Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.Wagners Musik Es ist Nacht, dann erscheint die Morgenröte. Übrigens, das ganze Stück ist Siegfried mit seinem Horn und Mime kommen; sogleich werden sie im Or¬ Siegfried lagert sich mit seinem Trikot in einer Pose, die für schön gilt, und Diese Szene ist unerträglich, nicht die geringste Spur vou Musik, d. h. von Wagners Musik Es ist Nacht, dann erscheint die Morgenröte. Übrigens, das ganze Stück ist Siegfried mit seinem Horn und Mime kommen; sogleich werden sie im Or¬ Siegfried lagert sich mit seinem Trikot in einer Pose, die für schön gilt, und Diese Szene ist unerträglich, nicht die geringste Spur vou Musik, d. h. von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228680"/> <fw type="header" place="top"> Wagners Musik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1323"> Es ist Nacht, dann erscheint die Morgenröte. Übrigens, das ganze Stück ist<lb/> angefüllt von Morgenröte, von Wolken, Mondschein, Finsternis, bengalischen Feuer,<lb/> Gewittern usw. Die Szene stellt einen Wald dar; in diesem Walde ist eine<lb/> Grotte; vor dieser Grotte sitzt ein neuer Schauspieler in Trikot, der einen andern<lb/> Zwerg vorstellt. Es wird Tag. Da ist wieder der Gott Wotan mit der Lanze<lb/> in der Faust, immer als Pilger gekleidet, da ist wieder sein „Motiv," und da<lb/> hört man wieder andre, außergewöhnlich ernste Baßtöne. Sie kündigen an, was<lb/> der Drache sagen wird. Wotan erweckt den Drachen. Immer derselbe Baß, nur<lb/> noch drohender. Zuerst sagt der Drache: Ich will schlafen! Dann kommt er aus<lb/> der Höhle hervor. Der Drache wird von zwei Männern dargestellt, die mit einer<lb/> grünen Haut bedeckt sind, woran Tatzen befestigt sind. An einem Ende dieses<lb/> phantastischen Tieres müssen die Männer einen Schweif bewegen, an dem andern<lb/> Ende lassen sie es einen Krokodilsrachen aufsperren, aus dem Feuer kommt. Der<lb/> Drache, der für entsetzlich gilt — und er würde ohne Zweifel Kinder von fünf<lb/> Jahren verängstigen —, spricht mit einer schrecklichen Baßstimme gewisse Worte.<lb/> Das ist so dumm, so kindisch, daß man sich wundern muß, erwachsene Personen<lb/> dem beiwohnen zu sehen; und doch — tausende von sogenannten gebildeten Leuten<lb/> schauen, hören mit Aufmerksamkeit und begeistern sich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1324"> Siegfried mit seinem Horn und Mime kommen; sogleich werden sie im Or¬<lb/> chester durch ihre Motive angekündigt, und Siegfried und Mime fangen an zu<lb/> plaudern. Es handelt sich darum, zu erfahre», ob Siegfried die Furcht kennt oder<lb/> nicht. Dann geht Mime ab, und die Szene, die die poetischste sein soll, beginnt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1325"> Siegfried lagert sich mit seinem Trikot in einer Pose, die für schön gilt, und<lb/> hält bald Selbstgespräche, bald schweigt er. Er träumt. Er hört den Gesang der<lb/> Vögel und will ihn nachahmen. Er schneidet mit seinem Schwerte eine Binse ab<lb/> und macht daraus eine Flöte. Es wird ganz Tag, die Vögel zwitschern. Man<lb/> hört im Orchester die Töne, die sie nachahmen, mit andern Tönen gemischt, die<lb/> Siegfrieds Worte begleiten. Aber Siegfried spielt schlecht Flöte und fängt daher<lb/> an, sein Horn zu blasen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1326" next="#ID_1327"> Diese Szene ist unerträglich, nicht die geringste Spur vou Musik, d. h. von<lb/> der Kunst, dem Hörer die Seelenregung des Autors mitzuteilen. Vom musika¬<lb/> lischen Standpunkt aus ist es einfach unbegreiflich! Manchmal Brocken, Hoffnungen<lb/> auf musikalische Gedanken, aber sie verwirklichen sich nicht, und diese flüchtigen<lb/> Anfänge selbst werden noch verdunkelt durch harmonische Verwicklungen, durch<lb/> Kontrastwirkungen und durch das Unbehagen, das die UnWahrscheinlichkeit der<lb/> Handlung hervorruft, sodaß es schwierig wird, diese Anfänge auch nur zu be¬<lb/> merken, geschweige denn davon ergriffen zu sein. Was noch schwerer wiegt, das<lb/> ist die beständige pedantische Aufdringlichkeit des Autors: Vom Anfang bis zum<lb/> Ende ist, was man sieht und hört, nicht Siegfried, sondern immer einzig und allein<lb/> der deutsche Musiker, von schlechtem Ton und schlechtem Geschmack, beschränkt,<lb/> dünkelhaft, der sich von der Poesie die plumpste und elementarste Vorstellung macht,<lb/> und der sie uns dnrch die Primitivsten Mittel aufdrängen will. Man kennt das<lb/> Gefühl des Mißtrauens und des Widerstrebens, das durch eine zu merkliche Bevor¬<lb/> mundung durch den Autor in uns hervorgerufen wird. Ein Erzähler braucht uns<lb/> nur zu sagen: Jetzt bereitet euch vor zu lachen oder zu weinen, und ihr werdet<lb/> weder weinen noch lachen; wenn ihr seht, daß der Autor Rührung bei Dingen<lb/> verlangt, die nicht im entferntesten rührend, sondern vielmehr lächerlich oder ab¬<lb/> stoßend sind, wenn ihr bemerkt, daß er durchaus überzeugt davon ist, euch entzückt<lb/> zu haben, überkommt euch ein peinliches und gezwungnes Gefühl, wie wenn ihr</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0378]
