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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Makedonien

öffnet hatte, und die man schließlich auf alle Juden ausdehnte. Diese von
Habsucht und Erwerbsneid veranlaßte thörichte Hetze endete mit dem Edikt
vom 11. Mürz 1492, das allen Juden befahl, bis zum 31. Juli das Land
zu verlassen, und zwar ohne Mitnahme von Gold und Silber. Die Aus¬
wandrer bezifferten sich auf 300000 Leute; es war der zwanzigste Teil der
Bevölkerung: Bauern, Handwerker, namentlich Waffenschmiede, Metallarbeiter
und Teppichweber, Gelehrte, namentlich Ärzte von Ruf, Wissen und Geschick,
Kaufleute, also die Vertreter der Intelligenz und des Fleißes, des geistigen
und materiellen Kapitals, des eigentlichen Bürgerstandes. Zurück blieb außer
Adel und Geistlichkeit fast nur das bäuerliche und städtische Proletariat.

Wie für Frankreich die mit der Vernichtung eines kräftigen Adels Hand
in Hand gegcmgne Niederwerfung und schließliche Vertreibung der Protestanten,
mit denen der beste Teil des Volkes dem Anstand zugeschoben wurde, der
Anfang vom Ende war, so hat sich auch Spanien von diesem Schnitt ins
eigne Fleisch nie mehr erholt. Bei der häßlichen und unsinnigen Judenhetze,
die gegenwärtig wieder hier und da auszubrechen scheint, soll hier auf ein
Wort des Sultans Vajesid hingewiesen werden. Von den aus Spanien Ver¬
triebnen Juden wandte sich nämlich nur ein kleinerer Teil nach Navarra,
Afrika, Italien; die meisten aber gingen nach dem Orient, nach Palästina und
besonders nach der europäischen Türkei, wo sie, die letzten Erben der hohen
arabischen Kultur von Spanien, mit offnen Armen aufgenommen wurden.
Als nun ein Spanier einst dem Sultan gegenüber seinen König rühmte, meinte
Bajesid: "Ihr Spanier nennt euern König einen klugen Mann; aber da er
die Juden vertrieb, hat er sein Land arm und das meinige reich gemacht."

Die Lebenslage dieser israelitischen Bevölkerung in Salonik ist sehr ver¬
schieden. Zu ihr gehören große Kaufleute und reiche Bankiers, wie die Allatini,
von denen ein Deutscher in Salonik meinte, sie wüßten selbst nicht mehr, wie
viele Millionen sie besäßen. Die Mehrzahl ist aber arm und wohnt in den
elenden, verfallenden türkischen Mietshäusern, und zwar erbärmlich zusammen¬
gepfercht bei dem Kindersegen, der auch diese Nachkommen Abrahams aus¬
zeichnet. Wer sich von der Unrichtigkeit der Behauptung, die Semiten seien
zu jeder körperlichen Arbeit unfähig, überzeugen will, der kann es hier am
besten. Unermüdlich sieht man den jüdischen Lastträger hier eine Trage Back¬
steine um die andre aus den Lichterschiffer über die schmale Planke ans Land
schleppen, vom ersten Morgengrauen bis zum späten Abend, und mit Erstaunen
wird man einem Vier- oder Achtgespann israelitischer Hamals zusehen, das an
langen Bambusstangen Kisten mit einer Last von zwanzig Zentnern nach den
Magazinen am Kai oder durch die engen Straßen der Stadt trügt. Als der
deutsche Konsul im letzten Sommer umzog, fragte ich ihn: Wer besorgt das?
Die Spagnuolen, war die Antwort, die machen das alles hier, und zwar
ehrlich und um bescheidnen Lohn. Woher aber diese Leute ihre Kraft nehmen,
ist mir ein Rätsel geblieben, denn ihre Kost ist mehr als bescheiden. Sommer


Makedonien

öffnet hatte, und die man schließlich auf alle Juden ausdehnte. Diese von
Habsucht und Erwerbsneid veranlaßte thörichte Hetze endete mit dem Edikt
vom 11. Mürz 1492, das allen Juden befahl, bis zum 31. Juli das Land
zu verlassen, und zwar ohne Mitnahme von Gold und Silber. Die Aus¬
wandrer bezifferten sich auf 300000 Leute; es war der zwanzigste Teil der
Bevölkerung: Bauern, Handwerker, namentlich Waffenschmiede, Metallarbeiter
und Teppichweber, Gelehrte, namentlich Ärzte von Ruf, Wissen und Geschick,
Kaufleute, also die Vertreter der Intelligenz und des Fleißes, des geistigen
und materiellen Kapitals, des eigentlichen Bürgerstandes. Zurück blieb außer
Adel und Geistlichkeit fast nur das bäuerliche und städtische Proletariat.

Wie für Frankreich die mit der Vernichtung eines kräftigen Adels Hand
in Hand gegcmgne Niederwerfung und schließliche Vertreibung der Protestanten,
mit denen der beste Teil des Volkes dem Anstand zugeschoben wurde, der
Anfang vom Ende war, so hat sich auch Spanien von diesem Schnitt ins
eigne Fleisch nie mehr erholt. Bei der häßlichen und unsinnigen Judenhetze,
die gegenwärtig wieder hier und da auszubrechen scheint, soll hier auf ein
Wort des Sultans Vajesid hingewiesen werden. Von den aus Spanien Ver¬
triebnen Juden wandte sich nämlich nur ein kleinerer Teil nach Navarra,
Afrika, Italien; die meisten aber gingen nach dem Orient, nach Palästina und
besonders nach der europäischen Türkei, wo sie, die letzten Erben der hohen
arabischen Kultur von Spanien, mit offnen Armen aufgenommen wurden.
Als nun ein Spanier einst dem Sultan gegenüber seinen König rühmte, meinte
Bajesid: „Ihr Spanier nennt euern König einen klugen Mann; aber da er
die Juden vertrieb, hat er sein Land arm und das meinige reich gemacht."

Die Lebenslage dieser israelitischen Bevölkerung in Salonik ist sehr ver¬
schieden. Zu ihr gehören große Kaufleute und reiche Bankiers, wie die Allatini,
von denen ein Deutscher in Salonik meinte, sie wüßten selbst nicht mehr, wie
viele Millionen sie besäßen. Die Mehrzahl ist aber arm und wohnt in den
elenden, verfallenden türkischen Mietshäusern, und zwar erbärmlich zusammen¬
gepfercht bei dem Kindersegen, der auch diese Nachkommen Abrahams aus¬
zeichnet. Wer sich von der Unrichtigkeit der Behauptung, die Semiten seien
zu jeder körperlichen Arbeit unfähig, überzeugen will, der kann es hier am
besten. Unermüdlich sieht man den jüdischen Lastträger hier eine Trage Back¬
steine um die andre aus den Lichterschiffer über die schmale Planke ans Land
schleppen, vom ersten Morgengrauen bis zum späten Abend, und mit Erstaunen
wird man einem Vier- oder Achtgespann israelitischer Hamals zusehen, das an
langen Bambusstangen Kisten mit einer Last von zwanzig Zentnern nach den
Magazinen am Kai oder durch die engen Straßen der Stadt trügt. Als der
deutsche Konsul im letzten Sommer umzog, fragte ich ihn: Wer besorgt das?
Die Spagnuolen, war die Antwort, die machen das alles hier, und zwar
ehrlich und um bescheidnen Lohn. Woher aber diese Leute ihre Kraft nehmen,
ist mir ein Rätsel geblieben, denn ihre Kost ist mehr als bescheiden. Sommer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/119>, abgerufen am 29.07.2024.