Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Theodor vo" Bernhardt als Nationalökonom

glaubt, ohne daß ein bestimmter, besondrer Wille des Menschen Einfluß geübt
hat, sind sehr oft in einer viel bestimmter" Weise geschichtlich gegeben, als man
sich in diesem Zusammenhang zu gestehen scheint. Wo man die "Gesetze der
Gütcrwelt" die Herrschaft übernehmen läßt, da erhebt die Macht des Geldes
den Reichen auch im buchstäblichen Sinne zum Herrn der Erde und ver¬
wandelt den frühern Eigner der Scholle in seinen tagelöhnernden Knecht, mit
dem doppelten Vorteil des nunmehrigen Landherrn, der in dem untergehenden
vcrkommnen Arbeiter nicht wie in dem Sklaven einen Teil seines Kapitals
verliert. Jede Not, jeder Unfall wirft gar leicht den Grundbesitz des kleinen
Eigentümers in die Hände des Reichen; oft genügt eine Teuerung, ein Kriegs¬
unheil dazu, daß kleine Grundstücke und Besitzungen massenweise zusammen-
gekauft werden. (Das alte und das neue Italien werden hier als Beispiel
angeführt.) Die Macht des Geldes hat den Bauern aus dem Besitz getrieben
und erhalt die Landbevölkerung in abhängiger Lage. Gerade das ist der
Grund des trostlosen sozialen Elends in Italien. Auch in Deutschland war
der Zustand des Grundeigentums keineswegs aus dem Gauge des wirtschaft¬
lichen Lebens selbst gleichsam naturwüchsig hervorgegangen, sondern er war
das Ergebnis geschichtlicher Thaten.

Gegen den Grundsatz, daß bei dem Walten der Freiheit die Gesetze der
Güterwelt die Herrschaft übernehmen, in einzelnen Fällen ausgezeichnete Ein¬
sicht oder große Thorheit wohl das Verhältnis ändern könne, diese Fälle aber
in der Masse verschwinden oder sich ausgleiche!? müssen, führt Bernhardi
schlagend an, ob es wohl die Bestimmung des Menschen sein könne, sich und
sein Geschick ohne Berechnung und bestimmte Absicht den Dingen, einer blind
waltenden Naturnotwendigkeit unbedingt anheim zu geben? Könnte der Mensch
nicht versucht sein, seine Bestimmung in einem rastlosen Streben zu suchen,
das ihn mehr und mehr zum Herrn der Dinge machen, ihn befähigen soll, die
Herrschaft über sie mit gesteigerter Einsicht und Macht zu üben und alles, was
ihm dient, seinen mit Bewußtsein verfolgten Zwecken gemäß zu gestalten und
zu leiten? Liegt nicht ein seltsamer Widerspruch darin, die Gesellschaft solle
sich in ihrer Gesamtheit der Herrschaft über die wirtschaftlichen Dinge gleichsam
begeben, diese ihrer eignen Schwerkraft überlassen und sich von ihr bestimmen
lassen, ohne den Versuch, ohne den Anspruch, die dauernden höhern Interessen
der Menschheit in ihnen mit Bewußtsein zu wahren?

Jeder wirklich mögliche gesellschaftliche Zustand ist thatsächlich ein "gewill-
kürter," ein durch den Willen der Menschen geschaffner, daher müssen sich alle
wirtschaftlichen Verhältnisse als zweckmäßig und förderlich für die höchsten
Gesetze des gesellschaftlichen Lebens erweisen und rechtfertigen. Folgt etwa
schon daraus, daß jeder seineu Vorteil am besten versteht, daß die Interessen
des Einzelnen denen der Gesamtheit oder denen der Zukunft niemals feindlich
gegenüberstehen können? Soll der Staat nicht der sammelnde Mittelpunkt der


