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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Wilibald Alexis

Säufer, Spieler, zuletzt Marodeur, muß Spießruten laufen, aber zugleich ent¬
wickelt sich in dieser wilden Natur ein vaterländisches Gefühl, das sie reinigt.
Den Feinden, die ihn gefangen hatten, kühn entronnen, füllt er bei der Ver¬
teidigung von Berlin, von Wunden bedeckt, und führt so durch einen tapfern
Soldatentod seine Vergehen. Rührend und gemütvoll ist die Rückkehr Etiennes
in das verlassene und verarmte Vaterhaus geschildert. Ein realistisches Genre¬
bild anmutigster Art ist es, wie der Held von den Feinden im okkupirten
Berlin verfolgt wird, über die Dächer weg in ein Schlafzimmer dringt, dort seine
Jugendliebe, die Cousine Stephanie, in vollster Frisur aufrecht auf dem Kanapee
eingeschlafen findet und ein seltsames Wiedersehen mit ihr feiert. Im Hinter¬
grunde der Geschichte aber steht die monumentale Gestalt des alten Fritz, be¬
geistert verehrt von seinen Preußen, aber einsam und bitter, streng, kalt und
selbstherrlich, von dem Dichter mit scheuer Bewunderung gezeichnet.

Seine tiefste Bedeutung erhält der Roman Cabanis erst vom nationalen
Standpunkte aus betrachtet. Die öffentliche Meinung jener Tage erwartete
von der Einflutung der französischen Freiheitsideen das Heil des Vaterlandes;
vom aufgeklärten republikanisch gesinnten Westen mußte die Rettung kommen.
In seinen süddeutschen Reiseskizzen verspottet Wilibald Alexis die franzosen¬
freundlichen Rheinbayern, die sich in ihrer politische" Aufklärung hoch erhaben
über preußische Stupidität dünkten. Wenn Wilibald Alexis mit allein Bewußt¬
sein die Gestalt des großen Friedrich monumental aufrichtete, so sprach er da¬
durch zugleich ein politisches Glaubensbekenntnis aus, wie er es etwa gleich¬
zeitig (1834) in seinen Schattenrissen aus Süddeutschland niederlegte, um den
Angriffen von der rechten und der linken Seite zu begegnen, die ihm nicht
erspart blieben. Er erklärte darin die Erbmonarchie als die allein angemessene
Regierungsform für Europa und bezeichnete sich als einen überzeugten Roya-
listen. Er preist mit allem Ernst die Vorzüge des Königtums gegenüber der
Republik, die nur möglich sei, wenn alle Menschen leidenschaftslos und tugend¬
haft seien. Das allgemeine Verlangen nach fixirten Verfassungen entspreche
einem wahren Bedürfnis, aber mehr als von solchen Verfassungen erwartet er
von dem öffentlichen Geiste in Wissenschaft, Schulen, Handel und Beamten¬
schaft einen geregelten Fortschritt des politischen Lebens. Gegen die Fehler
der Fürsten ist er nicht blind; er hält im Notfall eine Revolution für gerecht¬
fertigt, wie die Julirevolution eine heilige Sache verfocht. Aber trotz aller
Irrtümer der Höfe preist er Deutschland glücklich, weil in seinen Fürsten¬
geschlechtern Habsburg und Hohenzollern noch das Mark des Lebens rinnt,
und sie mit ihren Völkern noch gegenseitige Liebe verbindet. Den unseligen
Zwiespalt zwischen Nord- und Süddeutschland beklagt er schmerzlich, ebenso die
republikanischen Neigungen der Nheindeutschen. Aber wenn er auch für möglich
hält, daß die monarchische Sache zeitweilig sinke, weil die Herrscher das Ver¬
trauen zu den Völkern verloren haben, im Herzen lebt ihm die freudige Zu¬
versicht, daß die Völker einst zu den Monarchen zurückkehren werden.

