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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Runstsammler in Berlin

Renaissance, der Nürnberger Goldschmiede Wenzel Jamnitzer und Hans Petzold
sind, die wie durch ein Wunder dem großen Einschmelzungsprozeß unter Friedrich
dem Großen entgangen sind und jetzt nur in der Rothschildschen Sammlung in
Frankfurt a. M. ihres gleichen haben.

Die Ausstellung hieß zwar kurzweg Nenaissanceausstellung, hatte aber auch
das Mittelalter in ihren Kreis gezogen, obwohl in Berlin nur noch sehr wenig
vom Mittelalter zu finden ist, auch wenn man das Jahr 1550, wie sich das
in Norddeutschland von selbst versteht, für die Kunst als äußerste Grenze des
Mittelalters setzt. Wir denken dabei natürlich nur an die beweglichen Kunstwerke.
Der Katalog verzeichnet zwar eine kleine Anzahl mittelalterlicher, d. h. gotischer
Arbeiten, namentlich Kirchengefäße und Monstranzen; aber nicht für eine einzige
davon war der Berlinische Ursprung nachzuweisen, nicht einmal für den Abend¬
mahlskelch der Nikolaikirche mit Palme, die durch die inschriftlich bezeugten
Bildnisse zweier markgräflichen Ehepaare als Arbeiten aus der zweiten Hälfte
des dreizehnten Jahrhunderts beglaubigt sind.

Mit Gemälden aus der Zeit der italienischen und deutschen Hochrenaissance
können die Berliner Privatsammler keinen Staat machen. Die Ausstellung
enthielt zwar einige Bilder, die stolze Namen wie Vellini, Tizian, Palma it
Vecchio, Tintoretto, Morello u. a. tragen; aber selbst wenn diese Benennungen
begründet sind, so wird der ästhetische Genuß, den man mitnimmt, nur sehr
gering sein. Auch die zahlreichen Bilder von namenlosen niederländischen und
deutschen Künstlern des fünfzehnten Jahrhunderts waren mehr interessante
Rätselaufgaben für junge Kunstforscher, die auf Entdeckungen Jagd machen,
als für Kunstfreunde Gegenstände der Erhebung. Es hat zu allen Zeiten
Stümper in der Kunst gegeben, und wenn sich ihre Werke gerade zahlreicher
erhalten haben als die der Meister, so werden sie dadurch immer noch nicht
zu Meisterwerken, nicht einmal zu kunstgeschichtlichen Raritäten.

Für das letzte Ziel der Kunstwissenschaft, für die Erforschung des ge¬
schichtlichen Zusammenhangs der Kunstentwicklung, wird aber auch dieser Zweig
des Sammeleifers seine Früchte tragen. Gegenwärtig scheint sein Schwerpunkt
aber in der plastischen Kleinkunst zu liegen, deren Schöpfungen seit etwa zwei
Jahrzehnten in so großen Mengen auf dem Kunstmarkt erschienen sind, daß man
auch dafür die Gunst des Schicksals nicht genug preisen kann. Die ewigen
Plünderungen und selbst die Kunsträubereien des ersten Napoleon haben Italien
bei weitem nicht so erschöpft, wie man es bisher allgemein geglaubt hat. Ver¬
mutlich sind die Kunsträuber im großen Stil nur auf große Stücke ausge¬
gangen. Die kleinen Bronzen, Medaillen, Plaketten, die Bildwerke aus gla-
sirtem Ton, die Stuckrcliefs und ähnlicher Kleinkram mögen ihnen wertlos
erschienen sein. Manche hoch auf Felsen gelegne Ortschaften und Schlösser
mögen auch der Begehrlichkeit der Plünderer zu mühsam gewesen sein, sie
einer Durchsuchung zu unterziehen. Aus solchen und andern Verstecken sind


Runstsammler in Berlin

Renaissance, der Nürnberger Goldschmiede Wenzel Jamnitzer und Hans Petzold
sind, die wie durch ein Wunder dem großen Einschmelzungsprozeß unter Friedrich
dem Großen entgangen sind und jetzt nur in der Rothschildschen Sammlung in
Frankfurt a. M. ihres gleichen haben.

Die Ausstellung hieß zwar kurzweg Nenaissanceausstellung, hatte aber auch
das Mittelalter in ihren Kreis gezogen, obwohl in Berlin nur noch sehr wenig
vom Mittelalter zu finden ist, auch wenn man das Jahr 1550, wie sich das
in Norddeutschland von selbst versteht, für die Kunst als äußerste Grenze des
Mittelalters setzt. Wir denken dabei natürlich nur an die beweglichen Kunstwerke.
Der Katalog verzeichnet zwar eine kleine Anzahl mittelalterlicher, d. h. gotischer
Arbeiten, namentlich Kirchengefäße und Monstranzen; aber nicht für eine einzige
davon war der Berlinische Ursprung nachzuweisen, nicht einmal für den Abend¬
mahlskelch der Nikolaikirche mit Palme, die durch die inschriftlich bezeugten
Bildnisse zweier markgräflichen Ehepaare als Arbeiten aus der zweiten Hälfte
des dreizehnten Jahrhunderts beglaubigt sind.

Mit Gemälden aus der Zeit der italienischen und deutschen Hochrenaissance
können die Berliner Privatsammler keinen Staat machen. Die Ausstellung
enthielt zwar einige Bilder, die stolze Namen wie Vellini, Tizian, Palma it
Vecchio, Tintoretto, Morello u. a. tragen; aber selbst wenn diese Benennungen
begründet sind, so wird der ästhetische Genuß, den man mitnimmt, nur sehr
gering sein. Auch die zahlreichen Bilder von namenlosen niederländischen und
deutschen Künstlern des fünfzehnten Jahrhunderts waren mehr interessante
Rätselaufgaben für junge Kunstforscher, die auf Entdeckungen Jagd machen,
als für Kunstfreunde Gegenstände der Erhebung. Es hat zu allen Zeiten
Stümper in der Kunst gegeben, und wenn sich ihre Werke gerade zahlreicher
erhalten haben als die der Meister, so werden sie dadurch immer noch nicht
zu Meisterwerken, nicht einmal zu kunstgeschichtlichen Raritäten.

Für das letzte Ziel der Kunstwissenschaft, für die Erforschung des ge¬
schichtlichen Zusammenhangs der Kunstentwicklung, wird aber auch dieser Zweig
des Sammeleifers seine Früchte tragen. Gegenwärtig scheint sein Schwerpunkt
aber in der plastischen Kleinkunst zu liegen, deren Schöpfungen seit etwa zwei
Jahrzehnten in so großen Mengen auf dem Kunstmarkt erschienen sind, daß man
auch dafür die Gunst des Schicksals nicht genug preisen kann. Die ewigen
Plünderungen und selbst die Kunsträubereien des ersten Napoleon haben Italien
bei weitem nicht so erschöpft, wie man es bisher allgemein geglaubt hat. Ver¬
mutlich sind die Kunsträuber im großen Stil nur auf große Stücke ausge¬
gangen. Die kleinen Bronzen, Medaillen, Plaketten, die Bildwerke aus gla-
sirtem Ton, die Stuckrcliefs und ähnlicher Kleinkram mögen ihnen wertlos
erschienen sein. Manche hoch auf Felsen gelegne Ortschaften und Schlösser
mögen auch der Begehrlichkeit der Plünderer zu mühsam gewesen sein, sie
einer Durchsuchung zu unterziehen. Aus solchen und andern Verstecken sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/191>, abgerufen am 01.09.2024.