Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die große Kunstausstellung in Berlin

des Sommers ihre Samuel- und Sonderausstellungen fortzusetzen. Aber der
Sommer ist solchen Unternehmungen in Berlin niemals günstig gewesen, und
die Parkidylle, in deren Mitte das Landesausstellungsgebüude eingebettet ist,
lockt so mächtig, daß die Kunst in Berlin während des Sommers nnr dort
blüht, wo sie sich mit der Natur verbunden hat.

Es ist darum begreiflich, daß ein Künstler, dessen Werk von der Aus-
stellungsjurh zurückgewiesen wird, darin nicht bloß eine Kränkung seiner künst¬
lerischen Ehre, sondern auch eine schwere Schädigung seines Erwerbs sieht,
die einzelne Sanguiniker sogar als die völlige Untergrabung ihres materiellen
Daseins, als eine Vernichtung ihrer künstlerischen Fähigkeiten und eine
dringende Einladung zum Selbstmord betrachten. Stärker als je zuvor hat
sich der Verdruß der Abgewiesenen in diesem Jahre Luft gemacht, vielleicht
nnr darum, weil sich ein Berliner Lokalblatt, das außer dem Sport, die aus¬
führlichsten und zuverlässigsten Nachrichten über Kapitalverbrechen, Unglücksfälle
und Skandalgeschichten der Hauptstadt zu bieten, noch den andern betreibt,
Generalvertreter der öffentlichen Meinung, d. h. in diesem Falle der Meinung
der Berliner zu werden, der unglücklichen Zurückgewiesenen mit liebevollem
Mitleid angenommen hat. Man hat ein wahrhaft erschütterndes Schmerz¬
geschrei gehört; aber keiner der Gequälten hat den Mut gehabt, dem Publikum
seinen Namen zu nennen. Die Künstler, die sich so oft und bitter über die
Anonymität der Kritik beschwert haben, hüllen sich in düsteres Schweigen,
wenn sie eine Niederlage erlitten haben, die doch nach ihrer und ihrer Genossen
Meinung keine ist. Wenn die Mitglieder der Jury wirklich so blinde Geister,
so niedrige Seelen sind, daß sie aus Neid und andrer Niedertracht keinen auf¬
kommen lassen, der etwas kann, sondern nur die ihnen unschädliche Mittel¬
mäßigkeit wohlwollend schützen, so wühlt doch andre Juroren. Ihr habt das
Recht und die Macht dazu, wenn ihr nur Mitglieder des Künstlervereins
werdet! Aber viele dünken sich zu vornehm dazu, und nicht selten sind ihnen
die Ausnahmebedingungen lästig. Man wird finden, daß den anonymen
Schreiern und Schreibern nicht einmal der einfachste Grundsatz des bürger¬
lichen Sittengesetzes, daß Rechte auch Pflichten voraussetzen, geläufig ist.
Was ihnen aber vor allem fehlt, ist der Mut, ihre Überzeugung auch öffent¬
lich zu vertreten, nicht in Zeitungsartikeln, die sie mit ihrem Namen unter¬
zeichnen, sondern mit der Ausstellung der zurückgewiesenen Werke. Ruft doch
das Publikum zum Richter an, wenn ihr das Urteil der gewählten Preis¬
richter, trotzdem daß ihr euch schriftlich zur Unterwerfung darunter verpflichtet
habt, nicht ciuerkenueu wollet Aber bis jetzt hat noch nicht ein einziger der
Zurückgewiesenen den Mut und die Entschlossenheit gehabt, an das besser zu
unterrichtende Publikum zu appelliren. An stürmischen Versammlungen hat
es nicht gefehlt. Es sind sogar viele Namen in der Presse genannt worden,
aber unter ihren Trügern war keiner, der zu den Zuriickgewiesenen gehörte.