Theodor vo» Bernhardt als Nationalökonom

glaubt, ohne daß ein bestimmter, besondrer Wille des Menschen Einfluß geübt
hat, sind sehr oft in einer viel bestimmter» Weise geschichtlich gegeben, als man
sich in diesem Zusammenhang zu gestehen scheint. Wo man die „Gesetze der
Gütcrwelt" die Herrschaft übernehmen läßt, da erhebt die Macht des Geldes
den Reichen auch im buchstäblichen Sinne zum Herrn der Erde und ver¬
wandelt den frühern Eigner der Scholle in seinen tagelöhnernden Knecht, mit
dem doppelten Vorteil des nunmehrigen Landherrn, der in dem untergehenden
vcrkommnen Arbeiter nicht wie in dem Sklaven einen Teil seines Kapitals
verliert. Jede Not, jeder Unfall wirft gar leicht den Grundbesitz des kleinen
Eigentümers in die Hände des Reichen; oft genügt eine Teuerung, ein Kriegs¬
unheil dazu, daß kleine Grundstücke und Besitzungen massenweise zusammen-
gekauft werden. (Das alte und das neue Italien werden hier als Beispiel
angeführt.) Die Macht des Geldes hat den Bauern aus dem Besitz getrieben
und erhalt die Landbevölkerung in abhängiger Lage. Gerade das ist der
Grund des trostlosen sozialen Elends in Italien. Auch in Deutschland war
der Zustand des Grundeigentums keineswegs aus dem Gauge des wirtschaft¬
lichen Lebens selbst gleichsam naturwüchsig hervorgegangen, sondern er war
das Ergebnis geschichtlicher Thaten.

Gegen den Grundsatz, daß bei dem Walten der Freiheit die Gesetze der
Güterwelt die Herrschaft übernehmen, in einzelnen Fällen ausgezeichnete Ein¬
sicht oder große Thorheit wohl das Verhältnis ändern könne, diese Fälle aber
in der Masse verschwinden oder sich ausgleiche!? müssen, führt Bernhardi
schlagend an, ob es wohl die Bestimmung des Menschen sein könne, sich und
sein Geschick ohne Berechnung und bestimmte Absicht den Dingen, einer blind
waltenden Naturnotwendigkeit unbedingt anheim zu geben? Könnte der Mensch
nicht versucht sein, seine Bestimmung in einem rastlosen Streben zu suchen,
das ihn mehr und mehr zum Herrn der Dinge machen, ihn befähigen soll, die
Herrschaft über sie mit gesteigerter Einsicht und Macht zu üben und alles, was
ihm dient, seinen mit Bewußtsein verfolgten Zwecken gemäß zu gestalten und
zu leiten? Liegt nicht ein seltsamer Widerspruch darin, die Gesellschaft solle
sich in ihrer Gesamtheit der Herrschaft über die wirtschaftlichen Dinge gleichsam
begeben, diese ihrer eignen Schwerkraft überlassen und sich von ihr bestimmen
lassen, ohne den Versuch, ohne den Anspruch, die dauernden höhern Interessen
der Menschheit in ihnen mit Bewußtsein zu wahren?

