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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Volkskonzerte

Instrumentalmusik zu werden. Aber ebenso wenig ist es ausgeschlossen,
daß man versucht, ihr Repertoire zu heben. Sie haben einen historisch
begründeten Anspruch auf den gesamten Schatz der alten Orchestersnite von
V. Hausmann bis S. Bach und D. Zelenka, auf die Serenaden, Kassationen
und Divertissements der Wiener Schule und selbstverständlich auf alle die
Werke aus der Gegenwart, die dem Stil und dem Geist dieser ältern Kunst
folgen. Da müssen in erster Linie die Arbeiten der Nenfranzosen hervor¬
gehoben werden, Stücke wie B. Gvdards Loviiös xostiauss, G. Bizets
lssisrms. So klar gestaltete, greifbare Bilder vorführende Ouvertüren wie
die unsers C. M. von Weber und die andrer Opernkomponisten fehlen schon
heute nicht. Aus der Sinfonie eignen sich Bruchstücke: Menuetts und Adagios
Hahdns, mancher Mittelsalz aus den Werken Mendelssohns, Schumanns und
andrer Romantiker. Vollständige, in allen Sätzen fürs Volkskonzert passende
Sinfonien finden sich nur unter den Mozartschen. Die berühmtesten, wie die
Jupitersinfouie, gehören aber gerade nicht unter diese Klasse. Es ist nicht
ausgeschlossen, daß sich unter dem Einfluß der "Volkskonzerte" einmal eine
neue, durchschnittlich gehaltvollere und einfachere Sinfonik entwickelt, als sie
die jüngste Vergangenheit aufweist, und daß sich zweitens aus diesen refor-
mirten und verbesserten Volkskonzerten der Kreis derer vergrößert, die auch
eine Beethovenschc Sinfonie wirklich verstehen. Denn daß diese Werke trotz
ihrer Schwierigkeiten glücklicherweise immer noch zahlreicher Gemeinden wirk¬
licher, wahrhaft Gläubiger in Deutschland sicher sind, das haben z. B. die
populären Sinfoniekonzerte der Liebig, Hünenfürst, Majo bewiesen, deren sich
Berliner, Dresdner, Chemnitzer Musikfreunde noch heute gern erinnern.

Viel dürftiger als um die Instrumentalmusik des Volks steht es heute
um seine Gesangmusik. Jedenfalls nehmen in ihr die Darbietungen der so¬
genannten Tingeltangel und der Ls-dös obantMtZ einen zu breiten Platz ein.
Wie es Friedrich Zarncken und andern am Puppenspiele gelungen ist, so ließen
sich auch an diesen Instituten mancherlei gesunde und interessante Elemente
nachweisen. Aber diese einzelnen Rosen sind zu teuer, und es wäre sehr zu
begrüßen, wenn es gelänge, durch die "Volkskvnzerte" die Kreise der Singspiel¬
hallen mit einer andern Kunst zu befreunden, als hier hauptsächlich geboten
wird. Mit der Erwähnung der "Kurrenden" ist schon vorhin auf frühere
bessere Zeiten hingewiesen worden. Es wäre dafür zu sorgen, daß in den
BolkSlvnzerten nicht bloß Solisten mit Liedern am Klavier auftreten, sondern
daß das Chorlied einen festen und hervorragenden Platz erhält. Mendels-
sohnsche, Hauptmannsche, Schumcmusche Chöre -- mit welcher Freude würden
sie gehört werden! Hat doch glücklicherweise dieser ganze Kunstzweig bis in
die neuesten Tage immer einen volkstümlichen Charakter bewahrt. Zu den
neuen Komponisten würden sich ohne Schwierigkeit die alten Meister des
Madrigals, die Marenzio, Gastoldi, die Morley und Bird. die Haßler und


Volkskonzerte

Instrumentalmusik zu werden. Aber ebenso wenig ist es ausgeschlossen,
daß man versucht, ihr Repertoire zu heben. Sie haben einen historisch
begründeten Anspruch auf den gesamten Schatz der alten Orchestersnite von
V. Hausmann bis S. Bach und D. Zelenka, auf die Serenaden, Kassationen
und Divertissements der Wiener Schule und selbstverständlich auf alle die
Werke aus der Gegenwart, die dem Stil und dem Geist dieser ältern Kunst
folgen. Da müssen in erster Linie die Arbeiten der Nenfranzosen hervor¬
gehoben werden, Stücke wie B. Gvdards Loviiös xostiauss, G. Bizets
lssisrms. So klar gestaltete, greifbare Bilder vorführende Ouvertüren wie
die unsers C. M. von Weber und die andrer Opernkomponisten fehlen schon
heute nicht. Aus der Sinfonie eignen sich Bruchstücke: Menuetts und Adagios
Hahdns, mancher Mittelsalz aus den Werken Mendelssohns, Schumanns und
andrer Romantiker. Vollständige, in allen Sätzen fürs Volkskonzert passende
Sinfonien finden sich nur unter den Mozartschen. Die berühmtesten, wie die
Jupitersinfouie, gehören aber gerade nicht unter diese Klasse. Es ist nicht
ausgeschlossen, daß sich unter dem Einfluß der „Volkskonzerte" einmal eine
neue, durchschnittlich gehaltvollere und einfachere Sinfonik entwickelt, als sie
die jüngste Vergangenheit aufweist, und daß sich zweitens aus diesen refor-
mirten und verbesserten Volkskonzerten der Kreis derer vergrößert, die auch
eine Beethovenschc Sinfonie wirklich verstehen. Denn daß diese Werke trotz
ihrer Schwierigkeiten glücklicherweise immer noch zahlreicher Gemeinden wirk¬
licher, wahrhaft Gläubiger in Deutschland sicher sind, das haben z. B. die
populären Sinfoniekonzerte der Liebig, Hünenfürst, Majo bewiesen, deren sich
Berliner, Dresdner, Chemnitzer Musikfreunde noch heute gern erinnern.

