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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Dogmenzwang, der die Anhänger jedes Bekenntnisses daran gewöhnt, mit dem
Munde zu bekennen, was sie entweder nicht für wahr halten, oder woran sie
Zweifeln, oder was sie bloß nachsprechen, ohne sich um den Sinn zu kümmern.
Die dritte ist der Zwang, sich zu den Grundsätzen einer übermenschlich strengen
Moral zu bekennen, die zu befolgen oder überhaupt ernst zu nehmen fast keinem
einfällt, sobald er dem jugendlichen Alter entwachsen ist. Diese dritte Quelle des
Unheils könnte einigermaßen verstopft werden, wenn man beachten wollte, daß
das Christentum, wie vorher schon angedeutet worden ist, eine nur für wenige
bestimmte und nur wenigen zugängliche esoterische Religion ist, die jedoch zu¬
gleich die Bestimmung hat, auch die Massen der Uneingeweihten zu erheben,
vor Fäulnis zu bewahren und ihr Dasein zu ordnen. Christus selbst hat das
so deutlich wie möglich gesagt. Er nennt seine Jünger das Salz der Erde,
womit die zweite Bestimmung seiner Stiftung angedeutet ist. Er hat aber
auch gesagt, daß der Weg zum Himmel schmal sei, und daß nur wenige darauf
wandelten, und er hat oft das Wort wiederholt: Viele sind berufen, aber
wenige auserwühlt. Zunächst hat das den Sinn, daß von denen, die dem
Rufe der Heilsboten folgen, nur wenige echte Jünger werden; nachdem aber
dann die äußerliche Heilsanstalt eine Sache der weltlichen Politik geworden
ist und mit dem Schwerte verbreitet wird, sodaß die nicht Eintretenden aus¬
gerottet und alle Nachkommen der zwangsweise bekehrten zwangsweise in der
Kirche festgehalten werden, da ist die Möglichkeit, daß alle Namenchristen
oder auch nur ihre Mehrzahl wirklich Christen sein könnten, von vornherein
ausgeschlossen. Die Renaissancepäpste mit ihrer fideler Klerisei, die blut¬
dürstigen finstern Puritaner, die spanische, die schwedische und holländische
Soldateska der Religionskriege, und die Herren vom Bunde der Landwirte
sind sehr verschiedne Spezies des Genus Christ, aber zweierlei ist ihnen allen
gemeinsam: erstens sind sie allesamt stramme Vertreter des Namenchristentums,
und zweitens sind sie allesamt so weit entfernt vom Geiste der Bergpredigt,
daß es nur ein blasphemischer Possendichter unternehmen könnte, sie als dieses
Geistes Verkörperung darzustellen. Auch die linke Wange darbieten, wenn
man einen Schlag ans die rechte bekommen hat, dem, der einem im Prozeß
den Rock nehmen will, auch noch den Mantel lassen, dem Mammon absagen,
ausschließlich nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten und
die Seligkeit in der Armut, in der Sanftmut und im Leiden um der Ge¬
rechtigkeit willen suchen -- das soll einer den kampflustigen germanischen Recken
des Zirkus Busch einmal zumuten!

Xenophons Cyropädie enthält eine wunderbare Stelle, die einen Finger¬
zeig giebt, wie die Schwierigkeit für die christliche Pädagogik -- zwar wohl
nicht ganz aufgehoben, aber doch bedeutend gemildert werden könnte, nament¬
lich mit Beziehung auf das Gebot der Feindesliebe. Der Vater bereitet den
Eyrus auf den bevorstehenden Krieg vor und sagt ihm unter anderm, wer


Dogmenzwang, der die Anhänger jedes Bekenntnisses daran gewöhnt, mit dem
Munde zu bekennen, was sie entweder nicht für wahr halten, oder woran sie
Zweifeln, oder was sie bloß nachsprechen, ohne sich um den Sinn zu kümmern.
Die dritte ist der Zwang, sich zu den Grundsätzen einer übermenschlich strengen
Moral zu bekennen, die zu befolgen oder überhaupt ernst zu nehmen fast keinem
einfällt, sobald er dem jugendlichen Alter entwachsen ist. Diese dritte Quelle des
Unheils könnte einigermaßen verstopft werden, wenn man beachten wollte, daß
das Christentum, wie vorher schon angedeutet worden ist, eine nur für wenige
bestimmte und nur wenigen zugängliche esoterische Religion ist, die jedoch zu¬
gleich die Bestimmung hat, auch die Massen der Uneingeweihten zu erheben,
vor Fäulnis zu bewahren und ihr Dasein zu ordnen. Christus selbst hat das
so deutlich wie möglich gesagt. Er nennt seine Jünger das Salz der Erde,
womit die zweite Bestimmung seiner Stiftung angedeutet ist. Er hat aber
auch gesagt, daß der Weg zum Himmel schmal sei, und daß nur wenige darauf
wandelten, und er hat oft das Wort wiederholt: Viele sind berufen, aber
wenige auserwühlt. Zunächst hat das den Sinn, daß von denen, die dem
Rufe der Heilsboten folgen, nur wenige echte Jünger werden; nachdem aber
dann die äußerliche Heilsanstalt eine Sache der weltlichen Politik geworden
ist und mit dem Schwerte verbreitet wird, sodaß die nicht Eintretenden aus¬
gerottet und alle Nachkommen der zwangsweise bekehrten zwangsweise in der
Kirche festgehalten werden, da ist die Möglichkeit, daß alle Namenchristen
oder auch nur ihre Mehrzahl wirklich Christen sein könnten, von vornherein
ausgeschlossen. Die Renaissancepäpste mit ihrer fideler Klerisei, die blut¬
dürstigen finstern Puritaner, die spanische, die schwedische und holländische
Soldateska der Religionskriege, und die Herren vom Bunde der Landwirte
sind sehr verschiedne Spezies des Genus Christ, aber zweierlei ist ihnen allen
gemeinsam: erstens sind sie allesamt stramme Vertreter des Namenchristentums,
und zweitens sind sie allesamt so weit entfernt vom Geiste der Bergpredigt,
daß es nur ein blasphemischer Possendichter unternehmen könnte, sie als dieses
Geistes Verkörperung darzustellen. Auch die linke Wange darbieten, wenn
man einen Schlag ans die rechte bekommen hat, dem, der einem im Prozeß
den Rock nehmen will, auch noch den Mantel lassen, dem Mammon absagen,
ausschließlich nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten und
die Seligkeit in der Armut, in der Sanftmut und im Leiden um der Ge¬
rechtigkeit willen suchen — das soll einer den kampflustigen germanischen Recken
des Zirkus Busch einmal zumuten!

