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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die Gedichte Michelangelos

als ein überirdisches Wesen pries, ein Wesen, in dessen Angesicht uns, wie es
bei Dante heißt, Dinge erscheinen, die uns des Paradieses Wonnen zeigen,
als ein Wunder, das der Schönheit Urbild verkörpert, das nach dem Scheiden
von der Erde eine geistige Lichtgestalt wird, und der Liebe Feuer durch den
Himmel verbreitet. Aber das sind doch nur bildliche Ausdrücke, um das Un¬
aussprechliche, die Schönheit und Anmut der Geliebten annähernd begreiflich
zu machen, Gleichnisse, Schmuck der Rede. Auf die Geliebte werden alle Reize
des Himmels und der Erde gehäuft, um die Wirkung, die sie auf des Dichters
Gemüt ausübt, zu erklären: denn gar nicht beschreiben läßt sich ihr zartes
Lächeln, noch ihr Grüßen, bei dem die Zunge verstummt und der Blick sich
in Verwirrung senkt. Wo findet sich in Michelangelos Gedichten jemals etwas,
das uns so unbefangen und herzlich gleichsam mit der Geliebten bekannt macht,
die in so erhabne Ferne gerückt und doch mit ihren holden Sitten, ihrem süßen
Lächeln, ihrem Gruße, bei dem der Dichter erbebt, uns so anschaulich vor¬
gestellt wird? Oder wo ist je eine bestimmte Situation gezeichnet, wie sie
Dante in der vio rmovg, jedem Gedicht als dessen Veranlassung vorausschickt?
Ebenso ist, was sich bei Petrarca von schwachen Anklängen an Platon findet,
lediglich poetisches Ausdrucksmittel. So, wenn er die Geliebte einen himm¬
lischen Geist, eine lebendige Sonne nennt, wenn ihm deren Gestalt nichts
irdisches zu sein dünkt, oder wenn er die Abbilder ihrer Schönheit überall
verstreut findet. Er fragt wohl (Sonett 126), an welchem Ort des Himmels,
in welcher Idee die Natur das Urbild des reizenden Angesichts gefunden hat,
mit dem sie hienieden zeigen wollte, was sie dort oben vermochte; vergebens
blicke der nach der göttlichen Schönheit, der niemals Lauras Augen gesehen.
Aber auch dieses Sonett schließt mit dem Preis der irdischen Reize der Ge¬
liebten, ihrer Seufzer, ihres bezaubernden Redens und Lächelns. Die uner¬
schöpflichen Schilderungen der Anmut der Geliebten wie der landschaftlichen
Reize ihrer Umgebung, die Spiele der Phantasie und die auf- und abwogenden
süßen Gefühle, in denen der Dichter sich selbst bespiegelt, das alles ist Michel¬
angelo gänzlich fremd. Weder eine Laura besingt er, noch eine Beatrice. Von
Petrarca hat er alle die Wendungen und Bilder, die seitdem zum Inventar
der italienischen Lyrik gehörten, die gesuchten Antithesen von Leben und Tod,
von Liebesfeuer und Thränenwasser, und in den Gedichten des Greisenalters
auch den Gegensatz zwischen irdischer, sündiger und beseligender Gottesliebe.
Und doch meint man, wenn man von den Rims des Petrarca zu Michel¬
angelos Gedichten kommt, in eine andre Welt zu treten. Trotz den gleich¬
lautenden Ausdrücken, trotz der unverkennbaren Nachahmung doch eine andre
Geistesart, strenger, ernster und sozusagen abstrakter. Dieser Dichter ist kein
Virtuose der Empfindung, kein selbstgefälliges Formtalent: es sind Probleme,
die ihn reizen, beschäftigen, in denen er sich abmüht. Was das für eine ge¬
waltige Macht ist, die ihm die Seele ausfüllt, das bespricht er mit sich selbst


