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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Mittelstandspolitik in Österreich

oft der zweideutigsten Art anzulocken und dabei fette Verwaltungstantiemen
einzustreichen. Ihren damaligen Höhepunkt erreichte diese Flut unter Baron
Brucks verhängnisvoller Finanzleitung." Der Adel konnte also wohl einer
reaktionären Wirtschaftspolitik grundsätzlich zuneigen, aber sich unmöglich zum
Träger einer solchen machen. "Daher denn die sonderbare Erscheinung, daß
speziell die wechselnde Tendenz der während der fünfziger Jahre verfolgten
Gewcrbepolitik durch die jeweilige Machtstellung nicht des Adels, sondern des
Klerus bestimmt ward."

Der Klerus machte diese Politik vorläufig für sich allein, die Handwerker
traten erst 1867 in die Bewegung ein, aber im liberalen Sinne. Das vor¬
hergehende Unglücks- und Glücksjahr hatte u. a. ein freisinniges Vereins- und
Versammlungsrecht beschert, das 1867 Gesetz wurde, und das benutzten nun
die mittlern und kleinern Gewerbtreibenden. Mit Hilfe der Gewerbvereine
versuchten sie unter der Führung des Redakteurs und Abgeordneten Reschaner
und des Kupferschmieds Loblied eine Gewerbepartei zu gründen, die sich bei
den Wahlen sowohl gegen die Börsenpartei als gegen die Sozialdemokratie
wenden sollte. Auch von Antisemitismus war anfänglich keine Spur darin,
obwohl ebeu damals die Judenemanzipation den Anlaß schuf. Diese war bei
der Neuordnung des Staates nicht zu vermeiden, denn "jüdische Bankiers
waren es, die dem Staate in seinen chronischen Finanznvtcn beistanden, jüdische
Konsortien, die in Österreich ein modernes Verkehrswesen schufen, jüdische
Fabrikanten, die seine Exportindustrie emporzüchteten, jüdische Händler, die
als "Hausjuden" bis in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein auf dem
Lande und in kleinern Orten noch fast ausschließlich die Vermittlung zwischen
dem Einzelhaushalt und der Verkehrswelt übernahmen." Aber, meint der
Verfasser, es war ein Verhängnis, daß die unvermeidliche Emanzipation
gerade in einem Augenblick vollzogen wurde, "wo sie die noch mit allen Übeln
Eigenschaften und Instinkten industrieller Glücksritter behafteten Emporkömm¬
linge als die einflußreichste, routiuirteste und herrschsüchtigste Gruppe der
Bourgeoisie aus ihrer bisherigen untergeordneten Stellung uicht allein zur
staatsbürgerlichen Gleichberechtigung, sondern mit einemmale auch zur aus¬
schlaggebenden politischen Macht emporheben mußte." Bekanntlich ist es das
jüdische Gründertum gewesen, das der liberalen Ära den Stempel aufgedrückt
hat, und nach dem Krach von 1873 "entblödete man sich nicht, gleichsam als
einen Reservefonds für solche Zwecke zur Deckung des Defizits die Finanzen
des ohnehin bedrängten Staates in Anspruch zu nehmen. Langer Jahre hat
es bedurft, ehe die Wunden, die der Krach der österreichischen Volkswirtschaft
geschlagen, völlig vernarben konnten. Dauernder noch und weittragender aber
waren die Nachwirkungen jener Thatsachen, die ihn verursacht hatten. Denn
sie lieferte" schon damals den unwiderleglicher Beweis, daß Osterreich von
seiner deutsch-jüdischen Bourgeoisie nicht verwaltet werden könne, da wenigstens


Mittelstandspolitik in Österreich

oft der zweideutigsten Art anzulocken und dabei fette Verwaltungstantiemen
einzustreichen. Ihren damaligen Höhepunkt erreichte diese Flut unter Baron
Brucks verhängnisvoller Finanzleitung." Der Adel konnte also wohl einer
reaktionären Wirtschaftspolitik grundsätzlich zuneigen, aber sich unmöglich zum
Träger einer solchen machen. „Daher denn die sonderbare Erscheinung, daß
speziell die wechselnde Tendenz der während der fünfziger Jahre verfolgten
Gewcrbepolitik durch die jeweilige Machtstellung nicht des Adels, sondern des
Klerus bestimmt ward."

Der Klerus machte diese Politik vorläufig für sich allein, die Handwerker
traten erst 1867 in die Bewegung ein, aber im liberalen Sinne. Das vor¬
hergehende Unglücks- und Glücksjahr hatte u. a. ein freisinniges Vereins- und
Versammlungsrecht beschert, das 1867 Gesetz wurde, und das benutzten nun
die mittlern und kleinern Gewerbtreibenden. Mit Hilfe der Gewerbvereine
versuchten sie unter der Führung des Redakteurs und Abgeordneten Reschaner
und des Kupferschmieds Loblied eine Gewerbepartei zu gründen, die sich bei
den Wahlen sowohl gegen die Börsenpartei als gegen die Sozialdemokratie
wenden sollte. Auch von Antisemitismus war anfänglich keine Spur darin,
obwohl ebeu damals die Judenemanzipation den Anlaß schuf. Diese war bei
der Neuordnung des Staates nicht zu vermeiden, denn „jüdische Bankiers
waren es, die dem Staate in seinen chronischen Finanznvtcn beistanden, jüdische
Konsortien, die in Österreich ein modernes Verkehrswesen schufen, jüdische
Fabrikanten, die seine Exportindustrie emporzüchteten, jüdische Händler, die
als »Hausjuden« bis in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein auf dem
Lande und in kleinern Orten noch fast ausschließlich die Vermittlung zwischen
dem Einzelhaushalt und der Verkehrswelt übernahmen." Aber, meint der
Verfasser, es war ein Verhängnis, daß die unvermeidliche Emanzipation
gerade in einem Augenblick vollzogen wurde, „wo sie die noch mit allen Übeln
Eigenschaften und Instinkten industrieller Glücksritter behafteten Emporkömm¬
linge als die einflußreichste, routiuirteste und herrschsüchtigste Gruppe der
Bourgeoisie aus ihrer bisherigen untergeordneten Stellung uicht allein zur
staatsbürgerlichen Gleichberechtigung, sondern mit einemmale auch zur aus¬
schlaggebenden politischen Macht emporheben mußte." Bekanntlich ist es das
jüdische Gründertum gewesen, das der liberalen Ära den Stempel aufgedrückt
hat, und nach dem Krach von 1873 „entblödete man sich nicht, gleichsam als
einen Reservefonds für solche Zwecke zur Deckung des Defizits die Finanzen
des ohnehin bedrängten Staates in Anspruch zu nehmen. Langer Jahre hat
es bedurft, ehe die Wunden, die der Krach der österreichischen Volkswirtschaft
geschlagen, völlig vernarben konnten. Dauernder noch und weittragender aber
waren die Nachwirkungen jener Thatsachen, die ihn verursacht hatten. Denn
sie lieferte« schon damals den unwiderleglicher Beweis, daß Osterreich von
seiner deutsch-jüdischen Bourgeoisie nicht verwaltet werden könne, da wenigstens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/500>, abgerufen am 01.09.2024.