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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

lieferung haben. Indessen sind diese Steinbauten keineswegs die Urform der
italischen Siedlungen. Als solche gelten vielmehr die rechteckigen Pfahldörfer
der oberitalischen Terremare. Diese zeigen schon das Streben, sich zu "Ge¬
meinden" zusammenzuthun, sich von der Außenwelt abzuscheiden, sie sind auch
nach Süden gerichtet und stellen nach einem geistvollen Vergleich Wolfgang
Helbigs "die Urzelle des italischen Staats" dar.

Welch ein Schritt oder vielmehr welche Kette von Entwicklungen war es
von dieser Urform der italischen Gemeinschaft zu einer Bürgerschaft, die sich
mit einem Steinbau, wie der von Alatri ist, umschanzte! Jahrhunderte liegen
dazwischen, und Lehrmeister mannigfaltiger Art waren wirksam, wohl auch ge¬
heimnisvoller Einfluß des Orients, ehe die Jtaliker so kühne Baupläne faßten
und sich die Hebelgesetze bis zu dem Grade praktisch zu eigen gemacht hatten,
daß sie sechs Kubikmeter haltende Marmorblöcke beHauen, fortschaffen und auf¬
türmen konnten! Es handelt sich aber bei diesen Niesenwerken keineswegs
bloß um einen Triumph der Mechanik, sondern sie sind ein vollgiltiger Beweis
von der hohen Stufe der Sittlichkeit, die diese Gemeinden erklommen hatten.
Denn hier liegt keine Sklavenarbeit vor wie in Ägypten, wo die wirtschaft¬
lichen Verhältnisse das Halten von ganzen geknechteten Völkern erlaubte, sondern
eine That hochgespannter Gemeinsinns freier Bürger. Und warum entschlossen
sich diese zu einer so harten und langwierigen Arbeit, warum mißtrauten diese
Gemeinden einander so sehr, daß eine jede so starke Sicherheitsmaßregeln für
nötig hielt? Die ganze trotzige Geschlossenheit des antiken Stadtstaats kommt
hier zur Anschauung: drinnen Friede und Freund, draußen Krieg und Feind.
Die rechteckige Pflugfurche, mit der der alte Jtaliker den heiligen Bezirk
(tswxwm) seiner Stadt gegen die Außenwelt abgrenzte, bedeutete an sich schon,
auch ohne Steine, eine unübersteigliche Mauer, deren Verletzung, wie die tief¬
sinnige Sage vom Tode des Romulus zeigt, nur mit Blut gesühnt werden
konnte. Um aber dem Fremden, dem Feinde wirklich Trutz bieten zu können,
bedürfte es eines Zufluchtsortes auch für die Bürger, die im Frieden außer¬
halb der Stadtmauer auf dem offnen Acker lebten. Ein solcher Zufluchtsort
für den Kriegsfall ist die Akropolis von Alatri in erster Linie. Deshalb war
der Raum zwischen den Mauern nicht mit Wohnhäusern besetzt, sondern frei.
Erst als Alatri von den Römern bezwungen und eine unterthänige Stadt
geworden war, hauste auf dieser Höhe der römische Präfekt, und als sein
Nachfolger der christliche Bischof. Der Dom steht noch heute inmitten des
ehklopischen Mauerrings. Durch seine ursprüngliche Bestimmung rückt dieser
altitalische Bau demnach in eine Reihe mit den Stadtbürger von Tirhns und
Mhkene und der Akropolis von Athen.

Nachdem wir unsre Besichtigung beendigt und auch einige Messungen vor¬
genommen hatten, lagerten wir uns in der warmen Nachmittagssonne zu Füßen
der Burg und schauten stundenlang träumend und sinnend in die großartige


Frühlingstage am Garigliano

lieferung haben. Indessen sind diese Steinbauten keineswegs die Urform der
italischen Siedlungen. Als solche gelten vielmehr die rechteckigen Pfahldörfer
der oberitalischen Terremare. Diese zeigen schon das Streben, sich zu „Ge¬
meinden" zusammenzuthun, sich von der Außenwelt abzuscheiden, sie sind auch
nach Süden gerichtet und stellen nach einem geistvollen Vergleich Wolfgang
Helbigs „die Urzelle des italischen Staats" dar.

