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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Ludwig Goldhann

diesem warmen Anteil an den provinziellen Litteraturhäuptern kundgiebt. Zu
den hierher gehörigen Erscheinungen hat sich im Jahre 1896 eine Ausgabe
von Ludwig Goldhanus, des Brunner Dichters, hinterlassenen lyrischen
Dichtungen und ein Lebensbild des genannten Dichters von Emil Soffe")
gesellt, beides, Lebensbild wie Auswahl der Gedichte Goldhanns, höchst
charakteristisch für gewisse Besonderheiten des deutsch-österreichischen Litteratur¬
lebens.

Es braucht nicht gesagt zu werden, daß Ludwig Goldhann, so wenig wie
einer der Wiener Dichter und Schriststeller, deren geistige Wurzeln in den
Boden des vormärzlichen Osterreich zurückreichen, jemals den Traum von einer
"österreichischen" Poesie mitgeträumt hat, die zur deutschen Sprache und
Litteratur nur noch ein Verhältnis haben würde wie die moderne norwegische
zur dünischen, die moderne nordamerikanische zur englischen. Ja, genau ge-
nommen bleibt der Anspruch des jüngsten Jungösterreich dabei nicht einmal
stehen. Die Norweger, die die alte Wechselwirkung zwischen Kopenhagen und
Christiania befehdeten, unter der der Vergelter Holberg der erste aller dänischen
Dichter geworden war und frische norwegische Bauernworte in die dünische
Schriftsprache einführten, so viel nur Raum hatten, dachten doch nicht daran,
ihr Germanentum aufzugeben, im Gegenteil, sie meinten den kulturverschliffuen
Dänen gegenüber die bessern, urwüchsiger" Germanen zu sein. Die Propheten,
die von einer künftigen österreichischen Litteratur fabeln, legen dagegen Gewicht
darauf, daß diese österreichische Poesie mit der deutschen eben nur die Sprache,
aber weder Blut noch Seele gemeinsam haben werde. Das Leben des bunten
östlichen Völkergemisches, das Jneinanderspielen slawischer, romanischer, unga¬
rischer und deutscher Elemente, die Lust am klingenden Schall, an der gleißenden
Farbe, am heißern Odem, wie am üppigem Behagen des Daseins, die hundert
und tausend Wirkungen der Halbzivilisation und der völligen Barbarei, mit
ihrem Wohlgefallen an dem Überreizten, kurz alles, was undeutsch ist in
Österreich, soll die Grundlage für die spezifisch österreichische Litteratur abgeben-
Es ist leicht zu sehen, daß diese mit Grillparzer und Ferd. Raimund, mit Lenau
und Bauernfeld nichts gemeinsam haben würde, und daß sie sich auf eine gewisse
unbewußte Vorgängerschaft in der deutsch-österreichischen Litteratur alten Stils
berufen könnte, die etwa von Friedrich Halm bis zu Robert Hamerling reicht.
Wer unbeirrt durch die mannigfachen Anknüpfungen, die sich bei dieser Gruppe
deutsch-österreichischer Dichter an das große Gewebe der deutschen Litteratur
finden, den allereigensten Einschuß der Deutsch-Österreicher mit seineu fremdartig
bunten Fäden untersucht, der sieht bald, woher die Vorstellung von einer aus-



') Ludwig Goldhanns Leben und Gedichte. Mit einem Geleitwort von Franz
Goldhann und einem Lebensbilds des Dichters von Emil Soffö. Herausgegeben vom
deutschen Journalisten- und Schriftstellervereine für Mähren und Schlesien. Brunn, 1896.
Druck von Rudolf M Rohrer.
Ludwig Goldhann

diesem warmen Anteil an den provinziellen Litteraturhäuptern kundgiebt. Zu
den hierher gehörigen Erscheinungen hat sich im Jahre 1896 eine Ausgabe
von Ludwig Goldhanus, des Brunner Dichters, hinterlassenen lyrischen
Dichtungen und ein Lebensbild des genannten Dichters von Emil Soffe")
gesellt, beides, Lebensbild wie Auswahl der Gedichte Goldhanns, höchst
charakteristisch für gewisse Besonderheiten des deutsch-österreichischen Litteratur¬
lebens.

