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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke

den Klönthalsee stürzte; trotz unzähliger Hebnngsversuche ist sie noch heute
nicht ans Tageslicht geschafft worden.

Die dritte Festungsanlage ist in dem wildromantischen Wallis erbaut,
einem Berglande mit großartigen Fels- und Eiswildnissen und tief einge-
schnittnen malerischen Thälern, in die viele von Gletschern gespeiste Strom-
schnellen hinabstürzen. Die Werke sind ebenfalls älter und nur als Batterien
und Redouten hergestellt. Neu sind nur die Positionen auf Failly und
Savntan. Panzertürme und Geschütze von großer Tragweite bilden die
Armirung, ebenso sind sie eingerichtet für den Nahkampf der Artillerie, für
Mitrailleusen und Infanterie. Sie stellen im ganzen ein Neduit im großen
vor und sind einzeln mit Abschlnßmauern, Flankirgalerien und Unterkunfts-
ränmen für die Truppen versehen. Als Besatzungsmannschaften sind vier¬
tausend Mann bestimmt. Die Ausbildung der Truppen findet nur im Festungs-
gebicte selbst statt -- mit welchen Schwierigkeiten und Erfolgen, das haben
wir auf dem Gotthard gesehen. Die Offiziere werden außerdem noch zu be¬
sondern Spezialknrseu einberufen. Auch in Deutschland ist seit einigen Jahren
auf hochgelegnem Gelände ein Truppenübungsplatz für feldmäßige Exerzitien in
großen Verbänden und für Übungen mit den heutigen weittragenden Schu߬
waffen hergestellt worden. Es ist dies bei Münsingen ans der Schwäbischen
Alb in Württemberg. Obwohl das Lager nur siebenhundert Meter über dem
Meere gelegen ist und nur während der guten Jahreszeit benutzt wird, hat die
Militärverwaltung von Anfang an solche umfassenden Vorkehrungen getroffen,
daß alle gesundheitsschädlichen Einflüsse ausgeschlossen bleiben. Was müßte
deshalb auf dem Gotthard erst alles geschehen? Seine Gipfel ragen über drei¬
tausend Meter in die Höhe und sind teilweise eine Kette wilder, zackiger und
vergletscherter Felshörner. Die Felsgrate, die Firnfelder in ewigem Schnee
und Eis, die Trümmerhalden, die gänzlich erstorbne Vegetation erwecken durch
ihr großartig unheimliches Gepräge schon nach kurzem Aufenthalt im Sohne
der Berge selbst ein melancholisches Gefühl, das lähmend auf die Sinne und
die Thatkraft wirkt. Wer dort oben gewesen ist, der begreift die Begeisterung,
womit Poeten und Schönredner den Jubel verkünden, in den seit Jahrtausenden
die Scharen ausbrachen, die, von kühnen Eroberern geführt, aus diesen Höhen
in die bezaubernden Gefilde der apenninischen Halbinsel schauten.

Die großen Ausgaben der Schweiz für ihr Heerwesen und ihre Befesti¬
gungen wären überflüssig und zwecklos, wenn die Bedeutung der eidgenössischen
Wehrmacht nicht noch wo anders läge, nämlich auf einem sehr idealen Gebiete.
Das Land, an sich sehr klein, umfaßt trotzdem nicht weniger als fünf ver-
schiedne Sprachgebiete, ein deutsches, ein französisches, ein italienisches, ein
romanisches und ein ladinisches; alle sind von einander und jedes ist in sich
wieder grundverschieden. In jedem Kantone, in jedem Thale finden wir einen
andern Volkscharakter. Die Staaten hängen nur sehr lose zusammen -- fünf-


Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke

den Klönthalsee stürzte; trotz unzähliger Hebnngsversuche ist sie noch heute
nicht ans Tageslicht geschafft worden.

Die dritte Festungsanlage ist in dem wildromantischen Wallis erbaut,
einem Berglande mit großartigen Fels- und Eiswildnissen und tief einge-
schnittnen malerischen Thälern, in die viele von Gletschern gespeiste Strom-
schnellen hinabstürzen. Die Werke sind ebenfalls älter und nur als Batterien
und Redouten hergestellt. Neu sind nur die Positionen auf Failly und
Savntan. Panzertürme und Geschütze von großer Tragweite bilden die
Armirung, ebenso sind sie eingerichtet für den Nahkampf der Artillerie, für
Mitrailleusen und Infanterie. Sie stellen im ganzen ein Neduit im großen
vor und sind einzeln mit Abschlnßmauern, Flankirgalerien und Unterkunfts-
ränmen für die Truppen versehen. Als Besatzungsmannschaften sind vier¬
tausend Mann bestimmt. Die Ausbildung der Truppen findet nur im Festungs-
gebicte selbst statt — mit welchen Schwierigkeiten und Erfolgen, das haben
wir auf dem Gotthard gesehen. Die Offiziere werden außerdem noch zu be¬
sondern Spezialknrseu einberufen. Auch in Deutschland ist seit einigen Jahren
auf hochgelegnem Gelände ein Truppenübungsplatz für feldmäßige Exerzitien in
großen Verbänden und für Übungen mit den heutigen weittragenden Schu߬
waffen hergestellt worden. Es ist dies bei Münsingen ans der Schwäbischen
Alb in Württemberg. Obwohl das Lager nur siebenhundert Meter über dem
Meere gelegen ist und nur während der guten Jahreszeit benutzt wird, hat die
Militärverwaltung von Anfang an solche umfassenden Vorkehrungen getroffen,
daß alle gesundheitsschädlichen Einflüsse ausgeschlossen bleiben. Was müßte
deshalb auf dem Gotthard erst alles geschehen? Seine Gipfel ragen über drei¬
tausend Meter in die Höhe und sind teilweise eine Kette wilder, zackiger und
vergletscherter Felshörner. Die Felsgrate, die Firnfelder in ewigem Schnee
und Eis, die Trümmerhalden, die gänzlich erstorbne Vegetation erwecken durch
ihr großartig unheimliches Gepräge schon nach kurzem Aufenthalt im Sohne
der Berge selbst ein melancholisches Gefühl, das lähmend auf die Sinne und
die Thatkraft wirkt. Wer dort oben gewesen ist, der begreift die Begeisterung,
womit Poeten und Schönredner den Jubel verkünden, in den seit Jahrtausenden
die Scharen ausbrachen, die, von kühnen Eroberern geführt, aus diesen Höhen
in die bezaubernden Gefilde der apenninischen Halbinsel schauten.

