Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Makedonien

sein, und der Kult der Venus, der hier seinen Sitz hatte, ist zwar auch sonst
an warmen Quellen oft heimisch, bestärkt aber doch die Vermutung, daß sich
schon die Phönikier, von denen wir bestimmt wissen, daß sie Faktoreien auf
dem nahen Thasos hatten, diesen ausgezeichneten Naturhafen mit seinem frucht¬
baren Hinterkante Wohl kaum haben entgehen lassen. In der besten griechischen
Zeit war allerdings nicht Thermä der Haupthandelsplatz in diesen Gegenden,
sondern Amphipolis, das nahe bei dem Golf ans der andern Seite der Halb¬
insel Chalkidike an dem Golf von Orfano lag, und um das zwischen Athenern
und Spartanern im peloponnesischen Kriege schwer gerungen wurde; heute liegt
hier das kleine türkische Dorf Jeuiköi. Ebenso bedeutend war das am Golf
von Kassandra gelegne Olynth, mit dessen Eroberung und Zerstörung sich
Philipp von Makedonien des letzten starken Widersachers in seiner Flanke ent¬
ledigte, der ihn an dem Marsche gegen Süden und an der Niederwerfung von
ganz Griechenland Hütte hindern können und auch gehindert hätte, wenn die
warnende Stimme des Demosthenes nicht wirkungslos vor den Ohren der ver¬
lotterten Griechen verhallt wäre.

Es hat etwas nuziehcudes, an solch einem einzelnen Platze dem Gange
des Welthandels und mit ihm dem der Kultur zu folgen, wie er sich langsam
um die gesamte Windrose dreht. Während der phönizische Handel das Mittel¬
meer in westlicher Richtung durchstreift, zieht sich der griechische Handel von
Süden nach Norden. Über Olynth und Amphipolis schaffte er seine Industrie-
Produkte nach der nördlichen Balkanhalbinsel und bezog dafür von dort nament¬
lich Erze und Schiffsbauholz. Dann folgen noch im Altertum in zwei Stößen
die Versuche, Macht, Handel und Kultur von Westen nach Osten zu tragen.
Der erste Stoß geht von Makedonien ans und führt zur Hellenisirung des
ganzen Orients bis tief hinein in das zerschmetterte persische Reich. Ein
zweiter Stoß folgt dann von Rom her, der nach der Vernichtung des make¬
donischer Reichs durch die Schlacht von Pydna, nur wenige Stunden von
Salvniki, und nach der Aufsaugung der übrigen Diadvchenreiche zu der römischen
Universalherrschaft über alle Küstenländer des Mittelmeers führt. Nach dem
Zusammenbruch des römischen Reichs beginnt der westlich und bald nördlich
gerichtete Handel der Araber, den dann in der Blütezeit des Mittelalters der
östlich ziehende Handel Amalfis, Pisas, Venedigs und Genuas ablöst. Endlich
in der Neuzeit macht der Zug des Handels und der Kultur noch die letzte
Wendung um die Windrose, und während es dem Südeuropäer noch vergönnt
ist, neue Weltteile und neue Handelsstraßen zu entdecken, ist es der Nord-
enropäer, der uicht nur die neuen Weltteile der europäischen Kultur angliedert,
sondern auch den Handel in Europa von Norden nach Süden leitet, und mit
der Eröffnung des Suezkanals den Traum von Jahrtausenden zur Wirklichkeit
macht und dem Handel und der Kultur den bequemen Weg nach Südasien
und Afrika eröffnet.


Makedonien

sein, und der Kult der Venus, der hier seinen Sitz hatte, ist zwar auch sonst
an warmen Quellen oft heimisch, bestärkt aber doch die Vermutung, daß sich
schon die Phönikier, von denen wir bestimmt wissen, daß sie Faktoreien auf
dem nahen Thasos hatten, diesen ausgezeichneten Naturhafen mit seinem frucht¬
baren Hinterkante Wohl kaum haben entgehen lassen. In der besten griechischen
Zeit war allerdings nicht Thermä der Haupthandelsplatz in diesen Gegenden,
sondern Amphipolis, das nahe bei dem Golf ans der andern Seite der Halb¬
insel Chalkidike an dem Golf von Orfano lag, und um das zwischen Athenern
und Spartanern im peloponnesischen Kriege schwer gerungen wurde; heute liegt
hier das kleine türkische Dorf Jeuiköi. Ebenso bedeutend war das am Golf
von Kassandra gelegne Olynth, mit dessen Eroberung und Zerstörung sich
Philipp von Makedonien des letzten starken Widersachers in seiner Flanke ent¬
ledigte, der ihn an dem Marsche gegen Süden und an der Niederwerfung von
ganz Griechenland Hütte hindern können und auch gehindert hätte, wenn die
warnende Stimme des Demosthenes nicht wirkungslos vor den Ohren der ver¬
lotterten Griechen verhallt wäre.

