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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Münchner Plaudereien

Wieder wertvolle Mitteilungen; der damalige Kabinettssekretür Ludwigs II.
war einer der Juliner aus des Verfassers Studentenzeit. Der König ent¬
schloß sich schwer zu dem, was er that, und that nicht soviel, wie ihn die
früher wenigstens gangbare Überlieferung thun läßt. Der Verfasser berührt
mehrfach den Wert der ausgegebnen Sonderrechte; wir könnten uns darüber
recht wohl mit ihm verständigen, wenn wir hier näher auf den Gegenstand
eingehen dürften. Wir empfehlen ihn der Aufmerksamkeit unsrer Leser, denn
es ist etwas durchaus andres als der gewöhnliche bayrische Partikularismus.
Außerdem wirkt die Schilderung durch vielerlei neues Detail sehr intim, aber
sie bleibt vornehm und geht nicht in Klatsch über. Was sich wirklich auf
komische Weise zugetragen hat, wird allerdings auch ebenso erzählt, z. B. der
Sturz des Ministers Hohenlohe infolge eines ungefügigen "Stiefelftrupfens,"
wobei es so zuging. Der Führer einer ultramontanen Deputation bemerkt
während der Audienz, daß sein "Strupfen" unter dem Beinkleid hervorschaut,
sucht ihn vergebens durch schlenkern des Beines unsichtbar zu machen, schlenkert
immer häufiger und heftiger, gerät in Unruhe, und mit ihm die Deputation.
Obwohl der Fürst einen unerschütterlichen Ernst bewahrte und sein vortragender
Rat ebenfalls seine Lachmuskeln im Zaume hielt, verschlechterte sich doch die
Stimmung rasch, und der Versöhnungsversuch, zu dem die Deputation entsandt
worden war, verlief ergebnislos. Sofern also die Franzosen den Krieg unter
der Voraussetzung eines mit Preußen marschirenden Bayerns, also solange
Hohenlohe Minister war, jedenfalls nicht begonnen haben würden, meint der
Verfasser nicht mit Unrecht, eine Viertelstunde lang habe die Weltgeschichte an
dem Stiefelstrupfeu eines Bamberger Advokaten gehangen.

Mit das Hübscheste sind die Erinnerungen aus der Studentenzeit. Eine
kleine Zahl vornehmer junger Männer, ruhig ihrem Fachstudium ergeben, politisch
angeregt, dabei musizirend, dichtend, kritisirend und überaus lebenslustig, zu
jedem Vergnügen aufgelegt, zu Scherz und Spott geneigt, aber ohne Blasirt-
heit und Geckerei: aus solchem Kreise können wohl tüchtige Menschen hervor¬
gehen.*) Mit Liebe hat der Verfasser seines Freundes Oskar von Redwitz Bild
gezeichnet und viele Briefe des feinsinnigen und in seiner Persönlichkeit ganz
naiven Mannes dazu gegeben, der alle, mit denen er zusammenkam, angezogen
hat. Man muß wirklich diese Schilderungen lesen, um die landläufige Vor¬
stellung des Tendcnzdichters gründlich loszuwerden. Das Katholisirende, was
die meisten ganz allein der Amaranth nachzusagen wissen, war für den natur-



") Für Freunde der Gattung setzen wir eine kostbare kleine Anekdote über Gotthilf
Heinrich von Schubert hierher, der ältern Lesern noch bekannt sein wird aus seiner prächtigen
Selbstbiographie und einigen naturphilosophischen Büchern. Er war sehr gutherzig, wie sich
denken läßt. Einem Examinanden legte er einst zwei Baumblütter vor mit der Ausforderung:
"sogen Sie, Herr Kondidot, welches ist dos Buchenblott und welches dos Lindenblott?" --
"Goltz recht, Herr Kondidot, Sie hoben nur die beiden Blätter verwechselt."
Münchner Plaudereien

Wieder wertvolle Mitteilungen; der damalige Kabinettssekretür Ludwigs II.
war einer der Juliner aus des Verfassers Studentenzeit. Der König ent¬
schloß sich schwer zu dem, was er that, und that nicht soviel, wie ihn die
früher wenigstens gangbare Überlieferung thun läßt. Der Verfasser berührt
mehrfach den Wert der ausgegebnen Sonderrechte; wir könnten uns darüber
recht wohl mit ihm verständigen, wenn wir hier näher auf den Gegenstand
eingehen dürften. Wir empfehlen ihn der Aufmerksamkeit unsrer Leser, denn
es ist etwas durchaus andres als der gewöhnliche bayrische Partikularismus.
Außerdem wirkt die Schilderung durch vielerlei neues Detail sehr intim, aber
sie bleibt vornehm und geht nicht in Klatsch über. Was sich wirklich auf
komische Weise zugetragen hat, wird allerdings auch ebenso erzählt, z. B. der
Sturz des Ministers Hohenlohe infolge eines ungefügigen „Stiefelftrupfens,"
wobei es so zuging. Der Führer einer ultramontanen Deputation bemerkt
während der Audienz, daß sein „Strupfen" unter dem Beinkleid hervorschaut,
sucht ihn vergebens durch schlenkern des Beines unsichtbar zu machen, schlenkert
immer häufiger und heftiger, gerät in Unruhe, und mit ihm die Deputation.
Obwohl der Fürst einen unerschütterlichen Ernst bewahrte und sein vortragender
Rat ebenfalls seine Lachmuskeln im Zaume hielt, verschlechterte sich doch die
Stimmung rasch, und der Versöhnungsversuch, zu dem die Deputation entsandt
worden war, verlief ergebnislos. Sofern also die Franzosen den Krieg unter
der Voraussetzung eines mit Preußen marschirenden Bayerns, also solange
Hohenlohe Minister war, jedenfalls nicht begonnen haben würden, meint der
Verfasser nicht mit Unrecht, eine Viertelstunde lang habe die Weltgeschichte an
dem Stiefelstrupfeu eines Bamberger Advokaten gehangen.

