Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ludwig Goldhann

schlichlich österreichischen Dichtung stammt. Und der wird auch verstehen,
unter welchen widerspruchsvollen Einflüssen sich die Entwicklung eines Talents
wie Ludwig Goldhann vollzogen hat.

Er war eigentlich auf einen der zahlreichen Nachfolger Halms und seiner
exotischen Theaterwirkungen angelegt, lernte, als seine Entwicklung in dieser
Richtung schon weit vorgeschritten war, Friedrich Hebbel kennen und schloß
sich dem kleinen Verehrerkreise an, den der in Wien heimisch gewordne, aber
in seinem ganzen Wesen norddeutsch gebliebne Dichter nach und nach um sich
sammelte. Gerade noch fähig, bestimmte künstlerische Forderungen Hebbels zu
verstehen und sich ihnen unterzuordnen, allein doch schon zu reif und zu fest
in spezifisch-österreichische Lebensverhältnisse gebannt, um sich seinen ältern
Geistesneigungen vollständig zu entwinden, geriet Goldhann in unüberwind¬
lichen geistigen Zwiespalt. Der tiefere Ernst, zu dem ihn der Hinblick auf
Hebbel stimmte, äußerte sich durch ein stärkeres und immer wachsendes Über¬
gewicht der Reflexion. Er wußte an dem vorbildlichen Dichter selbst viel
weniger die herbe Ursprünglichkeit und die dämonische Macht der Natur, als
die Gedankentiefe und -schwere zu schätzen, und Hebbel empfand dies in ent¬
scheidender Weise, da er auf eine ihm zugesandte Abhandlung Goldhcmns über
seine Gedichte erwiderte: "Ihre Abhandlung ist eigentümlich gedacht und geist¬
reich ausgeführt, und wenn ich selbst auch in Übereinstimmung mit manchem
andern, z. B. mit Uhland und Mörike, meine Sachen anders rangire und die
ersten Abteilungen (d. h. die Lieder und Balladen) den letzten vorziehe, so ist
mir Ihre Auffassung eben darum nur umso interessanter gewesen." (Hebbels
Briefwechsel mit Freunden und berühmten Zeitgenossen, Bd. 2, S. 552.)
Kein Wunder, daß unter diesen Umständen Goldhcmns mäßiges Talent nicht
zu einer freien und reinen Entfaltung kam, sondern etwas Zwiespältiges
behielt.

Die ausführliche biographische Studie, mit der Emil Soffe die Samm¬
lung von Goldhcmns bei Lebzeiten nicht gesammelten Gedichten begleitet hat,
belehrt uns, daß der Dichter am 8. Dezember 1823 zu Wien geboren war,
aus einer begüterten Vürgerfamilie stammte, die nach Altwiener Art vor allem
gut musikalisch war, in der Salieri, Johann Schenck, der Komponist des "Dors-
barbiers," und andre Musiker, doch auch Castelli und Schreyvogcl, der Dra¬
maturg, verkehrten. 1843 begann Goldhann das Nechtsstudium an der Wiener
Universität, das er 1848 eben mit der Doktorpromotion abzuschließen gedachte,
als die Märzrevolution ausbrach und den Jugendlichen in ihre wilde Strö¬
mung hineinriß. Als Mitglied der Studentenlegion und des Studentenaus¬
schusses, in dem er die Doktoranden vertrat, nahm Goldhann an den Barri¬
kadenkämpfer zu Ende Mai und um dem tollen Unsinn teil. Österreich von der
Aula ans zu regieren und umformen zu wollen, geriet darüber in Zerwürfnisse
mit seiner konservativ gesinnten Familie, ließ sich aber in den Oktobertagen


Ludwig Goldhann

schlichlich österreichischen Dichtung stammt. Und der wird auch verstehen,
unter welchen widerspruchsvollen Einflüssen sich die Entwicklung eines Talents
wie Ludwig Goldhann vollzogen hat.

Er war eigentlich auf einen der zahlreichen Nachfolger Halms und seiner
exotischen Theaterwirkungen angelegt, lernte, als seine Entwicklung in dieser
Richtung schon weit vorgeschritten war, Friedrich Hebbel kennen und schloß
sich dem kleinen Verehrerkreise an, den der in Wien heimisch gewordne, aber
in seinem ganzen Wesen norddeutsch gebliebne Dichter nach und nach um sich
sammelte. Gerade noch fähig, bestimmte künstlerische Forderungen Hebbels zu
verstehen und sich ihnen unterzuordnen, allein doch schon zu reif und zu fest
in spezifisch-österreichische Lebensverhältnisse gebannt, um sich seinen ältern
Geistesneigungen vollständig zu entwinden, geriet Goldhann in unüberwind¬
lichen geistigen Zwiespalt. Der tiefere Ernst, zu dem ihn der Hinblick auf
Hebbel stimmte, äußerte sich durch ein stärkeres und immer wachsendes Über¬
gewicht der Reflexion. Er wußte an dem vorbildlichen Dichter selbst viel
weniger die herbe Ursprünglichkeit und die dämonische Macht der Natur, als
die Gedankentiefe und -schwere zu schätzen, und Hebbel empfand dies in ent¬
scheidender Weise, da er auf eine ihm zugesandte Abhandlung Goldhcmns über
seine Gedichte erwiderte: „Ihre Abhandlung ist eigentümlich gedacht und geist¬
reich ausgeführt, und wenn ich selbst auch in Übereinstimmung mit manchem
andern, z. B. mit Uhland und Mörike, meine Sachen anders rangire und die
ersten Abteilungen (d. h. die Lieder und Balladen) den letzten vorziehe, so ist
mir Ihre Auffassung eben darum nur umso interessanter gewesen." (Hebbels
Briefwechsel mit Freunden und berühmten Zeitgenossen, Bd. 2, S. 552.)
Kein Wunder, daß unter diesen Umständen Goldhcmns mäßiges Talent nicht
zu einer freien und reinen Entfaltung kam, sondern etwas Zwiespältiges
behielt.