Viel dürftiger als um die Instrumentalmusik des Volks steht es heute
um seine Gesangmusik. Jedenfalls nehmen in ihr die Darbietungen der so¬
genannten Tingeltangel und der Ls-dös obantMtZ einen zu breiten Platz ein.
Wie es Friedrich Zarncken und andern am Puppenspiele gelungen ist, so ließen
sich auch an diesen Instituten mancherlei gesunde und interessante Elemente
nachweisen. Aber diese einzelnen Rosen sind zu teuer, und es wäre sehr zu
begrüßen, wenn es gelänge, durch die „Volkskvnzerte" die Kreise der Singspiel¬
hallen mit einer andern Kunst zu befreunden, als hier hauptsächlich geboten
wird. Mit der Erwähnung der „Kurrenden" ist schon vorhin auf frühere
bessere Zeiten hingewiesen worden. Es wäre dafür zu sorgen, daß in den
BolkSlvnzerten nicht bloß Solisten mit Liedern am Klavier auftreten, sondern
daß das Chorlied einen festen und hervorragenden Platz erhält. Mendels-
sohnsche, Hauptmannsche, Schumcmusche Chöre — mit welcher Freude würden
sie gehört werden! Hat doch glücklicherweise dieser ganze Kunstzweig bis in
die neuesten Tage immer einen volkstümlichen Charakter bewahrt. Zu den
neuen Komponisten würden sich ohne Schwierigkeit die alten Meister des
Madrigals, die Marenzio, Gastoldi, die Morley und Bird. die Haßler und


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[0045] Volkskonzerte Instrumentalmusik zu werden. Aber ebenso wenig ist es ausgeschlossen, daß man versucht, ihr Repertoire zu heben. Sie haben einen historisch begründeten Anspruch auf den gesamten Schatz der alten Orchestersnite von V. Hausmann bis S. Bach und D. Zelenka, auf die Serenaden, Kassationen und Divertissements der Wiener Schule und selbstverständlich auf alle die Werke aus der Gegenwart, die dem Stil und dem Geist dieser ältern Kunst folgen. Da müssen in erster Linie die Arbeiten der Nenfranzosen hervor¬ gehoben werden, Stücke wie B. Gvdards Loviiös xostiauss, G. Bizets lssisrms. So klar gestaltete, greifbare Bilder vorführende Ouvertüren wie die unsers C. M. von Weber und die andrer Opernkomponisten fehlen schon heute nicht. Aus der Sinfonie eignen sich Bruchstücke: Menuetts und Adagios Hahdns, mancher Mittelsalz aus den Werken Mendelssohns, Schumanns und andrer Romantiker. Vollständige, in allen Sätzen fürs Volkskonzert passende Sinfonien finden sich nur unter den Mozartschen. Die berühmtesten, wie die Jupitersinfouie, gehören aber gerade nicht unter diese Klasse. Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich unter dem Einfluß der „Volkskonzerte" einmal eine neue, durchschnittlich gehaltvollere und einfachere Sinfonik entwickelt, als sie die jüngste Vergangenheit aufweist, und daß sich zweitens aus diesen refor- mirten und verbesserten Volkskonzerten der Kreis derer vergrößert, die auch eine Beethovenschc Sinfonie wirklich verstehen. Denn daß diese Werke trotz ihrer Schwierigkeiten glücklicherweise immer noch zahlreicher Gemeinden wirk¬ licher, wahrhaft Gläubiger in Deutschland sicher sind, das haben z. B. die populären Sinfoniekonzerte der Liebig, Hünenfürst, Majo bewiesen, deren sich Berliner, Dresdner, Chemnitzer Musikfreunde noch heute gern erinnern. Viel dürftiger als um die Instrumentalmusik des Volks steht es heute um seine Gesangmusik. Jedenfalls nehmen in ihr die Darbietungen der so¬ genannten Tingeltangel und der Ls-dös obantMtZ einen zu breiten Platz ein. Wie es Friedrich Zarncken und andern am Puppenspiele gelungen ist, so ließen sich auch an diesen Instituten mancherlei gesunde und interessante Elemente nachweisen. Aber diese einzelnen Rosen sind zu teuer, und es wäre sehr zu begrüßen, wenn es gelänge, durch die „Volkskvnzerte" die Kreise der Singspiel¬ hallen mit einer andern Kunst zu befreunden, als hier hauptsächlich geboten wird. Mit der Erwähnung der „Kurrenden" ist schon vorhin auf frühere bessere Zeiten hingewiesen worden. Es wäre dafür zu sorgen, daß in den BolkSlvnzerten nicht bloß Solisten mit Liedern am Klavier auftreten, sondern daß das Chorlied einen festen und hervorragenden Platz erhält. Mendels- sohnsche, Hauptmannsche, Schumcmusche Chöre — mit welcher Freude würden sie gehört werden! Hat doch glücklicherweise dieser ganze Kunstzweig bis in die neuesten Tage immer einen volkstümlichen Charakter bewahrt. Zu den neuen Komponisten würden sich ohne Schwierigkeit die alten Meister des Madrigals, die Marenzio, Gastoldi, die Morley und Bird. die Haßler und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/45>, abgerufen am 27.07.2024.