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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Gedanken eines Franzosen über Goethe

Er lauert da und lauscht,
Wie er das frohe Singen
Zu Schaden könnte bringen.

rankreich hat eine Goethelitteratur, die, wenn sie auch an Um¬
fang und Wert nicht an die englische heranreicht, doch als sehr
ansehnlich bezeichnet werden muß. Die Namen der französischen
Dichter und Schriftsteller, die der Gewaltige in seinen Bann¬
kreis gezogen hat, bilden eine lange Reihe; sie führt von
Madame de Stael über Gerard de Nerval, den "Commis-voyageur zwischen
Deutschland und Frankreich," Marinier, den Baron Blaze de Bury, der unter
hohen Weimarer Auspizien den "Faust" übersetzte und die Stelle "Wie sie
kurz angebunden war" hartnäckig mit ostts juxs oourts! wiedergab, bis
auf den "Goethomanen" A. Serre, der vielleicht selbst in Deutschland nicht
seinesgleichen hat. Eine gute Biographie Goethes giebt es in Frankreich
allerdings noch nicht; die von Mezieres ist zwar in mancher Hinsicht an¬
erkennenswert, aber durchaus uicht einwandfrei und zudem durch die neuen
Forschungen längst überholt worden. Eine um so größere Litteratur haben
die einzelnen Werke Goethes gezeitigt, namentlich der "Faust," von dem es
über dreißig, freilich recht ungleichwertige französische Übersetzungen giebt. Es
sehlt unter den französischen Goetheschriftstellern zwar nicht an ävtrÄvtsurs,
wie der famose klerikale Klopffechter und "Jkonoklast" (wie er sich selbst
nennt) Barbeh d'Aurevilly und Al. Dumas Sohn, aber sie sind doch uur sehr
vereinzelt und haben in ihrem Vaterlande mit dem Versuch, Goethe herab¬
zusetzen, wenig Glück gehabt.

Namentlich in der französischen Schweiz, die ja so oft zwischen der
deutschen und französischen Litteratur vermittelt hat, ist das Interesse für
Goethe von jeher sehr bedeutend gewesen. Es genügt, die Lausanner Pvrchat
und Pradez, die Genfer Marc Monnier und Ehm. die Berner Stapfer und
Rössel zu nennen -- und so nahmen wir denn das Buch des Nyommisen
Edouard Rod,*) den wir als Dichter längst schützten, voll der besten Hoff¬
nungen in die Hand, sind aber selten stärker enttäuscht worden.



") lAouÄrä Roa, Ksssi sur HostKs, ?-u'is, 1898, ?orrin ^ (Ah. ?rs. 3,50,


Gedanken eines Franzosen über Goethe

Er lauert da und lauscht,
Wie er das frohe Singen
Zu Schaden könnte bringen.

rankreich hat eine Goethelitteratur, die, wenn sie auch an Um¬
fang und Wert nicht an die englische heranreicht, doch als sehr
ansehnlich bezeichnet werden muß. Die Namen der französischen
Dichter und Schriftsteller, die der Gewaltige in seinen Bann¬
kreis gezogen hat, bilden eine lange Reihe; sie führt von
Madame de Stael über Gerard de Nerval, den „Commis-voyageur zwischen
Deutschland und Frankreich," Marinier, den Baron Blaze de Bury, der unter
hohen Weimarer Auspizien den „Faust" übersetzte und die Stelle „Wie sie
kurz angebunden war" hartnäckig mit ostts juxs oourts! wiedergab, bis
auf den „Goethomanen" A. Serre, der vielleicht selbst in Deutschland nicht
seinesgleichen hat. Eine gute Biographie Goethes giebt es in Frankreich
allerdings noch nicht; die von Mezieres ist zwar in mancher Hinsicht an¬
erkennenswert, aber durchaus uicht einwandfrei und zudem durch die neuen
Forschungen längst überholt worden. Eine um so größere Litteratur haben
die einzelnen Werke Goethes gezeitigt, namentlich der „Faust," von dem es
über dreißig, freilich recht ungleichwertige französische Übersetzungen giebt. Es
sehlt unter den französischen Goetheschriftstellern zwar nicht an ävtrÄvtsurs,
wie der famose klerikale Klopffechter und „Jkonoklast" (wie er sich selbst
nennt) Barbeh d'Aurevilly und Al. Dumas Sohn, aber sie sind doch uur sehr
vereinzelt und haben in ihrem Vaterlande mit dem Versuch, Goethe herab¬
zusetzen, wenig Glück gehabt.

Namentlich in der französischen Schweiz, die ja so oft zwischen der
deutschen und französischen Litteratur vermittelt hat, ist das Interesse für
Goethe von jeher sehr bedeutend gewesen. Es genügt, die Lausanner Pvrchat
und Pradez, die Genfer Marc Monnier und Ehm. die Berner Stapfer und
Rössel zu nennen — und so nahmen wir denn das Buch des Nyommisen
Edouard Rod,*) den wir als Dichter längst schützten, voll der besten Hoff¬
nungen in die Hand, sind aber selten stärker enttäuscht worden.



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[0160] [Abbildung] Gedanken eines Franzosen über Goethe Er lauert da und lauscht, Wie er das frohe Singen Zu Schaden könnte bringen. rankreich hat eine Goethelitteratur, die, wenn sie auch an Um¬ fang und Wert nicht an die englische heranreicht, doch als sehr ansehnlich bezeichnet werden muß. Die Namen der französischen Dichter und Schriftsteller, die der Gewaltige in seinen Bann¬ kreis gezogen hat, bilden eine lange Reihe; sie führt von Madame de Stael über Gerard de Nerval, den „Commis-voyageur zwischen Deutschland und Frankreich," Marinier, den Baron Blaze de Bury, der unter hohen Weimarer Auspizien den „Faust" übersetzte und die Stelle „Wie sie kurz angebunden war" hartnäckig mit ostts juxs oourts! wiedergab, bis auf den „Goethomanen" A. Serre, der vielleicht selbst in Deutschland nicht seinesgleichen hat. Eine gute Biographie Goethes giebt es in Frankreich allerdings noch nicht; die von Mezieres ist zwar in mancher Hinsicht an¬ erkennenswert, aber durchaus uicht einwandfrei und zudem durch die neuen Forschungen längst überholt worden. Eine um so größere Litteratur haben die einzelnen Werke Goethes gezeitigt, namentlich der „Faust," von dem es über dreißig, freilich recht ungleichwertige französische Übersetzungen giebt. Es sehlt unter den französischen Goetheschriftstellern zwar nicht an ävtrÄvtsurs, wie der famose klerikale Klopffechter und „Jkonoklast" (wie er sich selbst nennt) Barbeh d'Aurevilly und Al. Dumas Sohn, aber sie sind doch uur sehr vereinzelt und haben in ihrem Vaterlande mit dem Versuch, Goethe herab¬ zusetzen, wenig Glück gehabt. Namentlich in der französischen Schweiz, die ja so oft zwischen der deutschen und französischen Litteratur vermittelt hat, ist das Interesse für Goethe von jeher sehr bedeutend gewesen. Es genügt, die Lausanner Pvrchat und Pradez, die Genfer Marc Monnier und Ehm. die Berner Stapfer und Rössel zu nennen — und so nahmen wir denn das Buch des Nyommisen Edouard Rod,*) den wir als Dichter längst schützten, voll der besten Hoff¬ nungen in die Hand, sind aber selten stärker enttäuscht worden. ") lAouÄrä Roa, Ksssi sur HostKs, ?-u'is, 1898, ?orrin ^ (Ah. ?rs. 3,50,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/160>, abgerufen am 12.12.2024.