Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frühlingstage am Garigliano

Aber schon wendet sich die Straße nach Westen und gewährt einen neuen
Ausblick. Aus dem ebnen Boden des Kessels von Avezzano erhebt sich, in
drei Gliedern sauft ansteigend, im Norden eine Hügelkette, die einzige im ganzen
Kessel, die vor der Trockenlegung des Sees einen vor Fieberdünsteu und
Wassersnot gesicherten Ort zur Niederlassung darbot. Auf dieser Hügelkette,
hinter der die Schneepyramide des Monte Velino gigantisch in die Lüfte ragt,
lag die östlichste Stadt der Äquer, Alba Fucentia, unweit der Via Valeria,
der südwestliche Schlüssel zu den Abruzzen. Deshalb hat die Stadt in vielen
Kriegen eine bedeutende Rolle gespielt. Sie wurde von den Römern noch vor
dem Jahre 300 v. Chr. in eine Kolonie mit sechstausend Mann Besatzung
verwandelt. Später wurde hier der letzte König der Mazedonier, Perseus,
gefangen gehalten. Im Marserkriege hielt die Kolonie tren zu Rom. Im
Bürgerkriege zwischen Cäsar und Pompejus hatten die Aristokraten in Alba
Aushebungen veranstaltet und die Stadt mit sechs Kohorten besetzt, die aber
zu Cäsar übergingen. Endlich im mutinensischen Kriege setzten sich zwei Le¬
gionen, die gegen ihren Kriegsherrn M. Anton meuterten, in Alba Fuceutia
fest. Noch heute trügt das Dorf, das die eine der drei Hügelkuppen einnimmt,
den Namen Alba und zeigt Neste der aus gewaltigen Quadern aufgeführten
Stadtmauern und andrer öffentlicher Gebäude.

Während uns diese Erinnerungen beschäftigen, erklimmt der Wagen die
aussichtsreiche Paßhöhe des Monte Scilviano, und nun öffnet sich der Blick
hinunter in einen großen, wiederum von schneeweißen Bergen umrahmten
Wiesenkessel. Zur Rechten sehen wir das Hochthal von Cappadocia: die Wiege
des schönen Stromes, dessen Anblick uns zunächst noch verborgen bleibt. Das
grüne Thal zeigt nur geringen Anbau und ist nicht so schön wie die Gegend
um Avezzano, umso mehr fesselt unsern Blick der am nördlichen Ende der
Hochebne an der Berglehne aufsteigende Ort Tagliacozzo, an dem uns schon
am Ostersonnabeud die Bahn vorüberführte. Ein düsterer Schatten schwebt
um die grauen Mauern des Bergfleckens. Hier endete das kurze Kriegsglück
Konradins, des letzten Hohenstaufen. Er war im August 1268 von Rom
her, das ihm auf dem Kapitol mit allem Gepränge gehuldigt hatte, über
Tivoli, Niofreddo und Arsoli den kühlern Bergweg der alten Via Valeria ost¬
wärts gezogen, um zu den gegen Karl von Anjou aufständischen Sarazenen
von Luceria in Apulien zu gelangen. Am 22. August hatte er sein Haupt¬
quartier vou Tagliaeozzo nach Scureola vorgeschoben; Karl von Anjou stand
bei dem alten Alba Fucentia. Am 23. kam es zur Schlacht, in der der
Hohenstaufe zunächst siegte. Aber als er die Schlacht für entschieden hielt,
brach sein Gegner, der sich auf deu Rat eiues französischen Ritters in einer
engen Schlucht am Berge Felice verborgen hatte, plötzlich aus dem Hinterhalte
hervor und zersprengte das sorglos plündernde Heer der Deutschen. Der
Verrat des Fraugipcmi von Astura, der Konradin und seiue Begleiter an den


Frühlingstage am Garigliano

Aber schon wendet sich die Straße nach Westen und gewährt einen neuen