(Schluß folgt)




Wilibald Alexis

Säufer, Spieler, zuletzt Marodeur, muß Spießruten laufen, aber zugleich ent¬
wickelt sich in dieser wilden Natur ein vaterländisches Gefühl, das sie reinigt.
Den Feinden, die ihn gefangen hatten, kühn entronnen, füllt er bei der Ver¬
teidigung von Berlin, von Wunden bedeckt, und führt so durch einen tapfern
Soldatentod seine Vergehen. Rührend und gemütvoll ist die Rückkehr Etiennes
in das verlassene und verarmte Vaterhaus geschildert. Ein realistisches Genre¬
bild anmutigster Art ist es, wie der Held von den Feinden im okkupirten
Berlin verfolgt wird, über die Dächer weg in ein Schlafzimmer dringt, dort seine
Jugendliebe, die Cousine Stephanie, in vollster Frisur aufrecht auf dem Kanapee
eingeschlafen findet und ein seltsames Wiedersehen mit ihr feiert. Im Hinter¬
grunde der Geschichte aber steht die monumentale Gestalt des alten Fritz, be¬
geistert verehrt von seinen Preußen, aber einsam und bitter, streng, kalt und
selbstherrlich, von dem Dichter mit scheuer Bewunderung gezeichnet.

Seine tiefste Bedeutung erhält der Roman Cabanis erst vom nationalen
Standpunkte aus betrachtet. Die öffentliche Meinung jener Tage erwartete
von der Einflutung der französischen Freiheitsideen das Heil des Vaterlandes;
vom aufgeklärten republikanisch gesinnten Westen mußte die Rettung kommen.
In seinen süddeutschen Reiseskizzen verspottet Wilibald Alexis die franzosen¬
freundlichen Rheinbayern, die sich in ihrer politische» Aufklärung hoch erhaben
über preußische Stupidität dünkten. Wenn Wilibald Alexis mit allein Bewußt¬
sein die Gestalt des großen Friedrich monumental aufrichtete, so sprach er da¬
durch zugleich ein politisches Glaubensbekenntnis aus, wie er es etwa gleich¬
zeitig (1834) in seinen Schattenrissen aus Süddeutschland niederlegte, um den
Angriffen von der rechten und der linken Seite zu begegnen, die ihm nicht
erspart blieben. Er erklärte darin die Erbmonarchie als die allein angemessene
Regierungsform für Europa und bezeichnete sich als einen überzeugten Roya-
listen. Er preist mit allem Ernst die Vorzüge des Königtums gegenüber der
Republik, die nur möglich sei, wenn alle Menschen leidenschaftslos und tugend¬
haft seien. Das allgemeine Verlangen nach fixirten Verfassungen entspreche
einem wahren Bedürfnis, aber mehr als von solchen Verfassungen erwartet er
von dem öffentlichen Geiste in Wissenschaft, Schulen, Handel und Beamten¬
schaft einen geregelten Fortschritt des politischen Lebens. Gegen die Fehler
der Fürsten ist er nicht blind; er hält im Notfall eine Revolution für gerecht¬
fertigt, wie die Julirevolution eine heilige Sache verfocht. Aber trotz aller
Irrtümer der Höfe preist er Deutschland glücklich, weil in seinen Fürsten¬
geschlechtern Habsburg und Hohenzollern noch das Mark des Lebens rinnt,
und sie mit ihren Völkern noch gegenseitige Liebe verbindet. Den unseligen
Zwiespalt zwischen Nord- und Süddeutschland beklagt er schmerzlich, ebenso die
republikanischen Neigungen der Nheindeutschen. Aber wenn er auch für möglich
hält, daß die monarchische Sache zeitweilig sinke, weil die Herrscher das Ver¬
trauen zu den Völkern verloren haben, im Herzen lebt ihm die freudige Zu¬
versicht, daß die Völker einst zu den Monarchen zurückkehren werden.

