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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung

schließen wollen, nicht an den Notar, sondern an den Rechtsanwalt. Dieser
entwirft die Urkunde, und der Notar beglaubigt sie oder legt den Entwurf des
Rechtsanwalts dem Notariatsprotokoll zu Grunde. Die Abfassung derartiger
Verträge erfordert eben allseitige rechtswissenschaftliche Kenntnisse, und diese
gehen dem Beamten ab, der rein einseitig und formularmäßig in der oben be-
schriebnen Weise beschäftigt ist. Während sich die Leistungsfähigkeit des alt-
Preußischen Notars gerade bei der Aufnahme schwieriger Verträge aus den
verschiedensten Rechtsgebieten zeigt, dies auch der Natur des Amtes entspricht,
liegt bei der französischen Notariatsverfassung die Gefahr nahe, sich auf die
jeder Wissenschaftlichkeit abholde Verwendung von Formularen zu beschränken.
Jedenfalls liegt kein Anlaß vor, den zur Ausübung der Rechtspflege berufnen
Behörden eine Verfassung zu geben, durch die der "handwerksmäßige Betrieb,"
die "juristische Tagelöhneret" -- um hier nochmals mit Gneist zu reden --
befördert wird; die altpreußische Nvtariatsverfassung, bei der der mitten in der
gesamten Rechtspflege stehende Rechtsanwalt zugleich Notar ist, leistet hiergegen
die beste Gewähr. Man kann hiergegen nicht einwenden, daß in vielen Rechts-
angelegenheiten auch die Thätigkeit des Richters sehr einfach ist; denn diese ist
regelmäßig einem Wechsel unterworfen, erstreckt sich zudem auch gewöhnlich auf
mehrere Gebiete der Rechtspflege.

5. Für die altpreußische Notariatsverfassung spricht auch die Rücksicht auf
die Nechtsanwülte. Die freie Advokatur hat eine große Überfüllung des An¬
waltstandes und hiermit einen Niedergang der wirtschaftlichen Lage der Nechts¬
anwülte erzeugt. In beiden Beziehungen ist es förderlich, wenn man den
Nechtscmwälten das Notariat im altpreußischen Sinne, d. h. das Veurkundungs-
wesen übertrüge. In Preußen werden Notare nach Bedürfnis vom Minister
ernannt; ist der Rechtsanwalt nun überhaupt in der Lage, Notar werden zu
können, so wird er bei der Niederlassung besonders Orte aufsuchen, an denen
ihm durch die erwartete Ernennung zum Notar eine gesichertere Stellung er¬
wächst; er wird also bei der Niederlassung mit größerer Vorsicht verfahren.
Man hat gegen die altpreußische Notariatsverfassung eingewandt: a) daß die
Berufe des Nechtsauwalts und des Notars mit einander nichts zu thun hätten,
und daß ferner der Anwaltsberuf nicht genügende Zeit und Interesse für die
Ausübung des Notariats ließe. Das erste ist richtig; es handelt sich hier eben
nur um Zweckmäßigkeitsgründe, und diese sprechen nach dem oben geschilderten
für die Verbindung der Berufe. Daß die Verbindung in der That zu Miß-
stünden der behaupteten Art führen kann, ist nicht zu bezweifeln, inwieweit diese
hervortreten, bürgt von der Pflichttreue und Geschicklichkeit des Einzelnen ab;
vereinzelte Fälle (Entsch. des Ehrengerichtshofs H. 1 S. 209; 4 S. 133) ge¬
statten keine Verallgemeinerung. Pflichtwidrigkeiten werden immer vorkommen,
mag nun der Rechtsanwalt zugleich Notar sein oder nicht; sie kommen auch bei
dem Notar vor, der nicht Rechtsanwalt ist. Die Gründe für und wider die


Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung

schließen wollen, nicht an den Notar, sondern an den Rechtsanwalt. Dieser
entwirft die Urkunde, und der Notar beglaubigt sie oder legt den Entwurf des
Rechtsanwalts dem Notariatsprotokoll zu Grunde. Die Abfassung derartiger
Verträge erfordert eben allseitige rechtswissenschaftliche Kenntnisse, und diese
gehen dem Beamten ab, der rein einseitig und formularmäßig in der oben be-
schriebnen Weise beschäftigt ist. Während sich die Leistungsfähigkeit des alt-
Preußischen Notars gerade bei der Aufnahme schwieriger Verträge aus den
verschiedensten Rechtsgebieten zeigt, dies auch der Natur des Amtes entspricht,
liegt bei der französischen Notariatsverfassung die Gefahr nahe, sich auf die
jeder Wissenschaftlichkeit abholde Verwendung von Formularen zu beschränken.
Jedenfalls liegt kein Anlaß vor, den zur Ausübung der Rechtspflege berufnen
Behörden eine Verfassung zu geben, durch die der „handwerksmäßige Betrieb,"
die „juristische Tagelöhneret" — um hier nochmals mit Gneist zu reden —
befördert wird; die altpreußische Nvtariatsverfassung, bei der der mitten in der
gesamten Rechtspflege stehende Rechtsanwalt zugleich Notar ist, leistet hiergegen
die beste Gewähr. Man kann hiergegen nicht einwenden, daß in vielen Rechts-
angelegenheiten auch die Thätigkeit des Richters sehr einfach ist; denn diese ist
regelmäßig einem Wechsel unterworfen, erstreckt sich zudem auch gewöhnlich auf
mehrere Gebiete der Rechtspflege.