Die große Kunstausstellung in Berlin

des Sommers ihre Samuel- und Sonderausstellungen fortzusetzen. Aber der
Sommer ist solchen Unternehmungen in Berlin niemals günstig gewesen, und
die Parkidylle, in deren Mitte das Landesausstellungsgebüude eingebettet ist,
lockt so mächtig, daß die Kunst in Berlin während des Sommers nnr dort
blüht, wo sie sich mit der Natur verbunden hat.

Es ist darum begreiflich, daß ein Künstler, dessen Werk von der Aus-
stellungsjurh zurückgewiesen wird, darin nicht bloß eine Kränkung seiner künst¬
lerischen Ehre, sondern auch eine schwere Schädigung seines Erwerbs sieht,
die einzelne Sanguiniker sogar als die völlige Untergrabung ihres materiellen
Daseins, als eine Vernichtung ihrer künstlerischen Fähigkeiten und eine
dringende Einladung zum Selbstmord betrachten. Stärker als je zuvor hat
sich der Verdruß der Abgewiesenen in diesem Jahre Luft gemacht, vielleicht
nnr darum, weil sich ein Berliner Lokalblatt, das außer dem Sport, die aus¬
führlichsten und zuverlässigsten Nachrichten über Kapitalverbrechen, Unglücksfälle
und Skandalgeschichten der Hauptstadt zu bieten, noch den andern betreibt,
Generalvertreter der öffentlichen Meinung, d. h. in diesem Falle der Meinung
der Berliner zu werden, der unglücklichen Zurückgewiesenen mit liebevollem
Mitleid angenommen hat. Man hat ein wahrhaft erschütterndes Schmerz¬
geschrei gehört; aber keiner der Gequälten hat den Mut gehabt, dem Publikum
seinen Namen zu nennen. Die Künstler, die sich so oft und bitter über die
Anonymität der Kritik beschwert haben, hüllen sich in düsteres Schweigen,
wenn sie eine Niederlage erlitten haben, die doch nach ihrer und ihrer Genossen
Meinung keine ist. Wenn die Mitglieder der Jury wirklich so blinde Geister,
so niedrige Seelen sind, daß sie aus Neid und andrer Niedertracht keinen auf¬
kommen lassen, der etwas kann, sondern nur die ihnen unschädliche Mittel¬
mäßigkeit wohlwollend schützen, so wühlt doch andre Juroren. Ihr habt das
Recht und die Macht dazu, wenn ihr nur Mitglieder des Künstlervereins
werdet! Aber viele dünken sich zu vornehm dazu, und nicht selten sind ihnen
die Ausnahmebedingungen lästig. Man wird finden, daß den anonymen
Schreiern und Schreibern nicht einmal der einfachste Grundsatz des bürger¬
lichen Sittengesetzes, daß Rechte auch Pflichten voraussetzen, geläufig ist.
Was ihnen aber vor allem fehlt, ist der Mut, ihre Überzeugung auch öffent¬
lich zu vertreten, nicht in Zeitungsartikeln, die sie mit ihrem Namen unter¬
zeichnen, sondern mit der Ausstellung der zurückgewiesenen Werke. Ruft doch
das Publikum zum Richter an, wenn ihr das Urteil der gewählten Preis¬
richter, trotzdem daß ihr euch schriftlich zur Unterwerfung darunter verpflichtet
habt, nicht ciuerkenueu wollet Aber bis jetzt hat noch nicht ein einziger der
Zurückgewiesenen den Mut und die Entschlossenheit gehabt, an das besser zu
unterrichtende Publikum zu appelliren. An stürmischen Versammlungen hat
es nicht gefehlt. Es sind sogar viele Namen in der Presse genannt worden,
aber unter ihren Trügern war keiner, der zu den Zuriickgewiesenen gehörte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228331"/>
          <fw type="header" place="top"> Die große Kunstausstellung in Berlin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_72" prev="#ID_71"> des Sommers ihre Samuel- und Sonderausstellungen fortzusetzen. Aber der<lb/>
