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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Münchner Plaudereien

wüchsigen, zartempfindenden Studenten und Rechtspraktikanten von oberfrän-
kischem Blute und pfälzischer Erziehung nichts gesuchtes und absichtsvolles,
sondern zunächst Einkleidung, es gehörte zu dem Kostüm der Kreuzzugszeit,
sodann aber wurde es ihm der Ausdruck einer reinen Empfindung und einer
hohen Vorstellung vom deutschen Leben, von Frauenart, Ehe und Familie.
"Er schuf aus seiner Dichterphantasie das entzückende, stille, einfache, fromme
Mädchen, und sein guter Stern führte ihm Jahre nachher eine Braut zu, die
diesem Ideale völlig entsprach." Er hat nicht, wie der Verfasser uns aus
seinen Briefen zeigt, der damaligen Mode zuliebe seine Richtung genommen,
seine Tendenz wäre der Zeit, wo die Dichtung entstand, 1846/49, ganz ent¬
gegengesetzt gewesen, und hätte er gleich einen Verleger gefunden und wäre
sein Sang sofort nach seiner Vollendung gedruckt worden, wer weiß, wie dessen
Schicksal gewesen sein würde? Er konnte nicht wissen, was auf die Stürme
von 1848 folgen werde, aber er war, was ja der echte Dichter sein soll, ein
vat<Z8, ein vorausahnender Geist. "Er fühlte inmitten der Stürme der Gegen¬
wart instinktiv, was nach dem Tageslärm, nach dem unausbleiblichen Schiff-
bruche die Welt bedürfen werde: Trost und Erquickung durch Ideale, die ihm
im warmen überzeugten Herzen blühten." So erklärt uns der Verfasser den
ungeheuern Erfolg der Amaranth, vier Auflagen 1849 und 1850, und im
ganzen über vierzig, und er macht uns zugleich aufmerksam auf den gewissen¬
haften Fleiß, den die Formvollendung des Gedichtes zur Voraussetzung hat.
An den Erfolgen nahm der Freundeskreis teil. Sie wurden nicht leicht er¬
rungen. Cotta lehnte ab, und ganz zufällig fand sich in Mainz ein Verleger.
Das alles soll hier nnr angedeutet werden. Wir mochten, daß unsre Leser
in diesem Teil des Buches ein wertvolles Stück lebendiger Litteraturgeschichte
selbst aufsuchten und erkennten. Sie werden den Dichter der Amaranth daraus
lieb gewinnen lernen und seinem feinsinnigen Freunde für die Belehrung
dankbar sein.

Es wird uns nicht leicht, aufzustehen von einer so reich gedeckten Tafel,
und doch können wir unmöglich von allen Gerichten kosten. Nur noch eine
Probe zum Schluß, die uns an einem wirklichen Gastmahl teilnehmen läßt.
Der Verfasser beansprucht Sachkenntnis in kulinarischen Dingen, er hebt dies
oft hervor, aber seine Gastronomie schafft nicht nur Genüsse, sie dient auch
der Lebensweisheit. Die Tochter eines seiner Freunde hatte sich zum Kummer
ihres Vaters in einen jungen Mann mit einem schönen schwarzen Bart ver¬
liebt, der übrigens ein höchst gewöhnlicher Mensch war. Da lädt ihn der
Vater auf des Verfassers Anraten zu Tische, aber unter der Bedingung, daß
er rasirt komme, und setzt ihm ebenfalls auf des Verfassers Rat eine Suppe
mit langen, dünnen Nudeln vor, und als nun der Gegenstand der Liebe die
rechts und links herabhängenden Fäden mit begierigen Zungenschnalzen ein¬
schnappt, verschwindet plötzlich das Fräulein von der Tafel, die Liebe ist ver-


Münchner Plaudereien

wüchsigen, zartempfindenden Studenten und Rechtspraktikanten von oberfrän-
kischem Blute und pfälzischer Erziehung nichts gesuchtes und absichtsvolles,
sondern zunächst Einkleidung, es gehörte zu dem Kostüm der Kreuzzugszeit,
sodann aber wurde es ihm der Ausdruck einer reinen Empfindung und einer
hohen Vorstellung vom deutschen Leben, von Frauenart, Ehe und Familie.
„Er schuf aus seiner Dichterphantasie das entzückende, stille, einfache, fromme
Mädchen, und sein guter Stern führte ihm Jahre nachher eine Braut zu, die
diesem Ideale völlig entsprach." Er hat nicht, wie der Verfasser uns aus
seinen Briefen zeigt, der damaligen Mode zuliebe seine Richtung genommen,
seine Tendenz wäre der Zeit, wo die Dichtung entstand, 1846/49, ganz ent¬
gegengesetzt gewesen, und hätte er gleich einen Verleger gefunden und wäre
sein Sang sofort nach seiner Vollendung gedruckt worden, wer weiß, wie dessen
Schicksal gewesen sein würde? Er konnte nicht wissen, was auf die Stürme
von 1848 folgen werde, aber er war, was ja der echte Dichter sein soll, ein
vat<Z8, ein vorausahnender Geist. „Er fühlte inmitten der Stürme der Gegen¬
wart instinktiv, was nach dem Tageslärm, nach dem unausbleiblichen Schiff-
bruche die Welt bedürfen werde: Trost und Erquickung durch Ideale, die ihm
im warmen überzeugten Herzen blühten." So erklärt uns der Verfasser den
ungeheuern Erfolg der Amaranth, vier Auflagen 1849 und 1850, und im
ganzen über vierzig, und er macht uns zugleich aufmerksam auf den gewissen¬
haften Fleiß, den die Formvollendung des Gedichtes zur Voraussetzung hat.
An den Erfolgen nahm der Freundeskreis teil. Sie wurden nicht leicht er¬
rungen. Cotta lehnte ab, und ganz zufällig fand sich in Mainz ein Verleger.
Das alles soll hier nnr angedeutet werden. Wir mochten, daß unsre Leser
in diesem Teil des Buches ein wertvolles Stück lebendiger Litteraturgeschichte
selbst aufsuchten und erkennten. Sie werden den Dichter der Amaranth daraus
lieb gewinnen lernen und seinem feinsinnigen Freunde für die Belehrung
dankbar sein.

