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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten

Die zweite und letzte Prüfung bestand in einem mündlichen Vortrage aus
einer Akte, wobei die in der Sache zu erlassende Verfügung angefertigt werden
mußte; an deren Stelle konnte auch eine andre geeignete Arbeit über Ver-
waltungsgegenstände aufgegeben werden. Die mündliche Prüfung erstreckte sich
gar nicht auf das privatrechtliche Gebiet, sondern nur aus das öffentliche und
Verwaltungsrecht, daneben aber auch auf Nationalökonomie und Finanzwissen-
schaft. Auch sollte der Kandidat über die volkswirtschaftlichen Verhältnisse in
den Gegenden, wo er beschäftigt gewesen war, und insbesondre über die bei
den Ämtern vorkommenden Geschäfte, namentlich auch durch Vorlegung prak¬
tischer Fälle geprüft werden. Nach der Ablegung der Prüfung und nach der
Anstellung als Assessor hatte der Verwaltungsbeamte noch eine Reihe Jahre
zu dienen, bis ihm die selbständige Verwaltung eines Amtes anvertraut
wurde. Auch an die obern Verwaltungsbehörden wurden die Assessoren erst
nach jahrelanger Bewährung und dann zunächst nur als Hilfsarbeiter berufen;
sie wurden einem Rate zugeteilt und hatten keineswegs sogleich ein Dezernat
selbständig zu bearbeiten.

In der preußischen Verwaltung ist es ein unverkennbarer Mißstand, daß
die Stellen der Landräte und die Stellen der Dezernenten in der Negierung
häufig mit zu jungen Leuten besetzt und sogar sehr junge Leute zur dauernden
Veschästiguug in die Ministerien berufen werden. Bei den Landratsstellen ist
bis jetzt die ungenügende Besoldung der Grund gewesen, daß sich überall dort,
wo die Besetzung nur mit Verwaltungsbeamten möglich war, junge Assessoren
gern um ein Landratsamt bewarben, weil sie dort einen angenehmem Dienst
und ein höheres Einkommen zu erwarten hatten als in der Stellung eines
Negierungsassessors. Sie rechneten aber daraus, später wieder in eine Ne¬
gierung eintreten zu können, und so hat vielfach ein häufiger, der Verwaltung
keineswegs förderlicher Wechsel der Landräte stattgefunden. Soll an dieser Stelle
aber etwas nachhaltiges geschaffen und gewirkt werden, so muß der Landrat
bleiben, denn zunächst braucht er einen oft nach Jahren zu berechnenden Zeit¬
raum, um die Verhältnisse und Persönlichkeiten seines Kreises gründlich kennen
zu lernen, zumal wenn er aus einer andern Provinz herstammt.

Der Grund, weshalb die zu Landräten ernannten Negierungsassessoren
nicht auf den Landratsämtern aushielten, war das für die höhern Dienstjahre
nicht ausreichende Einkommen; hierin ist aber jetzt eine erhebliche Besserung
eingetreten, und so darf angenommen werden, daß die Landräte künftig nicht
so häufig wechseln, sondern auf den Stellen verbleiben. Der Wirkungskreis
und das Einkommen des Landrath sind jetzt so, daß sich dabei jeder Verwal¬
tungsbeamte, der nicht nach hoher Stellung strebt, und der die Genüsse der großen
Städte entbehren kann, vollkommen befriedigt fühlen wird. Schon jetzt werden
junge Regierungsasfessoren den Landräten als Hilfsbeamte beigegeben. Werden
sie künftig lange genug in solcher Stellung gelassen und erst nach gründlicher


Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten

Die zweite und letzte Prüfung bestand in einem mündlichen Vortrage aus
einer Akte, wobei die in der Sache zu erlassende Verfügung angefertigt werden
mußte; an deren Stelle konnte auch eine andre geeignete Arbeit über Ver-
waltungsgegenstände aufgegeben werden. Die mündliche Prüfung erstreckte sich
gar nicht auf das privatrechtliche Gebiet, sondern nur aus das öffentliche und
Verwaltungsrecht, daneben aber auch auf Nationalökonomie und Finanzwissen-
schaft. Auch sollte der Kandidat über die volkswirtschaftlichen Verhältnisse in
den Gegenden, wo er beschäftigt gewesen war, und insbesondre über die bei
den Ämtern vorkommenden Geschäfte, namentlich auch durch Vorlegung prak¬
tischer Fälle geprüft werden. Nach der Ablegung der Prüfung und nach der
Anstellung als Assessor hatte der Verwaltungsbeamte noch eine Reihe Jahre
zu dienen, bis ihm die selbständige Verwaltung eines Amtes anvertraut
wurde. Auch an die obern Verwaltungsbehörden wurden die Assessoren erst
nach jahrelanger Bewährung und dann zunächst nur als Hilfsarbeiter berufen;
sie wurden einem Rate zugeteilt und hatten keineswegs sogleich ein Dezernat
selbständig zu bearbeiten.

