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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Upanischads

Ist ihm aber noch kein Sohn geboren, so soll er drei genau bezeichnete
Verse aus dem Veda murmeln und dann sprechen: "Mögest dn nicht durch
mein Leben, meine Nachkommenschaft, mein Vieh anschwellen! sondern wer uns
haßt, und den wir hassen, mit dessen Leben, Nachkommenschaft und Vieh
mögest du anschwellen. Hiermit wende ich mich zur Rückkehr zu Indra, zur
Rückkehr der Sonne wende ich mich herum." Damit wendet er sich, lautet die
beigefügte Ritualvorschrift, nach seinem rechten Arme hin herum.

Seit Schopenhauer wird bekanntlich von vielen Verehrern der indischen
Weisheit dem Christentum zugemutet, abzudanken und dem Brahmanismus
oder Buddhismus Platz zu machen. Deußen erklärt, bescheidner, in der Vor¬
rede die Upanischadlehre wenigstens für eine notwendige Ergänzung oder für
die Vollendung der christlichen. Wir können anch das nicht gelten lassen. Zu-,
nächst ist es schon nicht richtig, wenn er meint, die Upanischads verhielten sich
zum Veda wie das Neue zum Alten Testament; vielmehr sind sie für den
Veda das, was der Talmud und die jüdische Philosophie für das Alte, und
was die christliche Theologie und Liturgik für das Neue Testament ist.
Denßeus Analogie stützt sich darauf, daß sowohl das Alte Testament wie der
Veda, der kindlichen Stufe der Menschheit entsprechend, Gebote und Verbote
aufstelle und Lohn und Strafe verheiße, während die Upanischads und das
Neue Testament auf jeuer höchsten Stufe der Erkenntnis stünden, wo der
Mensch einsieht, daß es für den moralischen Wert des Handelns keinen Unter¬
schied begründe, "ob der Mensch sich im Dienst imaginärer Götter ^wie in
den Veden vorgeschrieben wird^ oder in dem seiner Mitmenschen abmüht ^wie
das Alte Testament verlangt^: beides ist, so lauge dabei eignes Wohlsein als
letzter Zweck vorschwebt, ein bloßes Mittel zu diesem egoistischen Zwecke und
daher, wie dieser selbst, moralisch betrachtet wertlos und verwerflich. Diese
Erkenntnis bricht sich Bahn im Neuen Testamente, wenn es die Wertlosigkeit,
in den Upanischads, wenn sie sogar die Verwerflichkeit aller, auch der guten
Werke lehren; beide machen das Heil abhängig nicht von irgend welchem Thun
und Lassen, sondern von einer völligen Umwandlung des ganzen natürlichen
Menschen; beide betrachten diese Umwandlung als eine Erlösung aus den
Fesseln dieser ganzen, im Egoismus wurzelnden, empirischen Realität." In
dieser Darstellung ist nicht weniger als alles falsch. Weit entfernt davon, die
Werke für wertlos zu erklären, macht Christus Seligkeit und Verdammnis der
Menschen davon abhängig, ob sie Barmherzigkeit geübt haben oder nicht. Nur
das bloße äußerliche, tote Werk, die körperliche Handlung ohne entsprechende
Gesinnung wird für wertlos erklärt. Und der Egoismus, sofern man darunter
die Selbstliebe oder Selbstbehauptung versteht, wird im Neuen Testament so


Die Upanischads

Ist ihm aber noch kein Sohn geboren, so soll er drei genau bezeichnete
Verse aus dem Veda murmeln und dann sprechen: „Mögest dn nicht durch
mein Leben, meine Nachkommenschaft, mein Vieh anschwellen! sondern wer uns
haßt, und den wir hassen, mit dessen Leben, Nachkommenschaft und Vieh
mögest du anschwellen. Hiermit wende ich mich zur Rückkehr zu Indra, zur
Rückkehr der Sonne wende ich mich herum." Damit wendet er sich, lautet die
beigefügte Ritualvorschrift, nach seinem rechten Arme hin herum.

