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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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gemein gesprochen, sein Formengefühl an dem lebenden Körper erzogen; Michel¬
angelo hat sich die Auffassung der Formen besonders am Sezirtische erworben,
und die deutschen Meister haben die Linien und die Teile des menschlichen
Leibes fast nur an den von Gewändern verhüllten Körpern zu studiren Ge¬
legenheit gehabt. Die Folge davon war, daß die Alten den einfachen mensch¬
lichen Körper in all seiner göttlichen und unmittelbaren Frische geschaffen
haben; daß Michelangelo richtige, aber studirte Leiber bietet, und daß die großen,
dem Namen nach unbekannten nordischen Plastiker die Einzelheiten der Gestalt
unter meisterhaft behandelten Gewändern nur ahnen lassen.

Wie das Klima die Form umbildet, so greift es auch in die Komposition
der einzelnen Figur und der Gruppe bestimmend ein. Der Grieche baut in
seiner besten Zeit leicht übersichtliche, freigeschlossene, durchsichtige Gruppen, da
er die Silhouette für die Aufstellung im Lichte der Sonne erfand; Michelangelo
drängt die einzelnen Figuren so dicht, wie nnr irgend möglich, zusammen,
weil er vor allem für den Innenraum meißelte; die nordischen Plastiker sind
fast unfähig, eine Komposition dieser Art in befriedigender Weise zusammen¬
zustellen. Die Gruppen fallen auseinander. Die Meister biete" "Gemälde,"
da ihre Ausdrucksweise durch das ausschließliche Angewiesensein auf das
Haus episch geworden war. Dies führt auf den geistigen Gehalt des Kunst¬
werks, der ja auch durch das Klima mittelbar und stark beeinflußt wird.
Die Behandlung der Frage nach dieser Einwirkung kann natürlich nur ganz
allgemein gehalten sein. Man wird aber wohl sagen dürfen, daß in einem
Lande, das Kunst ausübt, über bildsame Materialien verfügt und mit einem
heitern, warmen Klima begnadet ist, die schöne Form den Vorrang vor dem
reichen Inhalt haben wird. So war es in den großen Kuustländern, dem
alten Griechenland, dem neu erstanduen Italien. Anders geartet ist der
Sinn der Nordländer. Ihnen fehlt die Gelegenheit, die schöne Linie, die
feinsten Bildungen des menschlichen Körpers zu studiren. Das südliche Klima
gestattet, ja verlangt vom Menschen, sich frei von der entstellenden, häßlichen
Kleidung zu bewegen, und begünstigt so flüssige Konturen, runde Bewegungen;
es legt dem Meuscheu keine schweren, die körperlichen Formen entstellenden
Arbeiten auf und ruft feingliedrige, elastisch kräftige, weichmodellirte Gestalten
ins Leben. Das alles gedeiht unter dem blaßblauen Himmel in mehliger
Atmosphäre nicht. In schwere wärmende Gewänder verbirgt man hier den
verarbeiteten Leib, und nur selten sieht der Künstler ihn in keuscher Schönheit --
sein Auge schaut auch vornehmlich nach innen, gleich denen, unter denen er heran¬
wuchs. Das charakteristische Gepräge des Antlitzes, das von innerm Leben
spricht, der gedankenschwere Gehalt der Entwürfe: das ist es, was ihn vor
allem reizen muß. Es gilt dies natürlich nur (Zum ^iMo salis -- bestreiten
aber darf sx tllöorig, niemand den Satz. Jeden Nachdenkenden wird ein Blick
auf eins der modernsten Werke, etwa auf Klingers Salome, davon abhalten.


gemein gesprochen, sein Formengefühl an dem lebenden Körper erzogen; Michel¬
angelo hat sich die Auffassung der Formen besonders am Sezirtische erworben,
und die deutschen Meister haben die Linien und die Teile des menschlichen
Leibes fast nur an den von Gewändern verhüllten Körpern zu studiren Ge¬
legenheit gehabt. Die Folge davon war, daß die Alten den einfachen mensch¬
lichen Körper in all seiner göttlichen und unmittelbaren Frische geschaffen
haben; daß Michelangelo richtige, aber studirte Leiber bietet, und daß die großen,
dem Namen nach unbekannten nordischen Plastiker die Einzelheiten der Gestalt
unter meisterhaft behandelten Gewändern nur ahnen lassen.

