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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Gedichte Michelangelos

der Natur der von Gott geschaffnen Welt liegt, daß ich liebe und glühe und
alle holden Wesen ehre! Diese und ähnliche Äußerungen klingen freilich
schon so, als ob aufsteigende Bedenken und Gewisfensbedrüngnisfe beschwichtigt
werden sollten, und zuletzt wird die Stimmung übermächtig, worin der Greis
Beschämung über die andauernde Liebesglut empfindet, die Vergänglichkeit
alles Schönen vor Augen sieht, die Verlorne Zeit bereut und seiner Kunst
anscheinend den Laufpaß giebt, wie es in dem Fragment heißt: Die

Kunst und der Gedanke an den Tod stimmen schlecht zusammen; was kann ich
also noch für mich hoffen? Je mehr die Welt verliert, um so mehr gewinnt
die Seele.

Er ist deswegen nicht wirklich an seinem Künftlerberuf irre geworden.
Bis in das höchste Alter hat er nicht aufgehört, aufs angestrengteste thätig
zu sein. Seine letzte Arbeit, die an Sankt Peter, hat er immer als eine Art
religiöser Verpflichtung betrachtet, von der er sich nicht ohne schwere Verschul¬
dung losmachen könne. Aber Stunden und Tage muß er doch gehabt haben,
wo er sich von allem Irdischen am liebsten ganz abgeschieden hätte, wo ihm,
was er einst glühend geliebt hatte, als ein eitler Wahn, ja was er als Künstler
geschaffen, als Sündenwerk erschien, wofür er in tiefstem Reuegefühl aus eigner
Kraft keine Rettung erhoffte.

Es ist bei Michelangelo alles gewaltsam, alles im Superlativ; wie einst
sein Schöuheitscuthusiasmus, so jetzt das Gefühl grenzenloser Enttäuschung.
Es war seine Natur so. Und der Geist des Zeitalters hatte sich verändert,
während er ein müder, zuletzt von quälender Krankheit heimgesuchter Greis
geworden war. Die kirchliche Reaktion, die vom Trienter Konzil ausging,
verdrängte den heidnischen Geist der Renaissance und brandmarkte als Sünde,
was noch eben ein unbefangner Kultus des Schönen gewesen war. Der christ¬
liche Glaube aber, in den sich Michelangelo jetzt flüchtete, trug die Züge der
gereinigten Lehre, wie sie sich in jenen Gesellschaftskreisen verbreitet hatte, denen
Vittoria Colonna eine Zeit lang angehörte. Die Freundin hatte bei dem An¬
sturm der Reaktion ihre "lutherischen Bücher" beiseite gestellt und ihren Frieden
und der Kirche gemacht, von der sie sich niemals hatte trennen wollen. Auch
Michelangelo war sich keines Gegensatzes zu der römischen Lehre bewußt, aber
es war seiner Natur gemäß, sich an den einfachen Gegensatz von Sünde und
Gnade zu halten. Er hat die Gebräuche seiner Kirche nicht mißachtet, und
bei dem Tode seiner Brüder lag ihm daran zu wissen, daß sie ordentlich ge¬
beichtet hatten. In einigen seiner Gedichte aber klingt seine Frömmigkeit stark
an das lutherische Dogma von der Rechtfertigung an. Sein Frommsein war
die unmittelbare Hingebung an den Erlöser, an den einen Mittler, der für die
Sünde der Welt am Kreuz gestorben ist, und dessen Verdienst sich der sündige
Mensch durch Buße und Gebet aneignet. Die Gedichte, die aus diesen Stim¬
mungen hervorgegangen sind (von VXXXVI an), gehören zu den vollendetsten,


Die Gedichte Michelangelos

der Natur der von Gott geschaffnen Welt liegt, daß ich liebe und glühe und
alle holden Wesen ehre! Diese und ähnliche Äußerungen klingen freilich
schon so, als ob aufsteigende Bedenken und Gewisfensbedrüngnisfe beschwichtigt
werden sollten, und zuletzt wird die Stimmung übermächtig, worin der Greis
Beschämung über die andauernde Liebesglut empfindet, die Vergänglichkeit
alles Schönen vor Augen sieht, die Verlorne Zeit bereut und seiner Kunst
anscheinend den Laufpaß giebt, wie es in dem Fragment heißt: Die

Kunst und der Gedanke an den Tod stimmen schlecht zusammen; was kann ich
also noch für mich hoffen? Je mehr die Welt verliert, um so mehr gewinnt
die Seele.

Er ist deswegen nicht wirklich an seinem Künftlerberuf irre geworden.
Bis in das höchste Alter hat er nicht aufgehört, aufs angestrengteste thätig
zu sein. Seine letzte Arbeit, die an Sankt Peter, hat er immer als eine Art
religiöser Verpflichtung betrachtet, von der er sich nicht ohne schwere Verschul¬
dung losmachen könne. Aber Stunden und Tage muß er doch gehabt haben,
wo er sich von allem Irdischen am liebsten ganz abgeschieden hätte, wo ihm,
was er einst glühend geliebt hatte, als ein eitler Wahn, ja was er als Künstler
geschaffen, als Sündenwerk erschien, wofür er in tiefstem Reuegefühl aus eigner
Kraft keine Rettung erhoffte.