Die großen Ausgaben der Schweiz für ihr Heerwesen und ihre Befesti¬
gungen wären überflüssig und zwecklos, wenn die Bedeutung der eidgenössischen
Wehrmacht nicht noch wo anders läge, nämlich auf einem sehr idealen Gebiete.
Das Land, an sich sehr klein, umfaßt trotzdem nicht weniger als fünf ver-
schiedne Sprachgebiete, ein deutsches, ein französisches, ein italienisches, ein
romanisches und ein ladinisches; alle sind von einander und jedes ist in sich
wieder grundverschieden. In jedem Kantone, in jedem Thale finden wir einen
andern Volkscharakter. Die Staaten hängen nur sehr lose zusammen — fünf-


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[0193] Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke den Klönthalsee stürzte; trotz unzähliger Hebnngsversuche ist sie noch heute nicht ans Tageslicht geschafft worden. Die dritte Festungsanlage ist in dem wildromantischen Wallis erbaut, einem Berglande mit großartigen Fels- und Eiswildnissen und tief einge- schnittnen malerischen Thälern, in die viele von Gletschern gespeiste Strom- schnellen hinabstürzen. Die Werke sind ebenfalls älter und nur als Batterien und Redouten hergestellt. Neu sind nur die Positionen auf Failly und Savntan. Panzertürme und Geschütze von großer Tragweite bilden die Armirung, ebenso sind sie eingerichtet für den Nahkampf der Artillerie, für Mitrailleusen und Infanterie. Sie stellen im ganzen ein Neduit im großen vor und sind einzeln mit Abschlnßmauern, Flankirgalerien und Unterkunfts- ränmen für die Truppen versehen. Als Besatzungsmannschaften sind vier¬ tausend Mann bestimmt. Die Ausbildung der Truppen findet nur im Festungs- gebicte selbst statt — mit welchen Schwierigkeiten und Erfolgen, das haben wir auf dem Gotthard gesehen. Die Offiziere werden außerdem noch zu be¬ sondern Spezialknrseu einberufen. Auch in Deutschland ist seit einigen Jahren auf hochgelegnem Gelände ein Truppenübungsplatz für feldmäßige Exerzitien in großen Verbänden und für Übungen mit den heutigen weittragenden Schu߬ waffen hergestellt worden. Es ist dies bei Münsingen ans der Schwäbischen Alb in Württemberg. Obwohl das Lager nur siebenhundert Meter über dem Meere gelegen ist und nur während der guten Jahreszeit benutzt wird, hat die Militärverwaltung von Anfang an solche umfassenden Vorkehrungen getroffen, daß alle gesundheitsschädlichen Einflüsse ausgeschlossen bleiben. Was müßte deshalb auf dem Gotthard erst alles geschehen? Seine Gipfel ragen über drei¬ tausend Meter in die Höhe und sind teilweise eine Kette wilder, zackiger und vergletscherter Felshörner. Die Felsgrate, die Firnfelder in ewigem Schnee und Eis, die Trümmerhalden, die gänzlich erstorbne Vegetation erwecken durch ihr großartig unheimliches Gepräge schon nach kurzem Aufenthalt im Sohne der Berge selbst ein melancholisches Gefühl, das lähmend auf die Sinne und die Thatkraft wirkt. Wer dort oben gewesen ist, der begreift die Begeisterung, womit Poeten und Schönredner den Jubel verkünden, in den seit Jahrtausenden die Scharen ausbrachen, die, von kühnen Eroberern geführt, aus diesen Höhen in die bezaubernden Gefilde der apenninischen Halbinsel schauten. Die großen Ausgaben der Schweiz für ihr Heerwesen und ihre Befesti¬ gungen wären überflüssig und zwecklos, wenn die Bedeutung der eidgenössischen Wehrmacht nicht noch wo anders läge, nämlich auf einem sehr idealen Gebiete. Das Land, an sich sehr klein, umfaßt trotzdem nicht weniger als fünf ver- schiedne Sprachgebiete, ein deutsches, ein französisches, ein italienisches, ein romanisches und ein ladinisches; alle sind von einander und jedes ist in sich wieder grundverschieden. In jedem Kantone, in jedem Thale finden wir einen andern Volkscharakter. Die Staaten hängen nur sehr lose zusammen — fünf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/193>, abgerufen am 24.07.2024.