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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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<La Neulutheraner

Platz in der Hölle anweist. Ich bin nämlich kein Wiedergeborner. (Wenn
solche, die die innerliche Erfahrung der Wiedergeburt an sich gemacht zu haben
glauben, sich ihrer, natürlich zur Ehre Gottes, rühmen, warum sollten da
solche, die sie nicht gemacht haben, das nicht offen eingestehen? Um einiger¬
maßen zu wissen, wie weit eigentlich das Christentum in diesem Sinne reicht,
um seine Geographie und Statistik zu gewinnen, müßten sich alle Wieder-
gebornen und Nichtwiedergebornen bei der Volkszählung melden.) Und zwar
dürfte ich zu einer bestimmten vom Schwindsuchtsmanne sehr genau gezeichneten
Klasse derer gehören, die der Hölle zuwcmdeln. "Der Menschheit schlimmster
Feind ist die sursÄ msäioeiitsL, die vergoldete, gleißende Lüge von der "goldnen"
Mittelstraße." Die sei eine besonders nichtswürdige Erfindung des Teufels
und so erfolgreich, "daß es hienieden schier wimmelt von der goldnen Mittel¬
sorte, den ob ihrer Schlauheit schmunzelnden Halben. Auf dem Wege gehen
die wohlgenährten, wohlgeehrten, wohlgelehrten Herren, denen die Bekehrung
eine Einbildung, eine fanatische, extreme Forderung religiöser Schwärmer ist,
die überall Pietismus, Frömmelei wittern, denen jedes Mysterium wie alle
Mystik auf den Tod verhaßt ist usw." Nicht alles in dieser Beschreibung
paßt auf mich. So z. B. schmunzele ich nicht ob meiner Schlauheit, aber ein
Halber bin ich allerdings vom Standpunkte der Bekehrten aus, weil ich für
meinen eignen Bedarf einen Kompromiß zwischen Gott und Welt geschlossen
habe. Auch sind mir Mysterien und Mystik keineswegs auf den Tod verhaßt,
aber ich gestehe offen ein, daß ich nicht mystisch angelegt bin, daß ich die
jenseitigen Mächte zwar manchmal in der Leitung meines Schicksals verspürt,
aber niemals mit Augen oder Ohren oder in Verzückungen oder Wieder¬
geburtswehen wahrgenommen habe; und ich glaube einerseits nicht, daß
alle der Hölle versallen sind, denen das Organ zur Wahrnehmung des Jen¬
seitigen fehlt -- bilden sie doch die ungeheure Mehrheit --, während ich
andrerseits überzeugt bin, daß in der That zwar nicht alles, aber sehr vieles
von dem, was uns aus dem Gebiete der Mystik berichtet wird, bloß Ein¬
bildung ist. Bei der geringen Anzahl von Personen, denen man glauben darf,
wenn sie von ihrer Bekehrung sprechen, erscheint es mir nicht wahrscheinlich
und der Heiligkeit und Güte Gottes uicht angemessen, das; sich die Wirkung
der Erlösung auf sie beschränken sollte; wo aber massenhaft und sozusagen
fabrikmüßig Bekehrungen gewirkt werden, wie bei den Methodisten und der
Heilsarmee, da scheint mir nicht das wirkliche Christentum, sondern nur sein
Zerrbild zu sein. Ritschl ist, als einer der theologischen Führer auf dem "be¬
quemen Mittelwege," ein Gegenstand grimmen Hasses für unsre Wiedergebornen-
Sollte nicht am Ende der Umstand, daß sich Ritschls Vater als General¬
superintendent von Pommern genötigt gesehen hat, altlutherischer und metho¬
distischer Schwärmerei entgegenzutreten, zur Entzündung dieses Hasses einiges
beigetragen haben?


<La Neulutheraner

Platz in der Hölle anweist. Ich bin nämlich kein Wiedergeborner. (Wenn
solche, die die innerliche Erfahrung der Wiedergeburt an sich gemacht zu haben
glauben, sich ihrer, natürlich zur Ehre Gottes, rühmen, warum sollten da
solche, die sie nicht gemacht haben, das nicht offen eingestehen? Um einiger¬
maßen zu wissen, wie weit eigentlich das Christentum in diesem Sinne reicht,
um seine Geographie und Statistik zu gewinnen, müßten sich alle Wieder-
gebornen und Nichtwiedergebornen bei der Volkszählung melden.) Und zwar
dürfte ich zu einer bestimmten vom Schwindsuchtsmanne sehr genau gezeichneten
Klasse derer gehören, die der Hölle zuwcmdeln. „Der Menschheit schlimmster
Feind ist die sursÄ msäioeiitsL, die vergoldete, gleißende Lüge von der »goldnen«
Mittelstraße." Die sei eine besonders nichtswürdige Erfindung des Teufels
und so erfolgreich, „daß es hienieden schier wimmelt von der goldnen Mittel¬
sorte, den ob ihrer Schlauheit schmunzelnden Halben. Auf dem Wege gehen
die wohlgenährten, wohlgeehrten, wohlgelehrten Herren, denen die Bekehrung
eine Einbildung, eine fanatische, extreme Forderung religiöser Schwärmer ist,
die überall Pietismus, Frömmelei wittern, denen jedes Mysterium wie alle
Mystik auf den Tod verhaßt ist usw." Nicht alles in dieser Beschreibung
paßt auf mich. So z. B. schmunzele ich nicht ob meiner Schlauheit, aber ein
Halber bin ich allerdings vom Standpunkte der Bekehrten aus, weil ich für
meinen eignen Bedarf einen Kompromiß zwischen Gott und Welt geschlossen
habe. Auch sind mir Mysterien und Mystik keineswegs auf den Tod verhaßt,
aber ich gestehe offen ein, daß ich nicht mystisch angelegt bin, daß ich die
jenseitigen Mächte zwar manchmal in der Leitung meines Schicksals verspürt,
aber niemals mit Augen oder Ohren oder in Verzückungen oder Wieder¬
geburtswehen wahrgenommen habe; und ich glaube einerseits nicht, daß
alle der Hölle versallen sind, denen das Organ zur Wahrnehmung des Jen¬
seitigen fehlt — bilden sie doch die ungeheure Mehrheit —, während ich
andrerseits überzeugt bin, daß in der That zwar nicht alles, aber sehr vieles
von dem, was uns aus dem Gebiete der Mystik berichtet wird, bloß Ein¬
bildung ist. Bei der geringen Anzahl von Personen, denen man glauben darf,
wenn sie von ihrer Bekehrung sprechen, erscheint es mir nicht wahrscheinlich
und der Heiligkeit und Güte Gottes uicht angemessen, das; sich die Wirkung
der Erlösung auf sie beschränken sollte; wo aber massenhaft und sozusagen
fabrikmüßig Bekehrungen gewirkt werden, wie bei den Methodisten und der
Heilsarmee, da scheint mir nicht das wirkliche Christentum, sondern nur sein
Zerrbild zu sein. Ritschl ist, als einer der theologischen Führer auf dem „be¬
quemen Mittelwege," ein Gegenstand grimmen Hasses für unsre Wiedergebornen-
Sollte nicht am Ende der Umstand, daß sich Ritschls Vater als General¬
superintendent von Pommern genötigt gesehen hat, altlutherischer und metho¬
distischer Schwärmerei entgegenzutreten, zur Entzündung dieses Hasses einiges
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/104>, abgerufen am 04.07.2024.