(Schluß folgt)




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[0240] Wilibald Alexis Säufer, Spieler, zuletzt Marodeur, muß Spießruten laufen, aber zugleich ent¬ wickelt sich in dieser wilden Natur ein vaterländisches Gefühl, das sie reinigt. Den Feinden, die ihn gefangen hatten, kühn entronnen, füllt er bei der Ver¬ teidigung von Berlin, von Wunden bedeckt, und führt so durch einen tapfern Soldatentod seine Vergehen. Rührend und gemütvoll ist die Rückkehr Etiennes in das verlassene und verarmte Vaterhaus geschildert. Ein realistisches Genre¬ bild anmutigster Art ist es, wie der Held von den Feinden im okkupirten Berlin verfolgt wird, über die Dächer weg in ein Schlafzimmer dringt, dort seine Jugendliebe, die Cousine Stephanie, in vollster Frisur aufrecht auf dem Kanapee eingeschlafen findet und ein seltsames Wiedersehen mit ihr feiert. Im Hinter¬ grunde der Geschichte aber steht die monumentale Gestalt des alten Fritz, be¬ geistert verehrt von seinen Preußen, aber einsam und bitter, streng, kalt und selbstherrlich, von dem Dichter mit scheuer Bewunderung gezeichnet. Seine tiefste Bedeutung erhält der Roman Cabanis erst vom nationalen Standpunkte aus betrachtet. Die öffentliche Meinung jener Tage erwartete von der Einflutung der französischen Freiheitsideen das Heil des Vaterlandes; vom aufgeklärten republikanisch gesinnten Westen mußte die Rettung kommen. In seinen süddeutschen Reiseskizzen verspottet Wilibald Alexis die franzosen¬ freundlichen Rheinbayern, die sich in ihrer politische» Aufklärung hoch erhaben über preußische Stupidität dünkten. Wenn Wilibald Alexis mit allein Bewußt¬ sein die Gestalt des großen Friedrich monumental aufrichtete, so sprach er da¬ durch zugleich ein politisches Glaubensbekenntnis aus, wie er es etwa gleich¬ zeitig (1834) in seinen Schattenrissen aus Süddeutschland niederlegte, um den Angriffen von der rechten und der linken Seite zu begegnen, die ihm nicht erspart blieben. Er erklärte darin die Erbmonarchie als die allein angemessene Regierungsform für Europa und bezeichnete sich als einen überzeugten Roya- listen. Er preist mit allem Ernst die Vorzüge des Königtums gegenüber der Republik, die nur möglich sei, wenn alle Menschen leidenschaftslos und tugend¬ haft seien. Das allgemeine Verlangen nach fixirten Verfassungen entspreche einem wahren Bedürfnis, aber mehr als von solchen Verfassungen erwartet er von dem öffentlichen Geiste in Wissenschaft, Schulen, Handel und Beamten¬ schaft einen geregelten Fortschritt des politischen Lebens. Gegen die Fehler der Fürsten ist er nicht blind; er hält im Notfall eine Revolution für gerecht¬ fertigt, wie die Julirevolution eine heilige Sache verfocht. Aber trotz aller Irrtümer der Höfe preist er Deutschland glücklich, weil in seinen Fürsten¬ geschlechtern Habsburg und Hohenzollern noch das Mark des Lebens rinnt, und sie mit ihren Völkern noch gegenseitige Liebe verbindet. Den unseligen Zwiespalt zwischen Nord- und Süddeutschland beklagt er schmerzlich, ebenso die republikanischen Neigungen der Nheindeutschen. Aber wenn er auch für möglich hält, daß die monarchische Sache zeitweilig sinke, weil die Herrscher das Ver¬ trauen zu den Völkern verloren haben, im Herzen lebt ihm die freudige Zu¬ versicht, daß die Völker einst zu den Monarchen zurückkehren werden. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/240>, abgerufen am 27.07.2024.