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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr.

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Aus unsrer Vstmark

und südlichen Teil dagegen, auf dem linken, dem polnischen Ufer, wo auch
die Kreishauptstadt liegt, war dieser Kreis, wie noch heute, polnisches Sprach¬
gebiet und überwiegend in den Händen polnischer Adliger. Noch heute sind
vierzig Prozent seines Areals mit meilenweit sich dehnenden, wildreichen Forsten
bestanden. Damals war die Bevölkerung dünn gesät, chaussirte Wege waren
ein unbekannter Begriff, die Verbindung mit der Welt draußen war spärlich,
mühevoll und zeitraubend, mit dem acht Meilen entfernten Posen kaum vor¬
handen. Von Latifundien waren zwar drei in deutscher Hand, ihre Besitzer
aber im Kreise selten gesehene -- Jagdgäste. Sonst waren die großen und
größern Besitzer fast sämtlich Polen, die nach der noch heute in der
Provinz Posen geltenden Kreisordnung vom 20. Dezember 1828 mit ihrer
ständischen, der -- heute überwiegend deutscheu -- Ritterschaft fast überall
die Mehrheit sichernden Gliederung dem Königlichen Landrate das Amt und
das Leben schwer zu machen in der Lage und gewillt waren.

Wenn Herr von Juncker sich darauf beschränkte, von dem Sturm im Glase
Wasser, den Revolten in seinem Landratskreise, zu erzählen, so brauchte er kein
Buch zu schreiben (ein Beitrag in einer Zeitschrift für Provinzialgeschichte, für
die kleine Zahl der Fachgenossen bestimmt, würde dann genügen), auch würde
ich darüber an dieser Stelle nicht ein Wort der Empfehlung verlieren. Indem
er aber die Provinzialgeschichte mit der dankenswerten Darstellung lokaler Vor¬
gänge nach den Akten und seinen eignen Aufzeichnungen bereichert, entwirft er
zugleich ein Bild der die Provinz Posen angehenden damaligen Geschehnisse
auf der großen Bühne der Landeshauptstadt wie auf der kleinern des Mittel¬
punkts der Provinz, der Stadt Posen, die, gewissermaßen ihr Herz, den
Pulsschlag ihres politischen und nationalen Lebens zu allen Zeiten und be¬
sonders in aufgeregten Zeiten bestimmt. Berlin, Posen und Czarnikau sind
die drei Orte, die in dem Buche am meisten genannt werden, die dreifache
Geschichte der revolutionären Bewegung von 1848 in Preußen, in der Provinz
Posen und in unsers Landrath Kreishauptstadt ist von ihm geschickt zu einem
eng zusammenhängenden und vielfach verknüpften Ganzen vereinigt worden.
Das Jahr 1898 ist ja -- leider -- ein Jubiläumsjahr; nur ungern läßt sich
der Deutsche die Gelegenheit entgehen, Jubiläen zu feiern; wenn in keiner
andern Form, so sollte er es im vorliegenden Falle doch mindestens in der
thun, daß er die Jubiläumsschrift studirend, sich die Ereignisse des Jahres 1848
vergegenwärtigt und seine Kenntnisse auffrischt. Ja er könnte noch ein weiteres
thun. Aus den Fehlern und den Leiden unsrer Vorfahren sollen wir jene
vermeiden und diesen entgehen lernen, denn, wie das Motto unsers Autors
treffend sagt: "Wer nicht von der Vergangenheit lernt, wird von der Zukunft
bestraft." Sind denn die schweren Verfehlungen der Polenpolitik unter Friedrich
Wilhelm IV., trotz 184V und 1848 bis zu dem Ende der Regierung dieses
Königs, nicht vor wenigen Jahren beinahe aufs neue begangen worden, hätte
nicht unser Kaiser der Versöhnungsmanie der Caprivis, ihrer Sucht, unversöhn-


Aus unsrer Vstmark

und südlichen Teil dagegen, auf dem linken, dem polnischen Ufer, wo auch
die Kreishauptstadt liegt, war dieser Kreis, wie noch heute, polnisches Sprach¬
gebiet und überwiegend in den Händen polnischer Adliger. Noch heute sind
vierzig Prozent seines Areals mit meilenweit sich dehnenden, wildreichen Forsten
bestanden. Damals war die Bevölkerung dünn gesät, chaussirte Wege waren
ein unbekannter Begriff, die Verbindung mit der Welt draußen war spärlich,
mühevoll und zeitraubend, mit dem acht Meilen entfernten Posen kaum vor¬
handen. Von Latifundien waren zwar drei in deutscher Hand, ihre Besitzer
aber im Kreise selten gesehene — Jagdgäste. Sonst waren die großen und
größern Besitzer fast sämtlich Polen, die nach der noch heute in der
Provinz Posen geltenden Kreisordnung vom 20. Dezember 1828 mit ihrer
ständischen, der — heute überwiegend deutscheu — Ritterschaft fast überall
die Mehrheit sichernden Gliederung dem Königlichen Landrate das Amt und
das Leben schwer zu machen in der Lage und gewillt waren.

