Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.Die große Kunstausstellung in Berlin Viel höher steht sein Kunstgenosse und Landsmann Charles van der Die große Kunstausstellung in Berlin Viel höher steht sein Kunstgenosse und Landsmann Charles van der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228338"/> <fw type="header" place="top"> Die große Kunstausstellung in Berlin</fw><lb/> <p xml:id="ID_86" next="#ID_87"> Viel höher steht sein Kunstgenosse und Landsmann Charles van der<lb/> Etappen, der in Berlin eine noch reichhaltigere Sammelausstellung seiner<lb/> neuern Werke veranstaltet hat, als im vorigen Jahre in Dresden. Es sind<lb/> meist Bronzen mit schwarzgrüner Patinirung, einige bronzirte Gipsabgüsse,<lb/> zwei silberne oder versilberte Tafelaufsätze und zwei Arbeiten aus Elfenbein<lb/> und vergoldetem Silber. Die beiden letzten sind nicht bloß um ihrer selbst<lb/> willen, sondern auch technisch und knnsthistorisch interessant. Das einzige, was<lb/> die kostspielige Phantasie des Königs Leopold, der Kongostaat, seinem Mutter¬<lb/> lande bisher eingebracht hat, ist eine starke Einfuhr von Elfenbein. Dieser<lb/> kostbare Stoff ist in Belgien so billig geworden, daß der König ihn den<lb/> Künstlern zur Ausführung umfangreicher Arbeiten anbieten konnte, und flugs<lb/> stieg in ihnen der Gedanke auf, die Goldelfeubeinkunst der alten Griechen, die<lb/> Phidias zur Herstellung seiner Götterbilder verwendet hat, wieder ins Leben<lb/> zu rufen. Die ersten Versuche dazu sind in großer Zahl auf der vorjährigen<lb/> Brüsseler Ausstellung gezeigt worden, und es hat auch nicht an dem Triumph¬<lb/> geschrei gefehlt, das sich bei jeder Neuerung erhebt. Wenn wir die beiden<lb/> Arbeiten van der Stappens als Maßstab der Beurteilung nehmen dürfen, so<lb/> scheint uns keine Ursache zu einem Triumphgeschrei zu Gunsten der modernen<lb/> Technik vorzuliegen. Wir dürfen aber auch nicht verschweigen, daß uns nicht<lb/> ein einziges Denkmal erhalten ist, das uns die spärlichen Notizen der alten<lb/> Schriftsteller über die griechische Goldelfenbeinkunst erläutern könnte. Vielleicht<lb/> sind aber die Versuche der belgischen Bildhauer dadurch lehrreich, daß sie uus<lb/> an Beispielen über die Grenzen der Elfenbeinbildnerei aufklären. Eine fast<lb/> lebensgroße Büste einer Frau, die den Zeigefinger der rechten Hand gegen den<lb/> Mund erhebt, von dem phantasiereichen, aber bisweilen etwas schwer verstünd¬<lb/> lichen Künstler „geheimnisvolle Sphinx" genannt, ist in allen nackten Fleisch¬<lb/> teilen aus Elfenbein geschnitten, während der den Hinterkopf von der Stirn<lb/> bis zum Nacken bedeckende Helm und ein Brustpanzer aus vergoldetem Silber¬<lb/> guß bestehen. Die koloristische Wirkung dieser Znsammensetzung ist keineswegs<lb/> kräftig. Das Gold ist stumpf, und die Flächen des Elfenbeins, von denen<lb/> man eigentlich eine Spiegelung erwartet hätte, sind auch stumpf und kalt.<lb/> Der Gesamteindruck ist der, den man von archaistischen Statuen des griechisch¬<lb/> römischen Altertums empfängt. Es ist wahrscheinlich, daß Phidias und seine<lb/> Vorgänger von ihren Kultbildern nur eine solche Wirkung erwarteten. Sie<lb/> sollten aus der Ferne angesehen und angebetet werden, und daraufhin waren<lb/> sie in ihrer Einzelbildung und in ihrer farbigen Stimmung berechnet. Für<lb/> unsre Zeit wird die Wiederbelebung dieser immerhin schönen Kunst nur dem<lb/> Kunstgewerbe zu gute kommen. Das Elfenbein ist einmal das Material ge¬<lb/> duldiger Kleinbildnerci geworden, und es wird kaum jemals wieder aus diesem<lb/> Betriebe herausgezogen werden. Das hat van der stoppen selbst mit dem<lb/> zweiten in Berlin ausgestellten Elfenbeinwerke gezeigt, dem er den Titel In</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Die große Kunstausstellung in Berlin
