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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

des obersten Mauerstücks hatte sich im Mittelalter eine hochragende Burg an¬
gesiedelt, von der der Bergfried und andre Neste vorhanden sind; auch an
andern Punkten zeigt Arpino neben den cyklopischen auch Reste mittelalterlicher
Befestigungen. Jetzt findet man dort oben eine kleine Gemeinde, Civitavecchia
genannt. Diese Bezeichnung insbesondre hat zu der Ansicht geführt, als habe
sich das alte Arpinum, weit größer als das jetzige, in ununterbrochner, be¬
bauter Fläche bis auf die Höhe erstreckt. Das ist sehr unwahrscheinlich, denn
es sind schlechterdings keine Ruinen vorhanden, sondern nur der natürliche
Fels; außerdem aber hätte in diesem Niesenraume nach antiker Bauweise eine
Stadt vou hunderttausend Einwohnern Platz gehabt. Vermutlich war das
alte Arpinum etwa so groß wie das jetzige, und die Cyklopenmauern auf dem
dahinter liegenden Berge umschlossen wie in Alatri ein Asyl für die zahl¬
reiche Landbevölkerung der Gemeinde; auch wurde durch die Cyklopenmauern
die Sicherheit der Stadt selbst erhöht, da sie verhinderten, daß sich im Rücken
der Stadt ein Feind festsetzte.

Ein würdiger weißbärtiger Greis im blauen Mantel, der seine ganze
Lebenszeit auf dieser stillen Höhe verbracht hatte und jeden Stein genau kannte,
führte mich in der großartigen Anlage umher. Die Akropolis von Arpino
war seine Welt, er hatte sie sich im Geiste wieder aufgebaut und mit antiken
Gestalten bevölkert, ein wundersamer Friede sprach aus seinem Gesicht, und
auch, als er mir berichtete, Cicero sei hier oben geboren, und mir das Haus
seiner Geburt zeigte, widersprach ich ihm nicht, um seine innere Harmonie nicht
zu stören. Von den beiden Thoren der Akropolis, die ich sah, liegt eins, ein
gewöhnliches Rundbogenthor, nach Norden, ein andres schaut nach Westen.
Dieses hat eine merkwürdige Form. Es verjüngt sich nach oben, deshalb sind
die Marmorblöcke an der Innenseite geschweift. Oben war es ursprünglich
durch eine Deckplatte geschlossen; da diese aber herabgestürzt ist, so sind die
beiden obersten einander gegenüberstehenden Marmorqnadern zusammengerückt
und bilden nun einen Spitzbogen. Weil aber der Magistrat von Arpino weitern
Einsturz befürchtete, hat er in der Mitte des Thores einen häßlichen breiten
Stützpfeiler aufmaneru lassen, der zu beiden Seiten nur noch wenig Raum
freiläßt. Es besteht aber, wie ich im "Circolo" hörte, die Absicht, dieses Thor,
da die Deckplatte noch vorhanden ist, in seiner ursprünglichen Gestalt wieder¬
herzustellen.

Am nächsten Morgen wiederholte ich meinen Besuch der Oberstadt. Ich
sah dabei an der Nordseite, ziemlich weit unten, noch ein kleines rechteckiges
Thor von derselben Konstruktion, wie ich eins in der Stadtmauer vou Pästum
nach dem Meere zu gesehen hatte. Es ist so schmal und niedrig, daß nur einzelne
Menschen hindurchgehe" konnten, und hatte vermutlich seinen besondern Zweck in
Kriegszeiten. Unweit davon setzte ich mich auf einen Felsblock und genoß den
herrlichen Maienmorgen und das unbeschreiblich schöne Bild, das mir zu Füßen


Grenzboten III 18"8 62
Frühlingstage am Garigliano

des obersten Mauerstücks hatte sich im Mittelalter eine hochragende Burg an¬
gesiedelt, von der der Bergfried und andre Neste vorhanden sind; auch an
andern Punkten zeigt Arpino neben den cyklopischen auch Reste mittelalterlicher
Befestigungen. Jetzt findet man dort oben eine kleine Gemeinde, Civitavecchia
genannt. Diese Bezeichnung insbesondre hat zu der Ansicht geführt, als habe
sich das alte Arpinum, weit größer als das jetzige, in ununterbrochner, be¬
bauter Fläche bis auf die Höhe erstreckt. Das ist sehr unwahrscheinlich, denn
es sind schlechterdings keine Ruinen vorhanden, sondern nur der natürliche
Fels; außerdem aber hätte in diesem Niesenraume nach antiker Bauweise eine
Stadt vou hunderttausend Einwohnern Platz gehabt. Vermutlich war das
alte Arpinum etwa so groß wie das jetzige, und die Cyklopenmauern auf dem
dahinter liegenden Berge umschlossen wie in Alatri ein Asyl für die zahl¬
reiche Landbevölkerung der Gemeinde; auch wurde durch die Cyklopenmauern
die Sicherheit der Stadt selbst erhöht, da sie verhinderten, daß sich im Rücken
der Stadt ein Feind festsetzte.

