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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Below gegen Lamprecht

Below in den oben mitgeteilten Worten gegen die von Lamprecht erwähnte
Hauptsache aus und geberdet sich dabei so, daß ein die Dinge nicht kennender
Leser den Eindruck erhalten muß, Lamprecht stelle etwas allbekanntes sinnlos
auf den Kopf. Ist sich Below unklar darüber, wie etwas, was er schreibt,
wirken muß, oder ist er selbst so juristisch befangen, daß er in diesem Falle
über der Nebensache die Hauptsache völlig außer Augen lassen kann?

Below geht nun zu dem eigentlichen Thema seines ersten Abschnitts über,
dem Begriff der Entwicklung. Er skizzirt zunächst Lamprechts Standpunkt
auf das knappste mit ein paar Lamprechtschen Worten: an die Stelle einer
"äußerlich beschreibenden Forschung" wolle Lamprecht eine neue Methode
gesetzt wissen, "die vom genetischen Standpunkt aus eindringt," er stelle die
Frage: Wie ist es geworden? der Rankes gegenüber: Wie ist es gewesen?

Lamprecht sei nun da zunächst im Irrtum, wenn er glaube, Ranke habe
nicht auch darstellen wollen, wie die Dinge geworden seien. Diesen Punkt
erledigt Below mit dem Verweis auf eine Bemerkung von Lenz, Ranke habe
jenes Wort gebraucht im Gegensatz zu der Tendenz, "die Vergangenheit zu
richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu erziehen." Hier wird nun
zunächst jeder Unbefangne zugeben, daß in der That Ranke ausgesprochner-
maßen das Schwergewicht der ihm eignen Behandlung der Geschichte in der
tendenziösen Darstellung der geschichtlichen Ereignisse gesehen hat. Er wollte
berichten, was und wie es damals und später und wieder später gewesen ist.
Sein Gegenstand ist also zwar die Geschichte, ein Nacheinander, ein Werden,
aber seine Methode ist die des darstellenden Künstlers, der die auf einander
folgenden Erscheinungen vor unser Auge stellt, es ist Schilderung oder, wie
Lamprecht sagt, "Dcskription." ^ Dagegen heißt "genetisch" Geschichte schreiben:
auf jedem Punkt die gegebnen Kräfte und Bedingungen zusammenfassen und
aus ihnen das notwendige Entstehen des Neuen vor unsern Augen sich voll¬
ziehen lassen. Das hat Ranke nicht gethan, höchstens vereinzelt unbewußt,
nicht systematisch, Lamprecht fordert es prinzipiell durchweg, wo überhaupt
heute von Geschichtswissenschaft die Rede sein will.

Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Doch da es uns auf die größte
Deutlichkeit ankommt, begleiten wir Below noch ein Stück. Er spricht nun
geradezu aus: "Lamprecht nimmt eine neue Methode für sich in Anspruch,
die thatsächlich seit einem Jahrhundert allgemein geübt worden ist." Wie es
damit steht, soweit der Gegensatz von Ranke und Lamprecht in Frage kommt,
haben wir schon gesehen. Er fragt weiter: "Wer ist seit Herders Tagen nicht



") Gut hat Treitschke einmal in seiner Deutschen Geschichte diesen "ganz auf das Schauen
und Erkennen i> h, deutliches Sehen) gerichteten Geist" gezeichnet, auf das Schauen von ab¬
geschlossen vor Augen liegendem, fügen nur hinzu, wo er von Nnnkcs ruhselig-optimistischer
Darstellung der damaligen elenden Bundesverfassung spricht, die allerdings nichts weniger als
Einblick in das Werden seiner Zeit verrät.
Below gegen Lamprecht

Below in den oben mitgeteilten Worten gegen die von Lamprecht erwähnte
Hauptsache aus und geberdet sich dabei so, daß ein die Dinge nicht kennender
Leser den Eindruck erhalten muß, Lamprecht stelle etwas allbekanntes sinnlos
auf den Kopf. Ist sich Below unklar darüber, wie etwas, was er schreibt,
wirken muß, oder ist er selbst so juristisch befangen, daß er in diesem Falle
über der Nebensache die Hauptsache völlig außer Augen lassen kann?

Below geht nun zu dem eigentlichen Thema seines ersten Abschnitts über,
dem Begriff der Entwicklung. Er skizzirt zunächst Lamprechts Standpunkt
auf das knappste mit ein paar Lamprechtschen Worten: an die Stelle einer
„äußerlich beschreibenden Forschung" wolle Lamprecht eine neue Methode
gesetzt wissen, „die vom genetischen Standpunkt aus eindringt," er stelle die
Frage: Wie ist es geworden? der Rankes gegenüber: Wie ist es gewesen?