Viel höher steht sein Kunstgenosse und Landsmann Charles van der
Etappen, der in Berlin eine noch reichhaltigere Sammelausstellung seiner
neuern Werke veranstaltet hat, als im vorigen Jahre in Dresden. Es sind
meist Bronzen mit schwarzgrüner Patinirung, einige bronzirte Gipsabgüsse,
zwei silberne oder versilberte Tafelaufsätze und zwei Arbeiten aus Elfenbein
und vergoldetem Silber. Die beiden letzten sind nicht bloß um ihrer selbst
willen, sondern auch technisch und knnsthistorisch interessant. Das einzige, was
die kostspielige Phantasie des Königs Leopold, der Kongostaat, seinem Mutter¬
lande bisher eingebracht hat, ist eine starke Einfuhr von Elfenbein. Dieser
kostbare Stoff ist in Belgien so billig geworden, daß der König ihn den
Künstlern zur Ausführung umfangreicher Arbeiten anbieten konnte, und flugs
stieg in ihnen der Gedanke auf, die Goldelfeubeinkunst der alten Griechen, die
Phidias zur Herstellung seiner Götterbilder verwendet hat, wieder ins Leben
zu rufen. Die ersten Versuche dazu sind in großer Zahl auf der vorjährigen
Brüsseler Ausstellung gezeigt worden, und es hat auch nicht an dem Triumph¬
geschrei gefehlt, das sich bei jeder Neuerung erhebt. Wenn wir die beiden
Arbeiten van der Stappens als Maßstab der Beurteilung nehmen dürfen, so
scheint uns keine Ursache zu einem Triumphgeschrei zu Gunsten der modernen
Technik vorzuliegen. Wir dürfen aber auch nicht verschweigen, daß uns nicht
ein einziges Denkmal erhalten ist, das uns die spärlichen Notizen der alten
Schriftsteller über die griechische Goldelfenbeinkunst erläutern könnte. Vielleicht
sind aber die Versuche der belgischen Bildhauer dadurch lehrreich, daß sie uus
an Beispielen über die Grenzen der Elfenbeinbildnerei aufklären. Eine fast
lebensgroße Büste einer Frau, die den Zeigefinger der rechten Hand gegen den
Mund erhebt, von dem phantasiereichen, aber bisweilen etwas schwer verstünd¬
lichen Künstler „geheimnisvolle Sphinx" genannt, ist in allen nackten Fleisch¬
teilen aus Elfenbein geschnitten, während der den Hinterkopf von der Stirn
bis zum Nacken bedeckende Helm und ein Brustpanzer aus vergoldetem Silber¬
guß bestehen. Die koloristische Wirkung dieser Znsammensetzung ist keineswegs
kräftig. Das Gold ist stumpf, und die Flächen des Elfenbeins, von denen
man eigentlich eine Spiegelung erwartet hätte, sind auch stumpf und kalt.
Der Gesamteindruck ist der, den man von archaistischen Statuen des griechisch¬
römischen Altertums empfängt. Es ist wahrscheinlich, daß Phidias und seine
Vorgänger von ihren Kultbildern nur eine solche Wirkung erwarteten. Sie
sollten aus der Ferne angesehen und angebetet werden, und daraufhin waren
sie in ihrer Einzelbildung und in ihrer farbigen Stimmung berechnet. Für
unsre Zeit wird die Wiederbelebung dieser immerhin schönen Kunst nur dem
Kunstgewerbe zu gute kommen. Das Elfenbein ist einmal das Material ge¬
duldiger Kleinbildnerci geworden, und es wird kaum jemals wieder aus diesem
Betriebe herausgezogen werden. Das hat van der stoppen selbst mit dem
zweiten in Berlin ausgestellten Elfenbeinwerke gezeigt, dem er den Titel In
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