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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Nach der Reichstagswahl

demokraten insofern in Reih und Glied, als sie nichts dringender brauchen,
als eine haltlose, schwache Regierung, und sie sind insofern sogar die gefähr¬
lichsten Widersacher der Scmimelpolitik, die notthut, als sie, durch ihre besondre
Stellung in Preußen verleitet, alle Minen springen lassen und alle Scheiter¬
haufen anzünden, alle Künste ritterlichen Trotzes, höfischer Vasallendemut und
strenggläubiger Kirchlichkeit spielen lassen werden, um die bisher auch für sie
unnahbare Selbständigkeit des kaiserlichen Steuermanns zu brechen. Das neu¬
preußische Junkertum verlangt für seine nächsten Zwecke sehnsüchtiger als irgend
jemand nach einem mißtrauisch, unsicher, ängstlich gemachten deutschen Kaiser und
König von Preußen.

In einer Festrede hat Professor Schmoller vor einiger Zeit über die
Politik der Sammlung, die notthut, Treffliches gesprochen. Alle Gebildeten
in ganz Deutschland sollten diesen Sammelruf beherzigen. Es möge bei uns
eine Zeit gegeben haben -- so sagte er nach den Zeitungen bei der Eröffnungs¬
feier irgend eines neuen Berliner Preßklubs --, wo die materiellen Interessen
vernachlässigt worden feien, wo zu viel Gelehrte in den Parlamenten gesessen,
wo die allein regierenden Beamten das praktische Leben und die wirtschaftlichen
Bedürfnisse nicht genug gekannt hätten. Im ganzen aber sei Deutschlands
ganze geistige und materielle Kultur, sei unser Staatsleben doch nur erwachsen
unter der Führung der KominiZL litter^ti, der Lehrer und Geistlichen, der
Beamten und Schriftsteller, der Kreise, deren geistige und moralische Interessen
über den materiellen gestanden hätten. "Wehe der Zeit -- rief der gelehrte
Festredner aus --, wo man glauben sollte, diese Kräfte entbehren zu können,
wo sie aus der leitenden Stellung verdrängt, ohne Einfluß und Macht nur
ein kümmerliches Dasein im Dienste der materiellen Interessen fristen sollten. ...
Man spricht heute viel von "Sammlung"! Ich habe nichts dagegen. Aber
wie wärs, wenn wir, die Vertreter der geistigen Interessen, die Führer der
liberalen Berufsarten, uns auch einmal sammelten? Warum sollen sich bloß
die materiellen Interessen sammeln und in ihrer Sammlung uns, die Leute
der Feder, an die Seite drücken?" Nichts wäre verdienstlicher, als wenn
Schmoller und seine Leute die ungeheure politische Macht und Verantwortlich¬
keit der Vertreter der geistigen und moralischen Interessen den deutschen Staats¬
männern und sich selbst wieder zu vollem Bewußtsein brächten. Das sind die
Kreise, die, sobald sie sich auf sich selbst besinnen und sich sammeln, im Kaiser
den berufnen und bereiten Vertreter ihres eignen Wesens anerkennen müssen, sie
sinds, deren bisherige Zerfahrenheit ihn der unentbehrlichsten Gefolgschaft beraubt
hat, die treu, aber auch wo es sich einmal um einen kaiserlichen Fehler handelt,
rücksichtslos offen und uneigennützig zu ihm stehen sollte. Aber sie ist nicht
auf die uoinwös littsr-ni, die Schmollers Festrede genannt hat, beschränkt, sie
ist im Heer und in der Marine ebenso zu finden, wie im sonstigen öffentlichen
Dienst, unter den mittlern und Unterbeamten, ebenso wie unter den höhern


Nach der Reichstagswahl

demokraten insofern in Reih und Glied, als sie nichts dringender brauchen,
als eine haltlose, schwache Regierung, und sie sind insofern sogar die gefähr¬
lichsten Widersacher der Scmimelpolitik, die notthut, als sie, durch ihre besondre
Stellung in Preußen verleitet, alle Minen springen lassen und alle Scheiter¬
haufen anzünden, alle Künste ritterlichen Trotzes, höfischer Vasallendemut und
strenggläubiger Kirchlichkeit spielen lassen werden, um die bisher auch für sie
unnahbare Selbständigkeit des kaiserlichen Steuermanns zu brechen. Das neu¬
preußische Junkertum verlangt für seine nächsten Zwecke sehnsüchtiger als irgend
jemand nach einem mißtrauisch, unsicher, ängstlich gemachten deutschen Kaiser und
König von Preußen.

