Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ebenbürtigkeit

nur in den Organen des Liberalismus aller Fürbungen, sondern merkwürdiger¬
weise auch in der auf dem Boden streng konservativer Weltanschauung stehenden
Presse zu Tage. Man sollte meinen, dem Liberalismus müßte diese unzwei¬
deutige Meinungsäußerung des großen Königs, auf den er sich sonst oft und
gern als einen Gewährsmann beruft, ein wenig zu denken geben. Aber nein,
in diesem Punkte war der sonst so erleuchtete, seiner Zeit vorauseilende
Herrscher, der Freund eines Voltaire, natürlich ein in den engherzigen An¬
schauungen seiner Zeit blind befangner Mann! Oder sollte doch am Ende der
alte Fritz auch in diesem Punkte ein wenig, ein ganz klein wenig mehr richtige
Erkenntnis und staatsmännische Einsicht gehabt haben, als die Mehrzahl der
heutigen Vertreter der siebenten Großmacht?

Immerhin kann man den Gedankengang des Liberalismus in dieser Sache
verstehen. Der Liberalismus ist seinem Wesen nach doktrinär. Die Doktrin
sagt: Alle Menschen sind gleich, Standesunterschiede giebt es nicht. Wie kann
es dann Menschen geben, die andern Menschen unebenbürtig sind? Die Doktrin
sagt serner: Ehe ist Ehe. Wie kann es dann Ehen geben, die rechtlich in
irgendeiner Richtung nicht ebenso wirksam sind, als andre Ehen? Das ist
folgerichtig gedacht. Merkwürdig bleibt nur, daß es der Liberalismus mit
seiner Doktrin für vereinbar gehalten hat, daß das Bürgerliche Gesetzbuch
erlaubt, dem Güterstand durch den Ehevertrag an Stelle der gesetzlichen Ver-
waltungsgemeinschaft vertragsmäßig eine andre Regelung zu geben. Es kaun
also vertragsmäßig ein Ehegatte fehr viel besser oder sehr viel schlechter ge¬
stellt werden, als er bei der gesetzlichen Verwaltungsgemeinschaft gestellt ist.

Aber ich dachte doch, Ehe wäre Ehe? Ich höre hier schon den Einwand
liberaler Gegner: Das ist etwas ganz andres; wenn die Ehegatten vereinbaren,
daß die Ehe andre Wirkungen als die gesetzlichen habe" soll, so ist das ihre
Sache! Gemach! Eine besondre Form der unebenbürtiger Ehen oder Mi߬
heiraten (entsetzliches Wort!) sind die nur noch dem hohen Adel erlaubten
Ehen zu linken Hand, auch morganatische Ehen genannt. Eine solche Ehe
liegt dann vor, wenn gleich bei ihrer Eingehung vertragsmäßig bestimmt wird,
daß die Ehe der familienrechtlichen vollen Wirksamkeit entbehren soll, daß unter
anderm die Nachkommen ans dieser Ehe nicht den Namen und den Stand des
Vaters teilen und nicht successionsberechtigt sein sollen. Nachkommen aus einer
solchen Ehe nennt man dann auch: "unebenbürtige." Das vertragsmäßig zu
vereinbaren, muß doch, nach dem vorhin Gesagten, alleinige Sache der Ehe¬
gatten sein? Durch diese Hinterthür der vertragsmäßigen Vereinbarung wird,
wie es scheint, selbst der extremste Liberalismus den Begriff der Ebenbürtigkeit
durchschlüpfen lassen müssen.

