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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Gedichte Michelangelos

Seltsam stechen von so ernsten Tönen die Versuche in burlesken Versen
ab. wie Michelangelo sie früh und spät übte, und die ihm gar nicht übel ge¬
rieten. Er schreckt-dann auch wohl vor Derbheiten nicht zurück, wie in den
schon erwähnten Terzinen, die eine launige Beschreibung seiner Person und
seines Lebens enthalten, seine Einsamkeit und seine körperlichen Leiden über¬
treibend, während dann wieder die vier Sonette auf die Nacht <I.XXVII/V1II
und eiX, 20. 21) voll von ernsten, schwermütigen Betrachtungen und merk¬
würdigen Einfüllen sind. Man glaubt den Dichter zu belauschen, wie er in
nächtlicher Einsamkeit dunkle Vorstellungen grüblerisch ausspinnt und sie. zum
Papiere greifend, in Sonettenform zurechtzuhämmern sich abmüht, und man
bringt diese Ergüsse unwillkürlich mit dem grandiosen Wesen in Verbindung,
das er als Nacht auf das Medicäergrab in San Lorenzo stellte. Während
dieses Bildwerk seine Schöpferkraft erfüllte, müßten ihm nächtlicherweile jene
Gedanken gekommen sein. Es scheint aber nicht, daß diese Deutung zulässig
ist; die Sonette sind wahrscheinlich eiuer spätern Zeit, den Jahren der Cavalieri-
Freundschaft zuzuweisen.

Derselben Zeit, um 1545, gehören die beiden Sonette an Dante an (<ÜIX,
37. 49), in denen er der Größe des Dichters seinen Tribut entrichtete, ja geradezu
den Wunsch aussprach, er möchte Dante sein; gern würde er für das höchste
Erdenglück das Schicksal des Verbannten eintauschen, wenn er zugleich die mäch¬
tige Schöpferkraft Dantes hätte. Beide Sonette enthalten bittere Ausfalle auf
den Undank der Vaterstadt gegen ihre großen Mitbürger: gerade den Gerechten
weigert sie das Heil, die Besten überhäuft sie mit Ungemach; die Thore, die
der Himmel dem Dichter nicht streitig machte, verschloß die Vaterstadt seinem
gerechten Begehren. Man fühlt aus diesen Versen die Bitterkeit heraus, womit
die nach dem Untergänge der florentinischen Freiheit Verbannten Republikaner
an die Vaterstadt zurückdachten. Michelangelo war kein Verbannter, aber seine
Freunde Donati, Riccio u. a. trugen unmutig ihr Schicksal. Von dem einen
Dantesonett (LIX, 37) sind mehrere Redaktionen vorhanden, und die spätern
sind bitterer als die frühern. Auch das berühmte Epigramm auf die Statue
der Nacht, die Antwort auf ein Epigramm Giovanni Strozzis, mit seiner
lakonischer Kritik der jetzigen Zustände in Florenz, gehört dieser Zeit an.
Michelangelo war kein Politiker, dazu war er eine viel zu selbständige und
viel zu sehr von augenblicklichen Impulsen beherrschte Natur, eine Künstler¬
natur. Aber wie er als Patriot während des Todeskampfes der Republik
seine Bürgerpflicht gethan hatte, so empfand er jetzt, als nach der Kapitulation
und besonders nach der Schlacht von Montemurlo (1538) die Alleinherrschaft
der Medici endgiltig besiegelt worden war, ebenso wie die tuorusviti. Nur
war er weit entfernt, die ausschweifenden Hoffnungen seiner Freunde zu teilen
oder ihre ungeduldigen Pläne und Anschläge zu billigen. In einem von
Gianotti verfaßten Dialog, der in das Jahr 1545 füllt, warnt Michelangelo


Grenzboten III 1898 "5
Die Gedichte Michelangelos

Seltsam stechen von so ernsten Tönen die Versuche in burlesken Versen
ab. wie Michelangelo sie früh und spät übte, und die ihm gar nicht übel ge¬
rieten. Er schreckt-dann auch wohl vor Derbheiten nicht zurück, wie in den
schon erwähnten Terzinen, die eine launige Beschreibung seiner Person und
seines Lebens enthalten, seine Einsamkeit und seine körperlichen Leiden über¬
treibend, während dann wieder die vier Sonette auf die Nacht <I.XXVII/V1II
und eiX, 20. 21) voll von ernsten, schwermütigen Betrachtungen und merk¬
würdigen Einfüllen sind. Man glaubt den Dichter zu belauschen, wie er in
nächtlicher Einsamkeit dunkle Vorstellungen grüblerisch ausspinnt und sie. zum
Papiere greifend, in Sonettenform zurechtzuhämmern sich abmüht, und man
bringt diese Ergüsse unwillkürlich mit dem grandiosen Wesen in Verbindung,
das er als Nacht auf das Medicäergrab in San Lorenzo stellte. Während
dieses Bildwerk seine Schöpferkraft erfüllte, müßten ihm nächtlicherweile jene
Gedanken gekommen sein. Es scheint aber nicht, daß diese Deutung zulässig
ist; die Sonette sind wahrscheinlich eiuer spätern Zeit, den Jahren der Cavalieri-
Freundschaft zuzuweisen.

