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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Frühlingstage am Garigliano

mittelalterlichen und modernen wieder einzubürgern;*) deshalb findet man auf
den Generalstabskarten fast überall den Namen Liri, nur für den Unterlauf
des Muffes nach seiner Vereinigung mit dem Scicco hat sich der Name Gari¬
gliano behauptet. Der Name scheint aber ganz besonders den Ober- und
Mittellauf zu bezeichnen. Denn da ist der Liris in der That ein muntrer,
geschwätziger Gesell und vielleicht der schönste unter allen italienischen Strömen.

Denn während der Po nach einer kurzen Laufstrecke durch die Alpen, aus
dem wilden Knaben ohne Jünglingszeit sofort zum Manne geworden, fast allzu
massig seinen ungeheuern Wasserschwall durch die landschaftlich reizlose lom¬
bardische Ebne wälzt, während der Tiber schon lange vor Rom weder durch
die Gestaltung seiner Ufer, noch durch die Färbung seines trüben Wassers
unsre Sympathie zu erwecken vermag, während der Arno im Sommer fast
versiegt, zeigt der hellgrüne, schäumende, brausende Garigliano, einem deutschen
Alpenstrome vergleichbar, durchaus harmonische Verhältnisse. Geboren aus
den Rinnsalen, in denen das Schneewasser der den Fucincrsee umgebenden
Bergketten südwärts strebt, gespeist durch den mächtigen Emissär dieses Sees
selbst und durch viele Zuflüsse aus dem Gebiete des kühnen Monte Viglio
und des neapolitanischen Berglnndes, schäumt er in seinem Oberlause durch
enge Schluchten von Fels zu Fels, wird er in seinem Mittellaufe voll rüstiger
Kraft dem Menschen dienstbar und bewahrt sich auch in seinem Unterlaufe den
Wasserreichtum und die frische Farbe, sodaß er noch in der Nähe des Meeres
mannhaft und stark erscheint und erst ganz kurz vor der Mündung im vulka¬
nischen Erdreiche von Minturnae, östlich von Gaeta und Formiae, zu stocken
beginnt und dann nach kurzem Greisenalter in das allumfassende Meer hinüber¬
schlummert.

Mich zog mancherlei, als ich mich entschloß, vor dem unerquicklichen und
unwürdigen Getümmel, das Rom kurz vor und während des Osterfestes erfüllt,
in das Liristhal zu entrinnen. Erstens lockte mich die Schönheit der im ersten
Frühlingsschmucke prangenden Landschaft, von der ich durch intime Kenner
Italiens Kunde hatte, ferner die bis in die graue Vorzeit zurückreichende Ge¬
schichte dieser Gegenden und endlich die Erinnerung an einen mir besonders
vertrauten Römer, der vom Liristhal seinen Ausgang genommen hatte und
immer wieder voll Sehnsucht nach den heimatlichen Gefilden zurückgekehrt war.
Die Reize des Liristhals erwiesen sich aber so mächtig, daß ich später im Mai
von Neapel aus noch einmal dahin zurückkehrte, um die gewonnenen Eindrücke
zu befestigen, anch das Mündungsgebiet kennen zu lernen und die Landschaft
in ihrer vollsten Entwicklung zu sehen.

Den besten und schönsten Zugang zum Liristhale bietet die von Rom



-) So heißt z. B. das alte Casinum an der Bahn von Rom nach Neapel, das im
Mittelalter und bis in unsre Zeit San Germnno genannt wurde, jetzt wieder Cnsino,
Frühlingstage am Garigliano

mittelalterlichen und modernen wieder einzubürgern;*) deshalb findet man auf
den Generalstabskarten fast überall den Namen Liri, nur für den Unterlauf
des Muffes nach seiner Vereinigung mit dem Scicco hat sich der Name Gari¬
gliano behauptet. Der Name scheint aber ganz besonders den Ober- und
Mittellauf zu bezeichnen. Denn da ist der Liris in der That ein muntrer,
geschwätziger Gesell und vielleicht der schönste unter allen italienischen Strömen.

Denn während der Po nach einer kurzen Laufstrecke durch die Alpen, aus
dem wilden Knaben ohne Jünglingszeit sofort zum Manne geworden, fast allzu
massig seinen ungeheuern Wasserschwall durch die landschaftlich reizlose lom¬
bardische Ebne wälzt, während der Tiber schon lange vor Rom weder durch
die Gestaltung seiner Ufer, noch durch die Färbung seines trüben Wassers
unsre Sympathie zu erwecken vermag, während der Arno im Sommer fast
versiegt, zeigt der hellgrüne, schäumende, brausende Garigliano, einem deutschen
Alpenstrome vergleichbar, durchaus harmonische Verhältnisse. Geboren aus
den Rinnsalen, in denen das Schneewasser der den Fucincrsee umgebenden
Bergketten südwärts strebt, gespeist durch den mächtigen Emissär dieses Sees
selbst und durch viele Zuflüsse aus dem Gebiete des kühnen Monte Viglio
und des neapolitanischen Berglnndes, schäumt er in seinem Oberlause durch
enge Schluchten von Fels zu Fels, wird er in seinem Mittellaufe voll rüstiger
Kraft dem Menschen dienstbar und bewahrt sich auch in seinem Unterlaufe den
Wasserreichtum und die frische Farbe, sodaß er noch in der Nähe des Meeres
mannhaft und stark erscheint und erst ganz kurz vor der Mündung im vulka¬
nischen Erdreiche von Minturnae, östlich von Gaeta und Formiae, zu stocken
beginnt und dann nach kurzem Greisenalter in das allumfassende Meer hinüber¬
schlummert.