Was nun meine konservativen Freunde betrifft, so ist der Gedankengang,
wenn von dieser Seite dem Ebenbürtigkeitsbegriff zu Leibe gegangen wird,
ganz anders: Legitimität ist hier das Schlagwort, das dem Begriffe "Eben-


Ebenbürtigkeit

nur in den Organen des Liberalismus aller Fürbungen, sondern merkwürdiger¬
weise auch in der auf dem Boden streng konservativer Weltanschauung stehenden
Presse zu Tage. Man sollte meinen, dem Liberalismus müßte diese unzwei¬
deutige Meinungsäußerung des großen Königs, auf den er sich sonst oft und
gern als einen Gewährsmann beruft, ein wenig zu denken geben. Aber nein,
in diesem Punkte war der sonst so erleuchtete, seiner Zeit vorauseilende
Herrscher, der Freund eines Voltaire, natürlich ein in den engherzigen An¬
schauungen seiner Zeit blind befangner Mann! Oder sollte doch am Ende der
alte Fritz auch in diesem Punkte ein wenig, ein ganz klein wenig mehr richtige
Erkenntnis und staatsmännische Einsicht gehabt haben, als die Mehrzahl der
heutigen Vertreter der siebenten Großmacht?

Immerhin kann man den Gedankengang des Liberalismus in dieser Sache
verstehen. Der Liberalismus ist seinem Wesen nach doktrinär. Die Doktrin
sagt: Alle Menschen sind gleich, Standesunterschiede giebt es nicht. Wie kann
es dann Menschen geben, die andern Menschen unebenbürtig sind? Die Doktrin
sagt serner: Ehe ist Ehe. Wie kann es dann Ehen geben, die rechtlich in
irgendeiner Richtung nicht ebenso wirksam sind, als andre Ehen? Das ist
folgerichtig gedacht. Merkwürdig bleibt nur, daß es der Liberalismus mit
seiner Doktrin für vereinbar gehalten hat, daß das Bürgerliche Gesetzbuch
erlaubt, dem Güterstand durch den Ehevertrag an Stelle der gesetzlichen Ver-
waltungsgemeinschaft vertragsmäßig eine andre Regelung zu geben. Es kaun
also vertragsmäßig ein Ehegatte fehr viel besser oder sehr viel schlechter ge¬
stellt werden, als er bei der gesetzlichen Verwaltungsgemeinschaft gestellt ist.

Aber ich dachte doch, Ehe wäre Ehe? Ich höre hier schon den Einwand
liberaler Gegner: Das ist etwas ganz andres; wenn die Ehegatten vereinbaren,
daß die Ehe andre Wirkungen als die gesetzlichen habe» soll, so ist das ihre
Sache! Gemach! Eine besondre Form der unebenbürtiger Ehen oder Mi߬
heiraten (entsetzliches Wort!) sind die nur noch dem hohen Adel erlaubten
Ehen zu linken Hand, auch morganatische Ehen genannt. Eine solche Ehe
liegt dann vor, wenn gleich bei ihrer Eingehung vertragsmäßig bestimmt wird,
daß die Ehe der familienrechtlichen vollen Wirksamkeit entbehren soll, daß unter
anderm die Nachkommen ans dieser Ehe nicht den Namen und den Stand des
Vaters teilen und nicht successionsberechtigt sein sollen. Nachkommen aus einer
solchen Ehe nennt man dann auch: „unebenbürtige." Das vertragsmäßig zu
vereinbaren, muß doch, nach dem vorhin Gesagten, alleinige Sache der Ehe¬
gatten sein? Durch diese Hinterthür der vertragsmäßigen Vereinbarung wird,
wie es scheint, selbst der extremste Liberalismus den Begriff der Ebenbürtigkeit
durchschlüpfen lassen müssen.