Es braucht nicht gesagt zu werden, daß Ludwig Goldhann, so wenig wie
einer der Wiener Dichter und Schriststeller, deren geistige Wurzeln in den
Boden des vormärzlichen Osterreich zurückreichen, jemals den Traum von einer
„österreichischen" Poesie mitgeträumt hat, die zur deutschen Sprache und
Litteratur nur noch ein Verhältnis haben würde wie die moderne norwegische
zur dünischen, die moderne nordamerikanische zur englischen. Ja, genau ge-
nommen bleibt der Anspruch des jüngsten Jungösterreich dabei nicht einmal
stehen. Die Norweger, die die alte Wechselwirkung zwischen Kopenhagen und
Christiania befehdeten, unter der der Vergelter Holberg der erste aller dänischen
Dichter geworden war und frische norwegische Bauernworte in die dünische
Schriftsprache einführten, so viel nur Raum hatten, dachten doch nicht daran,
ihr Germanentum aufzugeben, im Gegenteil, sie meinten den kulturverschliffuen
Dänen gegenüber die bessern, urwüchsiger» Germanen zu sein. Die Propheten,
die von einer künftigen österreichischen Litteratur fabeln, legen dagegen Gewicht
darauf, daß diese österreichische Poesie mit der deutschen eben nur die Sprache,
aber weder Blut noch Seele gemeinsam haben werde. Das Leben des bunten
östlichen Völkergemisches, das Jneinanderspielen slawischer, romanischer, unga¬
rischer und deutscher Elemente, die Lust am klingenden Schall, an der gleißenden
Farbe, am heißern Odem, wie am üppigem Behagen des Daseins, die hundert
und tausend Wirkungen der Halbzivilisation und der völligen Barbarei, mit
ihrem Wohlgefallen an dem Überreizten, kurz alles, was undeutsch ist in
Österreich, soll die Grundlage für die spezifisch österreichische Litteratur abgeben-
Es ist leicht zu sehen, daß diese mit Grillparzer und Ferd. Raimund, mit Lenau
und Bauernfeld nichts gemeinsam haben würde, und daß sie sich auf eine gewisse
unbewußte Vorgängerschaft in der deutsch-österreichischen Litteratur alten Stils
berufen könnte, die etwa von Friedrich Halm bis zu Robert Hamerling reicht.
Wer unbeirrt durch die mannigfachen Anknüpfungen, die sich bei dieser Gruppe
deutsch-österreichischer Dichter an das große Gewebe der deutschen Litteratur
finden, den allereigensten Einschuß der Deutsch-Österreicher mit seineu fremdartig
bunten Fäden untersucht, der sieht bald, woher die Vorstellung von einer aus-



') Ludwig Goldhanns Leben und Gedichte. Mit einem Geleitwort von Franz
Goldhann und einem Lebensbilds des Dichters von Emil Soffö. Herausgegeben vom
deutschen Journalisten- und Schriftstellervereine für Mähren und Schlesien. Brunn, 1896.
Druck von Rudolf M Rohrer.
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[0422] Ludwig Goldhann diesem warmen Anteil an den provinziellen Litteraturhäuptern kundgiebt. Zu den hierher gehörigen Erscheinungen hat sich im Jahre 1896 eine Ausgabe von Ludwig Goldhanus, des Brunner Dichters, hinterlassenen lyrischen Dichtungen und ein Lebensbild des genannten Dichters von Emil Soffe") gesellt, beides, Lebensbild wie Auswahl der Gedichte Goldhanns, höchst charakteristisch für gewisse Besonderheiten des deutsch-österreichischen Litteratur¬ lebens. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß Ludwig Goldhann, so wenig wie einer der Wiener Dichter und Schriststeller, deren geistige Wurzeln in den Boden des vormärzlichen Osterreich zurückreichen, jemals den Traum von einer „österreichischen" Poesie mitgeträumt hat, die zur deutschen Sprache und Litteratur nur noch ein Verhältnis haben würde wie die moderne norwegische zur dünischen, die moderne nordamerikanische zur englischen. Ja, genau ge- nommen bleibt der Anspruch des jüngsten Jungösterreich dabei nicht einmal stehen. Die Norweger, die die alte Wechselwirkung zwischen Kopenhagen und Christiania befehdeten, unter der der Vergelter Holberg der erste aller dänischen Dichter geworden war und frische norwegische Bauernworte in die dünische Schriftsprache einführten, so viel nur Raum hatten, dachten doch nicht daran, ihr Germanentum aufzugeben, im Gegenteil, sie meinten den kulturverschliffuen Dänen gegenüber die bessern, urwüchsiger» Germanen zu sein. Die Propheten, die von einer künftigen österreichischen Litteratur fabeln, legen dagegen Gewicht darauf, daß diese österreichische Poesie mit der deutschen eben nur die Sprache, aber weder Blut noch Seele gemeinsam haben werde. Das Leben des bunten östlichen Völkergemisches, das Jneinanderspielen slawischer, romanischer, unga¬ rischer und deutscher Elemente, die Lust am klingenden Schall, an der gleißenden Farbe, am heißern Odem, wie am üppigem Behagen des Daseins, die hundert und tausend Wirkungen der Halbzivilisation und der völligen Barbarei, mit ihrem Wohlgefallen an dem Überreizten, kurz alles, was undeutsch ist in Österreich, soll die Grundlage für die spezifisch österreichische Litteratur abgeben- Es ist leicht zu sehen, daß diese mit Grillparzer und Ferd. Raimund, mit Lenau und Bauernfeld nichts gemeinsam haben würde, und daß sie sich auf eine gewisse unbewußte Vorgängerschaft in der deutsch-österreichischen Litteratur alten Stils berufen könnte, die etwa von Friedrich Halm bis zu Robert Hamerling reicht. Wer unbeirrt durch die mannigfachen Anknüpfungen, die sich bei dieser Gruppe deutsch-österreichischer Dichter an das große Gewebe der deutschen Litteratur finden, den allereigensten Einschuß der Deutsch-Österreicher mit seineu fremdartig bunten Fäden untersucht, der sieht bald, woher die Vorstellung von einer aus- ') Ludwig Goldhanns Leben und Gedichte. Mit einem Geleitwort von Franz Goldhann und einem Lebensbilds des Dichters von Emil Soffö. Herausgegeben vom deutschen Journalisten- und Schriftstellervereine für Mähren und Schlesien. Brunn, 1896. Druck von Rudolf M Rohrer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/422>, abgerufen am 01.09.2024.