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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

thätigen, verstandesklaren demokratischen Welt wuchs Julius Jolly heran, ein
srühreifer Knabe, der bald große Hoffnungen erweckte. Auf dem Gymnasium
1832 bis 1840 fesselten ihn besonders der treffliche Philolog August Nüßlin,
eine Gestalt von Goethischer Vornehmheit (1807 bis 1850 Rektor), der Jolly
zum begeisterten Verehrer des Griechentums machte, und der Physiker Wilhelm
Eisenlohr, ein Freund seines um vierzehn Jahre ältern Bruders Philipp (in
Heidelberg). Es entsprach ganz der klaren Verstandesschärfe und der frühen
Selbständigkeit des Urteils Jollys, wenn ihn der Vater, als er im Herbst
1840 die Universität Heidelberg bezog, zum Studium der Rechte bestimmte.
In Berlin, wohin er°im Herbst 1842 übersiedelte, ging ihm zuerst der Ge¬
danke auf, die akademische Laufbahn einzuschlagen, denn er lebte und webte in
seiner Wissenschaft. Nachdem er noch durch eine Reise über Leipzig und
Dresden nach Prag und eine zweite nach Rügen mehr von Norddeutschland
gesehen hatte, als die meisten seiner süddeutschen Landsleute für nötig halten,
kehrte er im Herbst 1843 nach Heidelberg zurück und bestand Ende Mai 1845
seine Staatsprüfung mit Auszeichnung, worauf er zunächst bei dem Bezirks¬
amts seiner Vaterstadt als Rechtspraktikant eintrat. Doch stand ihm jetzt der
Entschluß, sich der akademischen Laufbahn zu widmen, vollständig fest. Um
Anknüpfungen zu suchen, ging er deshalb 1846 auf einige Zeit erst nach Leipzig
(zu Albrecht), dann nach Bonn, aber er fand nicht das Erhoffte und habi-
litirte sich deshalb im Juli 1847 in Heidelberg für deutsches und zwar über¬
wiegend für modernes Recht.

Der Kreis, in dem er dort verkehrte, sein Bruder Philipp, G. Gervinus,
L. Hausier, sein etwas jüngerer Schulfreund F. von Roggenbach, der pen-
sionirte preußische Geheimrat Falkenstein gehörten dem gemäßigten nationalen
Liberalismus an, aber eine ganz ausgeprägte Ansicht von der Zukunft Deutsch¬
lands hatte nur Falkenstein, ein alter Lützower. der des gewissen Glaubens
lebte, daß die Tage Preußens kommen würden. Jolly selbst hatte die politische
Schwärmerei vieler seiner Landsleute niemals geteilt; er hatte sich schon als
Gymnasiast nicht für die polnischen Freiheitskämpfer begeistern können und als
Student den gepriesenen Freiheitssänger Georg Herwegh kurzweg sür einen Don
Quixote erklärt. Erst in Leipzig gewann er ein lebhafteres politisches Interesse
an den Zeitereignissen, das sich besonders in dem Kampfe gegen die Zensur
äußerte; in Heidelberg schrieb er für die "Deutsche Zeitung." Von Österreich
wollte er. belehrt von seinem Bruder Philipp, im Gegensatze zu seinen Lands¬
leuten nichts wissen, und von Preußen gewann er durch Falkenstein eine ganz
andre Anschauung als diese. So standen die Freunde dem bald 1848/49 in
Baden zur Herrschaft gelangenden Radikalismus mit Abneigung gegenüber und
wurden, als im Mai 1849 die offne Empörung losbrach und die Republik
ausgerufen wurde, in Heidelberg vom souveränen Volke derart bedroht, daß
sie, Falkenstein zuerst, nach dem lieblichen Auerbach an der Bergstraße über-


Lin mittelstaatlicher Minister in der Zeit der Reichsgründung

thätigen, verstandesklaren demokratischen Welt wuchs Julius Jolly heran, ein
srühreifer Knabe, der bald große Hoffnungen erweckte. Auf dem Gymnasium
1832 bis 1840 fesselten ihn besonders der treffliche Philolog August Nüßlin,
eine Gestalt von Goethischer Vornehmheit (1807 bis 1850 Rektor), der Jolly
zum begeisterten Verehrer des Griechentums machte, und der Physiker Wilhelm
Eisenlohr, ein Freund seines um vierzehn Jahre ältern Bruders Philipp (in
Heidelberg). Es entsprach ganz der klaren Verstandesschärfe und der frühen
Selbständigkeit des Urteils Jollys, wenn ihn der Vater, als er im Herbst
1840 die Universität Heidelberg bezog, zum Studium der Rechte bestimmte.
In Berlin, wohin er°im Herbst 1842 übersiedelte, ging ihm zuerst der Ge¬
danke auf, die akademische Laufbahn einzuschlagen, denn er lebte und webte in
seiner Wissenschaft. Nachdem er noch durch eine Reise über Leipzig und
Dresden nach Prag und eine zweite nach Rügen mehr von Norddeutschland
gesehen hatte, als die meisten seiner süddeutschen Landsleute für nötig halten,
kehrte er im Herbst 1843 nach Heidelberg zurück und bestand Ende Mai 1845
seine Staatsprüfung mit Auszeichnung, worauf er zunächst bei dem Bezirks¬
amts seiner Vaterstadt als Rechtspraktikant eintrat. Doch stand ihm jetzt der
Entschluß, sich der akademischen Laufbahn zu widmen, vollständig fest. Um
Anknüpfungen zu suchen, ging er deshalb 1846 auf einige Zeit erst nach Leipzig
(zu Albrecht), dann nach Bonn, aber er fand nicht das Erhoffte und habi-
litirte sich deshalb im Juli 1847 in Heidelberg für deutsches und zwar über¬
wiegend für modernes Recht.

Der Kreis, in dem er dort verkehrte, sein Bruder Philipp, G. Gervinus,
L. Hausier, sein etwas jüngerer Schulfreund F. von Roggenbach, der pen-
sionirte preußische Geheimrat Falkenstein gehörten dem gemäßigten nationalen
Liberalismus an, aber eine ganz ausgeprägte Ansicht von der Zukunft Deutsch¬
lands hatte nur Falkenstein, ein alter Lützower. der des gewissen Glaubens
lebte, daß die Tage Preußens kommen würden. Jolly selbst hatte die politische
Schwärmerei vieler seiner Landsleute niemals geteilt; er hatte sich schon als
Gymnasiast nicht für die polnischen Freiheitskämpfer begeistern können und als
Student den gepriesenen Freiheitssänger Georg Herwegh kurzweg sür einen Don
Quixote erklärt. Erst in Leipzig gewann er ein lebhafteres politisches Interesse
an den Zeitereignissen, das sich besonders in dem Kampfe gegen die Zensur
äußerte; in Heidelberg schrieb er für die „Deutsche Zeitung." Von Österreich
wollte er. belehrt von seinem Bruder Philipp, im Gegensatze zu seinen Lands¬
leuten nichts wissen, und von Preußen gewann er durch Falkenstein eine ganz
andre Anschauung als diese. So standen die Freunde dem bald 1848/49 in
Baden zur Herrschaft gelangenden Radikalismus mit Abneigung gegenüber und
wurden, als im Mai 1849 die offne Empörung losbrach und die Republik
ausgerufen wurde, in Heidelberg vom souveränen Volke derart bedroht, daß
sie, Falkenstein zuerst, nach dem lieblichen Auerbach an der Bergstraße über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/17>, abgerufen am 12.12.2024.