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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

und da der Schnee noch so reichlich die obersten Vergkämme bedeckt. Bei
jeder Windung der Straße werden neue Naturschönheiten offenbar, und da¬
zwischen liebliche Genrebilder aus dem Volksleben des Thales. Kinder treiben
zur Osterfreude ein besonders geliebtes Haustier auf die Weide, ein Schaf oder
einen Esel, am häufigsten aber erscheint als Spielgefährte das Schwein, eine
saubere, hochbeinige, schwarze Rasse, edler in Aussehen und Haltung als der
mitteldeutsche Fettwälzer, auch wohlschmeckender.

Bald erscheint zur Linken eine malerische Ortschaft, von einem gewaltigen
Kastell überragt: es ist Valsorano. Die oberste Thalstufe des Liris ist hier zu
Ende, und es beginnt eine zweite: das Thal von Sora. Das ist wohl auch
die Bedeutung des Ortsnamens Valsorano, der soviel wie Valle Sorana be¬
deutet. Sora, die altberühmte Hauptstadt dieses Thalstückes, liegt 2^/2 Stunden
weiter abwärts. Zugleich verlassen wir nun auch das Gebiet der Marser und
kommen in das der Volsker: die Grenzwacht zwischen beiden Stämmen lag
hier wahrscheinlich auf derselben Stelle, wo sich jetzt das Kastell von Valsorano
so trotzig erhebt. Hier verließen wir den Wagen. Denn als deutsche Wanders-
leute fühlten wir das Bedürfnis, uns die noch weiter bevorstehenden Genüsse
durch die Strapazen einer Fußwanderung gewissermaßen zu verdienen. Wir
widerstanden also den Lockungen der rechts an der Straße winkenden saubern
Locanda, deren schöne Wirtin soeben im Festtagsschmuck vor der Thür er¬
schien, nahmen zum Erstannen unsers Kutschers, den wir hier entließen, das
Gepäck auf den Rücken, Mantel und Schirm in die Hand und wanderten
fürbaß. Es war nicht wohlgethan. Denn es war um die Mittagszeit. Und
obwohl wir im Wagen fahrend keine Hitze bemerkt hatten, sondern nur die
angenehme Wärme eines deutschen Maitages, so war doch beim Gehen die
Insolation so stark, daß sie dem bepackten Wandrer bald lästig wurde. Trotzdem
erheiterten uns in unsrer selbstgewählten Drangsal manche anmutigen Bilder
neapolitanischen Volkslebens, die sich uns auf der Landstraße darboten. Hie
und da brachten junge Burschen mit Hirtenflöte und Dudelsack der schönen
Insassin eines Hauses ein Ständchen; da und dort saß auch ein Mädchen am
Wege, den schwarzgelockten Kopf ihres Schatzes im Schoße haltend, und erwies
ihm jene im Neapolitanischen recht verständliche Wohlthat, die Murillo so an¬
mutig zu malen versteht.

Endlich rückte der schwarze Fels von Sora, den eine riesige viereckige
Akropolis krönt, näher, und nach zweieinhalbstündiger Wanderung erreichten
wir mit rotglühenden Köpfen die ersehnte Stadt.

(Fortsetzung folgt)




Frühlingstage am Garigliano

und da der Schnee noch so reichlich die obersten Vergkämme bedeckt. Bei
jeder Windung der Straße werden neue Naturschönheiten offenbar, und da¬
zwischen liebliche Genrebilder aus dem Volksleben des Thales. Kinder treiben
zur Osterfreude ein besonders geliebtes Haustier auf die Weide, ein Schaf oder
einen Esel, am häufigsten aber erscheint als Spielgefährte das Schwein, eine
saubere, hochbeinige, schwarze Rasse, edler in Aussehen und Haltung als der
mitteldeutsche Fettwälzer, auch wohlschmeckender.