Wenn Herr von Juncker sich darauf beschränkte, von dem Sturm im Glase
Wasser, den Revolten in seinem Landratskreise, zu erzählen, so brauchte er kein
Buch zu schreiben (ein Beitrag in einer Zeitschrift für Provinzialgeschichte, für
die kleine Zahl der Fachgenossen bestimmt, würde dann genügen), auch würde
ich darüber an dieser Stelle nicht ein Wort der Empfehlung verlieren. Indem
er aber die Provinzialgeschichte mit der dankenswerten Darstellung lokaler Vor¬
gänge nach den Akten und seinen eignen Aufzeichnungen bereichert, entwirft er
zugleich ein Bild der die Provinz Posen angehenden damaligen Geschehnisse
auf der großen Bühne der Landeshauptstadt wie auf der kleinern des Mittel¬
punkts der Provinz, der Stadt Posen, die, gewissermaßen ihr Herz, den
Pulsschlag ihres politischen und nationalen Lebens zu allen Zeiten und be¬
sonders in aufgeregten Zeiten bestimmt. Berlin, Posen und Czarnikau sind
die drei Orte, die in dem Buche am meisten genannt werden, die dreifache
Geschichte der revolutionären Bewegung von 1848 in Preußen, in der Provinz
Posen und in unsers Landrath Kreishauptstadt ist von ihm geschickt zu einem
eng zusammenhängenden und vielfach verknüpften Ganzen vereinigt worden.
Das Jahr 1898 ist ja — leider — ein Jubiläumsjahr; nur ungern läßt sich
der Deutsche die Gelegenheit entgehen, Jubiläen zu feiern; wenn in keiner
andern Form, so sollte er es im vorliegenden Falle doch mindestens in der
thun, daß er die Jubiläumsschrift studirend, sich die Ereignisse des Jahres 1848
vergegenwärtigt und seine Kenntnisse auffrischt. Ja er könnte noch ein weiteres
thun. Aus den Fehlern und den Leiden unsrer Vorfahren sollen wir jene
vermeiden und diesen entgehen lernen, denn, wie das Motto unsers Autors
treffend sagt: „Wer nicht von der Vergangenheit lernt, wird von der Zukunft
bestraft." Sind denn die schweren Verfehlungen der Polenpolitik unter Friedrich
Wilhelm IV., trotz 184V und 1848 bis zu dem Ende der Regierung dieses
Königs, nicht vor wenigen Jahren beinahe aufs neue begangen worden, hätte
nicht unser Kaiser der Versöhnungsmanie der Caprivis, ihrer Sucht, unversöhn-


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[0107] Aus unsrer Vstmark und südlichen Teil dagegen, auf dem linken, dem polnischen Ufer, wo auch die Kreishauptstadt liegt, war dieser Kreis, wie noch heute, polnisches Sprach¬ gebiet und überwiegend in den Händen polnischer Adliger. Noch heute sind vierzig Prozent seines Areals mit meilenweit sich dehnenden, wildreichen Forsten bestanden. Damals war die Bevölkerung dünn gesät, chaussirte Wege waren ein unbekannter Begriff, die Verbindung mit der Welt draußen war spärlich, mühevoll und zeitraubend, mit dem acht Meilen entfernten Posen kaum vor¬ handen. Von Latifundien waren zwar drei in deutscher Hand, ihre Besitzer aber im Kreise selten gesehene — Jagdgäste. Sonst waren die großen und größern Besitzer fast sämtlich Polen, die nach der noch heute in der Provinz Posen geltenden Kreisordnung vom 20. Dezember 1828 mit ihrer ständischen, der — heute überwiegend deutscheu — Ritterschaft fast überall die Mehrheit sichernden Gliederung dem Königlichen Landrate das Amt und das Leben schwer zu machen in der Lage und gewillt waren. Wenn Herr von Juncker sich darauf beschränkte, von dem Sturm im Glase Wasser, den Revolten in seinem Landratskreise, zu erzählen, so brauchte er kein Buch zu schreiben (ein Beitrag in einer Zeitschrift für Provinzialgeschichte, für die kleine Zahl der Fachgenossen bestimmt, würde dann genügen), auch würde ich darüber an dieser Stelle nicht ein Wort der Empfehlung verlieren. Indem er aber die Provinzialgeschichte mit der dankenswerten Darstellung lokaler Vor¬ gänge nach den Akten und seinen eignen Aufzeichnungen bereichert, entwirft er zugleich ein Bild der die Provinz Posen angehenden damaligen Geschehnisse auf der großen Bühne der Landeshauptstadt wie auf der kleinern des Mittel¬ punkts der Provinz, der Stadt Posen, die, gewissermaßen ihr Herz, den Pulsschlag ihres politischen und nationalen Lebens zu allen Zeiten und be¬ sonders in aufgeregten Zeiten bestimmt. Berlin, Posen und Czarnikau sind die drei Orte, die in dem Buche am meisten genannt werden, die dreifache Geschichte der revolutionären Bewegung von 1848 in Preußen, in der Provinz Posen und in unsers Landrath Kreishauptstadt ist von ihm geschickt zu einem eng zusammenhängenden und vielfach verknüpften Ganzen vereinigt worden. Das Jahr 1898 ist ja — leider — ein Jubiläumsjahr; nur ungern läßt sich der Deutsche die Gelegenheit entgehen, Jubiläen zu feiern; wenn in keiner andern Form, so sollte er es im vorliegenden Falle doch mindestens in der thun, daß er die Jubiläumsschrift studirend, sich die Ereignisse des Jahres 1848 vergegenwärtigt und seine Kenntnisse auffrischt. Ja er könnte noch ein weiteres thun. Aus den Fehlern und den Leiden unsrer Vorfahren sollen wir jene vermeiden und diesen entgehen lernen, denn, wie das Motto unsers Autors treffend sagt: „Wer nicht von der Vergangenheit lernt, wird von der Zukunft bestraft." Sind denn die schweren Verfehlungen der Polenpolitik unter Friedrich Wilhelm IV., trotz 184V und 1848 bis zu dem Ende der Regierung dieses Königs, nicht vor wenigen Jahren beinahe aufs neue begangen worden, hätte nicht unser Kaiser der Versöhnungsmanie der Caprivis, ihrer Sucht, unversöhn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228301/107>, abgerufen am 28.07.2024.