schiff zur afrikanischen Küste und trug das Glück und den<lb/>
Stolz des alten Mannes mit sich fort. An seinem Bug glitzerte über deu rauschenden<lb/>
Wassern der stolze Name &#x201E;Viktoria."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_589"> Die Wochen und Monate verstrichen, dann erst kamen die ersten glücklichen<lb/>
Nachrichten. Damals war es noch ein ganz andres Wagnis als heute, wo kühne<lb/>
Pfadfinder den dunkeln Erdteil durchstreift haben, und die Ansiedlungen der Weißen<lb/>
sich an Küste und Strom hinziehen. Die gewaltige Tropenwelt mit ihren über¬<lb/>
mächtigen Geheimnissen hatte den jungen Forscher aufgenommen, und seine Briefe<lb/>
waren voll der Begeisterung an der herrlichen und schweren Arbeit und des<lb/>
Zaubers der tropischen Wunder. Unter der Büste der Viktoria aber saßen die<lb/>
drei Freunde und lauschten den Schilderungen des Urwaldes und der farben¬<lb/>
prächtigen Welt des Sonnenlandes. Und der Musiker erfand eine mächtige Dichtung,<lb/>
die an der fernen Küste im Schatten der Palmen spielte, und berauschte seine Phan¬<lb/>
tasie mit den Schilderungen des Forschers. Der bahnte seinen Weg durch das<lb/>
Dickicht und schien auch gegen das tückische Klima gefeit.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_590"> Eines Tages hatten sie wieder zusammen geplaudert. Ein ganzer Stoß von<lb/>
Briefen war nach lauger Pause angehäuft zu gleicher Zeit angekommen. Der Arzt<lb/>
las sie mit freudig bebender Stimme vor. Der Bildhauer lächelte befriedigt über<lb/>
den Stolz seines Freundes. Des Musikers Geist durchzogen wilde, glänzende<lb/>
Melodien.  Und die Viktoria lächelte schwermütig darein. . . .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_591"> Grell erklang die Hausglocke. . . Für den Arzt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0222] Viktoria! Und es soll bei mir bleiben bis ans Ende meiner Tage; denn nicht um eine Welt ist es mir feil, und es soll mich trösten, wenn die Hand zittrig und das Auge unsicher wird, wie ein guter Freund — das Beste, das wir haben und können. Der große Arzt sagte kein Wort. Schweigend drückte er dem Freunde die Hand, und eine Thräne rann über das Antlitz, auf dem sich edles Menschtum und tiefes Erkennen paarten. Der Musiker sah diese Thräne und behielt die Worte, die ungestüm seiner lebhaften und empfindlichen Seele entströmen wollten, für sich. Als der Arzt zu Hause angekommen war. stieg er gleich in das obere Stock¬ werk hinauf, wo sein Sohn wohnte. Der war selber schon zu einem gelehrten Naturforscher herangewachsen, und sein Sinn stand darauf, in der unerforschten Welt der Tropen wie sein großes Vorbild Humboldt wichtige Forschungen anzu¬ stellen. Er war der Stolz seines Vaters, und kindliche Liebe kämpfte mit der sehrenden Begeisterung für die Wissenschaft in seinem reinen Herzen den schweren Kampf, aus dem er keinen Ausweg finden konnte. Mein Sohn, sagte der Arzt und legte seine Hand wie segnend auf dessen Hnupt, zieh mit Gott. Ich habe nun alles wohl überlegt. Du hast meine volle Zustimmung: es wäre thöricht und eigensüchtig von mir, wollte ich dich, weil du mein Einziger bist, bei mir zurückhalten. Geh und erwirb dir den Namen eines der Wahrheit dienenden Mannes. Dann wandte er sich schnell zum Gehen. In seinem Arbeitszimmer trat die »Viktoria" des Freundes vor seine Seele, und er ließ den Thränen freien Lauf. Die Vorbereitungen zur weiten Fahrt waren bald getroffen. In wenigen Monden segelte das Schiff zur afrikanischen Küste und trug das Glück und den Stolz des alten Mannes mit sich fort. An seinem Bug glitzerte über deu rauschenden Wassern der stolze Name „Viktoria." Die Wochen und Monate verstrichen, dann erst kamen die ersten glücklichen Nachrichten. Damals war es noch ein ganz andres Wagnis als heute, wo kühne Pfadfinder den dunkeln Erdteil durchstreift haben, und die Ansiedlungen der Weißen sich an Küste und Strom hinziehen. Die gewaltige Tropenwelt mit ihren über¬ mächtigen Geheimnissen hatte den jungen Forscher aufgenommen, und seine Briefe waren voll der Begeisterung an der herrlichen und schweren Arbeit und des Zaubers der tropischen Wunder. Unter der Büste der Viktoria aber saßen die drei Freunde und lauschten den Schilderungen des Urwaldes und der farben¬ prächtigen Welt des Sonnenlandes. Und der Musiker erfand eine mächtige Dichtung, die an der fernen Küste im Schatten der Palmen spielte, und berauschte seine Phan¬ tasie mit den Schilderungen des Forschers. Der bahnte seinen Weg durch das Dickicht und schien auch gegen das tückische Klima gefeit. Eines Tages hatten sie wieder zusammen geplaudert. Ein ganzer Stoß von Briefen war nach lauger Pause angehäuft zu gleicher Zeit angekommen. Der Arzt las sie mit freudig bebender Stimme vor. Der Bildhauer lächelte befriedigt über den Stolz seines Freundes. Des Musikers Geist durchzogen wilde, glänzende Melodien. Und die Viktoria lächelte schwermütig darein. . . . Grell erklang die Hausglocke. . . Für den Arzt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/222
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/222>, abgerufen am 24.07.2024.