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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Lin sächsisches Gymnasium während des Krieges von ^3?O/7^

Die Stadt, der es angehörte, Plauen im Vogtlande, war damals eine
Gemeinde etwa von 24000 Einwohnern. Inmitten eines waldreichen, hügeligen
Hochlandes malerisch gelegen, auf zwei nach dem breiten Elsterthale hin steil
abfallenden und durch das ziemlich tiefe Syrathal getrennten Hochebnen, über
sich das alte Schloß der Vogte auf dem Rhatschin, wie man dort schreibt,
war die Stadt gerade groß genug, ein regeres Leben zu entfalten, und doch
klein genug, ihre Bewohner viel enger aneinander zu schließen, als es in einer
Großstadt möglich ist. Die Bevölkerung, fränkischen Stammes, hatte längst
eine schwunghafte Weißwarenindustrie entfaltet und zählte eine Reihe sehr
wohlhabender und intelligenter Männer unter ihren Fabrikanten, die, übrigens
ohne eine Spur von Protzentum, nach süddeutscher Art unbefangen mit allen
Stünden verkehrten. Rührig, leicht empfänglich, einer unter Umständen etwas
derben Fröhlichkeit nicht abgeneigt, hatten sich die "Plauenschen," wie sie sich
selber nannten, rasch in die veränderten politischen Verhältnisse seit 1866
hineingefunden und ein reges politisches Interesse entwickelt, dessen Richtung
sie allerdings in einen gewissen Gegensatz zu dem umliegenden platten Lande
brachte. Liberal und deutschnational, konservativ und partikularistisch schienen
damals noch zusammenzufallen; der ersten Richtung huldigte die politisch
denkende Bevölkerung der Stadt, der zweiten das platte Land, das von meist
kleinen Bauerndörfern besetzt ist und besonders viel Rittergüter (etwa hundert
auf den fünfundzwanzig Quadratmeilen des sächsischen Vogtlandes) hat. Man
war gewöhnt, über die nahe sächsische Grenze hinauszuschaueu und mit den
Nachbarn drüben in Bayern wie vor allem in den reußischen Fürstentümern,
deren verwickelte Gebietsverhaltnisse allerdings selbst den Eingeweihten dunkel
blieben, unbefangen zu verkehren; man lachte über wunderliche Geschichten an
dem kleinen Hofe von Greiz, wohin die "Plauenschen" gern Ausflüge unter¬
nahmen, obwohl die erleuchtete reußische Eisenbahnpolitik die Erbauung einer
Bahnlinie dorthin noch verhindert hatte, und man erzählte immer wieder, daß
vor 1866 die ganze reußische Armee älterer Linie bei Regenwetter nnter dem
Thorwege des Schlosses Platz gefunden habe. Man trug aber auch kein Be¬
denken, die oft in Farbe und Ausdruck kaum noch kenntlichen, schmutzigen
"wilden" Thalerscheine dieser "Raubstaaten," die massenhaft über die Grenze
kamen und von dem Kredit des sächsischen und preußischen Papiergeldes Vorteil
Zogen, im Verkehr als vollwertig anzunehmen und auszugeben. Mit einigem
Stolze wies der Plauensche Lokalpatriotismus auf einige Persönlichkeiten hin,
die in naher Vergangenheit eine bedeutendere politische Rolle gespielt hatten,
den Amtshauptmannn Karl Braun, den "Mürzminister" von 1848, einen
langen, hagern, ernst dreinschauenden Mann, den Gründer der liberalen Partei
w Sachsen, Heinrich von Dieskau, einen ehrwürdigen, alten weißbürtigen Herrn,
und den Rechtsanwalt Moritz Kirbach, damaligen Sekretär der Handelskammer,
der die Teilnahme am Maiaufstände 1849 mit langjähriger, harter Kerkerhaft