Es ist bei Michelangelo alles gewaltsam, alles im Superlativ; wie einst
sein Schöuheitscuthusiasmus, so jetzt das Gefühl grenzenloser Enttäuschung.
Es war seine Natur so. Und der Geist des Zeitalters hatte sich verändert,
während er ein müder, zuletzt von quälender Krankheit heimgesuchter Greis
geworden war. Die kirchliche Reaktion, die vom Trienter Konzil ausging,
verdrängte den heidnischen Geist der Renaissance und brandmarkte als Sünde,
was noch eben ein unbefangner Kultus des Schönen gewesen war. Der christ¬
liche Glaube aber, in den sich Michelangelo jetzt flüchtete, trug die Züge der
gereinigten Lehre, wie sie sich in jenen Gesellschaftskreisen verbreitet hatte, denen
Vittoria Colonna eine Zeit lang angehörte. Die Freundin hatte bei dem An¬
sturm der Reaktion ihre „lutherischen Bücher" beiseite gestellt und ihren Frieden
und der Kirche gemacht, von der sie sich niemals hatte trennen wollen. Auch
Michelangelo war sich keines Gegensatzes zu der römischen Lehre bewußt, aber
es war seiner Natur gemäß, sich an den einfachen Gegensatz von Sünde und
Gnade zu halten. Er hat die Gebräuche seiner Kirche nicht mißachtet, und
bei dem Tode seiner Brüder lag ihm daran zu wissen, daß sie ordentlich ge¬
beichtet hatten. In einigen seiner Gedichte aber klingt seine Frömmigkeit stark
an das lutherische Dogma von der Rechtfertigung an. Sein Frommsein war
die unmittelbare Hingebung an den Erlöser, an den einen Mittler, der für die
Sünde der Welt am Kreuz gestorben ist, und dessen Verdienst sich der sündige
Mensch durch Buße und Gebet aneignet. Die Gedichte, die aus diesen Stim¬
mungen hervorgegangen sind (von VXXXVI an), gehören zu den vollendetsten,


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[0571] Die Gedichte Michelangelos der Natur der von Gott geschaffnen Welt liegt, daß ich liebe und glühe und alle holden Wesen ehre! Diese und ähnliche Äußerungen klingen freilich schon so, als ob aufsteigende Bedenken und Gewisfensbedrüngnisfe beschwichtigt werden sollten, und zuletzt wird die Stimmung übermächtig, worin der Greis Beschämung über die andauernde Liebesglut empfindet, die Vergänglichkeit alles Schönen vor Augen sieht, die Verlorne Zeit bereut und seiner Kunst anscheinend den Laufpaß giebt, wie es in dem Fragment heißt: Die Kunst und der Gedanke an den Tod stimmen schlecht zusammen; was kann ich also noch für mich hoffen? Je mehr die Welt verliert, um so mehr gewinnt die Seele. Er ist deswegen nicht wirklich an seinem Künftlerberuf irre geworden. Bis in das höchste Alter hat er nicht aufgehört, aufs angestrengteste thätig zu sein. Seine letzte Arbeit, die an Sankt Peter, hat er immer als eine Art religiöser Verpflichtung betrachtet, von der er sich nicht ohne schwere Verschul¬ dung losmachen könne. Aber Stunden und Tage muß er doch gehabt haben, wo er sich von allem Irdischen am liebsten ganz abgeschieden hätte, wo ihm, was er einst glühend geliebt hatte, als ein eitler Wahn, ja was er als Künstler geschaffen, als Sündenwerk erschien, wofür er in tiefstem Reuegefühl aus eigner Kraft keine Rettung erhoffte. Es ist bei Michelangelo alles gewaltsam, alles im Superlativ; wie einst sein Schöuheitscuthusiasmus, so jetzt das Gefühl grenzenloser Enttäuschung. Es war seine Natur so. Und der Geist des Zeitalters hatte sich verändert, während er ein müder, zuletzt von quälender Krankheit heimgesuchter Greis geworden war. Die kirchliche Reaktion, die vom Trienter Konzil ausging, verdrängte den heidnischen Geist der Renaissance und brandmarkte als Sünde, was noch eben ein unbefangner Kultus des Schönen gewesen war. Der christ¬ liche Glaube aber, in den sich Michelangelo jetzt flüchtete, trug die Züge der gereinigten Lehre, wie sie sich in jenen Gesellschaftskreisen verbreitet hatte, denen Vittoria Colonna eine Zeit lang angehörte. Die Freundin hatte bei dem An¬ sturm der Reaktion ihre „lutherischen Bücher" beiseite gestellt und ihren Frieden und der Kirche gemacht, von der sie sich niemals hatte trennen wollen. Auch Michelangelo war sich keines Gegensatzes zu der römischen Lehre bewußt, aber es war seiner Natur gemäß, sich an den einfachen Gegensatz von Sünde und Gnade zu halten. Er hat die Gebräuche seiner Kirche nicht mißachtet, und bei dem Tode seiner Brüder lag ihm daran zu wissen, daß sie ordentlich ge¬ beichtet hatten. In einigen seiner Gedichte aber klingt seine Frömmigkeit stark an das lutherische Dogma von der Rechtfertigung an. Sein Frommsein war die unmittelbare Hingebung an den Erlöser, an den einen Mittler, der für die Sünde der Welt am Kreuz gestorben ist, und dessen Verdienst sich der sündige Mensch durch Buße und Gebet aneignet. Die Gedichte, die aus diesen Stim¬ mungen hervorgegangen sind (von VXXXVI an), gehören zu den vollendetsten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/571>, abgerufen am 27.07.2024.