Xenophons Cyropädie enthält eine wunderbare Stelle, die einen Finger¬
zeig giebt, wie die Schwierigkeit für die christliche Pädagogik — zwar wohl
nicht ganz aufgehoben, aber doch bedeutend gemildert werden könnte, nament¬
lich mit Beziehung auf das Gebot der Feindesliebe. Der Vater bereitet den
Eyrus auf den bevorstehenden Krieg vor und sagt ihm unter anderm, wer


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[0307] Dogmenzwang, der die Anhänger jedes Bekenntnisses daran gewöhnt, mit dem Munde zu bekennen, was sie entweder nicht für wahr halten, oder woran sie Zweifeln, oder was sie bloß nachsprechen, ohne sich um den Sinn zu kümmern. Die dritte ist der Zwang, sich zu den Grundsätzen einer übermenschlich strengen Moral zu bekennen, die zu befolgen oder überhaupt ernst zu nehmen fast keinem einfällt, sobald er dem jugendlichen Alter entwachsen ist. Diese dritte Quelle des Unheils könnte einigermaßen verstopft werden, wenn man beachten wollte, daß das Christentum, wie vorher schon angedeutet worden ist, eine nur für wenige bestimmte und nur wenigen zugängliche esoterische Religion ist, die jedoch zu¬ gleich die Bestimmung hat, auch die Massen der Uneingeweihten zu erheben, vor Fäulnis zu bewahren und ihr Dasein zu ordnen. Christus selbst hat das so deutlich wie möglich gesagt. Er nennt seine Jünger das Salz der Erde, womit die zweite Bestimmung seiner Stiftung angedeutet ist. Er hat aber auch gesagt, daß der Weg zum Himmel schmal sei, und daß nur wenige darauf wandelten, und er hat oft das Wort wiederholt: Viele sind berufen, aber wenige auserwühlt. Zunächst hat das den Sinn, daß von denen, die dem Rufe der Heilsboten folgen, nur wenige echte Jünger werden; nachdem aber dann die äußerliche Heilsanstalt eine Sache der weltlichen Politik geworden ist und mit dem Schwerte verbreitet wird, sodaß die nicht Eintretenden aus¬ gerottet und alle Nachkommen der zwangsweise bekehrten zwangsweise in der Kirche festgehalten werden, da ist die Möglichkeit, daß alle Namenchristen oder auch nur ihre Mehrzahl wirklich Christen sein könnten, von vornherein ausgeschlossen. Die Renaissancepäpste mit ihrer fideler Klerisei, die blut¬ dürstigen finstern Puritaner, die spanische, die schwedische und holländische Soldateska der Religionskriege, und die Herren vom Bunde der Landwirte sind sehr verschiedne Spezies des Genus Christ, aber zweierlei ist ihnen allen gemeinsam: erstens sind sie allesamt stramme Vertreter des Namenchristentums, und zweitens sind sie allesamt so weit entfernt vom Geiste der Bergpredigt, daß es nur ein blasphemischer Possendichter unternehmen könnte, sie als dieses Geistes Verkörperung darzustellen. Auch die linke Wange darbieten, wenn man einen Schlag ans die rechte bekommen hat, dem, der einem im Prozeß den Rock nehmen will, auch noch den Mantel lassen, dem Mammon absagen, ausschließlich nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten und die Seligkeit in der Armut, in der Sanftmut und im Leiden um der Ge¬ rechtigkeit willen suchen — das soll einer den kampflustigen germanischen Recken des Zirkus Busch einmal zumuten! Xenophons Cyropädie enthält eine wunderbare Stelle, die einen Finger¬ zeig giebt, wie die Schwierigkeit für die christliche Pädagogik — zwar wohl nicht ganz aufgehoben, aber doch bedeutend gemildert werden könnte, nament¬ lich mit Beziehung auf das Gebot der Feindesliebe. Der Vater bereitet den Eyrus auf den bevorstehenden Krieg vor und sagt ihm unter anderm, wer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/307>, abgerufen am 28.07.2024.