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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel

erreichten. Mag diese Angabe auch übertrieben sein, die Thatsache selbst ist
kaum zu leugnen.

Eine weitere Belastung ist heute allen Ladengeschäften dadurch auferlegt,
daß sich das Publikum die Waren, auch die kleinsten Pakete, ins Haus schicken
läßt. Die Geschäfte, die zu dem Überhandnehmen dieser Unsitte selbst mit
beigetragen haben, dadurch, daß sie auch deu Dienstmädchen diese Dienste in
übertriebner Form anbieten, müssen einen besondern Markthelfer für solche
Gänge halten. Die Notwendigkeit, den Konkurrenten mit allen Mitteln zu
überbieten, führt sogar dazu, daß der Bote in den Häusern der Kunden
wöchentlich ein- oder zweimal schriftliche Bestellungen einsammelt und dann
die Waren wiederum ins Haus bringt. Das hat einen Nachteil, der vielleicht
auf den ersten Blick gar nicht bemerkt wird, sich aber doch allmählich sehr
fühlbar macht. Die Geschäfte gewöhnen sich nämlich dadurch regelmäßig die
Kunden aus dem Hause hinaus; der persönliche Verkehr mit ihnen hört auf;
kam früher schon die Hausfrau selten ins Ladengeschäft, so nun auch noch das
Dienstmädchen. Während früher der Geschäftsherr die Beschwerden des Publi¬
kums selbst anhören, unbegründete artig zurückweisen, begründete abstellen
konnte, kommt jetzt die Unzufriedenheit der Kunden über die Waren oder über
mangelhafte Bedienung nicht mehr so häufig zu seinen Ohren. Die Kunden
bestellen einfach den weitern Verkehr mit dem Geschäfte ab, mit dem sie un¬
zufrieden sind. Im persönlichen Verkehre konnte der Geschäftsherr auch die
Hausfrau auf den und jenen neuen Artikel hinweisen, man hatte ihn zur Be¬
sichtigung und Prüfung sogleich bei der Hand; all das hört in solchen Füllen
auf, wo der unmittelbare Verkehr des Publikums im Laden wegfällt. Der
durch diese Art des Geschäftsbetriebs erzielte Nutzen verwandelt sich also mit
der Zeit doch in einen Nachteil. Der Kundenkreis hängt nicht mehr so eng
mit dem Geschäfte zusammen wie früher.

Ein weiterer Übelstand, der den Betrieb des Kleinhandels, vor allem des
Kolonialwarenhandels hemmt, ist die Gründung zahlreicher neuer Geschäfte,
deren Inhaber vielfach keine gelernten Kaufleute sind. Solche Geschäfte werden
meist mit der Unterstützung eines oder mehrerer Großhändler in Gang gebracht,
die dem Geschäftsinhaber alles, vom Ladentische bis zum Warenlager, auf
Kredit abgeben. Gewöhnlich dauert es nicht lange, fo fängt der Ladeuinhaber
an zu schleudern, um seinen Zins- und Wechselverpflichtungen nachzukommen,
bezieht Waren auf Kredit, solange man ihm überhaupt noch borgt, und ver¬
kauft sie in eben den Posten, in denen er sie bezogen hat unter dem Bezugs¬
preise, oft ohne sie zu detailliren. Der Zusammenbruch ist natürlich unver¬
meidlich; das Geschüft verschwindet eines Tages ganz oder wechselt den In¬
haber, der Preisdruck aber, der mit unreellen Mitteln auf die Geschäfte der
ganzen Gegend, wo sich ein derartiger Vorgang abspielt, ausgeübt wurde, ist
"och lange zu verspüren. Es darf auch nicht vergessen werden, daß in den


Grenzboten III 1M8 34
Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel

erreichten. Mag diese Angabe auch übertrieben sein, die Thatsache selbst ist
kaum zu leugnen.

Eine weitere Belastung ist heute allen Ladengeschäften dadurch auferlegt,
daß sich das Publikum die Waren, auch die kleinsten Pakete, ins Haus schicken
läßt. Die Geschäfte, die zu dem Überhandnehmen dieser Unsitte selbst mit
beigetragen haben, dadurch, daß sie auch deu Dienstmädchen diese Dienste in
übertriebner Form anbieten, müssen einen besondern Markthelfer für solche
Gänge halten. Die Notwendigkeit, den Konkurrenten mit allen Mitteln zu
überbieten, führt sogar dazu, daß der Bote in den Häusern der Kunden
wöchentlich ein- oder zweimal schriftliche Bestellungen einsammelt und dann
die Waren wiederum ins Haus bringt. Das hat einen Nachteil, der vielleicht
auf den ersten Blick gar nicht bemerkt wird, sich aber doch allmählich sehr
fühlbar macht. Die Geschäfte gewöhnen sich nämlich dadurch regelmäßig die
Kunden aus dem Hause hinaus; der persönliche Verkehr mit ihnen hört auf;
kam früher schon die Hausfrau selten ins Ladengeschäft, so nun auch noch das
Dienstmädchen. Während früher der Geschäftsherr die Beschwerden des Publi¬
kums selbst anhören, unbegründete artig zurückweisen, begründete abstellen
konnte, kommt jetzt die Unzufriedenheit der Kunden über die Waren oder über
mangelhafte Bedienung nicht mehr so häufig zu seinen Ohren. Die Kunden
bestellen einfach den weitern Verkehr mit dem Geschäfte ab, mit dem sie un¬
zufrieden sind. Im persönlichen Verkehre konnte der Geschäftsherr auch die
Hausfrau auf den und jenen neuen Artikel hinweisen, man hatte ihn zur Be¬
sichtigung und Prüfung sogleich bei der Hand; all das hört in solchen Füllen
auf, wo der unmittelbare Verkehr des Publikums im Laden wegfällt. Der
durch diese Art des Geschäftsbetriebs erzielte Nutzen verwandelt sich also mit
der Zeit doch in einen Nachteil. Der Kundenkreis hängt nicht mehr so eng
mit dem Geschäfte zusammen wie früher.