Ein würdiger weißbärtiger Greis im blauen Mantel, der seine ganze
Lebenszeit auf dieser stillen Höhe verbracht hatte und jeden Stein genau kannte,
führte mich in der großartigen Anlage umher. Die Akropolis von Arpino
war seine Welt, er hatte sie sich im Geiste wieder aufgebaut und mit antiken
Gestalten bevölkert, ein wundersamer Friede sprach aus seinem Gesicht, und
auch, als er mir berichtete, Cicero sei hier oben geboren, und mir das Haus
seiner Geburt zeigte, widersprach ich ihm nicht, um seine innere Harmonie nicht
zu stören. Von den beiden Thoren der Akropolis, die ich sah, liegt eins, ein
gewöhnliches Rundbogenthor, nach Norden, ein andres schaut nach Westen.
Dieses hat eine merkwürdige Form. Es verjüngt sich nach oben, deshalb sind
die Marmorblöcke an der Innenseite geschweift. Oben war es ursprünglich
durch eine Deckplatte geschlossen; da diese aber herabgestürzt ist, so sind die
beiden obersten einander gegenüberstehenden Marmorqnadern zusammengerückt
und bilden nun einen Spitzbogen. Weil aber der Magistrat von Arpino weitern
Einsturz befürchtete, hat er in der Mitte des Thores einen häßlichen breiten
Stützpfeiler aufmaneru lassen, der zu beiden Seiten nur noch wenig Raum
freiläßt. Es besteht aber, wie ich im „Circolo" hörte, die Absicht, dieses Thor,
da die Deckplatte noch vorhanden ist, in seiner ursprünglichen Gestalt wieder¬
herzustellen.

Am nächsten Morgen wiederholte ich meinen Besuch der Oberstadt. Ich
sah dabei an der Nordseite, ziemlich weit unten, noch ein kleines rechteckiges
Thor von derselben Konstruktion, wie ich eins in der Stadtmauer vou Pästum
nach dem Meere zu gesehen hatte. Es ist so schmal und niedrig, daß nur einzelne
Menschen hindurchgehe» konnten, und hatte vermutlich seinen besondern Zweck in
Kriegszeiten. Unweit davon setzte ich mich auf einen Felsblock und genoß den
herrlichen Maienmorgen und das unbeschreiblich schöne Bild, das mir zu Füßen


Grenzboten III 18»8 62
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[0417] Frühlingstage am Garigliano des obersten Mauerstücks hatte sich im Mittelalter eine hochragende Burg an¬ gesiedelt, von der der Bergfried und andre Neste vorhanden sind; auch an andern Punkten zeigt Arpino neben den cyklopischen auch Reste mittelalterlicher Befestigungen. Jetzt findet man dort oben eine kleine Gemeinde, Civitavecchia genannt. Diese Bezeichnung insbesondre hat zu der Ansicht geführt, als habe sich das alte Arpinum, weit größer als das jetzige, in ununterbrochner, be¬ bauter Fläche bis auf die Höhe erstreckt. Das ist sehr unwahrscheinlich, denn es sind schlechterdings keine Ruinen vorhanden, sondern nur der natürliche Fels; außerdem aber hätte in diesem Niesenraume nach antiker Bauweise eine Stadt vou hunderttausend Einwohnern Platz gehabt. Vermutlich war das alte Arpinum etwa so groß wie das jetzige, und die Cyklopenmauern auf dem dahinter liegenden Berge umschlossen wie in Alatri ein Asyl für die zahl¬ reiche Landbevölkerung der Gemeinde; auch wurde durch die Cyklopenmauern die Sicherheit der Stadt selbst erhöht, da sie verhinderten, daß sich im Rücken der Stadt ein Feind festsetzte. Ein würdiger weißbärtiger Greis im blauen Mantel, der seine ganze Lebenszeit auf dieser stillen Höhe verbracht hatte und jeden Stein genau kannte, führte mich in der großartigen Anlage umher. Die Akropolis von Arpino war seine Welt, er hatte sie sich im Geiste wieder aufgebaut und mit antiken Gestalten bevölkert, ein wundersamer Friede sprach aus seinem Gesicht, und auch, als er mir berichtete, Cicero sei hier oben geboren, und mir das Haus seiner Geburt zeigte, widersprach ich ihm nicht, um seine innere Harmonie nicht zu stören. Von den beiden Thoren der Akropolis, die ich sah, liegt eins, ein gewöhnliches Rundbogenthor, nach Norden, ein andres schaut nach Westen. Dieses hat eine merkwürdige Form. Es verjüngt sich nach oben, deshalb sind die Marmorblöcke an der Innenseite geschweift. Oben war es ursprünglich durch eine Deckplatte geschlossen; da diese aber herabgestürzt ist, so sind die beiden obersten einander gegenüberstehenden Marmorqnadern zusammengerückt und bilden nun einen Spitzbogen. Weil aber der Magistrat von Arpino weitern Einsturz befürchtete, hat er in der Mitte des Thores einen häßlichen breiten Stützpfeiler aufmaneru lassen, der zu beiden Seiten nur noch wenig Raum freiläßt. Es besteht aber, wie ich im „Circolo" hörte, die Absicht, dieses Thor, da die Deckplatte noch vorhanden ist, in seiner ursprünglichen Gestalt wieder¬ herzustellen. Am nächsten Morgen wiederholte ich meinen Besuch der Oberstadt. Ich sah dabei an der Nordseite, ziemlich weit unten, noch ein kleines rechteckiges Thor von derselben Konstruktion, wie ich eins in der Stadtmauer vou Pästum nach dem Meere zu gesehen hatte. Es ist so schmal und niedrig, daß nur einzelne Menschen hindurchgehe» konnten, und hatte vermutlich seinen besondern Zweck in Kriegszeiten. Unweit davon setzte ich mich auf einen Felsblock und genoß den herrlichen Maienmorgen und das unbeschreiblich schöne Bild, das mir zu Füßen Grenzboten III 18»8 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/417>, abgerufen am 28.07.2024.