Die Gedichte Michelangelos

als ein überirdisches Wesen pries, ein Wesen, in dessen Angesicht uns, wie es
bei Dante heißt, Dinge erscheinen, die uns des Paradieses Wonnen zeigen,
als ein Wunder, das der Schönheit Urbild verkörpert, das nach dem Scheiden
von der Erde eine geistige Lichtgestalt wird, und der Liebe Feuer durch den
Himmel verbreitet. Aber das sind doch nur bildliche Ausdrücke, um das Un¬
aussprechliche, die Schönheit und Anmut der Geliebten annähernd begreiflich
zu machen, Gleichnisse, Schmuck der Rede. Auf die Geliebte werden alle Reize
des Himmels und der Erde gehäuft, um die Wirkung, die sie auf des Dichters
Gemüt ausübt, zu erklären: denn gar nicht beschreiben läßt sich ihr zartes
Lächeln, noch ihr Grüßen, bei dem die Zunge verstummt und der Blick sich
in Verwirrung senkt. Wo findet sich in Michelangelos Gedichten jemals etwas,
das uns so unbefangen und herzlich gleichsam mit der Geliebten bekannt macht,
die in so erhabne Ferne gerückt und doch mit ihren holden Sitten, ihrem süßen
Lächeln, ihrem Gruße, bei dem der Dichter erbebt, uns so anschaulich vor¬
gestellt wird? Oder wo ist je eine bestimmte Situation gezeichnet, wie sie
Dante in der vio rmovg, jedem Gedicht als dessen Veranlassung vorausschickt?
Ebenso ist, was sich bei Petrarca von schwachen Anklängen an Platon findet,
lediglich poetisches Ausdrucksmittel. So, wenn er die Geliebte einen himm¬
lischen Geist, eine lebendige Sonne nennt, wenn ihm deren Gestalt nichts
irdisches zu sein dünkt, oder wenn er die Abbilder ihrer Schönheit überall
verstreut findet. Er fragt wohl (Sonett 126), an welchem Ort des Himmels,
in welcher Idee die Natur das Urbild des reizenden Angesichts gefunden hat,
mit dem sie hienieden zeigen wollte, was sie dort oben vermochte; vergebens
blicke der nach der göttlichen Schönheit, der niemals Lauras Augen gesehen.
Aber auch dieses Sonett schließt mit dem Preis der irdischen Reize der Ge¬
liebten, ihrer Seufzer, ihres bezaubernden Redens und Lächelns. Die uner¬
schöpflichen Schilderungen der Anmut der Geliebten wie der landschaftlichen
Reize ihrer Umgebung, die Spiele der Phantasie und die auf- und abwogenden
süßen Gefühle, in denen der Dichter sich selbst bespiegelt, das alles ist Michel¬
angelo gänzlich fremd. Weder eine Laura besingt er, noch eine Beatrice. Von
Petrarca hat er alle die Wendungen und Bilder, die seitdem zum Inventar
der italienischen Lyrik gehörten, die gesuchten Antithesen von Leben und Tod,
von Liebesfeuer und Thränenwasser, und in den Gedichten des Greisenalters
auch den Gegensatz zwischen irdischer, sündiger und beseligender Gottesliebe.
Und doch meint man, wenn man von den Rims des Petrarca zu Michel¬
angelos Gedichten kommt, in eine andre Welt zu treten. Trotz den gleich¬
lautenden Ausdrücken, trotz der unverkennbaren Nachahmung doch eine andre
Geistesart, strenger, ernster und sozusagen abstrakter. Dieser Dichter ist kein
Virtuose der Empfindung, kein selbstgefälliges Formtalent: es sind Probleme,
die ihn reizen, beschäftigen, in denen er sich abmüht. Was das für eine ge¬
waltige Macht ist, die ihm die Seele ausfüllt, das bespricht er mit sich selbst


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[0466] Die Gedichte Michelangelos als ein überirdisches Wesen pries, ein Wesen, in dessen Angesicht uns, wie es bei Dante heißt, Dinge erscheinen, die uns des Paradieses Wonnen zeigen, als ein Wunder, das der Schönheit Urbild verkörpert, das nach dem Scheiden von der Erde eine geistige Lichtgestalt wird, und der Liebe Feuer durch den Himmel verbreitet. Aber das sind doch nur bildliche Ausdrücke, um das Un¬ aussprechliche, die Schönheit und Anmut der Geliebten annähernd begreiflich zu machen, Gleichnisse, Schmuck der Rede. Auf die Geliebte werden alle Reize des Himmels und der Erde gehäuft, um die Wirkung, die sie auf des Dichters Gemüt ausübt, zu erklären: denn gar nicht beschreiben läßt sich ihr zartes Lächeln, noch ihr Grüßen, bei dem die Zunge verstummt und der Blick sich in Verwirrung senkt. Wo findet sich in Michelangelos Gedichten jemals etwas, das uns so unbefangen und herzlich gleichsam mit der Geliebten bekannt macht, die in so erhabne Ferne gerückt und doch mit ihren holden Sitten, ihrem süßen Lächeln, ihrem Gruße, bei dem der Dichter erbebt, uns so anschaulich vor¬ gestellt wird? Oder wo ist je eine bestimmte Situation gezeichnet, wie sie Dante in der vio rmovg, jedem Gedicht als dessen Veranlassung vorausschickt? Ebenso ist, was sich bei Petrarca von schwachen Anklängen an Platon findet, lediglich poetisches Ausdrucksmittel. So, wenn er die Geliebte einen himm¬ lischen Geist, eine lebendige Sonne nennt, wenn ihm deren Gestalt nichts irdisches zu sein dünkt, oder wenn er die Abbilder ihrer Schönheit überall verstreut findet. Er fragt wohl (Sonett 126), an welchem Ort des Himmels, in welcher Idee die Natur das Urbild des reizenden Angesichts gefunden hat, mit dem sie hienieden zeigen wollte, was sie dort oben vermochte; vergebens blicke der nach der göttlichen Schönheit, der niemals Lauras Augen gesehen. Aber auch dieses Sonett schließt mit dem Preis der irdischen Reize der Ge¬ liebten, ihrer Seufzer, ihres bezaubernden Redens und Lächelns. Die uner¬ schöpflichen Schilderungen der Anmut der Geliebten wie der landschaftlichen Reize ihrer Umgebung, die Spiele der Phantasie und die auf- und abwogenden süßen Gefühle, in denen der Dichter sich selbst bespiegelt, das alles ist Michel¬ angelo gänzlich fremd. Weder eine Laura besingt er, noch eine Beatrice. Von Petrarca hat er alle die Wendungen und Bilder, die seitdem zum Inventar der italienischen Lyrik gehörten, die gesuchten Antithesen von Leben und Tod, von Liebesfeuer und Thränenwasser, und in den Gedichten des Greisenalters auch den Gegensatz zwischen irdischer, sündiger und beseligender Gottesliebe. Und doch meint man, wenn man von den Rims des Petrarca zu Michel¬ angelos Gedichten kommt, in eine andre Welt zu treten. Trotz den gleich¬ lautenden Ausdrücken, trotz der unverkennbaren Nachahmung doch eine andre Geistesart, strenger, ernster und sozusagen abstrakter. Dieser Dichter ist kein Virtuose der Empfindung, kein selbstgefälliges Formtalent: es sind Probleme, die ihn reizen, beschäftigen, in denen er sich abmüht. Was das für eine ge¬ waltige Macht ist, die ihm die Seele ausfüllt, das bespricht er mit sich selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/466>, abgerufen am 27.07.2024.