Es hat etwas nuziehcudes, an solch einem einzelnen Platze dem Gange
des Welthandels und mit ihm dem der Kultur zu folgen, wie er sich langsam
um die gesamte Windrose dreht. Während der phönizische Handel das Mittel¬
meer in westlicher Richtung durchstreift, zieht sich der griechische Handel von
Süden nach Norden. Über Olynth und Amphipolis schaffte er seine Industrie-
Produkte nach der nördlichen Balkanhalbinsel und bezog dafür von dort nament¬
lich Erze und Schiffsbauholz. Dann folgen noch im Altertum in zwei Stößen
die Versuche, Macht, Handel und Kultur von Westen nach Osten zu tragen.
Der erste Stoß geht von Makedonien ans und führt zur Hellenisirung des
ganzen Orients bis tief hinein in das zerschmetterte persische Reich. Ein
zweiter Stoß folgt dann von Rom her, der nach der Vernichtung des make¬
donischer Reichs durch die Schlacht von Pydna, nur wenige Stunden von
Salvniki, und nach der Aufsaugung der übrigen Diadvchenreiche zu der römischen
Universalherrschaft über alle Küstenländer des Mittelmeers führt. Nach dem
Zusammenbruch des römischen Reichs beginnt der westlich und bald nördlich
gerichtete Handel der Araber, den dann in der Blütezeit des Mittelalters der
östlich ziehende Handel Amalfis, Pisas, Venedigs und Genuas ablöst. Endlich
in der Neuzeit macht der Zug des Handels und der Kultur noch die letzte
Wendung um die Windrose, und während es dem Südeuropäer noch vergönnt
ist, neue Weltteile und neue Handelsstraßen zu entdecken, ist es der Nord-
enropäer, der uicht nur die neuen Weltteile der europäischen Kultur angliedert,
sondern auch den Handel in Europa von Norden nach Süden leitet, und mit
der Eröffnung des Suezkanals den Traum von Jahrtausenden zur Wirklichkeit
macht und dem Handel und der Kultur den bequemen Weg nach Südasien
und Afrika eröffnet.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228418"/>
          <fw type="header" place="top"> Makedonien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_353" prev="#ID_352"> sein, und der Kult der Venus, der hier seinen Sitz hatte, ist zwar auch sonst<lb/>
an warmen Quellen oft heimisch, bestärkt aber doch die Vermutung, daß sich<lb/>
schon die Phönikier, von denen wir bestimmt wissen, daß sie Faktoreien auf<lb/>
dem nahen Thasos hatten, diesen ausgezeichneten Naturhafen mit seinem frucht¬<lb/>
baren Hinterkante Wohl kaum haben entgehen lassen. In der besten griechischen<lb/>
Zeit war allerdings nicht Thermä der Haupthandelsplatz in diesen Gegenden,<lb/>
sondern Amphipolis, das nahe bei dem Golf ans der andern Seite der Halb¬<lb/>
insel Chalkidike an dem Golf von Orfano lag, und um das zwischen Athenern<lb/>
und Spartanern im peloponnesischen Kriege schwer gerungen wurde; heute liegt<lb/>
hier das kleine türkische Dorf Jeuiköi. Ebenso bedeutend war das am Golf<lb/>
von Kassandra gelegne Olynth, mit dessen Eroberung und Zerstörung sich<lb/>
Philipp von Makedonien des letzten starken Widersachers in seiner Flanke ent¬<lb/>
ledigte, der ihn an dem Marsche gegen Süden und an der Niederwerfung von<lb/>
ganz Griechenland Hütte hindern können und auch gehindert hätte, wenn die<lb/>
warnende Stimme des Demosthenes nicht wirkungslos vor den Ohren der ver¬<lb/>
lotterten Griechen verhallt wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_354"> Es hat etwas nuziehcudes, an solch einem einzelnen Platze dem Gange<lb/>
des Welthandels und mit ihm dem der Kultur zu folgen, wie er sich langsam<lb/>
um die gesamte Windrose dreht. Während der phönizische Handel das Mittel¬<lb/>
meer in westlicher Richtung durchstreift, zieht sich der griechische Handel von<lb/>
Süden nach Norden. Über Olynth und Amphipolis schaffte er seine Industrie-<lb/>
Produkte nach der nördlichen Balkanhalbinsel und bezog dafür von dort nament¬<lb/>
lich Erze und Schiffsbauholz. Dann folgen noch im Altertum in zwei Stößen<lb/>
die Versuche, Macht, Handel und Kultur von Westen nach Osten zu tragen.<lb/>
Der erste Stoß geht von Makedonien ans und führt zur Hellenisirung des<lb/>
ganzen Orients bis tief hinein in das zerschmetterte persische Reich. Ein<lb/>
zweiter Stoß folgt dann von Rom her, der nach der Vernichtung des make¬<lb/>