Lin sächsisches Gymnasium während des Krieges von ^3?O/7^

Die Stadt, der es angehörte, Plauen im Vogtlande, war damals eine
Gemeinde etwa von 24000 Einwohnern. Inmitten eines waldreichen, hügeligen
Hochlandes malerisch gelegen, auf zwei nach dem breiten Elsterthale hin steil
abfallenden und durch das ziemlich tiefe Syrathal getrennten Hochebnen, über
sich das alte Schloß der Vogte auf dem Rhatschin, wie man dort schreibt,
war die Stadt gerade groß genug, ein regeres Leben zu entfalten, und doch
klein genug, ihre Bewohner viel enger aneinander zu schließen, als es in einer
Großstadt möglich ist. Die Bevölkerung, fränkischen Stammes, hatte längst
eine schwunghafte Weißwarenindustrie entfaltet und zählte eine Reihe sehr
wohlhabender und intelligenter Männer unter ihren Fabrikanten, die, übrigens
ohne eine Spur von Protzentum, nach süddeutscher Art unbefangen mit allen
Stünden verkehrten. Rührig, leicht empfänglich, einer unter Umständen etwas
derben Fröhlichkeit nicht abgeneigt, hatten sich die „Plauenschen," wie sie sich
selber nannten, rasch in die veränderten politischen Verhältnisse seit 1866
hineingefunden und ein reges politisches Interesse entwickelt, dessen Richtung
sie allerdings in einen gewissen Gegensatz zu dem umliegenden platten Lande
brachte. Liberal und deutschnational, konservativ und partikularistisch schienen
damals noch zusammenzufallen; der ersten Richtung huldigte die politisch
denkende Bevölkerung der Stadt, der zweiten das platte Land, das von meist
kleinen Bauerndörfern besetzt ist und besonders viel Rittergüter (etwa hundert
auf den fünfundzwanzig Quadratmeilen des sächsischen Vogtlandes) hat. Man
war gewöhnt, über die nahe sächsische Grenze hinauszuschaueu und mit den
Nachbarn drüben in Bayern wie vor allem in den reußischen Fürstentümern,
deren verwickelte Gebietsverhaltnisse allerdings selbst den Eingeweihten dunkel
blieben, unbefangen zu verkehren; man lachte über wunderliche Geschichten an
dem kleinen Hofe von Greiz, wohin die „Plauenschen" gern Ausflüge unter¬
nahmen, obwohl die erleuchtete reußische Eisenbahnpolitik die Erbauung einer
Bahnlinie dorthin noch verhindert hatte, und man erzählte immer wieder, daß
vor 1866 die ganze reußische Armee älterer Linie bei Regenwetter nnter dem
Thorwege des Schlosses Platz gefunden habe. Man trug aber auch kein Be¬
denken, die oft in Farbe und Ausdruck kaum noch kenntlichen, schmutzigen
„wilden" Thalerscheine dieser „Raubstaaten," die massenhaft über die Grenze
kamen und von dem Kredit des sächsischen und preußischen Papiergeldes Vorteil
Zogen, im Verkehr als vollwertig anzunehmen und auszugeben. Mit einigem
Stolze wies der Plauensche Lokalpatriotismus auf einige Persönlichkeiten hin,
die in naher Vergangenheit eine bedeutendere politische Rolle gespielt hatten,
den Amtshauptmannn Karl Braun, den „Mürzminister" von 1848, einen
langen, hagern, ernst dreinschauenden Mann, den Gründer der liberalen Partei
w Sachsen, Heinrich von Dieskau, einen ehrwürdigen, alten weißbürtigen Herrn,
und den Rechtsanwalt Moritz Kirbach, damaligen Sekretär der Handelskammer,
der die Teilnahme am Maiaufstände 1849 mit langjähriger, harter Kerkerhaft


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[0203] Lin sächsisches Gymnasium während des Krieges von ^3?O/7^ Die Stadt, der es angehörte, Plauen im Vogtlande, war damals eine Gemeinde etwa von 24000 Einwohnern. Inmitten eines waldreichen, hügeligen Hochlandes malerisch gelegen, auf zwei nach dem breiten Elsterthale hin steil abfallenden und durch das ziemlich tiefe Syrathal getrennten Hochebnen, über sich das alte Schloß der Vogte auf dem Rhatschin, wie man dort schreibt, war die Stadt gerade groß genug, ein regeres Leben zu entfalten, und doch klein genug, ihre Bewohner viel enger aneinander zu schließen, als es in einer Großstadt möglich ist. Die Bevölkerung, fränkischen Stammes, hatte längst eine schwunghafte Weißwarenindustrie entfaltet und zählte eine Reihe sehr wohlhabender und intelligenter Männer unter ihren Fabrikanten, die, übrigens ohne eine Spur von Protzentum, nach süddeutscher Art unbefangen mit allen Stünden verkehrten. Rührig, leicht empfänglich, einer unter Umständen etwas derben Fröhlichkeit nicht abgeneigt, hatten sich die „Plauenschen," wie sie sich selber nannten, rasch in die veränderten politischen Verhältnisse seit 1866 hineingefunden und ein reges politisches Interesse entwickelt, dessen Richtung sie allerdings in einen gewissen Gegensatz zu dem umliegenden platten Lande brachte. Liberal und deutschnational, konservativ und partikularistisch schienen damals noch zusammenzufallen; der ersten Richtung huldigte die politisch denkende Bevölkerung der Stadt, der zweiten das platte Land, das von meist kleinen Bauerndörfern besetzt ist und besonders viel Rittergüter (etwa hundert auf den fünfundzwanzig Quadratmeilen des sächsischen Vogtlandes) hat. Man war gewöhnt, über die nahe sächsische Grenze hinauszuschaueu und mit den Nachbarn drüben in Bayern wie vor allem in den reußischen Fürstentümern, deren verwickelte Gebietsverhaltnisse allerdings selbst den Eingeweihten dunkel blieben, unbefangen zu verkehren; man lachte über wunderliche Geschichten an dem kleinen Hofe von Greiz, wohin die „Plauenschen" gern Ausflüge unter¬ nahmen, obwohl die erleuchtete reußische Eisenbahnpolitik die Erbauung einer Bahnlinie dorthin noch verhindert hatte, und man erzählte immer wieder, daß vor 1866 die ganze reußische Armee älterer Linie bei Regenwetter nnter dem Thorwege des Schlosses Platz gefunden habe. Man trug aber auch kein Be¬ denken, die oft in Farbe und Ausdruck kaum noch kenntlichen, schmutzigen „wilden" Thalerscheine dieser „Raubstaaten," die massenhaft über die Grenze kamen und von dem Kredit des sächsischen und preußischen Papiergeldes Vorteil Zogen, im Verkehr als vollwertig anzunehmen und auszugeben. Mit einigem Stolze wies der Plauensche Lokalpatriotismus auf einige Persönlichkeiten hin, die in naher Vergangenheit eine bedeutendere politische Rolle gespielt hatten, den Amtshauptmannn Karl Braun, den „Mürzminister" von 1848, einen langen, hagern, ernst dreinschauenden Mann, den Gründer der liberalen Partei w Sachsen, Heinrich von Dieskau, einen ehrwürdigen, alten weißbürtigen Herrn, und den Rechtsanwalt Moritz Kirbach, damaligen Sekretär der Handelskammer, der die Teilnahme am Maiaufstände 1849 mit langjähriger, harter Kerkerhaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/203>, abgerufen am 27.07.2024.