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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Gedanken eines Franzosen über Goethe

schon gesagt haben, Christiane zur Erzeugung des nötigen Schattens recht hell
gemalt wird. Dann folgt eine treffende, von der Dumasschen wohlthuend ab¬
stechende Charakterisirung des Freundschaftsbundes zwischen Goethe und Schiller,
wenn auch Rod den Einfluß Schillers allzu hoch bewertet; nach seiner Meinung
hätten wir eigentlich Schiller den Faust zu "verdanken." Auch die Bemerkung,
daß Goethe wegen andrer Beschäftigungen die geplante Vollendung des "De-
metrius" aufgegeben habe, ist nicht richtig; er verzichtete darauf, weil er zu
seinem schmerzlichen Bedauern einsah, daß er einfach nicht imstande war, den
"Katafalk, der höher brennen sollte als der von Messina," zu errichten. Die
"Wahlverwandtschaften" finden vor Roth Augen noch am meisten Gnade, und
ihre Vorzüge erkennt er willig an. Schön, freilich uicht ganz zutreffend, ist
der Vergleich Charlottens mit König Marke. Aber die Hiebe bleiben auch
hier nicht aus: Not klammert sich an das, was die Spatzen von den Dächern
Pfeifen, an die leidige Gewohnheit des alternden Dichters, nicht zu einem
Kunstwerk gehöriges darin unterzubringen. Auch hier zeigt sich Roth
Kampfesweise; er greift aus Ottiliens Tagebuch eine Anzahl von Reflexionen,
die er für die schlechtesten halten mag, heraus und zwar xrssaus an Irs-sarci.
Was er darunter wohl verstehen mag? Man könnte viel schwereres Geschütz
gegen die "Wahlverwandtschaften" auffahren: die Ausstellungen, die Not
daran macht und nach seiner Art aufbauscht, sind nicht imstande, ihnen, wie
er es thut, den Charakter eines "Meisterwerkes" zu nehmen, und die "Flecken,"
die Rod nennt, rauben dem Roman nichts von seinem unvergleichlichen Zauber,
den er durch seine hohe Kunstvollendung und gewaltige Tiefe immer wieder
ausübt. Die Neigung des fast sechzigjährigen Goethe zum Urbilde der Ottilie,
wenn sie auch "ein wenig ernsthaft" gewesen sei, reizt Herrn Not zum Lachen.
Er steht damit wohl vereinzelt da; auf uns wenigstens wirkt selbst des Greises
Liebe zur jungen Ulrike von Levetzow durchaus nicht lächerlich.

Der letzte Teil des Rodschen Buches, der von "Faust," 1s Zr^na veuvro,
handelt, ist der anerkennendste, wenn man so sagen darf, zugleich aber der
schwächste, weil er kaum etwas eignes enthält. Die gar nicht zur Sache ge¬
hörende oder doch nicht in Zusammenhang damit gebrachte Einleitung ist recht
hübsch, bietet aber keinerlei neue Ansichten; zumeist ist sie aus Faligans
Histoire as 1a Isgsnäs as ?g,use geschöpft. Richtigzustellen wäre die Be¬
merkung, daß das Titanische in Fausts Wesen erst durch Marlowe in den
Stoff hineingetragen sei, während es schon im Spießschen Volksbuch heißt,
daß Faust "name an sich Adlers Flügel, wolte alle Grund am Himmel und
Erden erforschen" und auch schon hier der Beschwörer des Teufels unver¬
kennbar Züge des himmelstürmenden Titanen an sich trägt. Es folgen dann
ein Klagelied über den Wald der Kommentatoren und die Abfertigung einiger
besonders ungeschickter unter ihnen vom Stamme der Veuillot und Louvier
und Goethes Auslegung seines größten Werkes. Wieder findet man hier den


Gedanken eines Franzosen über Goethe

schon gesagt haben, Christiane zur Erzeugung des nötigen Schattens recht hell
gemalt wird. Dann folgt eine treffende, von der Dumasschen wohlthuend ab¬
stechende Charakterisirung des Freundschaftsbundes zwischen Goethe und Schiller,
wenn auch Rod den Einfluß Schillers allzu hoch bewertet; nach seiner Meinung
hätten wir eigentlich Schiller den Faust zu „verdanken." Auch die Bemerkung,
daß Goethe wegen andrer Beschäftigungen die geplante Vollendung des „De-
metrius" aufgegeben habe, ist nicht richtig; er verzichtete darauf, weil er zu
seinem schmerzlichen Bedauern einsah, daß er einfach nicht imstande war, den
„Katafalk, der höher brennen sollte als der von Messina," zu errichten. Die
„Wahlverwandtschaften" finden vor Roth Augen noch am meisten Gnade, und
ihre Vorzüge erkennt er willig an. Schön, freilich uicht ganz zutreffend, ist
der Vergleich Charlottens mit König Marke. Aber die Hiebe bleiben auch
hier nicht aus: Not klammert sich an das, was die Spatzen von den Dächern
Pfeifen, an die leidige Gewohnheit des alternden Dichters, nicht zu einem
Kunstwerk gehöriges darin unterzubringen. Auch hier zeigt sich Roth
Kampfesweise; er greift aus Ottiliens Tagebuch eine Anzahl von Reflexionen,
die er für die schlechtesten halten mag, heraus und zwar xrssaus an Irs-sarci.
Was er darunter wohl verstehen mag? Man könnte viel schwereres Geschütz
gegen die „Wahlverwandtschaften" auffahren: die Ausstellungen, die Not
daran macht und nach seiner Art aufbauscht, sind nicht imstande, ihnen, wie
er es thut, den Charakter eines „Meisterwerkes" zu nehmen, und die „Flecken,"
die Rod nennt, rauben dem Roman nichts von seinem unvergleichlichen Zauber,
den er durch seine hohe Kunstvollendung und gewaltige Tiefe immer wieder
ausübt. Die Neigung des fast sechzigjährigen Goethe zum Urbilde der Ottilie,
wenn sie auch „ein wenig ernsthaft" gewesen sei, reizt Herrn Not zum Lachen.
Er steht damit wohl vereinzelt da; auf uns wenigstens wirkt selbst des Greises
Liebe zur jungen Ulrike von Levetzow durchaus nicht lächerlich.

Der letzte Teil des Rodschen Buches, der von „Faust," 1s Zr^na veuvro,
handelt, ist der anerkennendste, wenn man so sagen darf, zugleich aber der
schwächste, weil er kaum etwas eignes enthält. Die gar nicht zur Sache ge¬
hörende oder doch nicht in Zusammenhang damit gebrachte Einleitung ist recht
hübsch, bietet aber keinerlei neue Ansichten; zumeist ist sie aus Faligans
Histoire as 1a Isgsnäs as ?g,use geschöpft. Richtigzustellen wäre die Be¬
merkung, daß das Titanische in Fausts Wesen erst durch Marlowe in den
Stoff hineingetragen sei, während es schon im Spießschen Volksbuch heißt,
daß Faust „name an sich Adlers Flügel, wolte alle Grund am Himmel und
Erden erforschen" und auch schon hier der Beschwörer des Teufels unver¬
kennbar Züge des himmelstürmenden Titanen an sich trägt. Es folgen dann
ein Klagelied über den Wald der Kommentatoren und die Abfertigung einiger
besonders ungeschickter unter ihnen vom Stamme der Veuillot und Louvier
und Goethes Auslegung seines größten Werkes. Wieder findet man hier den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/168>, abgerufen am 23.06.2024.