donischer Reichs durch die Schlacht von Pydna, nur wenige Stunden von<lb/>
Salvniki, und nach der Aufsaugung der übrigen Diadvchenreiche zu der römischen<lb/>
Universalherrschaft über alle Küstenländer des Mittelmeers führt. Nach dem<lb/>
Zusammenbruch des römischen Reichs beginnt der westlich und bald nördlich<lb/>
gerichtete Handel der Araber, den dann in der Blütezeit des Mittelalters der<lb/>
östlich ziehende Handel Amalfis, Pisas, Venedigs und Genuas ablöst. Endlich<lb/>
in der Neuzeit macht der Zug des Handels und der Kultur noch die letzte<lb/>
Wendung um die Windrose, und während es dem Südeuropäer noch vergönnt<lb/>
ist, neue Weltteile und neue Handelsstraßen zu entdecken, ist es der Nord-<lb/>
enropäer, der uicht nur die neuen Weltteile der europäischen Kultur angliedert,<lb/>
sondern auch den Handel in Europa von Norden nach Süden leitet, und mit<lb/>
der Eröffnung des Suezkanals den Traum von Jahrtausenden zur Wirklichkeit<lb/>
macht und dem Handel und der Kultur den bequemen Weg nach Südasien<lb/>
und Afrika eröffnet.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0116] Makedonien sein, und der Kult der Venus, der hier seinen Sitz hatte, ist zwar auch sonst an warmen Quellen oft heimisch, bestärkt aber doch die Vermutung, daß sich schon die Phönikier, von denen wir bestimmt wissen, daß sie Faktoreien auf dem nahen Thasos hatten, diesen ausgezeichneten Naturhafen mit seinem frucht¬ baren Hinterkante Wohl kaum haben entgehen lassen. In der besten griechischen Zeit war allerdings nicht Thermä der Haupthandelsplatz in diesen Gegenden, sondern Amphipolis, das nahe bei dem Golf ans der andern Seite der Halb¬ insel Chalkidike an dem Golf von Orfano lag, und um das zwischen Athenern und Spartanern im peloponnesischen Kriege schwer gerungen wurde; heute liegt hier das kleine türkische Dorf Jeuiköi. Ebenso bedeutend war das am Golf von Kassandra gelegne Olynth, mit dessen Eroberung und Zerstörung sich Philipp von Makedonien des letzten starken Widersachers in seiner Flanke ent¬ ledigte, der ihn an dem Marsche gegen Süden und an der Niederwerfung von ganz Griechenland Hütte hindern können und auch gehindert hätte, wenn die warnende Stimme des Demosthenes nicht wirkungslos vor den Ohren der ver¬ lotterten Griechen verhallt wäre. Es hat etwas nuziehcudes, an solch einem einzelnen Platze dem Gange des Welthandels und mit ihm dem der Kultur zu folgen, wie er sich langsam um die gesamte Windrose dreht. Während der phönizische Handel das Mittel¬ meer in westlicher Richtung durchstreift, zieht sich der griechische Handel von Süden nach Norden. Über Olynth und Amphipolis schaffte er seine Industrie- Produkte nach der nördlichen Balkanhalbinsel und bezog dafür von dort nament¬ lich Erze und Schiffsbauholz. Dann folgen noch im Altertum in zwei Stößen die Versuche, Macht, Handel und Kultur von Westen nach Osten zu tragen. Der erste Stoß geht von Makedonien ans und führt zur Hellenisirung des ganzen Orients bis tief hinein in das zerschmetterte persische Reich. Ein zweiter Stoß folgt dann von Rom her, der nach der Vernichtung des make¬ donischer Reichs durch die Schlacht von Pydna, nur wenige Stunden von Salvniki, und nach der Aufsaugung der übrigen Diadvchenreiche zu der römischen Universalherrschaft über alle Küstenländer des Mittelmeers führt. Nach dem Zusammenbruch des römischen Reichs beginnt der westlich und bald nördlich gerichtete Handel der Araber, den dann in der Blütezeit des Mittelalters der östlich ziehende Handel Amalfis, Pisas, Venedigs und Genuas ablöst. Endlich in der Neuzeit macht der Zug des Handels und der Kultur noch die letzte Wendung um die Windrose, und während es dem Südeuropäer noch vergönnt ist, neue Weltteile und neue Handelsstraßen zu entdecken, ist es der Nord- enropäer, der uicht nur die neuen Weltteile der europäischen Kultur angliedert, sondern auch den Handel in Europa von Norden nach Süden leitet, und mit der Eröffnung des Suezkanals den Traum von Jahrtausenden zur Wirklichkeit macht und dem Handel und der Kultur den bequemen Weg nach Südasien und Afrika eröffnet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/116
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/116>, abgerufen am 28.07.2024.