Ein weiterer Übelstand, der den Betrieb des Kleinhandels, vor allem des
Kolonialwarenhandels hemmt, ist die Gründung zahlreicher neuer Geschäfte,
deren Inhaber vielfach keine gelernten Kaufleute sind. Solche Geschäfte werden
meist mit der Unterstützung eines oder mehrerer Großhändler in Gang gebracht,
die dem Geschäftsinhaber alles, vom Ladentische bis zum Warenlager, auf
Kredit abgeben. Gewöhnlich dauert es nicht lange, fo fängt der Ladeuinhaber
an zu schleudern, um seinen Zins- und Wechselverpflichtungen nachzukommen,
bezieht Waren auf Kredit, solange man ihm überhaupt noch borgt, und ver¬
kauft sie in eben den Posten, in denen er sie bezogen hat unter dem Bezugs¬
preise, oft ohne sie zu detailliren. Der Zusammenbruch ist natürlich unver¬
meidlich; das Geschüft verschwindet eines Tages ganz oder wechselt den In¬
haber, der Preisdruck aber, der mit unreellen Mitteln auf die Geschäfte der
ganzen Gegend, wo sich ein derartiger Vorgang abspielt, ausgeübt wurde, ist
"och lange zu verspüren. Es darf auch nicht vergessen werden, daß in den


Grenzboten III 1M8 34
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[0273] Gelegentliche Beobachtungen über den Kleinhandel erreichten. Mag diese Angabe auch übertrieben sein, die Thatsache selbst ist kaum zu leugnen. Eine weitere Belastung ist heute allen Ladengeschäften dadurch auferlegt, daß sich das Publikum die Waren, auch die kleinsten Pakete, ins Haus schicken läßt. Die Geschäfte, die zu dem Überhandnehmen dieser Unsitte selbst mit beigetragen haben, dadurch, daß sie auch deu Dienstmädchen diese Dienste in übertriebner Form anbieten, müssen einen besondern Markthelfer für solche Gänge halten. Die Notwendigkeit, den Konkurrenten mit allen Mitteln zu überbieten, führt sogar dazu, daß der Bote in den Häusern der Kunden wöchentlich ein- oder zweimal schriftliche Bestellungen einsammelt und dann die Waren wiederum ins Haus bringt. Das hat einen Nachteil, der vielleicht auf den ersten Blick gar nicht bemerkt wird, sich aber doch allmählich sehr fühlbar macht. Die Geschäfte gewöhnen sich nämlich dadurch regelmäßig die Kunden aus dem Hause hinaus; der persönliche Verkehr mit ihnen hört auf; kam früher schon die Hausfrau selten ins Ladengeschäft, so nun auch noch das Dienstmädchen. Während früher der Geschäftsherr die Beschwerden des Publi¬ kums selbst anhören, unbegründete artig zurückweisen, begründete abstellen konnte, kommt jetzt die Unzufriedenheit der Kunden über die Waren oder über mangelhafte Bedienung nicht mehr so häufig zu seinen Ohren. Die Kunden bestellen einfach den weitern Verkehr mit dem Geschäfte ab, mit dem sie un¬ zufrieden sind. Im persönlichen Verkehre konnte der Geschäftsherr auch die Hausfrau auf den und jenen neuen Artikel hinweisen, man hatte ihn zur Be¬ sichtigung und Prüfung sogleich bei der Hand; all das hört in solchen Füllen auf, wo der unmittelbare Verkehr des Publikums im Laden wegfällt. Der durch diese Art des Geschäftsbetriebs erzielte Nutzen verwandelt sich also mit der Zeit doch in einen Nachteil. Der Kundenkreis hängt nicht mehr so eng mit dem Geschäfte zusammen wie früher. Ein weiterer Übelstand, der den Betrieb des Kleinhandels, vor allem des Kolonialwarenhandels hemmt, ist die Gründung zahlreicher neuer Geschäfte, deren Inhaber vielfach keine gelernten Kaufleute sind. Solche Geschäfte werden meist mit der Unterstützung eines oder mehrerer Großhändler in Gang gebracht, die dem Geschäftsinhaber alles, vom Ladentische bis zum Warenlager, auf Kredit abgeben. Gewöhnlich dauert es nicht lange, fo fängt der Ladeuinhaber an zu schleudern, um seinen Zins- und Wechselverpflichtungen nachzukommen, bezieht Waren auf Kredit, solange man ihm überhaupt noch borgt, und ver¬ kauft sie in eben den Posten, in denen er sie bezogen hat unter dem Bezugs¬ preise, oft ohne sie zu detailliren. Der Zusammenbruch ist natürlich unver¬ meidlich; das Geschüft verschwindet eines Tages ganz oder wechselt den In¬ haber, der Preisdruck aber, der mit unreellen Mitteln auf die Geschäfte der ganzen Gegend, wo sich ein derartiger Vorgang abspielt, ausgeübt wurde, ist "och lange zu verspüren. Es darf auch nicht vergessen werden, daß in den Grenzboten III 1M8 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/273>, abgerufen am 28.07.2024.