Ausblick. Aus dem ebnen Boden des Kessels von Avezzano erhebt sich, in
drei Gliedern sauft ansteigend, im Norden eine Hügelkette, die einzige im ganzen
Kessel, die vor der Trockenlegung des Sees einen vor Fieberdünsteu und
Wassersnot gesicherten Ort zur Niederlassung darbot. Auf dieser Hügelkette,
hinter der die Schneepyramide des Monte Velino gigantisch in die Lüfte ragt,
lag die östlichste Stadt der Äquer, Alba Fucentia, unweit der Via Valeria,
der südwestliche Schlüssel zu den Abruzzen. Deshalb hat die Stadt in vielen
Kriegen eine bedeutende Rolle gespielt. Sie wurde von den Römern noch vor
dem Jahre 300 v. Chr. in eine Kolonie mit sechstausend Mann Besatzung
verwandelt. Später wurde hier der letzte König der Mazedonier, Perseus,
gefangen gehalten. Im Marserkriege hielt die Kolonie tren zu Rom. Im
Bürgerkriege zwischen Cäsar und Pompejus hatten die Aristokraten in Alba
Aushebungen veranstaltet und die Stadt mit sechs Kohorten besetzt, die aber
zu Cäsar übergingen. Endlich im mutinensischen Kriege setzten sich zwei Le¬
gionen, die gegen ihren Kriegsherrn M. Anton meuterten, in Alba Fuceutia
fest. Noch heute trügt das Dorf, das die eine der drei Hügelkuppen einnimmt,
den Namen Alba und zeigt Neste der aus gewaltigen Quadern aufgeführten
Stadtmauern und andrer öffentlicher Gebäude.

Während uns diese Erinnerungen beschäftigen, erklimmt der Wagen die
aussichtsreiche Paßhöhe des Monte Scilviano, und nun öffnet sich der Blick
hinunter in einen großen, wiederum von schneeweißen Bergen umrahmten
Wiesenkessel. Zur Rechten sehen wir das Hochthal von Cappadocia: die Wiege
des schönen Stromes, dessen Anblick uns zunächst noch verborgen bleibt. Das
grüne Thal zeigt nur geringen Anbau und ist nicht so schön wie die Gegend
um Avezzano, umso mehr fesselt unsern Blick der am nördlichen Ende der
Hochebne an der Berglehne aufsteigende Ort Tagliacozzo, an dem uns schon
am Ostersonnabeud die Bahn vorüberführte. Ein düsterer Schatten schwebt
um die grauen Mauern des Bergfleckens. Hier endete das kurze Kriegsglück
Konradins, des letzten Hohenstaufen. Er war im August 1268 von Rom
her, das ihm auf dem Kapitol mit allem Gepränge gehuldigt hatte, über
Tivoli, Niofreddo und Arsoli den kühlern Bergweg der alten Via Valeria ost¬
wärts gezogen, um zu den gegen Karl von Anjou aufständischen Sarazenen
von Luceria in Apulien zu gelangen. Am 22. August hatte er sein Haupt¬
quartier vou Tagliaeozzo nach Scureola vorgeschoben; Karl von Anjou stand
bei dem alten Alba Fucentia. Am 23. kam es zur Schlacht, in der der
Hohenstaufe zunächst siegte. Aber als er die Schlacht für entschieden hielt,
brach sein Gegner, der sich auf deu Rat eiues französischen Ritters in einer
engen Schlucht am Berge Felice verborgen hatte, plötzlich aus dem Hinterhalte
hervor und zersprengte das sorglos plündernde Heer der Deutschen. Der
Verrat des Fraugipcmi von Astura, der Konradin und seiue Begleiter an den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228582"/>
          <fw type="header" place="top"> Frühlingstage am Garigliano</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1003"> Aber schon wendet sich die Straße nach Westen und gewährt einen neuen<lb/>