Mich zog mancherlei, als ich mich entschloß, vor dem unerquicklichen und
unwürdigen Getümmel, das Rom kurz vor und während des Osterfestes erfüllt,
in das Liristhal zu entrinnen. Erstens lockte mich die Schönheit der im ersten
Frühlingsschmucke prangenden Landschaft, von der ich durch intime Kenner
Italiens Kunde hatte, ferner die bis in die graue Vorzeit zurückreichende Ge¬
schichte dieser Gegenden und endlich die Erinnerung an einen mir besonders
vertrauten Römer, der vom Liristhal seinen Ausgang genommen hatte und
immer wieder voll Sehnsucht nach den heimatlichen Gefilden zurückgekehrt war.
Die Reize des Liristhals erwiesen sich aber so mächtig, daß ich später im Mai
von Neapel aus noch einmal dahin zurückkehrte, um die gewonnenen Eindrücke
zu befestigen, anch das Mündungsgebiet kennen zu lernen und die Landschaft
in ihrer vollsten Entwicklung zu sehen.

Den besten und schönsten Zugang zum Liristhale bietet die von Rom



-) So heißt z. B. das alte Casinum an der Bahn von Rom nach Neapel, das im
Mittelalter und bis in unsre Zeit San Germnno genannt wurde, jetzt wieder Cnsino,
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[0276] Frühlingstage am Garigliano mittelalterlichen und modernen wieder einzubürgern;*) deshalb findet man auf den Generalstabskarten fast überall den Namen Liri, nur für den Unterlauf des Muffes nach seiner Vereinigung mit dem Scicco hat sich der Name Gari¬ gliano behauptet. Der Name scheint aber ganz besonders den Ober- und Mittellauf zu bezeichnen. Denn da ist der Liris in der That ein muntrer, geschwätziger Gesell und vielleicht der schönste unter allen italienischen Strömen. Denn während der Po nach einer kurzen Laufstrecke durch die Alpen, aus dem wilden Knaben ohne Jünglingszeit sofort zum Manne geworden, fast allzu massig seinen ungeheuern Wasserschwall durch die landschaftlich reizlose lom¬ bardische Ebne wälzt, während der Tiber schon lange vor Rom weder durch die Gestaltung seiner Ufer, noch durch die Färbung seines trüben Wassers unsre Sympathie zu erwecken vermag, während der Arno im Sommer fast versiegt, zeigt der hellgrüne, schäumende, brausende Garigliano, einem deutschen Alpenstrome vergleichbar, durchaus harmonische Verhältnisse. Geboren aus den Rinnsalen, in denen das Schneewasser der den Fucincrsee umgebenden Bergketten südwärts strebt, gespeist durch den mächtigen Emissär dieses Sees selbst und durch viele Zuflüsse aus dem Gebiete des kühnen Monte Viglio und des neapolitanischen Berglnndes, schäumt er in seinem Oberlause durch enge Schluchten von Fels zu Fels, wird er in seinem Mittellaufe voll rüstiger Kraft dem Menschen dienstbar und bewahrt sich auch in seinem Unterlaufe den Wasserreichtum und die frische Farbe, sodaß er noch in der Nähe des Meeres mannhaft und stark erscheint und erst ganz kurz vor der Mündung im vulka¬ nischen Erdreiche von Minturnae, östlich von Gaeta und Formiae, zu stocken beginnt und dann nach kurzem Greisenalter in das allumfassende Meer hinüber¬ schlummert. Mich zog mancherlei, als ich mich entschloß, vor dem unerquicklichen und unwürdigen Getümmel, das Rom kurz vor und während des Osterfestes erfüllt, in das Liristhal zu entrinnen. Erstens lockte mich die Schönheit der im ersten Frühlingsschmucke prangenden Landschaft, von der ich durch intime Kenner Italiens Kunde hatte, ferner die bis in die graue Vorzeit zurückreichende Ge¬ schichte dieser Gegenden und endlich die Erinnerung an einen mir besonders vertrauten Römer, der vom Liristhal seinen Ausgang genommen hatte und immer wieder voll Sehnsucht nach den heimatlichen Gefilden zurückgekehrt war. Die Reize des Liristhals erwiesen sich aber so mächtig, daß ich später im Mai von Neapel aus noch einmal dahin zurückkehrte, um die gewonnenen Eindrücke zu befestigen, anch das Mündungsgebiet kennen zu lernen und die Landschaft in ihrer vollsten Entwicklung zu sehen. Den besten und schönsten Zugang zum Liristhale bietet die von Rom -) So heißt z. B. das alte Casinum an der Bahn von Rom nach Neapel, das im Mittelalter und bis in unsre Zeit San Germnno genannt wurde, jetzt wieder Cnsino,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/276>, abgerufen am 27.07.2024.