Es wird uns nicht leicht, aufzustehen von einer so reich gedeckten Tafel,
und doch können wir unmöglich von allen Gerichten kosten. Nur noch eine
Probe zum Schluß, die uns an einem wirklichen Gastmahl teilnehmen läßt.
Der Verfasser beansprucht Sachkenntnis in kulinarischen Dingen, er hebt dies
oft hervor, aber seine Gastronomie schafft nicht nur Genüsse, sie dient auch
der Lebensweisheit. Die Tochter eines seiner Freunde hatte sich zum Kummer
ihres Vaters in einen jungen Mann mit einem schönen schwarzen Bart ver¬
liebt, der übrigens ein höchst gewöhnlicher Mensch war. Da lädt ihn der
Vater auf des Verfassers Anraten zu Tische, aber unter der Bedingung, daß
er rasirt komme, und setzt ihm ebenfalls auf des Verfassers Rat eine Suppe
mit langen, dünnen Nudeln vor, und als nun der Gegenstand der Liebe die
rechts und links herabhängenden Fäden mit begierigen Zungenschnalzen ein¬
schnappt, verschwindet plötzlich das Fräulein von der Tafel, die Liebe ist ver-


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[0219] Münchner Plaudereien wüchsigen, zartempfindenden Studenten und Rechtspraktikanten von oberfrän- kischem Blute und pfälzischer Erziehung nichts gesuchtes und absichtsvolles, sondern zunächst Einkleidung, es gehörte zu dem Kostüm der Kreuzzugszeit, sodann aber wurde es ihm der Ausdruck einer reinen Empfindung und einer hohen Vorstellung vom deutschen Leben, von Frauenart, Ehe und Familie. „Er schuf aus seiner Dichterphantasie das entzückende, stille, einfache, fromme Mädchen, und sein guter Stern führte ihm Jahre nachher eine Braut zu, die diesem Ideale völlig entsprach." Er hat nicht, wie der Verfasser uns aus seinen Briefen zeigt, der damaligen Mode zuliebe seine Richtung genommen, seine Tendenz wäre der Zeit, wo die Dichtung entstand, 1846/49, ganz ent¬ gegengesetzt gewesen, und hätte er gleich einen Verleger gefunden und wäre sein Sang sofort nach seiner Vollendung gedruckt worden, wer weiß, wie dessen Schicksal gewesen sein würde? Er konnte nicht wissen, was auf die Stürme von 1848 folgen werde, aber er war, was ja der echte Dichter sein soll, ein vat<Z8, ein vorausahnender Geist. „Er fühlte inmitten der Stürme der Gegen¬ wart instinktiv, was nach dem Tageslärm, nach dem unausbleiblichen Schiff- bruche die Welt bedürfen werde: Trost und Erquickung durch Ideale, die ihm im warmen überzeugten Herzen blühten." So erklärt uns der Verfasser den ungeheuern Erfolg der Amaranth, vier Auflagen 1849 und 1850, und im ganzen über vierzig, und er macht uns zugleich aufmerksam auf den gewissen¬ haften Fleiß, den die Formvollendung des Gedichtes zur Voraussetzung hat. An den Erfolgen nahm der Freundeskreis teil. Sie wurden nicht leicht er¬ rungen. Cotta lehnte ab, und ganz zufällig fand sich in Mainz ein Verleger. Das alles soll hier nnr angedeutet werden. Wir mochten, daß unsre Leser in diesem Teil des Buches ein wertvolles Stück lebendiger Litteraturgeschichte selbst aufsuchten und erkennten. Sie werden den Dichter der Amaranth daraus lieb gewinnen lernen und seinem feinsinnigen Freunde für die Belehrung dankbar sein. Es wird uns nicht leicht, aufzustehen von einer so reich gedeckten Tafel, und doch können wir unmöglich von allen Gerichten kosten. Nur noch eine Probe zum Schluß, die uns an einem wirklichen Gastmahl teilnehmen läßt. Der Verfasser beansprucht Sachkenntnis in kulinarischen Dingen, er hebt dies oft hervor, aber seine Gastronomie schafft nicht nur Genüsse, sie dient auch der Lebensweisheit. Die Tochter eines seiner Freunde hatte sich zum Kummer ihres Vaters in einen jungen Mann mit einem schönen schwarzen Bart ver¬ liebt, der übrigens ein höchst gewöhnlicher Mensch war. Da lädt ihn der Vater auf des Verfassers Anraten zu Tische, aber unter der Bedingung, daß er rasirt komme, und setzt ihm ebenfalls auf des Verfassers Rat eine Suppe mit langen, dünnen Nudeln vor, und als nun der Gegenstand der Liebe die rechts und links herabhängenden Fäden mit begierigen Zungenschnalzen ein¬ schnappt, verschwindet plötzlich das Fräulein von der Tafel, die Liebe ist ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/219>, abgerufen am 24.07.2024.