Welch ein Schritt oder vielmehr welche Kette von Entwicklungen war es
von dieser Urform der italischen Gemeinschaft zu einer Bürgerschaft, die sich
mit einem Steinbau, wie der von Alatri ist, umschanzte! Jahrhunderte liegen
dazwischen, und Lehrmeister mannigfaltiger Art waren wirksam, wohl auch ge¬
heimnisvoller Einfluß des Orients, ehe die Jtaliker so kühne Baupläne faßten
und sich die Hebelgesetze bis zu dem Grade praktisch zu eigen gemacht hatten,
daß sie sechs Kubikmeter haltende Marmorblöcke beHauen, fortschaffen und auf¬
türmen konnten! Es handelt sich aber bei diesen Niesenwerken keineswegs
bloß um einen Triumph der Mechanik, sondern sie sind ein vollgiltiger Beweis
von der hohen Stufe der Sittlichkeit, die diese Gemeinden erklommen hatten.
Denn hier liegt keine Sklavenarbeit vor wie in Ägypten, wo die wirtschaft¬
lichen Verhältnisse das Halten von ganzen geknechteten Völkern erlaubte, sondern
eine That hochgespannter Gemeinsinns freier Bürger. Und warum entschlossen
sich diese zu einer so harten und langwierigen Arbeit, warum mißtrauten diese
Gemeinden einander so sehr, daß eine jede so starke Sicherheitsmaßregeln für
nötig hielt? Die ganze trotzige Geschlossenheit des antiken Stadtstaats kommt
hier zur Anschauung: drinnen Friede und Freund, draußen Krieg und Feind.
Die rechteckige Pflugfurche, mit der der alte Jtaliker den heiligen Bezirk
(tswxwm) seiner Stadt gegen die Außenwelt abgrenzte, bedeutete an sich schon,
auch ohne Steine, eine unübersteigliche Mauer, deren Verletzung, wie die tief¬
sinnige Sage vom Tode des Romulus zeigt, nur mit Blut gesühnt werden
konnte. Um aber dem Fremden, dem Feinde wirklich Trutz bieten zu können,
bedürfte es eines Zufluchtsortes auch für die Bürger, die im Frieden außer¬
halb der Stadtmauer auf dem offnen Acker lebten. Ein solcher Zufluchtsort
für den Kriegsfall ist die Akropolis von Alatri in erster Linie. Deshalb war
der Raum zwischen den Mauern nicht mit Wohnhäusern besetzt, sondern frei.
Erst als Alatri von den Römern bezwungen und eine unterthänige Stadt
geworden war, hauste auf dieser Höhe der römische Präfekt, und als sein
Nachfolger der christliche Bischof. Der Dom steht noch heute inmitten des
ehklopischen Mauerrings. Durch seine ursprüngliche Bestimmung rückt dieser
altitalische Bau demnach in eine Reihe mit den Stadtbürger von Tirhns und
Mhkene und der Akropolis von Athen.

Nachdem wir unsre Besichtigung beendigt und auch einige Messungen vor¬
genommen hatten, lagerten wir uns in der warmen Nachmittagssonne zu Füßen
der Burg und schauten stundenlang träumend und sinnend in die großartige


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[0365] Frühlingstage am Garigliano lieferung haben. Indessen sind diese Steinbauten keineswegs die Urform der italischen Siedlungen. Als solche gelten vielmehr die rechteckigen Pfahldörfer der oberitalischen Terremare. Diese zeigen schon das Streben, sich zu „Ge¬ meinden" zusammenzuthun, sich von der Außenwelt abzuscheiden, sie sind auch nach Süden gerichtet und stellen nach einem geistvollen Vergleich Wolfgang Helbigs „die Urzelle des italischen Staats" dar. Welch ein Schritt oder vielmehr welche Kette von Entwicklungen war es von dieser Urform der italischen Gemeinschaft zu einer Bürgerschaft, die sich mit einem Steinbau, wie der von Alatri ist, umschanzte! Jahrhunderte liegen dazwischen, und Lehrmeister mannigfaltiger Art waren wirksam, wohl auch ge¬ heimnisvoller Einfluß des Orients, ehe die Jtaliker so kühne Baupläne faßten und sich die Hebelgesetze bis zu dem Grade praktisch zu eigen gemacht hatten, daß sie sechs Kubikmeter haltende Marmorblöcke beHauen, fortschaffen und auf¬ türmen konnten! Es handelt sich aber bei diesen Niesenwerken keineswegs bloß um einen Triumph der Mechanik, sondern sie sind ein vollgiltiger Beweis von der hohen Stufe der Sittlichkeit, die diese Gemeinden erklommen hatten. Denn hier liegt keine Sklavenarbeit vor wie in Ägypten, wo die wirtschaft¬ lichen Verhältnisse das Halten von ganzen geknechteten Völkern erlaubte, sondern eine That hochgespannter Gemeinsinns freier Bürger. Und warum entschlossen sich diese zu einer so harten und langwierigen Arbeit, warum mißtrauten diese Gemeinden einander so sehr, daß eine jede so starke Sicherheitsmaßregeln für nötig hielt? Die ganze trotzige Geschlossenheit des antiken Stadtstaats kommt hier zur Anschauung: drinnen Friede und Freund, draußen Krieg und Feind. Die rechteckige Pflugfurche, mit der der alte Jtaliker den heiligen Bezirk (tswxwm) seiner Stadt gegen die Außenwelt abgrenzte, bedeutete an sich schon, auch ohne Steine, eine unübersteigliche Mauer, deren Verletzung, wie die tief¬ sinnige Sage vom Tode des Romulus zeigt, nur mit Blut gesühnt werden konnte. Um aber dem Fremden, dem Feinde wirklich Trutz bieten zu können, bedürfte es eines Zufluchtsortes auch für die Bürger, die im Frieden außer¬ halb der Stadtmauer auf dem offnen Acker lebten. Ein solcher Zufluchtsort für den Kriegsfall ist die Akropolis von Alatri in erster Linie. Deshalb war der Raum zwischen den Mauern nicht mit Wohnhäusern besetzt, sondern frei. Erst als Alatri von den Römern bezwungen und eine unterthänige Stadt geworden war, hauste auf dieser Höhe der römische Präfekt, und als sein Nachfolger der christliche Bischof. Der Dom steht noch heute inmitten des ehklopischen Mauerrings. Durch seine ursprüngliche Bestimmung rückt dieser altitalische Bau demnach in eine Reihe mit den Stadtbürger von Tirhns und Mhkene und der Akropolis von Athen. Nachdem wir unsre Besichtigung beendigt und auch einige Messungen vor¬ genommen hatten, lagerten wir uns in der warmen Nachmittagssonne zu Füßen der Burg und schauten stundenlang träumend und sinnend in die großartige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/365>, abgerufen am 28.07.2024.