Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Theodor von Bernhard! als Nationalökonom nisses, in dem der Mensch zur Güterwelt steht, eine Theorie auszugehen hat, Theodor von Bernhard! als Nationalökonom nisses, in dem der Mensch zur Güterwelt steht, eine Theorie auszugehen hat, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229082"/> <fw type="header" place="top"> Theodor von Bernhard! als Nationalökonom</fw><lb/> <p xml:id="ID_290" prev="#ID_289" next="#ID_291"> nisses, in dem der Mensch zur Güterwelt steht, eine Theorie auszugehen hat,<lb/> welche Stelle und welche Bedeutung sie den wirtschaftlichen Bestrebungen des<lb/> Menschen in dem Organismus des Gesamtlebens der Gesellschaft anweist, und<lb/> er antwortet: Es ist der Geist des Menschen, der den Kräften der Natur zu<lb/> gebieten und sie seinen Zwecken gemäß zu lenken hat. So ergiebt sich ihm<lb/> auch für die Verteilung von Grund und Boden als Richtschnur: Der Staat<lb/> muß die Entwicklung der Bodenverhältnisse in der Weise leiten, die den höhern<lb/> Interessen der Gesellschaft und der Menschheit in dem Sinne der Vorstellung,<lb/> die man sich davon macht, am entschiedensten entspricht. Die Gesetzgebung<lb/> kann nur darnach beurteilt werden, ob sie bei einem bestimmt gegebnen Zu¬<lb/> stande zweckmäßig oder unzweckmäßig ist. Zwei treffliche, in echt historisch-<lb/> kritischem Sinne geschriebn« Paragraphen beleuchten die Entwicklung der agra¬<lb/> rischen Verhältnisse in Frankreich und England und zeigen zugleich, in welch<lb/> oberflächlicher Weise häufig Statistik getrieben und der Geschichte Belege sür<lb/> moderne volkswirtschaftliche Theorien entnommen werden. Die Franzosen und<lb/> die Engländer behaupten beiderseits gern, bei ihnen seien die wirtschaftlichen<lb/> Dinge, wenigstens was die Gestaltung des Landbaus betrifft, zumeist der<lb/> eignen Schwerkraft überlassen, denn die Gesetzgebung beider Länder wisse nichts<lb/> von Ackergütern und Nealeinheiten. Beide Nationen gestehen zu, daß hohe<lb/> Eingangszölle auf Lebensmittel, die aus der Fremde eingeführt werden, den<lb/> Grundeigentümer — nicht den Landmann — zum Schaden der übrigen Be¬<lb/> völkerung begünstigen, wenn auch dadurch unter dem Einfluß der bestehenden<lb/> Gesetze ein höherer Gewinn, Ausdehnung des Ackerbaus auf schlechtere Län¬<lb/> dereien usw. erreicht wird. Die Franzosen rühmen von dem bei ihnen<lb/> herrschenden System, es gebe dem Grundbesitz die Beweglichkeit, die es möglich<lb/> mache, daß sich die bestehenden Verhältnisse immer dem Bedürfnis anpassen.<lb/> Die Engländer behaupten, das ihrige gewähre den Grad von Stetigkeit, der<lb/> notwendig ist, damit sich die wirtschaftlichen Zustände in einer der Natur<lb/> der Dinge entsprechenden Weise entwickeln können. Demgegenüber weist Bern¬<lb/> hardt nach, wie in beiden Ländern die grundverschiednen Zustände durch ge¬<lb/> schichtliche Thaten, d. h. durch Handlungen, die mit Bewußtsein und Absicht<lb/> ausgeführt sind, herbeigeführt worden sind, und daß die natürliche, sich selbst<lb/> überlassene Entwicklung weiter nichts ist, als das passive Zuschauen der Staats¬<lb/> gewalt bei der Ausbeutung und Vergewaltigung des Schwachen durch den<lb/> politisch oder wirtschaftlich Starken. Das allein gemeinsame Ergebnis in beiden<lb/> Ländern ist die Vernichtung des Bauernstands im Interesse der herrschenden<lb/> Klassen. Es scheint fast, als sollten England und Frankreich die Mißverhält¬<lb/> nisse, die Nachteile und Gefahren darthun, die für die Gesellschaft aus der<lb/> Vernichtung des Bauernstands hervorgehen müssen, nach welcher Richtung sie<lb/> auch erfolgt sein mag. Hat sich der Bauernstand in Frankreich schon in hohem<lb/> Maße in arme Besitzer elender Zwergwirtschasten aufgelöst, so mußte er in<lb/> England fast durchgängig Pächtern im großen Platz machen. Diese Land-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0134]