Ausblick. Aus dem ebnen Boden des Kessels von Avezzano erhebt sich, in<lb/>
drei Gliedern sauft ansteigend, im Norden eine Hügelkette, die einzige im ganzen<lb/>
Kessel, die vor der Trockenlegung des Sees einen vor Fieberdünsteu und<lb/>
Wassersnot gesicherten Ort zur Niederlassung darbot. Auf dieser Hügelkette,<lb/>
hinter der die Schneepyramide des Monte Velino gigantisch in die Lüfte ragt,<lb/>
lag die östlichste Stadt der Äquer, Alba Fucentia, unweit der Via Valeria,<lb/>
der südwestliche Schlüssel zu den Abruzzen. Deshalb hat die Stadt in vielen<lb/>
Kriegen eine bedeutende Rolle gespielt. Sie wurde von den Römern noch vor<lb/>
dem Jahre 300 v. Chr. in eine Kolonie mit sechstausend Mann Besatzung<lb/>
verwandelt. Später wurde hier der letzte König der Mazedonier, Perseus,<lb/>
gefangen gehalten. Im Marserkriege hielt die Kolonie tren zu Rom. Im<lb/>
Bürgerkriege zwischen Cäsar und Pompejus hatten die Aristokraten in Alba<lb/>
Aushebungen veranstaltet und die Stadt mit sechs Kohorten besetzt, die aber<lb/>
zu Cäsar übergingen. Endlich im mutinensischen Kriege setzten sich zwei Le¬<lb/>
gionen, die gegen ihren Kriegsherrn M. Anton meuterten, in Alba Fuceutia<lb/>
fest. Noch heute trügt das Dorf, das die eine der drei Hügelkuppen einnimmt,<lb/>
den Namen Alba und zeigt Neste der aus gewaltigen Quadern aufgeführten<lb/>
Stadtmauern und andrer öffentlicher Gebäude.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1004" next="#ID_1005"> Während uns diese Erinnerungen beschäftigen, erklimmt der Wagen die<lb/>
aussichtsreiche Paßhöhe des Monte Scilviano, und nun öffnet sich der Blick<lb/>
hinunter in einen großen, wiederum von schneeweißen Bergen umrahmten<lb/>
Wiesenkessel. Zur Rechten sehen wir das Hochthal von Cappadocia: die Wiege<lb/>
des schönen Stromes, dessen Anblick uns zunächst noch verborgen bleibt. Das<lb/>
grüne Thal zeigt nur geringen Anbau und ist nicht so schön wie die Gegend<lb/>
um Avezzano, umso mehr fesselt unsern Blick der am nördlichen Ende der<lb/>
Hochebne an der Berglehne aufsteigende Ort Tagliacozzo, an dem uns schon<lb/>
am Ostersonnabeud die Bahn vorüberführte. Ein düsterer Schatten schwebt<lb/>
um die grauen Mauern des Bergfleckens. Hier endete das kurze Kriegsglück<lb/>
Konradins, des letzten Hohenstaufen. Er war im August 1268 von Rom<lb/>
her, das ihm auf dem Kapitol mit allem Gepränge gehuldigt hatte, über<lb/>
Tivoli, Niofreddo und Arsoli den kühlern Bergweg der alten Via Valeria ost¬<lb/>
wärts gezogen, um zu den gegen Karl von Anjou aufständischen Sarazenen<lb/>
von Luceria in Apulien zu gelangen. Am 22. August hatte er sein Haupt¬<lb/>
quartier vou Tagliaeozzo nach Scureola vorgeschoben; Karl von Anjou stand<lb/>
bei dem alten Alba Fucentia. Am 23. kam es zur Schlacht, in der der<lb/>
Hohenstaufe zunächst siegte. Aber als er die Schlacht für entschieden hielt,<lb/>
brach sein Gegner, der sich auf deu Rat eiues französischen Ritters in einer<lb/>
engen Schlucht am Berge Felice verborgen hatte, plötzlich aus dem Hinterhalte<lb/>
hervor und zersprengte das sorglos plündernde Heer der Deutschen. Der<lb/>