Wagners Musik
Es ist Nacht, dann erscheint die Morgenröte. Übrigens, das ganze Stück ist
angefüllt von Morgenröte, von Wolken, Mondschein, Finsternis, bengalischen Feuer,
Gewittern usw. Die Szene stellt einen Wald dar; in diesem Walde ist eine
Grotte; vor dieser Grotte sitzt ein neuer Schauspieler in Trikot, der einen andern
Zwerg vorstellt. Es wird Tag. Da ist wieder der Gott Wotan mit der Lanze
in der Faust, immer als Pilger gekleidet, da ist wieder sein „Motiv," und da
hört man wieder andre, außergewöhnlich ernste Baßtöne. Sie kündigen an, was
der Drache sagen wird. Wotan erweckt den Drachen. Immer derselbe Baß, nur
noch drohender. Zuerst sagt der Drache: Ich will schlafen! Dann kommt er aus
der Höhle hervor. Der Drache wird von zwei Männern dargestellt, die mit einer
grünen Haut bedeckt sind, woran Tatzen befestigt sind. An einem Ende dieses
phantastischen Tieres müssen die Männer einen Schweif bewegen, an dem andern
Ende lassen sie es einen Krokodilsrachen aufsperren, aus dem Feuer kommt. Der
Drache, der für entsetzlich gilt — und er würde ohne Zweifel Kinder von fünf
Jahren verängstigen —, spricht mit einer schrecklichen Baßstimme gewisse Worte.
Das ist so dumm, so kindisch, daß man sich wundern muß, erwachsene Personen
dem beiwohnen zu sehen; und doch — tausende von sogenannten gebildeten Leuten
schauen, hören mit Aufmerksamkeit und begeistern sich.
Siegfried mit seinem Horn und Mime kommen; sogleich werden sie im Or¬
chester durch ihre Motive angekündigt, und Siegfried und Mime fangen an zu
plaudern. Es handelt sich darum, zu erfahre», ob Siegfried die Furcht kennt oder
nicht. Dann geht Mime ab, und die Szene, die die poetischste sein soll, beginnt.
Siegfried lagert sich mit seinem Trikot in einer Pose, die für schön gilt, und
hält bald Selbstgespräche, bald schweigt er. Er träumt. Er hört den Gesang der
Vögel und will ihn nachahmen. Er schneidet mit seinem Schwerte eine Binse ab
und macht daraus eine Flöte. Es wird ganz Tag, die Vögel zwitschern. Man
hört im Orchester die Töne, die sie nachahmen, mit andern Tönen gemischt, die
Siegfrieds Worte begleiten. Aber Siegfried spielt schlecht Flöte und fängt daher
an, sein Horn zu blasen.
Diese Szene ist unerträglich, nicht die geringste Spur vou Musik, d. h. von
der Kunst, dem Hörer die Seelenregung des Autors mitzuteilen. Vom musika¬
lischen Standpunkt aus ist es einfach unbegreiflich! Manchmal Brocken, Hoffnungen
auf musikalische Gedanken, aber sie verwirklichen sich nicht, und diese flüchtigen
Anfänge selbst werden noch verdunkelt durch harmonische Verwicklungen, durch
Kontrastwirkungen und durch das Unbehagen, das die UnWahrscheinlichkeit der
Handlung hervorruft, sodaß es schwierig wird, diese Anfänge auch nur zu be¬
merken, geschweige denn davon ergriffen zu sein. Was noch schwerer wiegt, das
ist die beständige pedantische Aufdringlichkeit des Autors: Vom Anfang bis zum
Ende ist, was man sieht und hört, nicht Siegfried, sondern immer einzig und allein
der deutsche Musiker, von schlechtem Ton und schlechtem Geschmack, beschränkt,
dünkelhaft, der sich von der Poesie die plumpste und elementarste Vorstellung macht,
und der sie uns dnrch die Primitivsten Mittel aufdrängen will. Man kennt das
Gefühl des Mißtrauens und des Widerstrebens, das durch eine zu merkliche Bevor¬
mundung durch den Autor in uns hervorgerufen wird. Ein Erzähler braucht uns
nur zu sagen: Jetzt bereitet euch vor zu lachen oder zu weinen, und ihr werdet
weder weinen noch lachen; wenn ihr seht, daß der Autor Rührung bei Dingen
verlangt, die nicht im entferntesten rührend, sondern vielmehr lächerlich oder ab¬
stoßend sind, wenn ihr bemerkt, daß er durchaus überzeugt davon ist, euch entzückt
zu haben, überkommt euch ein peinliches und gezwungnes Gefühl, wie wenn ihr
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