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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Gedichte Michelangelos

Liebe einander entgegengesetzt. Die eine zieht zum Himmel, die andre zur Erde;
in der Seele wohnt die eine, die andre in den Sinnen, und der Bogen zielt
auf niedrige Dinge, für die zu glühen einem weisen und männlichen Sinne
schlecht geziemt. Wenn ich dich liebe und verehre, o siZnor mio, ja wenn ich
erglühe, so ist es für den Gottesfrieden, der in deinen schönen Augen wohnt
und Feind jedes schuldvollen Gedankens ist. Das ist nicht wahre Liebe, die
entsteht und stirbt mit vergänglicher Schönheit, sondern die in einem reinen
Herzen lebt, Vergänglichkeit und Tod überwindet und hier schon das Paradies
verbürgt. (0IX, 101.)

Man kann sich, wenn der Dichter einen so starken Nachdruck daraus legt,
daß die wahre Liebe nicht sinnlicher Art sei. des Gedankens nicht erwehren,
daß sich trübe Erfahrungen darin widerspiegeln. Der Großneffe Michelangelos,
der im Jahre 1623 zum erstenmal die Gedichte seines großen Ahnen herausgab,
hat es nicht gewagt, sie in ihrer ursprünglichen Gestalt erscheinen zu lassen,
vielmehr hatte er alle Spuren von Leidenschaft zu männlicher Schönheit sorg¬
fältig getilgt, sämtliche Liebesgedichte ließ er an eine Donna gerichtet sein.
Aber schon bei seinen Lebzeiten ist Michelangelo nicht von dem Gifte der Ver¬
leumdung verschont geblieben. Die erhabne Liebeskunst, die er Platon nach¬
empfand, ist von niedriger denkenden Zeitgenossen nicht verstanden worden.
Sein Schüler und Biograph Condivi fand es für nötig, seinen Meister aus¬
drücklich gegen Mißdeutung in Schutz zu nehmen und die Reinheit seiner Liebe
zu körperlicher Schönheit zu beteuern. Und in seinen Gedichten selbst finden
wir Spuren, daß ihm Anspielungen, wie sie sich der freche Spötter Pietro
Aretino") erlaubte, nicht gleichgiltig waren. Zwar daß er in der Schlu߬
redaktion der Gedichte, wie er sie für die beabsichtigte Sammlung vornahm,
die persönlichen Beziehungen verwischte, den Gedichten ein neutraler" Charakter
gab, braucht noch nicht als apologetische Absicht ausgelegt zu werden. Für
die Öffentlichkeit schien es in jedem Falle passender, allgemeine Wendungen
zu wählen. Aber jene starke Entgegensetzung der gemeinen und der edeln Liebe
macht doch den Eindruck, als ob er selbst habe übler Nachrede begegnen wollen.
Ja wir finden ergreifende Klagen über den Zwiespalt zwischen Idee und Wirk¬
lichkeit, Klagen, aus denen wir den Schmerz heraushören, daß der Gegenstand
seiner Flammen die hohe und reine Liebe, die ihm entgegengebracht werde, nicht
verstehe und ihrer nicht würdig sei. Auch mit Cavalieri, "der auf Lügen hört."
hat es zeitweilig Verstimmungen gegeben. Die trübe Färbung in spätern Ge¬
dichten läßt darauf schließen, daß sich Michelangelo mit seinem hohen Liebes-



Arctinos merkwürdiges Verhältnis zu Michelangelo hat Pierre Gauthiez in seinem für
die italienische Kulturgeschichte des sechzehnten Jahrhunderts interessanten Buche 1,'^i'olim (Paris,
behandelt, Aretinos Feindschaft gegen Michelangelo zeigt sich besonders in seinem Wort¬
witz: Wenn des Künstlers Geist ti-ome. sei, so sei sein, Aretinos, Geist doch nicht ä'aqua.
Die Red.
Die Gedichte Michelangelos

Liebe einander entgegengesetzt. Die eine zieht zum Himmel, die andre zur Erde;
in der Seele wohnt die eine, die andre in den Sinnen, und der Bogen zielt
auf niedrige Dinge, für die zu glühen einem weisen und männlichen Sinne
schlecht geziemt. Wenn ich dich liebe und verehre, o siZnor mio, ja wenn ich
erglühe, so ist es für den Gottesfrieden, der in deinen schönen Augen wohnt
und Feind jedes schuldvollen Gedankens ist. Das ist nicht wahre Liebe, die
entsteht und stirbt mit vergänglicher Schönheit, sondern die in einem reinen
Herzen lebt, Vergänglichkeit und Tod überwindet und hier schon das Paradies
verbürgt. (0IX, 101.)