Jeder wirklich mögliche gesellschaftliche Zustand ist thatsächlich ein „gewill-
kürter," ein durch den Willen der Menschen geschaffner, daher müssen sich alle
wirtschaftlichen Verhältnisse als zweckmäßig und förderlich für die höchsten
Gesetze des gesellschaftlichen Lebens erweisen und rechtfertigen. Folgt etwa
schon daraus, daß jeder seineu Vorteil am besten versteht, daß die Interessen
des Einzelnen denen der Gesamtheit oder denen der Zukunft niemals feindlich
gegenüberstehen können? Soll der Staat nicht der sammelnde Mittelpunkt der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229078"/>
            <fw type="header" place="top"> Theodor vo» Bernhardt als Nationalökonom</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_274" prev="#ID_273"> glaubt, ohne daß ein bestimmter, besondrer Wille des Menschen Einfluß geübt<lb/>
hat, sind sehr oft in einer viel bestimmter» Weise geschichtlich gegeben, als man<lb/>
sich in diesem Zusammenhang zu gestehen scheint. Wo man die &#x201E;Gesetze der<lb/>
Gütcrwelt" die Herrschaft übernehmen läßt, da erhebt die Macht des Geldes<lb/>
den Reichen auch im buchstäblichen Sinne zum Herrn der Erde und ver¬<lb/>
wandelt den frühern Eigner der Scholle in seinen tagelöhnernden Knecht, mit<lb/>
dem doppelten Vorteil des nunmehrigen Landherrn, der in dem untergehenden<lb/>
vcrkommnen Arbeiter nicht wie in dem Sklaven einen Teil seines Kapitals<lb/>
verliert. Jede Not, jeder Unfall wirft gar leicht den Grundbesitz des kleinen<lb/>
Eigentümers in die Hände des Reichen; oft genügt eine Teuerung, ein Kriegs¬<lb/>
unheil dazu, daß kleine Grundstücke und Besitzungen massenweise zusammen-<lb/>
gekauft werden. (Das alte und das neue Italien werden hier als Beispiel<lb/>
angeführt.) Die Macht des Geldes hat den Bauern aus dem Besitz getrieben<lb/>
und erhalt die Landbevölkerung in abhängiger Lage. Gerade das ist der<lb/>
Grund des trostlosen sozialen Elends in Italien. Auch in Deutschland war<lb/>
der Zustand des Grundeigentums keineswegs aus dem Gauge des wirtschaft¬<lb/>
lichen Lebens selbst gleichsam naturwüchsig hervorgegangen, sondern er war<lb/>
das Ergebnis geschichtlicher Thaten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_275"> Gegen den Grundsatz, daß bei dem Walten der Freiheit die Gesetze der<lb/>
Güterwelt die Herrschaft übernehmen, in einzelnen Fällen ausgezeichnete Ein¬<lb/>
sicht oder große Thorheit wohl das Verhältnis ändern könne, diese Fälle aber<lb/>
in der Masse verschwinden oder sich ausgleiche!? müssen, führt Bernhardi<lb/>
schlagend an, ob es wohl die Bestimmung des Menschen sein könne, sich und<lb/>
sein Geschick ohne Berechnung und bestimmte Absicht den Dingen, einer blind<lb/>
waltenden Naturnotwendigkeit unbedingt anheim zu geben? Könnte der Mensch<lb/>
nicht versucht sein, seine Bestimmung in einem rastlosen Streben zu suchen,<lb/>
das ihn mehr und mehr zum Herrn der Dinge machen, ihn befähigen soll, die<lb/>
Herrschaft über sie mit gesteigerter Einsicht und Macht zu üben und alles, was<lb/>
ihm dient, seinen mit Bewußtsein verfolgten Zwecken gemäß zu gestalten und<lb/>
zu leiten? Liegt nicht ein seltsamer Widerspruch darin, die Gesellschaft solle<lb/>
sich in ihrer Gesamtheit der Herrschaft über die wirtschaftlichen Dinge gleichsam<lb/>
begeben, diese ihrer eignen Schwerkraft überlassen und sich von ihr bestimmen<lb/>
lassen, ohne den Versuch, ohne den Anspruch, die dauernden höhern Interessen<lb/>
der Menschheit in ihnen mit Bewußtsein zu wahren?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_276" next="#ID_277"> Jeder wirklich mögliche gesellschaftliche Zustand ist thatsächlich ein &#x201E;gewill-<lb/>
kürter," ein durch den Willen der Menschen geschaffner, daher müssen sich alle<lb/>
