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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke

Baracken zum Zwecke der Paßverteidigung angelegt. Zur Bewachung und
Instandhaltung dieser ausgedehnten Werke liegen dort dauernd Besatznngs-
mannschaften; diese Wachen beziehen Jahrgehalt und werden, um das "stehende
Heer," so gut es geht, zu verhüllen, Maschinisten und Spezialarbeiter genannt;
zu dieser Kategorie tritt noch eine Besatzung von Freiwilligen, und außerdem
sind zum Schutze gegen einen plötzlichen Überfall vor beendeter Mobilmachung
Thalwehren organisirt, die aus der wehrfähigen Mannschaft sämtlicher Jahres¬
klassen bestehen und sich aus dem Bedrettothal, dem Livinenthal bis Dazio
Grande, dem Rheinthal bis Sedrun. dem Kanton Uri, dem Rhonethal bis
Münster und dem Haslithal bis Meiringen rekrutircn.

Als Besatzungsmannschaften für den Krieg sind 8887 Mann aller Waffen
und verschiedner Jahresklassen vorgesehen. Um die Zufuhr der Munition und
des Proviants für die Besatzungstruppen möglichst rasch und sicher hinaus¬
zuschaffen, steigt an einer Stelle des Haupttunnels zwischen Andermatt und
Airolo ein mehrere hundert Meter langer Aufzug nach dem Urner Loche.
Dieses Loch ist eine durch den Teuselsberg getriebne 04 Meter lauge,
4,2 Meter breite und 3 Meter hohe Galerie. Im Jahre 1799 fanden hier
blutige Kämpfe der Österreicher und Russen gegen die Franzosen statt. An
der Drnckpartie des Tunnels sind Minen angelegt, sodaß durch Sprengungen
der Tunnel verschüttet und nnpassirbar gemacht werden kann. Der Bau an
dieser Stelle verursachte bei der Anlage der ganzen Gotthardlinie die größten
Schwierigkeiten. Ein förmlicher Wald von Bäumen mußte hier als Stütze
eingerammt werden. Auf den Höhen bei Andermatt findet man die Spuren
eines jetzt eingetrockneten Sees, dessen Untergrund durchweg aus Schlamm
besteht, der bis an die Ausmauerung des Tunnels reicht und somit bei
Sprengungen sich in seiner ganzen Masse in den Tunnel selbst ergießen würde.
Man kann sich also von der Ausdehnung und den Folgen einer solchen Ver¬
schüttung eiuen Begriff machen. Der Verkehr wäre auf unberechenbare Zeiten
gestört, und der finanzielle Schaden unermeßlich.

Der Bau der Gvtthardbahn mit ihren zahllosen Kehrtunneln und andern
Bauwerken kostete mindestens 185 Millionen Franken, woran sich Deutsch¬
land mit zwanzig Millionen beteiligte. Der Eisenbahnbau wird kaum einen
großartigern Triumph zu verzeichnen haben. Von Erstfeld hinauf nach Göschenen
und durch den Haupttunnel hinunter nach Italien sehen wir auf der Fahrt
die Wunder der Technik; Bahnen über uns. Bahnen unter uns, und wir
können kaum fassen, daß diese unsre eigne Reiseroute darstellen. Ein ganz
gelehrter Herr fragte mich alles Ernstes, ob hier denn Konkurrenzbahnen erbaut
seien? Die Gotthardbefestigungen beherrschen zum Teil auch die neuerbaute
Grimselstraße, die von den Rhonequellen in das Thal der Aare führt und
auch mit einer selbständigen Befestigung versehen werden soll. Auf dem Gott-
hcird ist eine eigne Militürtelegraphie errichtet, da die früher bestehenden Linien


Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke

Baracken zum Zwecke der Paßverteidigung angelegt. Zur Bewachung und
Instandhaltung dieser ausgedehnten Werke liegen dort dauernd Besatznngs-
mannschaften; diese Wachen beziehen Jahrgehalt und werden, um das „stehende
Heer," so gut es geht, zu verhüllen, Maschinisten und Spezialarbeiter genannt;
zu dieser Kategorie tritt noch eine Besatzung von Freiwilligen, und außerdem
sind zum Schutze gegen einen plötzlichen Überfall vor beendeter Mobilmachung
Thalwehren organisirt, die aus der wehrfähigen Mannschaft sämtlicher Jahres¬
klassen bestehen und sich aus dem Bedrettothal, dem Livinenthal bis Dazio
Grande, dem Rheinthal bis Sedrun. dem Kanton Uri, dem Rhonethal bis
Münster und dem Haslithal bis Meiringen rekrutircn.

Als Besatzungsmannschaften für den Krieg sind 8887 Mann aller Waffen
und verschiedner Jahresklassen vorgesehen. Um die Zufuhr der Munition und
des Proviants für die Besatzungstruppen möglichst rasch und sicher hinaus¬
zuschaffen, steigt an einer Stelle des Haupttunnels zwischen Andermatt und
Airolo ein mehrere hundert Meter langer Aufzug nach dem Urner Loche.
Dieses Loch ist eine durch den Teuselsberg getriebne 04 Meter lauge,
4,2 Meter breite und 3 Meter hohe Galerie. Im Jahre 1799 fanden hier
blutige Kämpfe der Österreicher und Russen gegen die Franzosen statt. An
der Drnckpartie des Tunnels sind Minen angelegt, sodaß durch Sprengungen
der Tunnel verschüttet und nnpassirbar gemacht werden kann. Der Bau an
dieser Stelle verursachte bei der Anlage der ganzen Gotthardlinie die größten
Schwierigkeiten. Ein förmlicher Wald von Bäumen mußte hier als Stütze
eingerammt werden. Auf den Höhen bei Andermatt findet man die Spuren
eines jetzt eingetrockneten Sees, dessen Untergrund durchweg aus Schlamm
besteht, der bis an die Ausmauerung des Tunnels reicht und somit bei
Sprengungen sich in seiner ganzen Masse in den Tunnel selbst ergießen würde.
Man kann sich also von der Ausdehnung und den Folgen einer solchen Ver¬
schüttung eiuen Begriff machen. Der Verkehr wäre auf unberechenbare Zeiten
gestört, und der finanzielle Schaden unermeßlich.

Der Bau der Gvtthardbahn mit ihren zahllosen Kehrtunneln und andern
Bauwerken kostete mindestens 185 Millionen Franken, woran sich Deutsch¬
land mit zwanzig Millionen beteiligte. Der Eisenbahnbau wird kaum einen
großartigern Triumph zu verzeichnen haben. Von Erstfeld hinauf nach Göschenen
und durch den Haupttunnel hinunter nach Italien sehen wir auf der Fahrt
die Wunder der Technik; Bahnen über uns. Bahnen unter uns, und wir
können kaum fassen, daß diese unsre eigne Reiseroute darstellen. Ein ganz
gelehrter Herr fragte mich alles Ernstes, ob hier denn Konkurrenzbahnen erbaut
seien? Die Gotthardbefestigungen beherrschen zum Teil auch die neuerbaute
Grimselstraße, die von den Rhonequellen in das Thal der Aare führt und
auch mit einer selbständigen Befestigung versehen werden soll. Auf dem Gott-
hcird ist eine eigne Militürtelegraphie errichtet, da die früher bestehenden Linien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/190>, abgerufen am 24.07.2024.