Die ausführliche biographische Studie, mit der Emil Soffe die Samm¬
lung von Goldhcmns bei Lebzeiten nicht gesammelten Gedichten begleitet hat,
belehrt uns, daß der Dichter am 8. Dezember 1823 zu Wien geboren war,
aus einer begüterten Vürgerfamilie stammte, die nach Altwiener Art vor allem
gut musikalisch war, in der Salieri, Johann Schenck, der Komponist des „Dors-
barbiers," und andre Musiker, doch auch Castelli und Schreyvogcl, der Dra¬
maturg, verkehrten. 1843 begann Goldhann das Nechtsstudium an der Wiener
Universität, das er 1848 eben mit der Doktorpromotion abzuschließen gedachte,
als die Märzrevolution ausbrach und den Jugendlichen in ihre wilde Strö¬
mung hineinriß. Als Mitglied der Studentenlegion und des Studentenaus¬
schusses, in dem er die Doktoranden vertrat, nahm Goldhann an den Barri¬
kadenkämpfer zu Ende Mai und um dem tollen Unsinn teil. Österreich von der
Aula ans zu regieren und umformen zu wollen, geriet darüber in Zerwürfnisse
mit seiner konservativ gesinnten Familie, ließ sich aber in den Oktobertagen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228725"/>
          <fw type="header" place="top"> Ludwig Goldhann</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1476" prev="#ID_1475"> schlichlich österreichischen Dichtung stammt. Und der wird auch verstehen,<lb/>
unter welchen widerspruchsvollen Einflüssen sich die Entwicklung eines Talents<lb/>
wie Ludwig Goldhann vollzogen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1477"> Er war eigentlich auf einen der zahlreichen Nachfolger Halms und seiner<lb/>
exotischen Theaterwirkungen angelegt, lernte, als seine Entwicklung in dieser<lb/>
Richtung schon weit vorgeschritten war, Friedrich Hebbel kennen und schloß<lb/>
sich dem kleinen Verehrerkreise an, den der in Wien heimisch gewordne, aber<lb/>
in seinem ganzen Wesen norddeutsch gebliebne Dichter nach und nach um sich<lb/>
sammelte. Gerade noch fähig, bestimmte künstlerische Forderungen Hebbels zu<lb/>
verstehen und sich ihnen unterzuordnen, allein doch schon zu reif und zu fest<lb/>
in spezifisch-österreichische Lebensverhältnisse gebannt, um sich seinen ältern<lb/>
Geistesneigungen vollständig zu entwinden, geriet Goldhann in unüberwind¬<lb/>
lichen geistigen Zwiespalt. Der tiefere Ernst, zu dem ihn der Hinblick auf<lb/>
Hebbel stimmte, äußerte sich durch ein stärkeres und immer wachsendes Über¬<lb/>
gewicht der Reflexion. Er wußte an dem vorbildlichen Dichter selbst viel<lb/>
weniger die herbe Ursprünglichkeit und die dämonische Macht der Natur, als<lb/>
die Gedankentiefe und -schwere zu schätzen, und Hebbel empfand dies in ent¬<lb/>
scheidender Weise, da er auf eine ihm zugesandte Abhandlung Goldhcmns über<lb/>
seine Gedichte erwiderte: &#x201E;Ihre Abhandlung ist eigentümlich gedacht und geist¬<lb/>
reich ausgeführt, und wenn ich selbst auch in Übereinstimmung mit manchem<lb/>
andern, z. B. mit Uhland und Mörike, meine Sachen anders rangire und die<lb/>
ersten Abteilungen (d. h. die Lieder und Balladen) den letzten vorziehe, so ist<lb/>
mir Ihre Auffassung eben darum nur umso interessanter gewesen." (Hebbels<lb/>
Briefwechsel mit Freunden und berühmten Zeitgenossen, Bd. 2, S. 552.)<lb/>
Kein Wunder, daß unter diesen Umständen Goldhcmns mäßiges Talent nicht<lb/>
zu einer freien und reinen Entfaltung kam, sondern etwas Zwiespältiges<lb/>
behielt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1478" next="#ID_1479"> Die ausführliche biographische Studie, mit der Emil Soffe die Samm¬<lb/>
lung von Goldhcmns bei Lebzeiten nicht gesammelten Gedichten begleitet hat,<lb/>
belehrt uns, daß der Dichter am 8. Dezember 1823 zu Wien geboren war,<lb/>
aus einer begüterten Vürgerfamilie stammte, die nach Altwiener Art vor allem<lb/>
gut musikalisch war, in der Salieri, Johann Schenck, der Komponist des &#x201E;Dors-<lb/>