Sommer ist solchen Unternehmungen in Berlin niemals günstig gewesen, und<lb/>
die Parkidylle, in deren Mitte das Landesausstellungsgebüude eingebettet ist,<lb/>
lockt so mächtig, daß die Kunst in Berlin während des Sommers nnr dort<lb/>
blüht, wo sie sich mit der Natur verbunden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_73" next="#ID_74"> Es ist darum begreiflich, daß ein Künstler, dessen Werk von der Aus-<lb/>
stellungsjurh zurückgewiesen wird, darin nicht bloß eine Kränkung seiner künst¬<lb/>
lerischen Ehre, sondern auch eine schwere Schädigung seines Erwerbs sieht,<lb/>
die einzelne Sanguiniker sogar als die völlige Untergrabung ihres materiellen<lb/>
Daseins, als eine Vernichtung ihrer künstlerischen Fähigkeiten und eine<lb/>
dringende Einladung zum Selbstmord betrachten. Stärker als je zuvor hat<lb/>
sich der Verdruß der Abgewiesenen in diesem Jahre Luft gemacht, vielleicht<lb/>
nnr darum, weil sich ein Berliner Lokalblatt, das außer dem Sport, die aus¬<lb/>
führlichsten und zuverlässigsten Nachrichten über Kapitalverbrechen, Unglücksfälle<lb/>
und Skandalgeschichten der Hauptstadt zu bieten, noch den andern betreibt,<lb/>
Generalvertreter der öffentlichen Meinung, d. h. in diesem Falle der Meinung<lb/>
der Berliner zu werden, der unglücklichen Zurückgewiesenen mit liebevollem<lb/>
Mitleid angenommen hat. Man hat ein wahrhaft erschütterndes Schmerz¬<lb/>
geschrei gehört; aber keiner der Gequälten hat den Mut gehabt, dem Publikum<lb/>
seinen Namen zu nennen. Die Künstler, die sich so oft und bitter über die<lb/>
Anonymität der Kritik beschwert haben, hüllen sich in düsteres Schweigen,<lb/>
wenn sie eine Niederlage erlitten haben, die doch nach ihrer und ihrer Genossen<lb/>
Meinung keine ist. Wenn die Mitglieder der Jury wirklich so blinde Geister,<lb/>
so niedrige Seelen sind, daß sie aus Neid und andrer Niedertracht keinen auf¬<lb/>
kommen lassen, der etwas kann, sondern nur die ihnen unschädliche Mittel¬<lb/>
mäßigkeit wohlwollend schützen, so wühlt doch andre Juroren. Ihr habt das<lb/>
Recht und die Macht dazu, wenn ihr nur Mitglieder des Künstlervereins<lb/>
werdet! Aber viele dünken sich zu vornehm dazu, und nicht selten sind ihnen<lb/>
die Ausnahmebedingungen lästig. Man wird finden, daß den anonymen<lb/>
Schreiern und Schreibern nicht einmal der einfachste Grundsatz des bürger¬<lb/>
lichen Sittengesetzes, daß Rechte auch Pflichten voraussetzen, geläufig ist.<lb/>
Was ihnen aber vor allem fehlt, ist der Mut, ihre Überzeugung auch öffent¬<lb/>
lich zu vertreten, nicht in Zeitungsartikeln, die sie mit ihrem Namen unter¬<lb/>
zeichnen, sondern mit der Ausstellung der zurückgewiesenen Werke. Ruft doch<lb/>
das Publikum zum Richter an, wenn ihr das Urteil der gewählten Preis¬<lb/>
richter, trotzdem daß ihr euch schriftlich zur Unterwerfung darunter verpflichtet<lb/>
habt, nicht ciuerkenueu wollet Aber bis jetzt hat noch nicht ein einziger der<lb/>
Zurückgewiesenen den Mut und die Entschlossenheit gehabt, an das besser zu<lb/>
unterrichtende Publikum zu appelliren. An stürmischen Versammlungen hat<lb/>
es nicht gefehlt. Es sind sogar viele Namen in der Presse genannt worden,<lb/>
