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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Rechtsphilosophische Phantasien eines Laien

Natürlich ist die Treue gegen die Gesamtheit der Pflichten gemeint. So lange
die verschiednen Stände, d. h. Verufsstände, besondre Pflichten haben, so lange
wird es auch wie besondre Standesvergehen, so auch eine besondre Standesehre
geben. Daraus folgt also, daß je mehr und je höhere Pflichten einem Stande
obliegen, desto höhere Anrechte an Ehre, d. h. Achtung, er auch durch unbe¬
dingte Pflichttreue erwirbt.

Von allgemeiner Menschenwürde mag man reden, eine allgemeine
Menschenehre hat auch der wildeste Gleichheitsschwärmer noch nicht behauptet.
Die Würde als etwas angebornes bleibt dem Menschen stets, während die
Ehre als erworbnes unter Umständen wieder verloren geht. Aus dem, was
vorhin über Charakter und Erziehung ausgeführt worden ist, folgt, daß aus der
Zugehörigkeit zu einem notorisch ehrenhaften Stande oder einer solchen Familie
auf die Ehre jedes Angehörigen mit Recht gefolgert wird, solange sich die
Gelegenheit zum Selbsterwerb noch nicht geboten hat. Wie der Einzelne seine
Ehre verlieren kann, so kann auch der Stand seine Standesehre gefährden
oder verlieren, wenn er unehrenhaft gewordne Mitglieder nicht ausscheidet.

Auch der Eifer gegen das Duell ist wohl nicht völlig frei von geldbürger¬
lichem Materialismus und demagogischen Tendenzen und schießt über das Ziel
hinaus. Nur der Mißbrauch des Duells ist unbedingt verwerflich. Der
Duellant weiß, welche Strafe ihm bevorsteht, und nimmt sie willig auf sich,
weil ein ideelles Gut für ihn auf dem Spiele steht. Wie kommt es, daß
man dabei von Mißachtung des Gesetzes redet, aber nicht bei Preßvergehen
oder politischen Vergehen, die ebenfalls mit Überlegung und Bewußtsein der
Strafbarkeit begangen werden? Bei diesen wird der Angeschuldigte ein Mär¬
tyrer seiner Überzeugung, beim Duell ist er ein Verächter der Majestät des
Gesetzes. Nur ein Fanatiker wie Bebel kann verlangen, das Duell als Mord
anzusehen. Der Duellant verzichtet ja ausdrücklich bei Erlaß oder Annahme
der Forderung auf den Schutz seines Lebens durch das Gesetz für diesen Fall.
Der juristische Satz: Volsntl mein M injuria ist ja bekannt.

Ist es schon Tollheit, hat es doch Methode, wenn dieselben Leute Raub¬
mörder und Mordbrenner wie die Pariser Kommunarden in Schutz nehmen
und bei den ab und zu vorkommenden Fällen, wo ein Mann sein Leben im
offnen Kampf einsetzt, um einen Schimpf nicht leiden zu müssen, entrüstet
über Gesetz und Moral predigen. Wahrlich, die sogenannte Parteitaktik hat
es im Mückenseigen und Elefantenschlucken so weit gebracht, daß der zunehmende
Widerwille gegen solches Treiben nur zu verständlich wird.

Ein gelehrter Professor, der gegen das Duell geeifert hat, hat bestritten,
daß es mit Blutrache, Fehde und Gottesurteil zusammenhängt, er hat seinen
Ursprung vielmehr in der verkommnen französischen Adelsgesellschaft unter der
Regentschaft gesucht. Auch ihm hat der Eifer das ruhige Urteil getrübt.
Nur am meisten gemißbraucht worden ist damals der Zweikampf; bekanntlich


Rechtsphilosophische Phantasien eines Laien

Natürlich ist die Treue gegen die Gesamtheit der Pflichten gemeint. So lange
die verschiednen Stände, d. h. Verufsstände, besondre Pflichten haben, so lange
wird es auch wie besondre Standesvergehen, so auch eine besondre Standesehre
geben. Daraus folgt also, daß je mehr und je höhere Pflichten einem Stande
obliegen, desto höhere Anrechte an Ehre, d. h. Achtung, er auch durch unbe¬
dingte Pflichttreue erwirbt.

Von allgemeiner Menschenwürde mag man reden, eine allgemeine
Menschenehre hat auch der wildeste Gleichheitsschwärmer noch nicht behauptet.
Die Würde als etwas angebornes bleibt dem Menschen stets, während die
Ehre als erworbnes unter Umständen wieder verloren geht. Aus dem, was
vorhin über Charakter und Erziehung ausgeführt worden ist, folgt, daß aus der
Zugehörigkeit zu einem notorisch ehrenhaften Stande oder einer solchen Familie
auf die Ehre jedes Angehörigen mit Recht gefolgert wird, solange sich die
Gelegenheit zum Selbsterwerb noch nicht geboten hat. Wie der Einzelne seine
Ehre verlieren kann, so kann auch der Stand seine Standesehre gefährden
oder verlieren, wenn er unehrenhaft gewordne Mitglieder nicht ausscheidet.