Lamprecht sei nun da zunächst im Irrtum, wenn er glaube, Ranke habe
nicht auch darstellen wollen, wie die Dinge geworden seien. Diesen Punkt
erledigt Below mit dem Verweis auf eine Bemerkung von Lenz, Ranke habe
jenes Wort gebraucht im Gegensatz zu der Tendenz, „die Vergangenheit zu
richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu erziehen." Hier wird nun
zunächst jeder Unbefangne zugeben, daß in der That Ranke ausgesprochner-
maßen das Schwergewicht der ihm eignen Behandlung der Geschichte in der
tendenziösen Darstellung der geschichtlichen Ereignisse gesehen hat. Er wollte
berichten, was und wie es damals und später und wieder später gewesen ist.
Sein Gegenstand ist also zwar die Geschichte, ein Nacheinander, ein Werden,
aber seine Methode ist die des darstellenden Künstlers, der die auf einander
folgenden Erscheinungen vor unser Auge stellt, es ist Schilderung oder, wie
Lamprecht sagt, „Dcskription." ^ Dagegen heißt „genetisch" Geschichte schreiben:
auf jedem Punkt die gegebnen Kräfte und Bedingungen zusammenfassen und
aus ihnen das notwendige Entstehen des Neuen vor unsern Augen sich voll¬
ziehen lassen. Das hat Ranke nicht gethan, höchstens vereinzelt unbewußt,
nicht systematisch, Lamprecht fordert es prinzipiell durchweg, wo überhaupt
heute von Geschichtswissenschaft die Rede sein will.

Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Doch da es uns auf die größte
Deutlichkeit ankommt, begleiten wir Below noch ein Stück. Er spricht nun
geradezu aus: „Lamprecht nimmt eine neue Methode für sich in Anspruch,
die thatsächlich seit einem Jahrhundert allgemein geübt worden ist." Wie es
damit steht, soweit der Gegensatz von Ranke und Lamprecht in Frage kommt,
haben wir schon gesehen. Er fragt weiter: „Wer ist seit Herders Tagen nicht



") Gut hat Treitschke einmal in seiner Deutschen Geschichte diesen „ganz auf das Schauen
und Erkennen i> h, deutliches Sehen) gerichteten Geist" gezeichnet, auf das Schauen von ab¬
geschlossen vor Augen liegendem, fügen nur hinzu, wo er von Nnnkcs ruhselig-optimistischer
Darstellung der damaligen elenden Bundesverfassung spricht, die allerdings nichts weniger als
Einblick in das Werden seiner Zeit verrät.
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[0624] Below gegen Lamprecht Below in den oben mitgeteilten Worten gegen die von Lamprecht erwähnte Hauptsache aus und geberdet sich dabei so, daß ein die Dinge nicht kennender Leser den Eindruck erhalten muß, Lamprecht stelle etwas allbekanntes sinnlos auf den Kopf. Ist sich Below unklar darüber, wie etwas, was er schreibt, wirken muß, oder ist er selbst so juristisch befangen, daß er in diesem Falle über der Nebensache die Hauptsache völlig außer Augen lassen kann? Below geht nun zu dem eigentlichen Thema seines ersten Abschnitts über, dem Begriff der Entwicklung. Er skizzirt zunächst Lamprechts Standpunkt auf das knappste mit ein paar Lamprechtschen Worten: an die Stelle einer „äußerlich beschreibenden Forschung" wolle Lamprecht eine neue Methode gesetzt wissen, „die vom genetischen Standpunkt aus eindringt," er stelle die Frage: Wie ist es geworden? der Rankes gegenüber: Wie ist es gewesen? Lamprecht sei nun da zunächst im Irrtum, wenn er glaube, Ranke habe nicht auch darstellen wollen, wie die Dinge geworden seien. Diesen Punkt erledigt Below mit dem Verweis auf eine Bemerkung von Lenz, Ranke habe jenes Wort gebraucht im Gegensatz zu der Tendenz, „die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu erziehen." Hier wird nun zunächst jeder Unbefangne zugeben, daß in der That Ranke ausgesprochner- maßen das Schwergewicht der ihm eignen Behandlung der Geschichte in der tendenziösen Darstellung der geschichtlichen Ereignisse gesehen hat. Er wollte berichten, was und wie es damals und später und wieder später gewesen ist. Sein Gegenstand ist also zwar die Geschichte, ein Nacheinander, ein Werden, aber seine Methode ist die des darstellenden Künstlers, der die auf einander folgenden Erscheinungen vor unser Auge stellt, es ist Schilderung oder, wie Lamprecht sagt, „Dcskription." ^ Dagegen heißt „genetisch" Geschichte schreiben: auf jedem Punkt die gegebnen Kräfte und Bedingungen zusammenfassen und aus ihnen das notwendige Entstehen des Neuen vor unsern Augen sich voll¬ ziehen lassen. Das hat Ranke nicht gethan, höchstens vereinzelt unbewußt, nicht systematisch, Lamprecht fordert es prinzipiell durchweg, wo überhaupt heute von Geschichtswissenschaft die Rede sein will. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Doch da es uns auf die größte Deutlichkeit ankommt, begleiten wir Below noch ein Stück. Er spricht nun geradezu aus: „Lamprecht nimmt eine neue Methode für sich in Anspruch, die thatsächlich seit einem Jahrhundert allgemein geübt worden ist." Wie es damit steht, soweit der Gegensatz von Ranke und Lamprecht in Frage kommt, haben wir schon gesehen. Er fragt weiter: „Wer ist seit Herders Tagen nicht ") Gut hat Treitschke einmal in seiner Deutschen Geschichte diesen „ganz auf das Schauen und Erkennen i> h, deutliches Sehen) gerichteten Geist" gezeichnet, auf das Schauen von ab¬ geschlossen vor Augen liegendem, fügen nur hinzu, wo er von Nnnkcs ruhselig-optimistischer Darstellung der damaligen elenden Bundesverfassung spricht, die allerdings nichts weniger als Einblick in das Werden seiner Zeit verrät.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/624>, abgerufen am 28.07.2024.