Was nun meine konservativen Freunde betrifft, so ist der Gedankengang,
wenn von dieser Seite dem Ebenbürtigkeitsbegriff zu Leibe gegangen wird,
ganz anders: Legitimität ist hier das Schlagwort, das dem Begriffe „Eben-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0547" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228849"/>
          <fw type="header" place="top"> Ebenbürtigkeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1897" prev="#ID_1896"> nur in den Organen des Liberalismus aller Fürbungen, sondern merkwürdiger¬<lb/>
weise auch in der auf dem Boden streng konservativer Weltanschauung stehenden<lb/>
Presse zu Tage. Man sollte meinen, dem Liberalismus müßte diese unzwei¬<lb/>
deutige Meinungsäußerung des großen Königs, auf den er sich sonst oft und<lb/>
gern als einen Gewährsmann beruft, ein wenig zu denken geben. Aber nein,<lb/>
in diesem Punkte war der sonst so erleuchtete, seiner Zeit vorauseilende<lb/>
Herrscher, der Freund eines Voltaire, natürlich ein in den engherzigen An¬<lb/>
schauungen seiner Zeit blind befangner Mann! Oder sollte doch am Ende der<lb/>
alte Fritz auch in diesem Punkte ein wenig, ein ganz klein wenig mehr richtige<lb/>
Erkenntnis und staatsmännische Einsicht gehabt haben, als die Mehrzahl der<lb/>
heutigen Vertreter der siebenten Großmacht?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1898"> Immerhin kann man den Gedankengang des Liberalismus in dieser Sache<lb/>
verstehen. Der Liberalismus ist seinem Wesen nach doktrinär. Die Doktrin<lb/>
sagt: Alle Menschen sind gleich, Standesunterschiede giebt es nicht. Wie kann<lb/>
es dann Menschen geben, die andern Menschen unebenbürtig sind? Die Doktrin<lb/>
sagt serner: Ehe ist Ehe. Wie kann es dann Ehen geben, die rechtlich in<lb/>
irgendeiner Richtung nicht ebenso wirksam sind, als andre Ehen? Das ist<lb/>
folgerichtig gedacht. Merkwürdig bleibt nur, daß es der Liberalismus mit<lb/>
seiner Doktrin für vereinbar gehalten hat, daß das Bürgerliche Gesetzbuch<lb/>
erlaubt, dem Güterstand durch den Ehevertrag an Stelle der gesetzlichen Ver-<lb/>
waltungsgemeinschaft vertragsmäßig eine andre Regelung zu geben. Es kaun<lb/>
also vertragsmäßig ein Ehegatte fehr viel besser oder sehr viel schlechter ge¬<lb/>
stellt werden, als er bei der gesetzlichen Verwaltungsgemeinschaft gestellt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1899"> Aber ich dachte doch, Ehe wäre Ehe? Ich höre hier schon den Einwand<lb/>
liberaler Gegner: Das ist etwas ganz andres; wenn die Ehegatten vereinbaren,<lb/>
daß die Ehe andre Wirkungen als die gesetzlichen habe» soll, so ist das ihre<lb/>
Sache! Gemach! Eine besondre Form der unebenbürtiger Ehen oder Mi߬<lb/>
heiraten (entsetzliches Wort!) sind die nur noch dem hohen Adel erlaubten<lb/>
Ehen zu linken Hand, auch morganatische Ehen genannt. Eine solche Ehe<lb/>
liegt dann vor, wenn gleich bei ihrer Eingehung vertragsmäßig bestimmt wird,<lb/>
daß die Ehe der familienrechtlichen vollen Wirksamkeit entbehren soll, daß unter<lb/>
anderm die Nachkommen ans dieser Ehe nicht den Namen und den Stand des<lb/>
Vaters teilen und nicht successionsberechtigt sein sollen. Nachkommen aus einer<lb/>
solchen Ehe nennt man dann auch: &#x201E;unebenbürtige." Das vertragsmäßig zu<lb/>
vereinbaren, muß doch, nach dem vorhin Gesagten, alleinige Sache der Ehe¬<lb/>
gatten sein? Durch diese Hinterthür der vertragsmäßigen Vereinbarung wird,<lb/>
wie es scheint, selbst der extremste Liberalismus den Begriff der Ebenbürtigkeit<lb/>