Mit das Hübscheste sind die Erinnerungen aus der Studentenzeit. Eine
kleine Zahl vornehmer junger Männer, ruhig ihrem Fachstudium ergeben, politisch
angeregt, dabei musizirend, dichtend, kritisirend und überaus lebenslustig, zu
jedem Vergnügen aufgelegt, zu Scherz und Spott geneigt, aber ohne Blasirt-
heit und Geckerei: aus solchem Kreise können wohl tüchtige Menschen hervor¬
gehen.*) Mit Liebe hat der Verfasser seines Freundes Oskar von Redwitz Bild
gezeichnet und viele Briefe des feinsinnigen und in seiner Persönlichkeit ganz
naiven Mannes dazu gegeben, der alle, mit denen er zusammenkam, angezogen
hat. Man muß wirklich diese Schilderungen lesen, um die landläufige Vor¬
stellung des Tendcnzdichters gründlich loszuwerden. Das Katholisirende, was
die meisten ganz allein der Amaranth nachzusagen wissen, war für den natur-



") Für Freunde der Gattung setzen wir eine kostbare kleine Anekdote über Gotthilf
Heinrich von Schubert hierher, der ältern Lesern noch bekannt sein wird aus seiner prächtigen
Selbstbiographie und einigen naturphilosophischen Büchern. Er war sehr gutherzig, wie sich
denken läßt. Einem Examinanden legte er einst zwei Baumblütter vor mit der Ausforderung:
„sogen Sie, Herr Kondidot, welches ist dos Buchenblott und welches dos Lindenblott?" —
„Goltz recht, Herr Kondidot, Sie hoben nur die beiden Blätter verwechselt."
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[0218] Münchner Plaudereien Wieder wertvolle Mitteilungen; der damalige Kabinettssekretür Ludwigs II. war einer der Juliner aus des Verfassers Studentenzeit. Der König ent¬ schloß sich schwer zu dem, was er that, und that nicht soviel, wie ihn die früher wenigstens gangbare Überlieferung thun läßt. Der Verfasser berührt mehrfach den Wert der ausgegebnen Sonderrechte; wir könnten uns darüber recht wohl mit ihm verständigen, wenn wir hier näher auf den Gegenstand eingehen dürften. Wir empfehlen ihn der Aufmerksamkeit unsrer Leser, denn es ist etwas durchaus andres als der gewöhnliche bayrische Partikularismus. Außerdem wirkt die Schilderung durch vielerlei neues Detail sehr intim, aber sie bleibt vornehm und geht nicht in Klatsch über. Was sich wirklich auf komische Weise zugetragen hat, wird allerdings auch ebenso erzählt, z. B. der Sturz des Ministers Hohenlohe infolge eines ungefügigen „Stiefelftrupfens," wobei es so zuging. Der Führer einer ultramontanen Deputation bemerkt während der Audienz, daß sein „Strupfen" unter dem Beinkleid hervorschaut, sucht ihn vergebens durch schlenkern des Beines unsichtbar zu machen, schlenkert immer häufiger und heftiger, gerät in Unruhe, und mit ihm die Deputation. Obwohl der Fürst einen unerschütterlichen Ernst bewahrte und sein vortragender Rat ebenfalls seine Lachmuskeln im Zaume hielt, verschlechterte sich doch die Stimmung rasch, und der Versöhnungsversuch, zu dem die Deputation entsandt worden war, verlief ergebnislos. Sofern also die Franzosen den Krieg unter der Voraussetzung eines mit Preußen marschirenden Bayerns, also solange Hohenlohe Minister war, jedenfalls nicht begonnen haben würden, meint der Verfasser nicht mit Unrecht, eine Viertelstunde lang habe die Weltgeschichte an dem Stiefelstrupfeu eines Bamberger Advokaten gehangen. Mit das Hübscheste sind die Erinnerungen aus der Studentenzeit. Eine kleine Zahl vornehmer junger Männer, ruhig ihrem Fachstudium ergeben, politisch angeregt, dabei musizirend, dichtend, kritisirend und überaus lebenslustig, zu jedem Vergnügen aufgelegt, zu Scherz und Spott geneigt, aber ohne Blasirt- heit und Geckerei: aus solchem Kreise können wohl tüchtige Menschen hervor¬ gehen.*) Mit Liebe hat der Verfasser seines Freundes Oskar von Redwitz Bild gezeichnet und viele Briefe des feinsinnigen und in seiner Persönlichkeit ganz naiven Mannes dazu gegeben, der alle, mit denen er zusammenkam, angezogen hat. Man muß wirklich diese Schilderungen lesen, um die landläufige Vor¬ stellung des Tendcnzdichters gründlich loszuwerden. Das Katholisirende, was die meisten ganz allein der Amaranth nachzusagen wissen, war für den natur- ") Für Freunde der Gattung setzen wir eine kostbare kleine Anekdote über Gotthilf Heinrich von Schubert hierher, der ältern Lesern noch bekannt sein wird aus seiner prächtigen Selbstbiographie und einigen naturphilosophischen Büchern. Er war sehr gutherzig, wie sich denken läßt. Einem Examinanden legte er einst zwei Baumblütter vor mit der Ausforderung: „sogen Sie, Herr Kondidot, welches ist dos Buchenblott und welches dos Lindenblott?" — „Goltz recht, Herr Kondidot, Sie hoben nur die beiden Blätter verwechselt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/218>, abgerufen am 24.07.2024.