5. Für die altpreußische Notariatsverfassung spricht auch die Rücksicht auf
die Nechtsanwülte. Die freie Advokatur hat eine große Überfüllung des An¬
waltstandes und hiermit einen Niedergang der wirtschaftlichen Lage der Nechts¬
anwülte erzeugt. In beiden Beziehungen ist es förderlich, wenn man den
Nechtscmwälten das Notariat im altpreußischen Sinne, d. h. das Veurkundungs-
wesen übertrüge. In Preußen werden Notare nach Bedürfnis vom Minister
ernannt; ist der Rechtsanwalt nun überhaupt in der Lage, Notar werden zu
können, so wird er bei der Niederlassung besonders Orte aufsuchen, an denen
ihm durch die erwartete Ernennung zum Notar eine gesichertere Stellung er¬
wächst; er wird also bei der Niederlassung mit größerer Vorsicht verfahren.
Man hat gegen die altpreußische Notariatsverfassung eingewandt: a) daß die
Berufe des Nechtsauwalts und des Notars mit einander nichts zu thun hätten,
und daß ferner der Anwaltsberuf nicht genügende Zeit und Interesse für die
Ausübung des Notariats ließe. Das erste ist richtig; es handelt sich hier eben
nur um Zweckmäßigkeitsgründe, und diese sprechen nach dem oben geschilderten
für die Verbindung der Berufe. Daß die Verbindung in der That zu Miß-
stünden der behaupteten Art führen kann, ist nicht zu bezweifeln, inwieweit diese
hervortreten, bürgt von der Pflichttreue und Geschicklichkeit des Einzelnen ab;
vereinzelte Fälle (Entsch. des Ehrengerichtshofs H. 1 S. 209; 4 S. 133) ge¬
statten keine Verallgemeinerung. Pflichtwidrigkeiten werden immer vorkommen,
mag nun der Rechtsanwalt zugleich Notar sein oder nicht; sie kommen auch bei
dem Notar vor, der nicht Rechtsanwalt ist. Die Gründe für und wider die


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[0219] Die einheitliche Regelung des Notariats durch die Reichsgesetzgebung schließen wollen, nicht an den Notar, sondern an den Rechtsanwalt. Dieser entwirft die Urkunde, und der Notar beglaubigt sie oder legt den Entwurf des Rechtsanwalts dem Notariatsprotokoll zu Grunde. Die Abfassung derartiger Verträge erfordert eben allseitige rechtswissenschaftliche Kenntnisse, und diese gehen dem Beamten ab, der rein einseitig und formularmäßig in der oben be- schriebnen Weise beschäftigt ist. Während sich die Leistungsfähigkeit des alt- Preußischen Notars gerade bei der Aufnahme schwieriger Verträge aus den verschiedensten Rechtsgebieten zeigt, dies auch der Natur des Amtes entspricht, liegt bei der französischen Notariatsverfassung die Gefahr nahe, sich auf die jeder Wissenschaftlichkeit abholde Verwendung von Formularen zu beschränken. Jedenfalls liegt kein Anlaß vor, den zur Ausübung der Rechtspflege berufnen Behörden eine Verfassung zu geben, durch die der „handwerksmäßige Betrieb," die „juristische Tagelöhneret" — um hier nochmals mit Gneist zu reden — befördert wird; die altpreußische Nvtariatsverfassung, bei der der mitten in der gesamten Rechtspflege stehende Rechtsanwalt zugleich Notar ist, leistet hiergegen die beste Gewähr. Man kann hiergegen nicht einwenden, daß in vielen Rechts- angelegenheiten auch die Thätigkeit des Richters sehr einfach ist; denn diese ist regelmäßig einem Wechsel unterworfen, erstreckt sich zudem auch gewöhnlich auf mehrere Gebiete der Rechtspflege. 5. Für die altpreußische Notariatsverfassung spricht auch die Rücksicht auf die Nechtsanwülte. Die freie Advokatur hat eine große Überfüllung des An¬ waltstandes und hiermit einen Niedergang der wirtschaftlichen Lage der Nechts¬ anwülte erzeugt. In beiden Beziehungen ist es förderlich, wenn man den Nechtscmwälten das Notariat im altpreußischen Sinne, d. h. das Veurkundungs- wesen übertrüge. In Preußen werden Notare nach Bedürfnis vom Minister ernannt; ist der Rechtsanwalt nun überhaupt in der Lage, Notar werden zu können, so wird er bei der Niederlassung besonders Orte aufsuchen, an denen ihm durch die erwartete Ernennung zum Notar eine gesichertere Stellung er¬ wächst; er wird also bei der Niederlassung mit größerer Vorsicht verfahren. Man hat gegen die altpreußische Notariatsverfassung eingewandt: a) daß die Berufe des Nechtsauwalts und des Notars mit einander nichts zu thun hätten, und daß ferner der Anwaltsberuf nicht genügende Zeit und Interesse für die Ausübung des Notariats ließe. Das erste ist richtig; es handelt sich hier eben nur um Zweckmäßigkeitsgründe, und diese sprechen nach dem oben geschilderten für die Verbindung der Berufe. Daß die Verbindung in der That zu Miß- stünden der behaupteten Art führen kann, ist nicht zu bezweifeln, inwieweit diese hervortreten, bürgt von der Pflichttreue und Geschicklichkeit des Einzelnen ab; vereinzelte Fälle (Entsch. des Ehrengerichtshofs H. 1 S. 209; 4 S. 133) ge¬ statten keine Verallgemeinerung. Pflichtwidrigkeiten werden immer vorkommen, mag nun der Rechtsanwalt zugleich Notar sein oder nicht; sie kommen auch bei dem Notar vor, der nicht Rechtsanwalt ist. Die Gründe für und wider die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/219>, abgerufen am 01.09.2024.