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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Von Abgeordneten ins Parlament schickt. Sodann kommt er auf den Mi߬
brauch, der mit dem Worte "Freiheit" getrieben wird. Es ist sehr bedauerlich,
meint er, daß sich auch bei uns immer mehr die unlogische, maßlose Selbst¬
überhebung geltend macht, an der verschiedne europäische Völker und besonders
die Amerikaner kranken: daß man seine Nationalität, sein Glauben und Denken
für soviel besser hält als die aller andern Menschen. Diese Selbstüberhebung
sei dem germanischen Bewußtsein fremd. und wo sie existire. sei sie eine Folge
des römischen Einflusses. "Die Römer waren das wissenschaftlich und philo¬
sophisch unproduktivste Volk, dessen höchste Ideen einen niedrigen Militarismus
niemals überstiegen, ein Volk, das niemals höhere Ziele kannte als Herrschaft.
Reichtum. Genuß und Müßiggang, und dessen einzige Leistung war. daß es
einen nüchternen Baustil und die Sprache schuf (das wären allerdings schon
Zwei Leistungen!), in der man am besten Lügen und das Recht verdrehen
kann. Daß dieses Volk es verstand, mit dem Blute und dem Gelde der von
ihm düpirten Nachbarvölker eine Zeit lang die Weltherrschaft zu erobern, das
hat der geistigen Entwicklung der Menschheit eine tausendjährige Periode des
Stillstands, das Mittelalter, gekostet." So geistvoll geformte Sätze finden
sich viele in dem Buche, ich habe diesen, obwohl sich viel gegen ihn einwenden
ließe, ausgeschrieben, nur um die Art zu kennzeichnen. Was dann werter über
"Freiheit" im politischen und wirtschaftlichen Leben gesagt wird, rst sehr be¬
herzigenswert. Ich gebe daraus einige Auszüge. Wenn man be: mis dem
Volke weismacht, in Amerika und England habe das Volk größere Freche: .
s° ist das völlig unwahr. Richtig ist nur, daß dort ein größerer Volkswohl¬
stand besteht, das liegt aber an andern Verhältnissen, als an den srecheitüchen
Institutionen der Länder. Der Wohlstand Englands beruht darauf, daß es
ein Irland und ein Indien hat. Nordamerika aber verdankt seinen durch¬
schnittlich größer" Volkswohlstand dem Umstände, daß auf einem fruchtbaren
Ländergebiete, das fast zwanzigmal so groß ist wie das Deutsche Reich, nur
siebzig Millionen Menschen wohnen, und einer despotischen, schlauen Ein¬
wanderungsgesetzgebung, die die künstlich aufgeschraubten Lohnverhältnisse auf¬
recht erhält, so lange sich die europäischen Nationen und Kanada diese Tyrannei
gefallen lassen. Dieser auf Kosten andrer Völker erhaltne Wohlstand verbindet
sich mit einer Dosis politischer Gleichgiltigkeit. vermöge deren dem Amerikaner,
solange er nicht in Mitleidenschaft gezogen ist. nichts daran liegt, daß ^>api-
"ergewaltigung mit Knüttel und Pistole. Lynchjustiz. Nepotismus und (steuen-
lchacher. Veamtenbestechlichkeit und Polizeiwillkür eine Ausdehnung angenommen
haben, gegen die die gleichartigen Übelstände in Rußland oder w der^urtei
wahre Waisenknaben sind. ..Diese Gleichgiltigkeit des mit beschenkelten Klügeln
"n Hanfsamen sitzenden Vogels sieht dann ans einer Entfernung, aus welcher
wan das Drahtgitter des Käfigs nicht erkennen kann, wie Freiheit aus Aber
^r Verfasser richtet seine Vorwürfe gegen ein ..sich fälschlich nut der Freiheit


Von Abgeordneten ins Parlament schickt. Sodann kommt er auf den Mi߬
brauch, der mit dem Worte „Freiheit" getrieben wird. Es ist sehr bedauerlich,
meint er, daß sich auch bei uns immer mehr die unlogische, maßlose Selbst¬
überhebung geltend macht, an der verschiedne europäische Völker und besonders
die Amerikaner kranken: daß man seine Nationalität, sein Glauben und Denken
für soviel besser hält als die aller andern Menschen. Diese Selbstüberhebung
sei dem germanischen Bewußtsein fremd. und wo sie existire. sei sie eine Folge
des römischen Einflusses. „Die Römer waren das wissenschaftlich und philo¬
sophisch unproduktivste Volk, dessen höchste Ideen einen niedrigen Militarismus
niemals überstiegen, ein Volk, das niemals höhere Ziele kannte als Herrschaft.
Reichtum. Genuß und Müßiggang, und dessen einzige Leistung war. daß es
einen nüchternen Baustil und die Sprache schuf (das wären allerdings schon
Zwei Leistungen!), in der man am besten Lügen und das Recht verdrehen
kann. Daß dieses Volk es verstand, mit dem Blute und dem Gelde der von
ihm düpirten Nachbarvölker eine Zeit lang die Weltherrschaft zu erobern, das
hat der geistigen Entwicklung der Menschheit eine tausendjährige Periode des
Stillstands, das Mittelalter, gekostet." So geistvoll geformte Sätze finden
sich viele in dem Buche, ich habe diesen, obwohl sich viel gegen ihn einwenden
ließe, ausgeschrieben, nur um die Art zu kennzeichnen. Was dann werter über
»Freiheit" im politischen und wirtschaftlichen Leben gesagt wird, rst sehr be¬
herzigenswert. Ich gebe daraus einige Auszüge. Wenn man be: mis dem
Volke weismacht, in Amerika und England habe das Volk größere Freche: .
s° ist das völlig unwahr. Richtig ist nur, daß dort ein größerer Volkswohl¬
stand besteht, das liegt aber an andern Verhältnissen, als an den srecheitüchen
Institutionen der Länder. Der Wohlstand Englands beruht darauf, daß es
ein Irland und ein Indien hat. Nordamerika aber verdankt seinen durch¬
schnittlich größer» Volkswohlstand dem Umstände, daß auf einem fruchtbaren
Ländergebiete, das fast zwanzigmal so groß ist wie das Deutsche Reich, nur
siebzig Millionen Menschen wohnen, und einer despotischen, schlauen Ein¬
wanderungsgesetzgebung, die die künstlich aufgeschraubten Lohnverhältnisse auf¬
recht erhält, so lange sich die europäischen Nationen und Kanada diese Tyrannei
gefallen lassen. Dieser auf Kosten andrer Völker erhaltne Wohlstand verbindet
sich mit einer Dosis politischer Gleichgiltigkeit. vermöge deren dem Amerikaner,
solange er nicht in Mitleidenschaft gezogen ist. nichts daran liegt, daß ^>api-
"ergewaltigung mit Knüttel und Pistole. Lynchjustiz. Nepotismus und (steuen-
lchacher. Veamtenbestechlichkeit und Polizeiwillkür eine Ausdehnung angenommen
haben, gegen die die gleichartigen Übelstände in Rußland oder w der^urtei
wahre Waisenknaben sind. ..Diese Gleichgiltigkeit des mit beschenkelten Klügeln
"n Hanfsamen sitzenden Vogels sieht dann ans einer Entfernung, aus welcher
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^r Verfasser richtet seine Vorwürfe gegen ein ..sich fälschlich nut der Freiheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/115>, abgerufen am 12.12.2024.