durchschlüpfen lassen müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1900" next="#ID_1901"> Was nun meine konservativen Freunde betrifft, so ist der Gedankengang,<lb/>
wenn von dieser Seite dem Ebenbürtigkeitsbegriff zu Leibe gegangen wird,<lb/>
ganz anders: Legitimität ist hier das Schlagwort, das dem Begriffe &#x201E;Eben-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0547] Ebenbürtigkeit nur in den Organen des Liberalismus aller Fürbungen, sondern merkwürdiger¬ weise auch in der auf dem Boden streng konservativer Weltanschauung stehenden Presse zu Tage. Man sollte meinen, dem Liberalismus müßte diese unzwei¬ deutige Meinungsäußerung des großen Königs, auf den er sich sonst oft und gern als einen Gewährsmann beruft, ein wenig zu denken geben. Aber nein, in diesem Punkte war der sonst so erleuchtete, seiner Zeit vorauseilende Herrscher, der Freund eines Voltaire, natürlich ein in den engherzigen An¬ schauungen seiner Zeit blind befangner Mann! Oder sollte doch am Ende der alte Fritz auch in diesem Punkte ein wenig, ein ganz klein wenig mehr richtige Erkenntnis und staatsmännische Einsicht gehabt haben, als die Mehrzahl der heutigen Vertreter der siebenten Großmacht? Immerhin kann man den Gedankengang des Liberalismus in dieser Sache verstehen. Der Liberalismus ist seinem Wesen nach doktrinär. Die Doktrin sagt: Alle Menschen sind gleich, Standesunterschiede giebt es nicht. Wie kann es dann Menschen geben, die andern Menschen unebenbürtig sind? Die Doktrin sagt serner: Ehe ist Ehe. Wie kann es dann Ehen geben, die rechtlich in irgendeiner Richtung nicht ebenso wirksam sind, als andre Ehen? Das ist folgerichtig gedacht. Merkwürdig bleibt nur, daß es der Liberalismus mit seiner Doktrin für vereinbar gehalten hat, daß das Bürgerliche Gesetzbuch erlaubt, dem Güterstand durch den Ehevertrag an Stelle der gesetzlichen Ver- waltungsgemeinschaft vertragsmäßig eine andre Regelung zu geben. Es kaun also vertragsmäßig ein Ehegatte fehr viel besser oder sehr viel schlechter ge¬ stellt werden, als er bei der gesetzlichen Verwaltungsgemeinschaft gestellt ist. Aber ich dachte doch, Ehe wäre Ehe? Ich höre hier schon den Einwand liberaler Gegner: Das ist etwas ganz andres; wenn die Ehegatten vereinbaren, daß die Ehe andre Wirkungen als die gesetzlichen habe» soll, so ist das ihre Sache! Gemach! Eine besondre Form der unebenbürtiger Ehen oder Mi߬ heiraten (entsetzliches Wort!) sind die nur noch dem hohen Adel erlaubten Ehen zu linken Hand, auch morganatische Ehen genannt. Eine solche Ehe liegt dann vor, wenn gleich bei ihrer Eingehung vertragsmäßig bestimmt wird, daß die Ehe der familienrechtlichen vollen Wirksamkeit entbehren soll, daß unter anderm die Nachkommen ans dieser Ehe nicht den Namen und den Stand des Vaters teilen und nicht successionsberechtigt sein sollen. Nachkommen aus einer solchen Ehe nennt man dann auch: „unebenbürtige." Das vertragsmäßig zu vereinbaren, muß doch, nach dem vorhin Gesagten, alleinige Sache der Ehe¬ gatten sein? Durch diese Hinterthür der vertragsmäßigen Vereinbarung wird, wie es scheint, selbst der extremste Liberalismus den Begriff der Ebenbürtigkeit durchschlüpfen lassen müssen. Was nun meine konservativen Freunde betrifft, so ist der Gedankengang, wenn von dieser Seite dem Ebenbürtigkeitsbegriff zu Leibe gegangen wird, ganz anders: Legitimität ist hier das Schlagwort, das dem Begriffe „Eben-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/547
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/547>, abgerufen am 27.07.2024.