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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Belon gegen Lamprecht

folgende sieben Punkte aus: den Begriff der Entwicklung, Rankes Ideen,
Freiheit und Notwendigkeit, die Frage der gesetzmäßigen Entwicklung im all¬
gemeinen, Lamprechts deutsche Geschichte, den von Lamprecht durchgeführten
Schematismus der Kulturzeitalter, seine materialistische Anschauung. Um zu
zeigen, wie Below den Kampf führt, gehen wir im folgenden seinen ersten
Abschnitt, über den Begriff der Entwicklung, Punkt für Punkt durch.

Below beginnt mit der Erwühnuug einer gelegentlichen Äußerung von
Lamprecht über Waitz. Lamprecht hat einmal in einer Anzeige eines national-
ökonomischen Werkes von einer "juristischen" Auffassung in der Geschichts¬
wissenschaft gesprochen und in diesem Zusammenhang gesagt, die Methode von
Waitz sei die staatsrechtliche, systematische, seine Mittel seien die des juristischen
Denkens. Below bemerkt dazu: "Nun weiß jedes Kind, daß es sich bei Waitz
gerade umgekehrt Verhalten hat. Wie oft und wie heftig ist ihm der Vorwurf
gemacht worden, daß ihm die juristische Methode mangle!" Nun, betrachtet
man Waitz als Historiker im ganzen und sucht das Charakteristische seiner ge-
schichtswissenschaftlichcn Arbeit festzustellen, so springt zweierlei in die Augen:
er war Philolog (Schüler Landmanns, daher seine ausgezeichnete quellenkritische
und Editionsthätigkeit), und er war Verfassungshistoriker (daher sein berühm¬
testes Werk: die deutsche Verfassungsgeschichte und das ihm eigentümlichste
Kolleg: das über allgemeine Verfassungsgeschichte). Als Philolog ist Waitz
bloß historischer Hilfsarbeiter gewesen, nur in dem Verfassungshistoriker tritt
uns also in der That seine eigentlich historische Art entgegen. Die Vor¬
liebe für Verfassungsgeschichte hat er von Niebuhr übernommen, ebenso wie
den Grundsatz usuro llistorious nisi jures ooguitions irndutus. Als Student
hat er sich in Kiel wie in Berlin als sont. ^ur. immatrikuliren lassen. Für
den Universitätslehrer kommt außer dem schon genannten Werke und Kolleg
in Betracht, daß sich auch in seinen berühmten Göttinger historischen Übungen
das staatsrechtliche und juristische Interesse in der Wahl und Behandlung der
Stoffe als das überwiegende erwies. Neben Philologen haben Juristen lange
Zeit zu diesen Übungen das größte Kontingent gestellt, außer Gcschichts-
Profeffvren sind auch nicht wenige Professoren der juristischen Fakultät aus
ihnen hervorgegangen. In seiner Berliner Antrittsrede endlich in der Aka¬
demie der Wissenschaften hat Waitz selbst zweierlei als seine Lebensaufgabe
bezeichnet: die Monumente und die deutsche Verfassungsgeschichte. Alles das
ist bekannt und neuerdings von Frensdorff in der Allgemeinen deutschen
Biographie ausführlich dargestellt worden. Nun ist allerdings der Verfassungs¬
historiker Waitz, dessen allgemein geschichtliche Arbeit doch immer ein Haupt¬
teil seines Berufs gewesen ist, von reinen, bloßen Nechtshistorikern als noch
nicht juristisch genug in seiner Auffassung der Dinge angegriffen worden.
Juristen fanden bisweilen bei dem staatsrechtlich arbeitenden Historiker die
juristische Methode nicht scharf genug gehandhabt. Diese Nebensache spielt


Belon gegen Lamprecht

folgende sieben Punkte aus: den Begriff der Entwicklung, Rankes Ideen,
Freiheit und Notwendigkeit, die Frage der gesetzmäßigen Entwicklung im all¬
gemeinen, Lamprechts deutsche Geschichte, den von Lamprecht durchgeführten
Schematismus der Kulturzeitalter, seine materialistische Anschauung. Um zu
zeigen, wie Below den Kampf führt, gehen wir im folgenden seinen ersten
Abschnitt, über den Begriff der Entwicklung, Punkt für Punkt durch.

