Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Also -- In Rodersdvrf giebt es eine Domäne, ferner ein Rittergut, nämlich das frei¬ Für den großen Kindersegen dieser Arbeiterbevölkerung reichten nun die beiden Kinder, sagte der Schulze bei Gelegenheit einer Schnlvorstandssitzung, die Im Vertrauen auf diesen Hinterhalt beschloß also der Schnlvorstand die Was! schenken? riefen die Bauern. Wir lassen uns nichts schenken. Und Man sandte also an den Herrn Baron ein Schreiben, das nicht in den höf¬ Nicht verpflichtet? das wollen wir doch einmal sehen, sagte der Schulze. Der Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Also — In Rodersdvrf giebt es eine Domäne, ferner ein Rittergut, nämlich das frei¬ Für den großen Kindersegen dieser Arbeiterbevölkerung reichten nun die beiden Kinder, sagte der Schulze bei Gelegenheit einer Schnlvorstandssitzung, die Im Vertrauen auf diesen Hinterhalt beschloß also der Schnlvorstand die Was! schenken? riefen die Bauern. Wir lassen uns nichts schenken. Und Man sandte also an den Herrn Baron ein Schreiben, das nicht in den höf¬ Nicht verpflichtet? das wollen wir doch einmal sehen, sagte der Schulze. Der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0630" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228932"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_2121"> Also —</p><lb/> <p xml:id="ID_2122"> In Rodersdvrf giebt es eine Domäne, ferner ein Rittergut, nämlich das frei¬<lb/> herrlich Malowsche Gut, und den sogenannten Kamphof, ein Gut mittlerer Größe,<lb/> sozusagen die ländliche Zugabe zu einem großen Parke und einer schönen Villa.<lb/> Der Knmphvf ist im Besitz eines bekannten, schwer reichen Industriellen, des Herrn<lb/> Klammbart in M, der im Sommer einige Monate in Rodersdvrf verbringt und<lb/> sein Gut durch einen Inspektor bewirtschaften läßt Außerdem giebt es noch fünf<lb/> Bauernhöfe, ein Dutzend Kleinbauern und eine große Zahl von Arbeitern, die teils<lb/> eigne Häuser haben, teils in Bodenkammern und Hinterhäusern, teils in Arbeiter-<lb/> knsernen untergebracht sind. Diese Arbeiterbevölkerung ist durch die Domäne und<lb/> Herrn von Malow ins Dorf gezogen worden. Herr von Malow ist einer von<lb/> den modernen Edelleuten, die nicht einsehen, warum der Adel daran hindern soll,<lb/> Geld zu verdienen. Er hat, da sich auf seinem Grund und Boden gute Thonerde<lb/> findet, eine Steingutfabrik erbaut und beschäftigt eine Menge Arbeiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_2123"> Für den großen Kindersegen dieser Arbeiterbevölkerung reichten nun die beiden<lb/> Schulklassen bei weitem nicht aus, es mußte eine dritte Schule gebaut werden, was<lb/> bekanntlich eine ganze Menge Geld kostet. Wer sollte jetzt die Kosten des Schul¬<lb/> baues aufbringen? Nach dem Gesetze: die Vereinigung der Schulvnter. Die bei<lb/> weitem überwiegende Zahl der Schulvnter war aber Arbeiter, die überhaupt keine<lb/> Staatssteuer, nicht einmal Schulgeld und an die Gemeinde jährlich ein paar<lb/> Groschen Kommunnlstenern zahlten. Somit blieb die Last aus den Schultern der<lb/> Besitzenden liegen, die also die Verpflichtung hatten, den Nichtbesitzenden eine Schule<lb/> zu bauen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2124"> Kinder, sagte der Schulze bei Gelegenheit einer Schnlvorstandssitzung, die<lb/> Sache kaun nicht schlimm werden — wir haben ja genug schwer reiche Leute im<lb/> Orte. Der Oberamtmann? el, der Oberamtmann hat sein Schäfchen im Trocknen,<lb/> und Herr von Malow hat ein schönes Gut und außerdem noch seine Fabrik, und<lb/> Herr Klammbart ist gut seiue drei Millionen wert.</p><lb/> <p xml:id="ID_2125"> Im Vertrauen auf diesen Hinterhalt beschloß also der Schnlvorstand die<lb/> dritte Schule zu bauen. Da aber ein Bauer bei aller Vorsicht doch die Dinge<lb/> gern falsch anfaßt, so baute man erst, und dann fragte man darnach, wie die Kosten<lb/> aufzubringen seien. Man wandte sich an Herrn von Malow mit dem Ersuchen,<lb/> seinen Beitrag zur Schnlbaukasse zu liefern. Herr von Malow erwiderte: In An¬<lb/> betracht dessen, daß er durch seine Fabrik viele Arbeiter in den Ort gezogen habe,<lb/> halte er es für billig, daß auch er zum Schulbau beitrage. Er wolle also der<lb/> Gemeinde fünfhundert Mark schenken.</p><lb/> <p xml:id="ID_2126"> Was! schenken? riefen die Bauern. Wir lassen uns nichts schenken. Und<lb/> fünfhundert Mark? So eine Lumperei? Wir werden ihm was flöten, er soll<lb/> zahlen, was er zu zahlen schuldig ist, nicht einen Pfennig weniger.</p><lb/> <p xml:id="ID_2127"> Man sandte also an den Herrn Baron ein Schreiben, das nicht in den höf¬<lb/> lichsten Wendungen abgefaßt war, und verlangte, der Herr Baron solle seinen vollen<lb/> Anteil bezahlen, was nach der Morgenzahl berechnet so und so viel mache. Dies<lb/> nahm der Herr Baron sehr übel. Er ließ die Herren Bauern wissen: wenn sie<lb/> mit dem nicht zufrieden seien, was er ihnen freiwillig angeboten habe, so bekämen<lb/> sie gar nichts. Denn er sei überhaupt nicht verpflichtet, zu den Schulkosten bei¬<lb/> zutragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2128"> Nicht verpflichtet? das wollen wir doch einmal sehen, sagte der Schulze. Der<lb/> Baron denkt, weil er Baron sei, könne er thun, was er-wolle. Gottbewahre, vor<lb/> dem Gesetze sind alle gleich. Wir wollen doch einmal sehen, ob es noch Gerechtigkeit<lb/> im Lande giebt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0630]
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Also —
In Rodersdvrf giebt es eine Domäne, ferner ein Rittergut, nämlich das frei¬
herrlich Malowsche Gut, und den sogenannten Kamphof, ein Gut mittlerer Größe,
sozusagen die ländliche Zugabe zu einem großen Parke und einer schönen Villa.