Seit Schopenhauer wird bekanntlich von vielen Verehrern der indischen
Weisheit dem Christentum zugemutet, abzudanken und dem Brahmanismus
oder Buddhismus Platz zu machen. Deußen erklärt, bescheidner, in der Vor¬
rede die Upanischadlehre wenigstens für eine notwendige Ergänzung oder für
die Vollendung der christlichen. Wir können anch das nicht gelten lassen. Zu-,
nächst ist es schon nicht richtig, wenn er meint, die Upanischads verhielten sich
zum Veda wie das Neue zum Alten Testament; vielmehr sind sie für den
Veda das, was der Talmud und die jüdische Philosophie für das Alte, und
was die christliche Theologie und Liturgik für das Neue Testament ist.
Denßeus Analogie stützt sich darauf, daß sowohl das Alte Testament wie der
Veda, der kindlichen Stufe der Menschheit entsprechend, Gebote und Verbote
aufstelle und Lohn und Strafe verheiße, während die Upanischads und das
Neue Testament auf jeuer höchsten Stufe der Erkenntnis stünden, wo der
Mensch einsieht, daß es für den moralischen Wert des Handelns keinen Unter¬
schied begründe, „ob der Mensch sich im Dienst imaginärer Götter ^wie in
den Veden vorgeschrieben wird^ oder in dem seiner Mitmenschen abmüht ^wie
das Alte Testament verlangt^: beides ist, so lauge dabei eignes Wohlsein als
letzter Zweck vorschwebt, ein bloßes Mittel zu diesem egoistischen Zwecke und
daher, wie dieser selbst, moralisch betrachtet wertlos und verwerflich. Diese
Erkenntnis bricht sich Bahn im Neuen Testamente, wenn es die Wertlosigkeit,
in den Upanischads, wenn sie sogar die Verwerflichkeit aller, auch der guten
Werke lehren; beide machen das Heil abhängig nicht von irgend welchem Thun
und Lassen, sondern von einer völligen Umwandlung des ganzen natürlichen
Menschen; beide betrachten diese Umwandlung als eine Erlösung aus den
Fesseln dieser ganzen, im Egoismus wurzelnden, empirischen Realität." In
dieser Darstellung ist nicht weniger als alles falsch. Weit entfernt davon, die
Werke für wertlos zu erklären, macht Christus Seligkeit und Verdammnis der
Menschen davon abhängig, ob sie Barmherzigkeit geübt haben oder nicht. Nur
das bloße äußerliche, tote Werk, die körperliche Handlung ohne entsprechende
Gesinnung wird für wertlos erklärt. Und der Egoismus, sofern man darunter
die Selbstliebe oder Selbstbehauptung versteht, wird im Neuen Testament so


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[0560] Die Upanischads Ist ihm aber noch kein Sohn geboren, so soll er drei genau bezeichnete Verse aus dem Veda murmeln und dann sprechen: „Mögest dn nicht durch mein Leben, meine Nachkommenschaft, mein Vieh anschwellen! sondern wer uns haßt, und den wir hassen, mit dessen Leben, Nachkommenschaft und Vieh mögest du anschwellen. Hiermit wende ich mich zur Rückkehr zu Indra, zur Rückkehr der Sonne wende ich mich herum." Damit wendet er sich, lautet die beigefügte Ritualvorschrift, nach seinem rechten Arme hin herum. Seit Schopenhauer wird bekanntlich von vielen Verehrern der indischen Weisheit dem Christentum zugemutet, abzudanken und dem Brahmanismus oder Buddhismus Platz zu machen. Deußen erklärt, bescheidner, in der Vor¬ rede die Upanischadlehre wenigstens für eine notwendige Ergänzung oder für die Vollendung der christlichen. Wir können anch das nicht gelten lassen. Zu-, nächst ist es schon nicht richtig, wenn er meint, die Upanischads verhielten sich zum Veda wie das Neue zum Alten Testament; vielmehr sind sie für den Veda das, was der Talmud und die jüdische Philosophie für das Alte, und was die christliche Theologie und Liturgik für das Neue Testament ist. Denßeus Analogie stützt sich darauf, daß sowohl das Alte Testament wie der Veda, der kindlichen Stufe der Menschheit entsprechend, Gebote und Verbote aufstelle und Lohn und Strafe verheiße, während die Upanischads und das Neue Testament auf jeuer höchsten Stufe der Erkenntnis stünden, wo der Mensch einsieht, daß es für den moralischen Wert des Handelns keinen Unter¬ schied begründe, „ob der Mensch sich im Dienst imaginärer Götter ^wie in den Veden vorgeschrieben wird^ oder in dem seiner Mitmenschen abmüht ^wie das Alte Testament verlangt^: beides ist, so lauge dabei eignes Wohlsein als letzter Zweck vorschwebt, ein bloßes Mittel zu diesem egoistischen Zwecke und daher, wie dieser selbst, moralisch betrachtet wertlos und verwerflich. Diese Erkenntnis bricht sich Bahn im Neuen Testamente, wenn es die Wertlosigkeit, in den Upanischads, wenn sie sogar die Verwerflichkeit aller, auch der guten Werke lehren; beide machen das Heil abhängig nicht von irgend welchem Thun und Lassen, sondern von einer völligen Umwandlung des ganzen natürlichen Menschen; beide betrachten diese Umwandlung als eine Erlösung aus den Fesseln dieser ganzen, im Egoismus wurzelnden, empirischen Realität." In dieser Darstellung ist nicht weniger als alles falsch. Weit entfernt davon, die Werke für wertlos zu erklären, macht Christus Seligkeit und Verdammnis der Menschen davon abhängig, ob sie Barmherzigkeit geübt haben oder nicht. Nur das bloße äußerliche, tote Werk, die körperliche Handlung ohne entsprechende Gesinnung wird für wertlos erklärt. Und der Egoismus, sofern man darunter die Selbstliebe oder Selbstbehauptung versteht, wird im Neuen Testament so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/560>, abgerufen am 28.07.2024.