Below beginnt mit der Erwühnuug einer gelegentlichen Äußerung von
Lamprecht über Waitz. Lamprecht hat einmal in einer Anzeige eines national-
ökonomischen Werkes von einer „juristischen" Auffassung in der Geschichts¬
wissenschaft gesprochen und in diesem Zusammenhang gesagt, die Methode von
Waitz sei die staatsrechtliche, systematische, seine Mittel seien die des juristischen
Denkens. Below bemerkt dazu: „Nun weiß jedes Kind, daß es sich bei Waitz
gerade umgekehrt Verhalten hat. Wie oft und wie heftig ist ihm der Vorwurf
gemacht worden, daß ihm die juristische Methode mangle!" Nun, betrachtet
man Waitz als Historiker im ganzen und sucht das Charakteristische seiner ge-
schichtswissenschaftlichcn Arbeit festzustellen, so springt zweierlei in die Augen:
er war Philolog (Schüler Landmanns, daher seine ausgezeichnete quellenkritische
und Editionsthätigkeit), und er war Verfassungshistoriker (daher sein berühm¬
testes Werk: die deutsche Verfassungsgeschichte und das ihm eigentümlichste
Kolleg: das über allgemeine Verfassungsgeschichte). Als Philolog ist Waitz
bloß historischer Hilfsarbeiter gewesen, nur in dem Verfassungshistoriker tritt
uns also in der That seine eigentlich historische Art entgegen. Die Vor¬
liebe für Verfassungsgeschichte hat er von Niebuhr übernommen, ebenso wie
den Grundsatz usuro llistorious nisi jures ooguitions irndutus. Als Student
hat er sich in Kiel wie in Berlin als sont. ^ur. immatrikuliren lassen. Für
den Universitätslehrer kommt außer dem schon genannten Werke und Kolleg
in Betracht, daß sich auch in seinen berühmten Göttinger historischen Übungen
das staatsrechtliche und juristische Interesse in der Wahl und Behandlung der
Stoffe als das überwiegende erwies. Neben Philologen haben Juristen lange
Zeit zu diesen Übungen das größte Kontingent gestellt, außer Gcschichts-
Profeffvren sind auch nicht wenige Professoren der juristischen Fakultät aus
ihnen hervorgegangen. In seiner Berliner Antrittsrede endlich in der Aka¬
demie der Wissenschaften hat Waitz selbst zweierlei als seine Lebensaufgabe
bezeichnet: die Monumente und die deutsche Verfassungsgeschichte. Alles das
ist bekannt und neuerdings von Frensdorff in der Allgemeinen deutschen
Biographie ausführlich dargestellt worden. Nun ist allerdings der Verfassungs¬
historiker Waitz, dessen allgemein geschichtliche Arbeit doch immer ein Haupt¬
teil seines Berufs gewesen ist, von reinen, bloßen Nechtshistorikern als noch
nicht juristisch genug in seiner Auffassung der Dinge angegriffen worden.
Juristen fanden bisweilen bei dem staatsrechtlich arbeitenden Historiker die
juristische Methode nicht scharf genug gehandhabt. Diese Nebensache spielt


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[0623] Belon gegen Lamprecht folgende sieben Punkte aus: den Begriff der Entwicklung, Rankes Ideen, Freiheit und Notwendigkeit, die Frage der gesetzmäßigen Entwicklung im all¬ gemeinen, Lamprechts deutsche Geschichte, den von Lamprecht durchgeführten Schematismus der Kulturzeitalter, seine materialistische Anschauung. Um zu zeigen, wie Below den Kampf führt, gehen wir im folgenden seinen ersten Abschnitt, über den Begriff der Entwicklung, Punkt für Punkt durch. Below beginnt mit der Erwühnuug einer gelegentlichen Äußerung von Lamprecht über Waitz. Lamprecht hat einmal in einer Anzeige eines national- ökonomischen Werkes von einer „juristischen" Auffassung in der Geschichts¬ wissenschaft gesprochen und in diesem Zusammenhang gesagt, die Methode von Waitz sei die staatsrechtliche, systematische, seine Mittel seien die des juristischen Denkens. Below bemerkt dazu: „Nun weiß jedes Kind, daß es sich bei Waitz gerade umgekehrt Verhalten hat. Wie oft und wie heftig ist ihm der Vorwurf gemacht worden, daß ihm die juristische Methode mangle!" Nun, betrachtet man Waitz als Historiker im ganzen und sucht das Charakteristische seiner ge- schichtswissenschaftlichcn Arbeit festzustellen, so springt zweierlei in die Augen: er war Philolog (Schüler Landmanns, daher seine ausgezeichnete quellenkritische und Editionsthätigkeit), und er war Verfassungshistoriker (daher sein berühm¬ testes Werk: die deutsche Verfassungsgeschichte und das ihm eigentümlichste Kolleg: das über allgemeine Verfassungsgeschichte). Als Philolog ist Waitz bloß historischer Hilfsarbeiter gewesen, nur in dem Verfassungshistoriker tritt uns also in der That seine eigentlich historische Art entgegen. Die Vor¬ liebe für Verfassungsgeschichte hat er von Niebuhr übernommen, ebenso wie den Grundsatz usuro llistorious nisi jures ooguitions irndutus. Als Student hat er sich in Kiel wie in Berlin als sont. ^ur. immatrikuliren lassen. Für den Universitätslehrer kommt außer dem schon genannten Werke und Kolleg in Betracht, daß sich auch in seinen berühmten Göttinger historischen Übungen das staatsrechtliche und juristische Interesse in der Wahl und Behandlung der Stoffe als das überwiegende erwies. Neben Philologen haben Juristen lange Zeit zu diesen Übungen das größte Kontingent gestellt, außer Gcschichts- Profeffvren sind auch nicht wenige Professoren der juristischen Fakultät aus ihnen hervorgegangen. In seiner Berliner Antrittsrede endlich in der Aka¬ demie der Wissenschaften hat Waitz selbst zweierlei als seine Lebensaufgabe bezeichnet: die Monumente und die deutsche Verfassungsgeschichte. Alles das ist bekannt und neuerdings von Frensdorff in der Allgemeinen deutschen Biographie ausführlich dargestellt worden. Nun ist allerdings der Verfassungs¬ historiker Waitz, dessen allgemein geschichtliche Arbeit doch immer ein Haupt¬ teil seines Berufs gewesen ist, von reinen, bloßen Nechtshistorikern als noch nicht juristisch genug in seiner Auffassung der Dinge angegriffen worden. Juristen fanden bisweilen bei dem staatsrechtlich arbeitenden Historiker die juristische Methode nicht scharf genug gehandhabt. Diese Nebensache spielt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/623>, abgerufen am 27.07.2024.