Der Knmphvf ist im Besitz eines bekannten, schwer reichen Industriellen, des Herrn
Klammbart in M, der im Sommer einige Monate in Rodersdvrf verbringt und
sein Gut durch einen Inspektor bewirtschaften läßt Außerdem giebt es noch fünf
Bauernhöfe, ein Dutzend Kleinbauern und eine große Zahl von Arbeitern, die teils
eigne Häuser haben, teils in Bodenkammern und Hinterhäusern, teils in Arbeiter-
knsernen untergebracht sind. Diese Arbeiterbevölkerung ist durch die Domäne und
Herrn von Malow ins Dorf gezogen worden. Herr von Malow ist einer von
den modernen Edelleuten, die nicht einsehen, warum der Adel daran hindern soll,
Geld zu verdienen. Er hat, da sich auf seinem Grund und Boden gute Thonerde
findet, eine Steingutfabrik erbaut und beschäftigt eine Menge Arbeiter.
Für den großen Kindersegen dieser Arbeiterbevölkerung reichten nun die beiden
Schulklassen bei weitem nicht aus, es mußte eine dritte Schule gebaut werden, was
bekanntlich eine ganze Menge Geld kostet. Wer sollte jetzt die Kosten des Schul¬
baues aufbringen? Nach dem Gesetze: die Vereinigung der Schulvnter. Die bei
weitem überwiegende Zahl der Schulvnter war aber Arbeiter, die überhaupt keine
Staatssteuer, nicht einmal Schulgeld und an die Gemeinde jährlich ein paar
Groschen Kommunnlstenern zahlten. Somit blieb die Last aus den Schultern der
Besitzenden liegen, die also die Verpflichtung hatten, den Nichtbesitzenden eine Schule
zu bauen.
Kinder, sagte der Schulze bei Gelegenheit einer Schnlvorstandssitzung, die
Sache kaun nicht schlimm werden — wir haben ja genug schwer reiche Leute im
Orte. Der Oberamtmann? el, der Oberamtmann hat sein Schäfchen im Trocknen,
und Herr von Malow hat ein schönes Gut und außerdem noch seine Fabrik, und
Herr Klammbart ist gut seiue drei Millionen wert.
Im Vertrauen auf diesen Hinterhalt beschloß also der Schnlvorstand die
dritte Schule zu bauen. Da aber ein Bauer bei aller Vorsicht doch die Dinge
gern falsch anfaßt, so baute man erst, und dann fragte man darnach, wie die Kosten
aufzubringen seien. Man wandte sich an Herrn von Malow mit dem Ersuchen,
seinen Beitrag zur Schnlbaukasse zu liefern. Herr von Malow erwiderte: In An¬
betracht dessen, daß er durch seine Fabrik viele Arbeiter in den Ort gezogen habe,
halte er es für billig, daß auch er zum Schulbau beitrage. Er wolle also der
Gemeinde fünfhundert Mark schenken.
Was! schenken? riefen die Bauern. Wir lassen uns nichts schenken. Und
fünfhundert Mark? So eine Lumperei? Wir werden ihm was flöten, er soll
zahlen, was er zu zahlen schuldig ist, nicht einen Pfennig weniger.
Man sandte also an den Herrn Baron ein Schreiben, das nicht in den höf¬
lichsten Wendungen abgefaßt war, und verlangte, der Herr Baron solle seinen vollen
Anteil bezahlen, was nach der Morgenzahl berechnet so und so viel mache. Dies
nahm der Herr Baron sehr übel. Er ließ die Herren Bauern wissen: wenn sie
mit dem nicht zufrieden seien, was er ihnen freiwillig angeboten habe, so bekämen
sie gar nichts. Denn er sei überhaupt nicht verpflichtet, zu den Schulkosten bei¬
zutragen.
Nicht verpflichtet? das wollen wir doch einmal sehen, sagte der Schulze. Der
Baron denkt, weil er Baron sei, könne er thun, was er-wolle. Gottbewahre, vor
dem Gesetze sind alle gleich. Wir wollen doch einmal sehen, ob es noch Gerechtigkeit
im Lande giebt.
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