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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die bildenden Künste
und die natürlichen Bodenverhältnisse^)
Berl hold Haendcke Von

mwoben von den Strahlen des Ideals erscheint die Kunst wie
losgelöst von Erdenschwere, als Schöpferin allgewaltig. Und
in der That zum wahren Künstler gesellt sich, um mit dem
Dichter zu sprechen, der "Weltgeist." Die Edelsten unter den
Menschen haben dies auch stets begriffen. Nie war ihnen die
Kunst bloß ein Luxus. Im Schönen einzig und allein verbindet sich harmo¬
nisch das ganz sinnliche und das ganz seelische, wie Fr. Th. Bischer kurz und
erschöpfend sagt. Die Künstler sind deshalb immer als die Dolmetscher des
tiefsten Sinnens und Fühlens der Völker betrachtet worden, deren materieller
Reichtum nur ein armer Sockel ist, auf dem die Gebilde der Meister, auf dem
die Kunst steht. So war es, und so ist es noch heute. Aber so hoch sich
auch der Flug des Menschen zum Unendlichen erheben mag, er ist doch nur
als Geist ein Schöpfer, als Geschöpf bleibt er auf die Erde gebannt. So
auch die Kunst. Selbst sie, die uns schwerefrei dünkt, sie wurde geboren aus
dem vom Geiste des Ewigen befruchteten Schoße der Erde. Und zwar aus der
Erde im eigentlichen Sinne des Ausdrucks, d. h. aus deu natürlichen Boden¬
verhältnissen.

Wenn wir von den natürlichen Bodenverhältnissen sprechen, so haben
wir in erster Linie an die "Erde" (sumpfiges Gelände, vulkanischen Boden)
zu denken und an das, was sie an den sür künstlerische Zwecke nützlichen
Materialien in sich birgt, z. B. Stein, Thon. In zweiter Linie sind die Ver¬
hältnisse zu beachten, die sich aus der Stellung der Sonne zur Erde und aus
den Eigenschaften der Erdoberfläche ergeben, d. h. das Klima. Wir sind ge¬
wohnt, die bildenden Künste in drei große Kategorien zu zerlegen, in die
Architektur, die Plastik und die Malerei. Wir werden gut thun, diese Ein-



") Dieser Aufsatz enthält mit wenigen Abänderungen eine Rede, die der Verfasser am
diesjährigen Geburtstage des Kaisers in der Aula der Albertus-Universität zu Königsberg
gehalten hat.


Die bildenden Künste
und die natürlichen Bodenverhältnisse^)
Berl hold Haendcke Von

mwoben von den Strahlen des Ideals erscheint die Kunst wie
losgelöst von Erdenschwere, als Schöpferin allgewaltig. Und
in der That zum wahren Künstler gesellt sich, um mit dem
Dichter zu sprechen, der „Weltgeist." Die Edelsten unter den
Menschen haben dies auch stets begriffen. Nie war ihnen die
Kunst bloß ein Luxus. Im Schönen einzig und allein verbindet sich harmo¬
nisch das ganz sinnliche und das ganz seelische, wie Fr. Th. Bischer kurz und
erschöpfend sagt. Die Künstler sind deshalb immer als die Dolmetscher des
tiefsten Sinnens und Fühlens der Völker betrachtet worden, deren materieller
Reichtum nur ein armer Sockel ist, auf dem die Gebilde der Meister, auf dem
die Kunst steht. So war es, und so ist es noch heute. Aber so hoch sich
auch der Flug des Menschen zum Unendlichen erheben mag, er ist doch nur
als Geist ein Schöpfer, als Geschöpf bleibt er auf die Erde gebannt. So
auch die Kunst. Selbst sie, die uns schwerefrei dünkt, sie wurde geboren aus
dem vom Geiste des Ewigen befruchteten Schoße der Erde. Und zwar aus der
Erde im eigentlichen Sinne des Ausdrucks, d. h. aus deu natürlichen Boden¬
verhältnissen.

Wenn wir von den natürlichen Bodenverhältnissen sprechen, so haben
wir in erster Linie an die „Erde" (sumpfiges Gelände, vulkanischen Boden)
zu denken und an das, was sie an den sür künstlerische Zwecke nützlichen
Materialien in sich birgt, z. B. Stein, Thon. In zweiter Linie sind die Ver¬
hältnisse zu beachten, die sich aus der Stellung der Sonne zur Erde und aus
den Eigenschaften der Erdoberfläche ergeben, d. h. das Klima. Wir sind ge¬
wohnt, die bildenden Künste in drei große Kategorien zu zerlegen, in die
Architektur, die Plastik und die Malerei. Wir werden gut thun, diese Ein-



") Dieser Aufsatz enthält mit wenigen Abänderungen eine Rede, die der Verfasser am
diesjährigen Geburtstage des Kaisers in der Aula der Albertus-Universität zu Königsberg
gehalten hat.
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[0084] [Abbildung] Die bildenden Künste und die natürlichen Bodenverhältnisse^) Berl hold Haendcke Von mwoben von den Strahlen des Ideals erscheint die Kunst wie losgelöst von Erdenschwere, als Schöpferin allgewaltig. Und in der That zum wahren Künstler gesellt sich, um mit dem Dichter zu sprechen, der „Weltgeist." Die Edelsten unter den Menschen haben dies auch stets begriffen. Nie war ihnen die Kunst bloß ein Luxus. Im Schönen einzig und allein verbindet sich harmo¬ nisch das ganz sinnliche und das ganz seelische, wie Fr. Th. Bischer kurz und erschöpfend sagt. Die Künstler sind deshalb immer als die Dolmetscher des tiefsten Sinnens und Fühlens der Völker betrachtet worden, deren materieller Reichtum nur ein armer Sockel ist, auf dem die Gebilde der Meister, auf dem die Kunst steht. So war es, und so ist es noch heute. Aber so hoch sich auch der Flug des Menschen zum Unendlichen erheben mag, er ist doch nur als Geist ein Schöpfer, als Geschöpf bleibt er auf die Erde gebannt. So auch die Kunst. Selbst sie, die uns schwerefrei dünkt, sie wurde geboren aus dem vom Geiste des Ewigen befruchteten Schoße der Erde. Und zwar aus der Erde im eigentlichen Sinne des Ausdrucks, d. h. aus deu natürlichen Boden¬ verhältnissen. Wenn wir von den natürlichen Bodenverhältnissen sprechen, so haben wir in erster Linie an die „Erde" (sumpfiges Gelände, vulkanischen Boden) zu denken und an das, was sie an den sür künstlerische Zwecke nützlichen Materialien in sich birgt, z. B. Stein, Thon. In zweiter Linie sind die Ver¬ hältnisse zu beachten, die sich aus der Stellung der Sonne zur Erde und aus den Eigenschaften der Erdoberfläche ergeben, d. h. das Klima. Wir sind ge¬ wohnt, die bildenden Künste in drei große Kategorien zu zerlegen, in die Architektur, die Plastik und die Malerei. Wir werden gut thun, diese Ein- ") Dieser Aufsatz enthält mit wenigen Abänderungen eine Rede, die der Verfasser am diesjährigen Geburtstage des Kaisers in der Aula der Albertus-Universität zu Königsberg gehalten hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/84>, abgerufen am 27.12.2024.