wirtschaftlichen Verhältnisse als zweckmäßig und förderlich für die höchsten<lb/>
Gesetze des gesellschaftlichen Lebens erweisen und rechtfertigen. Folgt etwa<lb/>
schon daraus, daß jeder seineu Vorteil am besten versteht, daß die Interessen<lb/>
des Einzelnen denen der Gesamtheit oder denen der Zukunft niemals feindlich<lb/>
gegenüberstehen können? Soll der Staat nicht der sammelnde Mittelpunkt der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0130] Theodor vo» Bernhardt als Nationalökonom glaubt, ohne daß ein bestimmter, besondrer Wille des Menschen Einfluß geübt hat, sind sehr oft in einer viel bestimmter» Weise geschichtlich gegeben, als man sich in diesem Zusammenhang zu gestehen scheint. Wo man die „Gesetze der Gütcrwelt" die Herrschaft übernehmen läßt, da erhebt die Macht des Geldes den Reichen auch im buchstäblichen Sinne zum Herrn der Erde und ver¬ wandelt den frühern Eigner der Scholle in seinen tagelöhnernden Knecht, mit dem doppelten Vorteil des nunmehrigen Landherrn, der in dem untergehenden vcrkommnen Arbeiter nicht wie in dem Sklaven einen Teil seines Kapitals verliert. Jede Not, jeder Unfall wirft gar leicht den Grundbesitz des kleinen Eigentümers in die Hände des Reichen; oft genügt eine Teuerung, ein Kriegs¬ unheil dazu, daß kleine Grundstücke und Besitzungen massenweise zusammen- gekauft werden. (Das alte und das neue Italien werden hier als Beispiel angeführt.) Die Macht des Geldes hat den Bauern aus dem Besitz getrieben und erhalt die Landbevölkerung in abhängiger Lage. Gerade das ist der Grund des trostlosen sozialen Elends in Italien. Auch in Deutschland war der Zustand des Grundeigentums keineswegs aus dem Gauge des wirtschaft¬ lichen Lebens selbst gleichsam naturwüchsig hervorgegangen, sondern er war das Ergebnis geschichtlicher Thaten. Gegen den Grundsatz, daß bei dem Walten der Freiheit die Gesetze der Güterwelt die Herrschaft übernehmen, in einzelnen Fällen ausgezeichnete Ein¬ sicht oder große Thorheit wohl das Verhältnis ändern könne, diese Fälle aber in der Masse verschwinden oder sich ausgleiche!? müssen, führt Bernhardi schlagend an, ob es wohl die Bestimmung des Menschen sein könne, sich und sein Geschick ohne Berechnung und bestimmte Absicht den Dingen, einer blind waltenden Naturnotwendigkeit unbedingt anheim zu geben? Könnte der Mensch nicht versucht sein, seine Bestimmung in einem rastlosen Streben zu suchen, das ihn mehr und mehr zum Herrn der Dinge machen, ihn befähigen soll, die Herrschaft über sie mit gesteigerter Einsicht und Macht zu üben und alles, was ihm dient, seinen mit Bewußtsein verfolgten Zwecken gemäß zu gestalten und zu leiten? Liegt nicht ein seltsamer Widerspruch darin, die Gesellschaft solle sich in ihrer Gesamtheit der Herrschaft über die wirtschaftlichen Dinge gleichsam begeben, diese ihrer eignen Schwerkraft überlassen und sich von ihr bestimmen lassen, ohne den Versuch, ohne den Anspruch, die dauernden höhern Interessen der Menschheit in ihnen mit Bewußtsein zu wahren? Jeder wirklich mögliche gesellschaftliche Zustand ist thatsächlich ein „gewill- kürter," ein durch den Willen der Menschen geschaffner, daher müssen sich alle wirtschaftlichen Verhältnisse als zweckmäßig und förderlich für die höchsten Gesetze des gesellschaftlichen Lebens erweisen und rechtfertigen. Folgt etwa schon daraus, daß jeder seineu Vorteil am besten versteht, daß die Interessen des Einzelnen denen der Gesamtheit oder denen der Zukunft niemals feindlich gegenüberstehen können? Soll der Staat nicht der sammelnde Mittelpunkt der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/130
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/130>, abgerufen am 12.12.2024.