Verrat des Fraugipcmi von Astura, der Konradin und seiue Begleiter an den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0280] Frühlingstage am Garigliano Aber schon wendet sich die Straße nach Westen und gewährt einen neuen Ausblick. Aus dem ebnen Boden des Kessels von Avezzano erhebt sich, in drei Gliedern sauft ansteigend, im Norden eine Hügelkette, die einzige im ganzen Kessel, die vor der Trockenlegung des Sees einen vor Fieberdünsteu und Wassersnot gesicherten Ort zur Niederlassung darbot. Auf dieser Hügelkette, hinter der die Schneepyramide des Monte Velino gigantisch in die Lüfte ragt, lag die östlichste Stadt der Äquer, Alba Fucentia, unweit der Via Valeria, der südwestliche Schlüssel zu den Abruzzen. Deshalb hat die Stadt in vielen Kriegen eine bedeutende Rolle gespielt. Sie wurde von den Römern noch vor dem Jahre 300 v. Chr. in eine Kolonie mit sechstausend Mann Besatzung verwandelt. Später wurde hier der letzte König der Mazedonier, Perseus, gefangen gehalten. Im Marserkriege hielt die Kolonie tren zu Rom. Im Bürgerkriege zwischen Cäsar und Pompejus hatten die Aristokraten in Alba Aushebungen veranstaltet und die Stadt mit sechs Kohorten besetzt, die aber zu Cäsar übergingen. Endlich im mutinensischen Kriege setzten sich zwei Le¬ gionen, die gegen ihren Kriegsherrn M. Anton meuterten, in Alba Fuceutia fest. Noch heute trügt das Dorf, das die eine der drei Hügelkuppen einnimmt, den Namen Alba und zeigt Neste der aus gewaltigen Quadern aufgeführten Stadtmauern und andrer öffentlicher Gebäude. Während uns diese Erinnerungen beschäftigen, erklimmt der Wagen die aussichtsreiche Paßhöhe des Monte Scilviano, und nun öffnet sich der Blick hinunter in einen großen, wiederum von schneeweißen Bergen umrahmten Wiesenkessel. Zur Rechten sehen wir das Hochthal von Cappadocia: die Wiege des schönen Stromes, dessen Anblick uns zunächst noch verborgen bleibt. Das grüne Thal zeigt nur geringen Anbau und ist nicht so schön wie die Gegend um Avezzano, umso mehr fesselt unsern Blick der am nördlichen Ende der Hochebne an der Berglehne aufsteigende Ort Tagliacozzo, an dem uns schon am Ostersonnabeud die Bahn vorüberführte. Ein düsterer Schatten schwebt um die grauen Mauern des Bergfleckens. Hier endete das kurze Kriegsglück Konradins, des letzten Hohenstaufen. Er war im August 1268 von Rom her, das ihm auf dem Kapitol mit allem Gepränge gehuldigt hatte, über Tivoli, Niofreddo und Arsoli den kühlern Bergweg der alten Via Valeria ost¬ wärts gezogen, um zu den gegen Karl von Anjou aufständischen Sarazenen von Luceria in Apulien zu gelangen. Am 22. August hatte er sein Haupt¬ quartier vou Tagliaeozzo nach Scureola vorgeschoben; Karl von Anjou stand bei dem alten Alba Fucentia. Am 23. kam es zur Schlacht, in der der Hohenstaufe zunächst siegte. Aber als er die Schlacht für entschieden hielt, brach sein Gegner, der sich auf deu Rat eiues französischen Ritters in einer engen Schlucht am Berge Felice verborgen hatte, plötzlich aus dem Hinterhalte hervor und zersprengte das sorglos plündernde Heer der Deutschen. Der Verrat des Fraugipcmi von Astura, der Konradin und seiue Begleiter an den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/280
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/280>, abgerufen am 28.07.2024.