Theodor von Bernhard! als Nationalökonom
nisses, in dem der Mensch zur Güterwelt steht, eine Theorie auszugehen hat,
welche Stelle und welche Bedeutung sie den wirtschaftlichen Bestrebungen des
Menschen in dem Organismus des Gesamtlebens der Gesellschaft anweist, und
er antwortet: Es ist der Geist des Menschen, der den Kräften der Natur zu
gebieten und sie seinen Zwecken gemäß zu lenken hat. So ergiebt sich ihm
auch für die Verteilung von Grund und Boden als Richtschnur: Der Staat
muß die Entwicklung der Bodenverhältnisse in der Weise leiten, die den höhern
Interessen der Gesellschaft und der Menschheit in dem Sinne der Vorstellung,
die man sich davon macht, am entschiedensten entspricht. Die Gesetzgebung
kann nur darnach beurteilt werden, ob sie bei einem bestimmt gegebnen Zu¬
stande zweckmäßig oder unzweckmäßig ist. Zwei treffliche, in echt historisch-
kritischem Sinne geschriebn« Paragraphen beleuchten die Entwicklung der agra¬
rischen Verhältnisse in Frankreich und England und zeigen zugleich, in welch
oberflächlicher Weise häufig Statistik getrieben und der Geschichte Belege sür
moderne volkswirtschaftliche Theorien entnommen werden. Die Franzosen und
die Engländer behaupten beiderseits gern, bei ihnen seien die wirtschaftlichen
Dinge, wenigstens was die Gestaltung des Landbaus betrifft, zumeist der
eignen Schwerkraft überlassen, denn die Gesetzgebung beider Länder wisse nichts
von Ackergütern und Nealeinheiten. Beide Nationen gestehen zu, daß hohe
Eingangszölle auf Lebensmittel, die aus der Fremde eingeführt werden, den
Grundeigentümer — nicht den Landmann — zum Schaden der übrigen Be¬
völkerung begünstigen, wenn auch dadurch unter dem Einfluß der bestehenden
Gesetze ein höherer Gewinn, Ausdehnung des Ackerbaus auf schlechtere Län¬
dereien usw. erreicht wird. Die Franzosen rühmen von dem bei ihnen
herrschenden System, es gebe dem Grundbesitz die Beweglichkeit, die es möglich
mache, daß sich die bestehenden Verhältnisse immer dem Bedürfnis anpassen.
Die Engländer behaupten, das ihrige gewähre den Grad von Stetigkeit, der
notwendig ist, damit sich die wirtschaftlichen Zustände in einer der Natur
der Dinge entsprechenden Weise entwickeln können. Demgegenüber weist Bern¬
hardt nach, wie in beiden Ländern die grundverschiednen Zustände durch ge¬
schichtliche Thaten, d. h. durch Handlungen, die mit Bewußtsein und Absicht
ausgeführt sind, herbeigeführt worden sind, und daß die natürliche, sich selbst
überlassene Entwicklung weiter nichts ist, als das passive Zuschauen der Staats¬
gewalt bei der Ausbeutung und Vergewaltigung des Schwachen durch den
politisch oder wirtschaftlich Starken. Das allein gemeinsame Ergebnis in beiden
Ländern ist die Vernichtung des Bauernstands im Interesse der herrschenden
Klassen. Es scheint fast, als sollten England und Frankreich die Mißverhält¬
nisse, die Nachteile und Gefahren darthun, die für die Gesellschaft aus der
Vernichtung des Bauernstands hervorgehen müssen, nach welcher Richtung sie
auch erfolgt sein mag. Hat sich der Bauernstand in Frankreich schon in hohem
Maße in arme Besitzer elender Zwergwirtschasten aufgelöst, so mußte er in
England fast durchgängig Pächtern im großen Platz machen. Diese Land-
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