Man kann sich, wenn der Dichter einen so starken Nachdruck daraus legt,
daß die wahre Liebe nicht sinnlicher Art sei. des Gedankens nicht erwehren,
daß sich trübe Erfahrungen darin widerspiegeln. Der Großneffe Michelangelos,
der im Jahre 1623 zum erstenmal die Gedichte seines großen Ahnen herausgab,
hat es nicht gewagt, sie in ihrer ursprünglichen Gestalt erscheinen zu lassen,
vielmehr hatte er alle Spuren von Leidenschaft zu männlicher Schönheit sorg¬
fältig getilgt, sämtliche Liebesgedichte ließ er an eine Donna gerichtet sein.
Aber schon bei seinen Lebzeiten ist Michelangelo nicht von dem Gifte der Ver¬
leumdung verschont geblieben. Die erhabne Liebeskunst, die er Platon nach¬
empfand, ist von niedriger denkenden Zeitgenossen nicht verstanden worden.
Sein Schüler und Biograph Condivi fand es für nötig, seinen Meister aus¬
drücklich gegen Mißdeutung in Schutz zu nehmen und die Reinheit seiner Liebe
zu körperlicher Schönheit zu beteuern. Und in seinen Gedichten selbst finden
wir Spuren, daß ihm Anspielungen, wie sie sich der freche Spötter Pietro
Aretino") erlaubte, nicht gleichgiltig waren. Zwar daß er in der Schlu߬
redaktion der Gedichte, wie er sie für die beabsichtigte Sammlung vornahm,
die persönlichen Beziehungen verwischte, den Gedichten ein neutraler« Charakter
gab, braucht noch nicht als apologetische Absicht ausgelegt zu werden. Für
die Öffentlichkeit schien es in jedem Falle passender, allgemeine Wendungen
zu wählen. Aber jene starke Entgegensetzung der gemeinen und der edeln Liebe
macht doch den Eindruck, als ob er selbst habe übler Nachrede begegnen wollen.
Ja wir finden ergreifende Klagen über den Zwiespalt zwischen Idee und Wirk¬
lichkeit, Klagen, aus denen wir den Schmerz heraushören, daß der Gegenstand
seiner Flammen die hohe und reine Liebe, die ihm entgegengebracht werde, nicht
verstehe und ihrer nicht würdig sei. Auch mit Cavalieri, „der auf Lügen hört."
hat es zeitweilig Verstimmungen gegeben. Die trübe Färbung in spätern Ge¬
dichten läßt darauf schließen, daß sich Michelangelo mit seinem hohen Liebes-



Arctinos merkwürdiges Verhältnis zu Michelangelo hat Pierre Gauthiez in seinem für
die italienische Kulturgeschichte des sechzehnten Jahrhunderts interessanten Buche 1,'^i'olim (Paris,
behandelt, Aretinos Feindschaft gegen Michelangelo zeigt sich besonders in seinem Wort¬
witz: Wenn des Künstlers Geist ti-ome. sei, so sei sein, Aretinos, Geist doch nicht ä'aqua.
Die Red.
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[0519] Die Gedichte Michelangelos Liebe einander entgegengesetzt. Die eine zieht zum Himmel, die andre zur Erde; in der Seele wohnt die eine, die andre in den Sinnen, und der Bogen zielt auf niedrige Dinge, für die zu glühen einem weisen und männlichen Sinne schlecht geziemt. Wenn ich dich liebe und verehre, o siZnor mio, ja wenn ich erglühe, so ist es für den Gottesfrieden, der in deinen schönen Augen wohnt und Feind jedes schuldvollen Gedankens ist. Das ist nicht wahre Liebe, die entsteht und stirbt mit vergänglicher Schönheit, sondern die in einem reinen Herzen lebt, Vergänglichkeit und Tod überwindet und hier schon das Paradies verbürgt. (0IX, 101.) Man kann sich, wenn der Dichter einen so starken Nachdruck daraus legt, daß die wahre Liebe nicht sinnlicher Art sei. des Gedankens nicht erwehren, daß sich trübe Erfahrungen darin widerspiegeln. Der Großneffe Michelangelos, der im Jahre 1623 zum erstenmal die Gedichte seines großen Ahnen herausgab, hat es nicht gewagt, sie in ihrer ursprünglichen Gestalt erscheinen zu lassen, vielmehr hatte er alle Spuren von Leidenschaft zu männlicher Schönheit sorg¬ fältig getilgt, sämtliche Liebesgedichte ließ er an eine Donna gerichtet sein. Aber schon bei seinen Lebzeiten ist Michelangelo nicht von dem Gifte der Ver¬ leumdung verschont geblieben. Die erhabne Liebeskunst, die er Platon nach¬ empfand, ist von niedriger denkenden Zeitgenossen nicht verstanden worden. Sein Schüler und Biograph Condivi fand es für nötig, seinen Meister aus¬ drücklich gegen Mißdeutung in Schutz zu nehmen und die Reinheit seiner Liebe zu körperlicher Schönheit zu beteuern. Und in seinen Gedichten selbst finden wir Spuren, daß ihm Anspielungen, wie sie sich der freche Spötter Pietro Aretino") erlaubte, nicht gleichgiltig waren. Zwar daß er in der Schlu߬ redaktion der Gedichte, wie er sie für die beabsichtigte Sammlung vornahm, die persönlichen Beziehungen verwischte, den Gedichten ein neutraler« Charakter gab, braucht noch nicht als apologetische Absicht ausgelegt zu werden. Für die Öffentlichkeit schien es in jedem Falle passender, allgemeine Wendungen zu wählen. Aber jene starke Entgegensetzung der gemeinen und der edeln Liebe macht doch den Eindruck, als ob er selbst habe übler Nachrede begegnen wollen. Ja wir finden ergreifende Klagen über den Zwiespalt zwischen Idee und Wirk¬ lichkeit, Klagen, aus denen wir den Schmerz heraushören, daß der Gegenstand seiner Flammen die hohe und reine Liebe, die ihm entgegengebracht werde, nicht verstehe und ihrer nicht würdig sei. Auch mit Cavalieri, „der auf Lügen hört." hat es zeitweilig Verstimmungen gegeben. Die trübe Färbung in spätern Ge¬ dichten läßt darauf schließen, daß sich Michelangelo mit seinem hohen Liebes- Arctinos merkwürdiges Verhältnis zu Michelangelo hat Pierre Gauthiez in seinem für die italienische Kulturgeschichte des sechzehnten Jahrhunderts interessanten Buche 1,'^i'olim (Paris, behandelt, Aretinos Feindschaft gegen Michelangelo zeigt sich besonders in seinem Wort¬ witz: Wenn des Künstlers Geist ti-ome. sei, so sei sein, Aretinos, Geist doch nicht ä'aqua. Die Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/519>, abgerufen am 28.07.2024.