Derselben Zeit, um 1545, gehören die beiden Sonette an Dante an (<ÜIX,
37. 49), in denen er der Größe des Dichters seinen Tribut entrichtete, ja geradezu
den Wunsch aussprach, er möchte Dante sein; gern würde er für das höchste
Erdenglück das Schicksal des Verbannten eintauschen, wenn er zugleich die mäch¬
tige Schöpferkraft Dantes hätte. Beide Sonette enthalten bittere Ausfalle auf
den Undank der Vaterstadt gegen ihre großen Mitbürger: gerade den Gerechten
weigert sie das Heil, die Besten überhäuft sie mit Ungemach; die Thore, die
der Himmel dem Dichter nicht streitig machte, verschloß die Vaterstadt seinem
gerechten Begehren. Man fühlt aus diesen Versen die Bitterkeit heraus, womit
die nach dem Untergänge der florentinischen Freiheit Verbannten Republikaner
an die Vaterstadt zurückdachten. Michelangelo war kein Verbannter, aber seine
Freunde Donati, Riccio u. a. trugen unmutig ihr Schicksal. Von dem einen
Dantesonett (LIX, 37) sind mehrere Redaktionen vorhanden, und die spätern
sind bitterer als die frühern. Auch das berühmte Epigramm auf die Statue
der Nacht, die Antwort auf ein Epigramm Giovanni Strozzis, mit seiner
lakonischer Kritik der jetzigen Zustände in Florenz, gehört dieser Zeit an.
Michelangelo war kein Politiker, dazu war er eine viel zu selbständige und
viel zu sehr von augenblicklichen Impulsen beherrschte Natur, eine Künstler¬
natur. Aber wie er als Patriot während des Todeskampfes der Republik
seine Bürgerpflicht gethan hatte, so empfand er jetzt, als nach der Kapitulation
und besonders nach der Schlacht von Montemurlo (1538) die Alleinherrschaft
der Medici endgiltig besiegelt worden war, ebenso wie die tuorusviti. Nur
war er weit entfernt, die ausschweifenden Hoffnungen seiner Freunde zu teilen
oder ihre ungeduldigen Pläne und Anschläge zu billigen. In einem von
Gianotti verfaßten Dialog, der in das Jahr 1545 füllt, warnt Michelangelo


Grenzboten III 1898 "5
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[0521] Die Gedichte Michelangelos Seltsam stechen von so ernsten Tönen die Versuche in burlesken Versen ab. wie Michelangelo sie früh und spät übte, und die ihm gar nicht übel ge¬ rieten. Er schreckt-dann auch wohl vor Derbheiten nicht zurück, wie in den schon erwähnten Terzinen, die eine launige Beschreibung seiner Person und seines Lebens enthalten, seine Einsamkeit und seine körperlichen Leiden über¬ treibend, während dann wieder die vier Sonette auf die Nacht <I.XXVII/V1II und eiX, 20. 21) voll von ernsten, schwermütigen Betrachtungen und merk¬ würdigen Einfüllen sind. Man glaubt den Dichter zu belauschen, wie er in nächtlicher Einsamkeit dunkle Vorstellungen grüblerisch ausspinnt und sie. zum Papiere greifend, in Sonettenform zurechtzuhämmern sich abmüht, und man bringt diese Ergüsse unwillkürlich mit dem grandiosen Wesen in Verbindung, das er als Nacht auf das Medicäergrab in San Lorenzo stellte. Während dieses Bildwerk seine Schöpferkraft erfüllte, müßten ihm nächtlicherweile jene Gedanken gekommen sein. Es scheint aber nicht, daß diese Deutung zulässig ist; die Sonette sind wahrscheinlich eiuer spätern Zeit, den Jahren der Cavalieri- Freundschaft zuzuweisen. Derselben Zeit, um 1545, gehören die beiden Sonette an Dante an (<ÜIX, 37. 49), in denen er der Größe des Dichters seinen Tribut entrichtete, ja geradezu den Wunsch aussprach, er möchte Dante sein; gern würde er für das höchste Erdenglück das Schicksal des Verbannten eintauschen, wenn er zugleich die mäch¬ tige Schöpferkraft Dantes hätte. Beide Sonette enthalten bittere Ausfalle auf den Undank der Vaterstadt gegen ihre großen Mitbürger: gerade den Gerechten weigert sie das Heil, die Besten überhäuft sie mit Ungemach; die Thore, die der Himmel dem Dichter nicht streitig machte, verschloß die Vaterstadt seinem gerechten Begehren. Man fühlt aus diesen Versen die Bitterkeit heraus, womit die nach dem Untergänge der florentinischen Freiheit Verbannten Republikaner an die Vaterstadt zurückdachten. Michelangelo war kein Verbannter, aber seine Freunde Donati, Riccio u. a. trugen unmutig ihr Schicksal. Von dem einen Dantesonett (LIX, 37) sind mehrere Redaktionen vorhanden, und die spätern sind bitterer als die frühern. Auch das berühmte Epigramm auf die Statue der Nacht, die Antwort auf ein Epigramm Giovanni Strozzis, mit seiner lakonischer Kritik der jetzigen Zustände in Florenz, gehört dieser Zeit an. Michelangelo war kein Politiker, dazu war er eine viel zu selbständige und viel zu sehr von augenblicklichen Impulsen beherrschte Natur, eine Künstler¬ natur. Aber wie er als Patriot während des Todeskampfes der Republik seine Bürgerpflicht gethan hatte, so empfand er jetzt, als nach der Kapitulation und besonders nach der Schlacht von Montemurlo (1538) die Alleinherrschaft der Medici endgiltig besiegelt worden war, ebenso wie die tuorusviti. Nur war er weit entfernt, die ausschweifenden Hoffnungen seiner Freunde zu teilen oder ihre ungeduldigen Pläne und Anschläge zu billigen. In einem von Gianotti verfaßten Dialog, der in das Jahr 1545 füllt, warnt Michelangelo Grenzboten III 1898 "5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/521>, abgerufen am 27.07.2024.