Wie das Klima die Form umbildet, so greift es auch in die Komposition
der einzelnen Figur und der Gruppe bestimmend ein. Der Grieche baut in
seiner besten Zeit leicht übersichtliche, freigeschlossene, durchsichtige Gruppen, da
er die Silhouette für die Aufstellung im Lichte der Sonne erfand; Michelangelo
drängt die einzelnen Figuren so dicht, wie nnr irgend möglich, zusammen,
weil er vor allem für den Innenraum meißelte; die nordischen Plastiker sind
fast unfähig, eine Komposition dieser Art in befriedigender Weise zusammen¬
zustellen. Die Gruppen fallen auseinander. Die Meister biete» „Gemälde,"
da ihre Ausdrucksweise durch das ausschließliche Angewiesensein auf das
Haus episch geworden war. Dies führt auf den geistigen Gehalt des Kunst¬
werks, der ja auch durch das Klima mittelbar und stark beeinflußt wird.
Die Behandlung der Frage nach dieser Einwirkung kann natürlich nur ganz
allgemein gehalten sein. Man wird aber wohl sagen dürfen, daß in einem
Lande, das Kunst ausübt, über bildsame Materialien verfügt und mit einem
heitern, warmen Klima begnadet ist, die schöne Form den Vorrang vor dem
reichen Inhalt haben wird. So war es in den großen Kuustländern, dem
alten Griechenland, dem neu erstanduen Italien. Anders geartet ist der
Sinn der Nordländer. Ihnen fehlt die Gelegenheit, die schöne Linie, die
feinsten Bildungen des menschlichen Körpers zu studiren. Das südliche Klima
gestattet, ja verlangt vom Menschen, sich frei von der entstellenden, häßlichen
Kleidung zu bewegen, und begünstigt so flüssige Konturen, runde Bewegungen;
es legt dem Meuscheu keine schweren, die körperlichen Formen entstellenden
Arbeiten auf und ruft feingliedrige, elastisch kräftige, weichmodellirte Gestalten
ins Leben. Das alles gedeiht unter dem blaßblauen Himmel in mehliger
Atmosphäre nicht. In schwere wärmende Gewänder verbirgt man hier den
verarbeiteten Leib, und nur selten sieht der Künstler ihn in keuscher Schönheit —
sein Auge schaut auch vornehmlich nach innen, gleich denen, unter denen er heran¬
wuchs. Das charakteristische Gepräge des Antlitzes, das von innerm Leben
spricht, der gedankenschwere Gehalt der Entwürfe: das ist es, was ihn vor
allem reizen muß. Es gilt dies natürlich nur (Zum ^iMo salis — bestreiten
aber darf sx tllöorig, niemand den Satz. Jeden Nachdenkenden wird ein Blick
auf eins der modernsten Werke, etwa auf Klingers Salome, davon abhalten.


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[0092] gemein gesprochen, sein Formengefühl an dem lebenden Körper erzogen; Michel¬ angelo hat sich die Auffassung der Formen besonders am Sezirtische erworben, und die deutschen Meister haben die Linien und die Teile des menschlichen Leibes fast nur an den von Gewändern verhüllten Körpern zu studiren Ge¬ legenheit gehabt. Die Folge davon war, daß die Alten den einfachen mensch¬ lichen Körper in all seiner göttlichen und unmittelbaren Frische geschaffen haben; daß Michelangelo richtige, aber studirte Leiber bietet, und daß die großen, dem Namen nach unbekannten nordischen Plastiker die Einzelheiten der Gestalt unter meisterhaft behandelten Gewändern nur ahnen lassen. Wie das Klima die Form umbildet, so greift es auch in die Komposition der einzelnen Figur und der Gruppe bestimmend ein. Der Grieche baut in seiner besten Zeit leicht übersichtliche, freigeschlossene, durchsichtige Gruppen, da er die Silhouette für die Aufstellung im Lichte der Sonne erfand; Michelangelo drängt die einzelnen Figuren so dicht, wie nnr irgend möglich, zusammen, weil er vor allem für den Innenraum meißelte; die nordischen Plastiker sind fast unfähig, eine Komposition dieser Art in befriedigender Weise zusammen¬ zustellen. Die Gruppen fallen auseinander. Die Meister biete» „Gemälde," da ihre Ausdrucksweise durch das ausschließliche Angewiesensein auf das Haus episch geworden war. Dies führt auf den geistigen Gehalt des Kunst¬ werks, der ja auch durch das Klima mittelbar und stark beeinflußt wird. Die Behandlung der Frage nach dieser Einwirkung kann natürlich nur ganz allgemein gehalten sein. Man wird aber wohl sagen dürfen, daß in einem Lande, das Kunst ausübt, über bildsame Materialien verfügt und mit einem heitern, warmen Klima begnadet ist, die schöne Form den Vorrang vor dem reichen Inhalt haben wird. So war es in den großen Kuustländern, dem alten Griechenland, dem neu erstanduen Italien. Anders geartet ist der Sinn der Nordländer. Ihnen fehlt die Gelegenheit, die schöne Linie, die feinsten Bildungen des menschlichen Körpers zu studiren. Das südliche Klima gestattet, ja verlangt vom Menschen, sich frei von der entstellenden, häßlichen Kleidung zu bewegen, und begünstigt so flüssige Konturen, runde Bewegungen; es legt dem Meuscheu keine schweren, die körperlichen Formen entstellenden Arbeiten auf und ruft feingliedrige, elastisch kräftige, weichmodellirte Gestalten ins Leben. Das alles gedeiht unter dem blaßblauen Himmel in mehliger Atmosphäre nicht. In schwere wärmende Gewänder verbirgt man hier den verarbeiteten Leib, und nur selten sieht der Künstler ihn in keuscher Schönheit — sein Auge schaut auch vornehmlich nach innen, gleich denen, unter denen er heran¬ wuchs. Das charakteristische Gepräge des Antlitzes, das von innerm Leben spricht, der gedankenschwere Gehalt der Entwürfe: das ist es, was ihn vor allem reizen muß. Es gilt dies natürlich nur (Zum ^iMo salis — bestreiten aber darf sx tllöorig, niemand den Satz. Jeden Nachdenkenden wird ein Blick auf eins der modernsten Werke, etwa auf Klingers Salome, davon abhalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/92>, abgerufen am 23.07.2024.