Auch der Eifer gegen das Duell ist wohl nicht völlig frei von geldbürger¬
lichem Materialismus und demagogischen Tendenzen und schießt über das Ziel
hinaus. Nur der Mißbrauch des Duells ist unbedingt verwerflich. Der
Duellant weiß, welche Strafe ihm bevorsteht, und nimmt sie willig auf sich,
weil ein ideelles Gut für ihn auf dem Spiele steht. Wie kommt es, daß
man dabei von Mißachtung des Gesetzes redet, aber nicht bei Preßvergehen
oder politischen Vergehen, die ebenfalls mit Überlegung und Bewußtsein der
Strafbarkeit begangen werden? Bei diesen wird der Angeschuldigte ein Mär¬
tyrer seiner Überzeugung, beim Duell ist er ein Verächter der Majestät des
Gesetzes. Nur ein Fanatiker wie Bebel kann verlangen, das Duell als Mord
anzusehen. Der Duellant verzichtet ja ausdrücklich bei Erlaß oder Annahme
der Forderung auf den Schutz seines Lebens durch das Gesetz für diesen Fall.
Der juristische Satz: Volsntl mein M injuria ist ja bekannt.

Ist es schon Tollheit, hat es doch Methode, wenn dieselben Leute Raub¬
mörder und Mordbrenner wie die Pariser Kommunarden in Schutz nehmen
und bei den ab und zu vorkommenden Fällen, wo ein Mann sein Leben im
offnen Kampf einsetzt, um einen Schimpf nicht leiden zu müssen, entrüstet
über Gesetz und Moral predigen. Wahrlich, die sogenannte Parteitaktik hat
es im Mückenseigen und Elefantenschlucken so weit gebracht, daß der zunehmende
Widerwille gegen solches Treiben nur zu verständlich wird.

Ein gelehrter Professor, der gegen das Duell geeifert hat, hat bestritten,
daß es mit Blutrache, Fehde und Gottesurteil zusammenhängt, er hat seinen
Ursprung vielmehr in der verkommnen französischen Adelsgesellschaft unter der
Regentschaft gesucht. Auch ihm hat der Eifer das ruhige Urteil getrübt.
Nur am meisten gemißbraucht worden ist damals der Zweikampf; bekanntlich


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[0027] Rechtsphilosophische Phantasien eines Laien Natürlich ist die Treue gegen die Gesamtheit der Pflichten gemeint. So lange die verschiednen Stände, d. h. Verufsstände, besondre Pflichten haben, so lange wird es auch wie besondre Standesvergehen, so auch eine besondre Standesehre geben. Daraus folgt also, daß je mehr und je höhere Pflichten einem Stande obliegen, desto höhere Anrechte an Ehre, d. h. Achtung, er auch durch unbe¬ dingte Pflichttreue erwirbt. Von allgemeiner Menschenwürde mag man reden, eine allgemeine Menschenehre hat auch der wildeste Gleichheitsschwärmer noch nicht behauptet. Die Würde als etwas angebornes bleibt dem Menschen stets, während die Ehre als erworbnes unter Umständen wieder verloren geht. Aus dem, was vorhin über Charakter und Erziehung ausgeführt worden ist, folgt, daß aus der Zugehörigkeit zu einem notorisch ehrenhaften Stande oder einer solchen Familie auf die Ehre jedes Angehörigen mit Recht gefolgert wird, solange sich die Gelegenheit zum Selbsterwerb noch nicht geboten hat. Wie der Einzelne seine Ehre verlieren kann, so kann auch der Stand seine Standesehre gefährden oder verlieren, wenn er unehrenhaft gewordne Mitglieder nicht ausscheidet. Auch der Eifer gegen das Duell ist wohl nicht völlig frei von geldbürger¬ lichem Materialismus und demagogischen Tendenzen und schießt über das Ziel hinaus. Nur der Mißbrauch des Duells ist unbedingt verwerflich. Der Duellant weiß, welche Strafe ihm bevorsteht, und nimmt sie willig auf sich, weil ein ideelles Gut für ihn auf dem Spiele steht. Wie kommt es, daß man dabei von Mißachtung des Gesetzes redet, aber nicht bei Preßvergehen oder politischen Vergehen, die ebenfalls mit Überlegung und Bewußtsein der Strafbarkeit begangen werden? Bei diesen wird der Angeschuldigte ein Mär¬ tyrer seiner Überzeugung, beim Duell ist er ein Verächter der Majestät des Gesetzes. Nur ein Fanatiker wie Bebel kann verlangen, das Duell als Mord anzusehen. Der Duellant verzichtet ja ausdrücklich bei Erlaß oder Annahme der Forderung auf den Schutz seines Lebens durch das Gesetz für diesen Fall. Der juristische Satz: Volsntl mein M injuria ist ja bekannt. Ist es schon Tollheit, hat es doch Methode, wenn dieselben Leute Raub¬ mörder und Mordbrenner wie die Pariser Kommunarden in Schutz nehmen und bei den ab und zu vorkommenden Fällen, wo ein Mann sein Leben im offnen Kampf einsetzt, um einen Schimpf nicht leiden zu müssen, entrüstet über Gesetz und Moral predigen. Wahrlich, die sogenannte Parteitaktik hat es im Mückenseigen und Elefantenschlucken so weit gebracht, daß der zunehmende Widerwille gegen solches Treiben nur zu verständlich wird. Ein gelehrter Professor, der gegen das Duell geeifert hat, hat bestritten, daß es mit Blutrache, Fehde und Gottesurteil zusammenhängt, er hat seinen Ursprung vielmehr in der verkommnen französischen Adelsgesellschaft unter der Regentschaft gesucht. Auch ihm hat der Eifer das ruhige Urteil getrübt. Nur am meisten gemißbraucht worden ist damals der Zweikampf; bekanntlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/27>, abgerufen am 27.07.2024.