In einer Festrede hat Professor Schmoller vor einiger Zeit über die
Politik der Sammlung, die notthut, Treffliches gesprochen. Alle Gebildeten
in ganz Deutschland sollten diesen Sammelruf beherzigen. Es möge bei uns
eine Zeit gegeben haben — so sagte er nach den Zeitungen bei der Eröffnungs¬
feier irgend eines neuen Berliner Preßklubs —, wo die materiellen Interessen
vernachlässigt worden feien, wo zu viel Gelehrte in den Parlamenten gesessen,
wo die allein regierenden Beamten das praktische Leben und die wirtschaftlichen
Bedürfnisse nicht genug gekannt hätten. Im ganzen aber sei Deutschlands
ganze geistige und materielle Kultur, sei unser Staatsleben doch nur erwachsen
unter der Führung der KominiZL litter^ti, der Lehrer und Geistlichen, der
Beamten und Schriftsteller, der Kreise, deren geistige und moralische Interessen
über den materiellen gestanden hätten. „Wehe der Zeit — rief der gelehrte
Festredner aus —, wo man glauben sollte, diese Kräfte entbehren zu können,
wo sie aus der leitenden Stellung verdrängt, ohne Einfluß und Macht nur
ein kümmerliches Dasein im Dienste der materiellen Interessen fristen sollten. ...
Man spricht heute viel von »Sammlung«! Ich habe nichts dagegen. Aber
wie wärs, wenn wir, die Vertreter der geistigen Interessen, die Führer der
liberalen Berufsarten, uns auch einmal sammelten? Warum sollen sich bloß
die materiellen Interessen sammeln und in ihrer Sammlung uns, die Leute
der Feder, an die Seite drücken?" Nichts wäre verdienstlicher, als wenn
Schmoller und seine Leute die ungeheure politische Macht und Verantwortlich¬
keit der Vertreter der geistigen und moralischen Interessen den deutschen Staats¬
männern und sich selbst wieder zu vollem Bewußtsein brächten. Das sind die
Kreise, die, sobald sie sich auf sich selbst besinnen und sich sammeln, im Kaiser
den berufnen und bereiten Vertreter ihres eignen Wesens anerkennen müssen, sie
sinds, deren bisherige Zerfahrenheit ihn der unentbehrlichsten Gefolgschaft beraubt
hat, die treu, aber auch wo es sich einmal um einen kaiserlichen Fehler handelt,
rücksichtslos offen und uneigennützig zu ihm stehen sollte. Aber sie ist nicht
auf die uoinwös littsr-ni, die Schmollers Festrede genannt hat, beschränkt, sie
ist im Heer und in der Marine ebenso zu finden, wie im sonstigen öffentlichen
Dienst, unter den mittlern und Unterbeamten, ebenso wie unter den höhern


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[0012] Nach der Reichstagswahl demokraten insofern in Reih und Glied, als sie nichts dringender brauchen, als eine haltlose, schwache Regierung, und sie sind insofern sogar die gefähr¬ lichsten Widersacher der Scmimelpolitik, die notthut, als sie, durch ihre besondre Stellung in Preußen verleitet, alle Minen springen lassen und alle Scheiter¬ haufen anzünden, alle Künste ritterlichen Trotzes, höfischer Vasallendemut und strenggläubiger Kirchlichkeit spielen lassen werden, um die bisher auch für sie unnahbare Selbständigkeit des kaiserlichen Steuermanns zu brechen. Das neu¬ preußische Junkertum verlangt für seine nächsten Zwecke sehnsüchtiger als irgend jemand nach einem mißtrauisch, unsicher, ängstlich gemachten deutschen Kaiser und König von Preußen. In einer Festrede hat Professor Schmoller vor einiger Zeit über die Politik der Sammlung, die notthut, Treffliches gesprochen. Alle Gebildeten in ganz Deutschland sollten diesen Sammelruf beherzigen. Es möge bei uns eine Zeit gegeben haben — so sagte er nach den Zeitungen bei der Eröffnungs¬ feier irgend eines neuen Berliner Preßklubs —, wo die materiellen Interessen vernachlässigt worden feien, wo zu viel Gelehrte in den Parlamenten gesessen, wo die allein regierenden Beamten das praktische Leben und die wirtschaftlichen Bedürfnisse nicht genug gekannt hätten. Im ganzen aber sei Deutschlands ganze geistige und materielle Kultur, sei unser Staatsleben doch nur erwachsen unter der Führung der KominiZL litter^ti, der Lehrer und Geistlichen, der Beamten und Schriftsteller, der Kreise, deren geistige und moralische Interessen über den materiellen gestanden hätten. „Wehe der Zeit — rief der gelehrte Festredner aus —, wo man glauben sollte, diese Kräfte entbehren zu können, wo sie aus der leitenden Stellung verdrängt, ohne Einfluß und Macht nur ein kümmerliches Dasein im Dienste der materiellen Interessen fristen sollten. ... Man spricht heute viel von »Sammlung«! Ich habe nichts dagegen. Aber wie wärs, wenn wir, die Vertreter der geistigen Interessen, die Führer der liberalen Berufsarten, uns auch einmal sammelten? Warum sollen sich bloß die materiellen Interessen sammeln und in ihrer Sammlung uns, die Leute der Feder, an die Seite drücken?" Nichts wäre verdienstlicher, als wenn Schmoller und seine Leute die ungeheure politische Macht und Verantwortlich¬ keit der Vertreter der geistigen und moralischen Interessen den deutschen Staats¬ männern und sich selbst wieder zu vollem Bewußtsein brächten. Das sind die Kreise, die, sobald sie sich auf sich selbst besinnen und sich sammeln, im Kaiser den berufnen und bereiten Vertreter ihres eignen Wesens anerkennen müssen, sie sinds, deren bisherige Zerfahrenheit ihn der unentbehrlichsten Gefolgschaft beraubt hat, die treu, aber auch wo es sich einmal um einen kaiserlichen Fehler handelt, rücksichtslos offen und uneigennützig zu ihm stehen sollte. Aber sie ist nicht auf die uoinwös littsr-ni, die Schmollers Festrede genannt hat, beschränkt, sie ist im Heer und in der Marine ebenso zu finden, wie im sonstigen öffentlichen Dienst, unter den mittlern und Unterbeamten, ebenso wie unter den höhern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/12>, abgerufen am 27.07.2024.