barbiers," und andre Musiker, doch auch Castelli und Schreyvogcl, der Dra¬<lb/>
maturg, verkehrten. 1843 begann Goldhann das Nechtsstudium an der Wiener<lb/>
Universität, das er 1848 eben mit der Doktorpromotion abzuschließen gedachte,<lb/>
als die Märzrevolution ausbrach und den Jugendlichen in ihre wilde Strö¬<lb/>
mung hineinriß. Als Mitglied der Studentenlegion und des Studentenaus¬<lb/>
schusses, in dem er die Doktoranden vertrat, nahm Goldhann an den Barri¬<lb/>
kadenkämpfer zu Ende Mai und um dem tollen Unsinn teil. Österreich von der<lb/>
Aula ans zu regieren und umformen zu wollen, geriet darüber in Zerwürfnisse<lb/>
mit seiner konservativ gesinnten Familie, ließ sich aber in den Oktobertagen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Ludwig Goldhann schlichlich österreichischen Dichtung stammt. Und der wird auch verstehen, unter welchen widerspruchsvollen Einflüssen sich die Entwicklung eines Talents wie Ludwig Goldhann vollzogen hat. Er war eigentlich auf einen der zahlreichen Nachfolger Halms und seiner exotischen Theaterwirkungen angelegt, lernte, als seine Entwicklung in dieser Richtung schon weit vorgeschritten war, Friedrich Hebbel kennen und schloß sich dem kleinen Verehrerkreise an, den der in Wien heimisch gewordne, aber in seinem ganzen Wesen norddeutsch gebliebne Dichter nach und nach um sich sammelte. Gerade noch fähig, bestimmte künstlerische Forderungen Hebbels zu verstehen und sich ihnen unterzuordnen, allein doch schon zu reif und zu fest in spezifisch-österreichische Lebensverhältnisse gebannt, um sich seinen ältern Geistesneigungen vollständig zu entwinden, geriet Goldhann in unüberwind¬ lichen geistigen Zwiespalt. Der tiefere Ernst, zu dem ihn der Hinblick auf Hebbel stimmte, äußerte sich durch ein stärkeres und immer wachsendes Über¬ gewicht der Reflexion. Er wußte an dem vorbildlichen Dichter selbst viel weniger die herbe Ursprünglichkeit und die dämonische Macht der Natur, als die Gedankentiefe und -schwere zu schätzen, und Hebbel empfand dies in ent¬ scheidender Weise, da er auf eine ihm zugesandte Abhandlung Goldhcmns über seine Gedichte erwiderte: „Ihre Abhandlung ist eigentümlich gedacht und geist¬ reich ausgeführt, und wenn ich selbst auch in Übereinstimmung mit manchem andern, z. B. mit Uhland und Mörike, meine Sachen anders rangire und die ersten Abteilungen (d. h. die Lieder und Balladen) den letzten vorziehe, so ist mir Ihre Auffassung eben darum nur umso interessanter gewesen." (Hebbels Briefwechsel mit Freunden und berühmten Zeitgenossen, Bd. 2, S. 552.) Kein Wunder, daß unter diesen Umständen Goldhcmns mäßiges Talent nicht zu einer freien und reinen Entfaltung kam, sondern etwas Zwiespältiges behielt. Die ausführliche biographische Studie, mit der Emil Soffe die Samm¬ lung von Goldhcmns bei Lebzeiten nicht gesammelten Gedichten begleitet hat, belehrt uns, daß der Dichter am 8. Dezember 1823 zu Wien geboren war, aus einer begüterten Vürgerfamilie stammte, die nach Altwiener Art vor allem gut musikalisch war, in der Salieri, Johann Schenck, der Komponist des „Dors- barbiers," und andre Musiker, doch auch Castelli und Schreyvogcl, der Dra¬ maturg, verkehrten. 1843 begann Goldhann das Nechtsstudium an der Wiener Universität, das er 1848 eben mit der Doktorpromotion abzuschließen gedachte, als die Märzrevolution ausbrach und den Jugendlichen in ihre wilde Strö¬ mung hineinriß. Als Mitglied der Studentenlegion und des Studentenaus¬ schusses, in dem er die Doktoranden vertrat, nahm Goldhann an den Barri¬ kadenkämpfer zu Ende Mai und um dem tollen Unsinn teil. Österreich von der Aula ans zu regieren und umformen zu wollen, geriet darüber in Zerwürfnisse mit seiner konservativ gesinnten Familie, ließ sich aber in den Oktobertagen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/423>, abgerufen am 28.07.2024.