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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung

Verbindung sind eben von einem höhern Standpunkt aus zu prüfen, d) Daß
dem Rechtsanwalt wegen seiner subjektiven Stellung als Parteivertreter die sür
die Beurkundung notwendige Objektivität abgebe. Dies ist eine leere Redensart;
es ist nicht abzusehen, weshalb nicht der Mann, der die Parteien in Prozessen
vertritt, zugleich rechtsgeschäftliche Erklärungen der Parteien und Dritter mit
derselben Sicherheit soll beurkunden können wie ein Notar, der nicht Rechts¬
anwalt ist. Zudem ist in den Notariatsordnungen immer vorgesorgt, daß der
Notar von der Beurkundung in den Angelegenheiten, in denen er als Rechts¬
anwalt thätig gewesen ist, ausgeschlossen ist. e) Daß die Unabhängigkeit des
Rechtsanwalts unter dieser Verbindung leide. Dies ist gleichfalls nur eine
Phrase; die preußischen Rechtsanwälte, die zugleich Notare sind, haben sich
namentlich in politischer Beziehung ebenso unabhängig gezeigt, wie andre
Rechtsanwälte. Daß freisinnige oder "klerikale" Rechtsanwülte bei der Ver¬
leihung des Notariats zurückgesetzt würden, hat noch niemand behauptet; und
daß Rechtsanwälte, die in politischer Beziehung eine "der bestehenden Staats¬
und Gesellschaftsordnung zuwiderlaufende Richtung" verfolgen, nicht Staats¬
beamte, also auch nicht Notare werden können, bedarf keiner Begründung.

Eine einheitliche Gestaltung der Notariatsverfassung ist nur zu erreichen,
wenn die Einrichtung des einen Gebiets zu Gunsten des andern aufgegeben
wird. Die französische Notariatsverfassung gilt nur etwa für elf Millionen
Deutsche, die altpreußische dagegen sür die übrigen einundvierzig Millionen.
In den Gebieten dieser ist etwa ein Drittel, in einzelnen Oberlandesgerichts¬
bezirken sogar mehr als die Hälfte der Rechtsanwälte zugleich Notar; eine
Beseitigung dieses Zustands läßt sich daher ohne zerstörenden Eingriff in die
wirtschaftlichen Verhältnisse überaus vieler, namentlich älterer Rechtsanwälte
nicht ausführen. Dagegen bietet die Beseitigung der französischen Notariats¬
verfassung keine wesentlichen Schwierigkeiten, da beim Übergang der bisher
von den Notaren ausgeübten freiwilligen Gerichtsbarkeit auf die Gerichte die
Notare (vielleicht unter der Entschädigung für die entgehenden Mehreinnahmen)
als Richter angestellt oder auch nach ihrSr Wahl Rechtsanwälte werden können,
unter der Belassung des Notariats im altpreußischen Sinne. Auch diese Er¬
wägung kann bei einer einheitlichen Regelung nicht außer acht bleiben. Ein¬
wendungen aber wie die, daß man sich in Baden usw. an die bestehende Ein¬
richtung gewöhnt habe, können überhaupt nicht in Betracht kommen gegenüber
der Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung. Hätte man derartige Bedenken
auch auf dem Gebiete der streitigen Rechtspflege und des bürgerlichen Rechts
berücksichtigt, so wäre anch hier die Rechtseinheit unmöglich gewesen.




Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung

Verbindung sind eben von einem höhern Standpunkt aus zu prüfen, d) Daß
dem Rechtsanwalt wegen seiner subjektiven Stellung als Parteivertreter die sür
die Beurkundung notwendige Objektivität abgebe. Dies ist eine leere Redensart;
es ist nicht abzusehen, weshalb nicht der Mann, der die Parteien in Prozessen
vertritt, zugleich rechtsgeschäftliche Erklärungen der Parteien und Dritter mit
derselben Sicherheit soll beurkunden können wie ein Notar, der nicht Rechts¬
anwalt ist. Zudem ist in den Notariatsordnungen immer vorgesorgt, daß der
Notar von der Beurkundung in den Angelegenheiten, in denen er als Rechts¬
anwalt thätig gewesen ist, ausgeschlossen ist. e) Daß die Unabhängigkeit des
Rechtsanwalts unter dieser Verbindung leide. Dies ist gleichfalls nur eine
Phrase; die preußischen Rechtsanwälte, die zugleich Notare sind, haben sich
namentlich in politischer Beziehung ebenso unabhängig gezeigt, wie andre
Rechtsanwälte. Daß freisinnige oder „klerikale" Rechtsanwülte bei der Ver¬
leihung des Notariats zurückgesetzt würden, hat noch niemand behauptet; und
daß Rechtsanwälte, die in politischer Beziehung eine „der bestehenden Staats¬
und Gesellschaftsordnung zuwiderlaufende Richtung" verfolgen, nicht Staats¬
beamte, also auch nicht Notare werden können, bedarf keiner Begründung.

Eine einheitliche Gestaltung der Notariatsverfassung ist nur zu erreichen,
wenn die Einrichtung des einen Gebiets zu Gunsten des andern aufgegeben
wird. Die französische Notariatsverfassung gilt nur etwa für elf Millionen
Deutsche, die altpreußische dagegen sür die übrigen einundvierzig Millionen.
In den Gebieten dieser ist etwa ein Drittel, in einzelnen Oberlandesgerichts¬
bezirken sogar mehr als die Hälfte der Rechtsanwälte zugleich Notar; eine
Beseitigung dieses Zustands läßt sich daher ohne zerstörenden Eingriff in die
wirtschaftlichen Verhältnisse überaus vieler, namentlich älterer Rechtsanwälte
nicht ausführen. Dagegen bietet die Beseitigung der französischen Notariats¬
verfassung keine wesentlichen Schwierigkeiten, da beim Übergang der bisher
von den Notaren ausgeübten freiwilligen Gerichtsbarkeit auf die Gerichte die
Notare (vielleicht unter der Entschädigung für die entgehenden Mehreinnahmen)
als Richter angestellt oder auch nach ihrSr Wahl Rechtsanwälte werden können,
unter der Belassung des Notariats im altpreußischen Sinne. Auch diese Er¬
wägung kann bei einer einheitlichen Regelung nicht außer acht bleiben. Ein¬
wendungen aber wie die, daß man sich in Baden usw. an die bestehende Ein¬
richtung gewöhnt habe, können überhaupt nicht in Betracht kommen gegenüber
der Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung. Hätte man derartige Bedenken
auch auf dem Gebiete der streitigen Rechtspflege und des bürgerlichen Rechts
berücksichtigt, so wäre anch hier die Rechtseinheit unmöglich gewesen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/220>, abgerufen am 01.09.2024.