Bald erscheint zur Linken eine malerische Ortschaft, von einem gewaltigen
Kastell überragt: es ist Valsorano. Die oberste Thalstufe des Liris ist hier zu
Ende, und es beginnt eine zweite: das Thal von Sora. Das ist wohl auch
die Bedeutung des Ortsnamens Valsorano, der soviel wie Valle Sorana be¬
deutet. Sora, die altberühmte Hauptstadt dieses Thalstückes, liegt 2^/2 Stunden
weiter abwärts. Zugleich verlassen wir nun auch das Gebiet der Marser und
kommen in das der Volsker: die Grenzwacht zwischen beiden Stämmen lag
hier wahrscheinlich auf derselben Stelle, wo sich jetzt das Kastell von Valsorano
so trotzig erhebt. Hier verließen wir den Wagen. Denn als deutsche Wanders-
leute fühlten wir das Bedürfnis, uns die noch weiter bevorstehenden Genüsse
durch die Strapazen einer Fußwanderung gewissermaßen zu verdienen. Wir
widerstanden also den Lockungen der rechts an der Straße winkenden saubern
Locanda, deren schöne Wirtin soeben im Festtagsschmuck vor der Thür er¬
schien, nahmen zum Erstannen unsers Kutschers, den wir hier entließen, das
Gepäck auf den Rücken, Mantel und Schirm in die Hand und wanderten
fürbaß. Es war nicht wohlgethan. Denn es war um die Mittagszeit. Und
obwohl wir im Wagen fahrend keine Hitze bemerkt hatten, sondern nur die
angenehme Wärme eines deutschen Maitages, so war doch beim Gehen die
Insolation so stark, daß sie dem bepackten Wandrer bald lästig wurde. Trotzdem
erheiterten uns in unsrer selbstgewählten Drangsal manche anmutigen Bilder
neapolitanischen Volkslebens, die sich uns auf der Landstraße darboten. Hie
und da brachten junge Burschen mit Hirtenflöte und Dudelsack der schönen
Insassin eines Hauses ein Ständchen; da und dort saß auch ein Mädchen am
Wege, den schwarzgelockten Kopf ihres Schatzes im Schoße haltend, und erwies
ihm jene im Neapolitanischen recht verständliche Wohlthat, die Murillo so an¬
mutig zu malen versteht.

Endlich rückte der schwarze Fels von Sora, den eine riesige viereckige
Akropolis krönt, näher, und nach zweieinhalbstündiger Wanderung erreichten
wir mit rotglühenden Köpfen die ersehnte Stadt.

(Fortsetzung folgt)




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[0282] Frühlingstage am Garigliano und da der Schnee noch so reichlich die obersten Vergkämme bedeckt. Bei jeder Windung der Straße werden neue Naturschönheiten offenbar, und da¬ zwischen liebliche Genrebilder aus dem Volksleben des Thales. Kinder treiben zur Osterfreude ein besonders geliebtes Haustier auf die Weide, ein Schaf oder einen Esel, am häufigsten aber erscheint als Spielgefährte das Schwein, eine saubere, hochbeinige, schwarze Rasse, edler in Aussehen und Haltung als der mitteldeutsche Fettwälzer, auch wohlschmeckender. Bald erscheint zur Linken eine malerische Ortschaft, von einem gewaltigen Kastell überragt: es ist Valsorano. Die oberste Thalstufe des Liris ist hier zu Ende, und es beginnt eine zweite: das Thal von Sora. Das ist wohl auch die Bedeutung des Ortsnamens Valsorano, der soviel wie Valle Sorana be¬ deutet. Sora, die altberühmte Hauptstadt dieses Thalstückes, liegt 2^/2 Stunden weiter abwärts. Zugleich verlassen wir nun auch das Gebiet der Marser und kommen in das der Volsker: die Grenzwacht zwischen beiden Stämmen lag hier wahrscheinlich auf derselben Stelle, wo sich jetzt das Kastell von Valsorano so trotzig erhebt. Hier verließen wir den Wagen. Denn als deutsche Wanders- leute fühlten wir das Bedürfnis, uns die noch weiter bevorstehenden Genüsse durch die Strapazen einer Fußwanderung gewissermaßen zu verdienen. Wir widerstanden also den Lockungen der rechts an der Straße winkenden saubern Locanda, deren schöne Wirtin soeben im Festtagsschmuck vor der Thür er¬ schien, nahmen zum Erstannen unsers Kutschers, den wir hier entließen, das Gepäck auf den Rücken, Mantel und Schirm in die Hand und wanderten fürbaß. Es war nicht wohlgethan. Denn es war um die Mittagszeit. Und obwohl wir im Wagen fahrend keine Hitze bemerkt hatten, sondern nur die angenehme Wärme eines deutschen Maitages, so war doch beim Gehen die Insolation so stark, daß sie dem bepackten Wandrer bald lästig wurde. Trotzdem erheiterten uns in unsrer selbstgewählten Drangsal manche anmutigen Bilder neapolitanischen Volkslebens, die sich uns auf der Landstraße darboten. Hie und da brachten junge Burschen mit Hirtenflöte und Dudelsack der schönen Insassin eines Hauses ein Ständchen; da und dort saß auch ein Mädchen am Wege, den schwarzgelockten Kopf ihres Schatzes im Schoße haltend, und erwies ihm jene im Neapolitanischen recht verständliche Wohlthat, die Murillo so an¬ mutig zu malen versteht. Endlich rückte der schwarze Fels von Sora, den eine riesige viereckige Akropolis krönt, näher, und nach zweieinhalbstündiger Wanderung erreichten wir mit rotglühenden Köpfen die ersehnte Stadt. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/282>, abgerufen am 27.07.2024.