aber unter ihren Trügern war keiner, der zu den Zuriickgewiesenen gehörte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] Die große Kunstausstellung in Berlin des Sommers ihre Samuel- und Sonderausstellungen fortzusetzen. Aber der Sommer ist solchen Unternehmungen in Berlin niemals günstig gewesen, und die Parkidylle, in deren Mitte das Landesausstellungsgebüude eingebettet ist, lockt so mächtig, daß die Kunst in Berlin während des Sommers nnr dort blüht, wo sie sich mit der Natur verbunden hat. Es ist darum begreiflich, daß ein Künstler, dessen Werk von der Aus- stellungsjurh zurückgewiesen wird, darin nicht bloß eine Kränkung seiner künst¬ lerischen Ehre, sondern auch eine schwere Schädigung seines Erwerbs sieht, die einzelne Sanguiniker sogar als die völlige Untergrabung ihres materiellen Daseins, als eine Vernichtung ihrer künstlerischen Fähigkeiten und eine dringende Einladung zum Selbstmord betrachten. Stärker als je zuvor hat sich der Verdruß der Abgewiesenen in diesem Jahre Luft gemacht, vielleicht nnr darum, weil sich ein Berliner Lokalblatt, das außer dem Sport, die aus¬ führlichsten und zuverlässigsten Nachrichten über Kapitalverbrechen, Unglücksfälle und Skandalgeschichten der Hauptstadt zu bieten, noch den andern betreibt, Generalvertreter der öffentlichen Meinung, d. h. in diesem Falle der Meinung der Berliner zu werden, der unglücklichen Zurückgewiesenen mit liebevollem Mitleid angenommen hat. Man hat ein wahrhaft erschütterndes Schmerz¬ geschrei gehört; aber keiner der Gequälten hat den Mut gehabt, dem Publikum seinen Namen zu nennen. Die Künstler, die sich so oft und bitter über die Anonymität der Kritik beschwert haben, hüllen sich in düsteres Schweigen, wenn sie eine Niederlage erlitten haben, die doch nach ihrer und ihrer Genossen Meinung keine ist. Wenn die Mitglieder der Jury wirklich so blinde Geister, so niedrige Seelen sind, daß sie aus Neid und andrer Niedertracht keinen auf¬ kommen lassen, der etwas kann, sondern nur die ihnen unschädliche Mittel¬ mäßigkeit wohlwollend schützen, so wühlt doch andre Juroren. Ihr habt das Recht und die Macht dazu, wenn ihr nur Mitglieder des Künstlervereins werdet! Aber viele dünken sich zu vornehm dazu, und nicht selten sind ihnen die Ausnahmebedingungen lästig. Man wird finden, daß den anonymen Schreiern und Schreibern nicht einmal der einfachste Grundsatz des bürger¬ lichen Sittengesetzes, daß Rechte auch Pflichten voraussetzen, geläufig ist. Was ihnen aber vor allem fehlt, ist der Mut, ihre Überzeugung auch öffent¬ lich zu vertreten, nicht in Zeitungsartikeln, die sie mit ihrem Namen unter¬ zeichnen, sondern mit der Ausstellung der zurückgewiesenen Werke. Ruft doch das Publikum zum Richter an, wenn ihr das Urteil der gewählten Preis¬ richter, trotzdem daß ihr euch schriftlich zur Unterwerfung darunter verpflichtet habt, nicht ciuerkenueu wollet Aber bis jetzt hat noch nicht ein einziger der Zurückgewiesenen den Mut und die Entschlossenheit gehabt, an das besser zu unterrichtende Publikum zu appelliren. An stürmischen Versammlungen hat es nicht gefehlt. Es sind sogar viele Namen in der Presse genannt worden, aber unter ihren Trügern war keiner, der zu den Zuriickgewiesenen gehörte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/29
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/29>, abgerufen am 01.09.2024.