In der preußischen Verwaltung ist es ein unverkennbarer Mißstand, daß
die Stellen der Landräte und die Stellen der Dezernenten in der Negierung
häufig mit zu jungen Leuten besetzt und sogar sehr junge Leute zur dauernden
Veschästiguug in die Ministerien berufen werden. Bei den Landratsstellen ist
bis jetzt die ungenügende Besoldung der Grund gewesen, daß sich überall dort,
wo die Besetzung nur mit Verwaltungsbeamten möglich war, junge Assessoren
gern um ein Landratsamt bewarben, weil sie dort einen angenehmem Dienst
und ein höheres Einkommen zu erwarten hatten als in der Stellung eines
Negierungsassessors. Sie rechneten aber daraus, später wieder in eine Ne¬
gierung eintreten zu können, und so hat vielfach ein häufiger, der Verwaltung
keineswegs förderlicher Wechsel der Landräte stattgefunden. Soll an dieser Stelle
aber etwas nachhaltiges geschaffen und gewirkt werden, so muß der Landrat
bleiben, denn zunächst braucht er einen oft nach Jahren zu berechnenden Zeit¬
raum, um die Verhältnisse und Persönlichkeiten seines Kreises gründlich kennen
zu lernen, zumal wenn er aus einer andern Provinz herstammt.

Der Grund, weshalb die zu Landräten ernannten Negierungsassessoren
nicht auf den Landratsämtern aushielten, war das für die höhern Dienstjahre
nicht ausreichende Einkommen; hierin ist aber jetzt eine erhebliche Besserung
eingetreten, und so darf angenommen werden, daß die Landräte künftig nicht
so häufig wechseln, sondern auf den Stellen verbleiben. Der Wirkungskreis
und das Einkommen des Landrath sind jetzt so, daß sich dabei jeder Verwal¬
tungsbeamte, der nicht nach hoher Stellung strebt, und der die Genüsse der großen
Städte entbehren kann, vollkommen befriedigt fühlen wird. Schon jetzt werden
junge Regierungsasfessoren den Landräten als Hilfsbeamte beigegeben. Werden
sie künftig lange genug in solcher Stellung gelassen und erst nach gründlicher


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[0630] Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten Die zweite und letzte Prüfung bestand in einem mündlichen Vortrage aus einer Akte, wobei die in der Sache zu erlassende Verfügung angefertigt werden mußte; an deren Stelle konnte auch eine andre geeignete Arbeit über Ver- waltungsgegenstände aufgegeben werden. Die mündliche Prüfung erstreckte sich gar nicht auf das privatrechtliche Gebiet, sondern nur aus das öffentliche und Verwaltungsrecht, daneben aber auch auf Nationalökonomie und Finanzwissen- schaft. Auch sollte der Kandidat über die volkswirtschaftlichen Verhältnisse in den Gegenden, wo er beschäftigt gewesen war, und insbesondre über die bei den Ämtern vorkommenden Geschäfte, namentlich auch durch Vorlegung prak¬ tischer Fälle geprüft werden. Nach der Ablegung der Prüfung und nach der Anstellung als Assessor hatte der Verwaltungsbeamte noch eine Reihe Jahre zu dienen, bis ihm die selbständige Verwaltung eines Amtes anvertraut wurde. Auch an die obern Verwaltungsbehörden wurden die Assessoren erst nach jahrelanger Bewährung und dann zunächst nur als Hilfsarbeiter berufen; sie wurden einem Rate zugeteilt und hatten keineswegs sogleich ein Dezernat selbständig zu bearbeiten. In der preußischen Verwaltung ist es ein unverkennbarer Mißstand, daß die Stellen der Landräte und die Stellen der Dezernenten in der Negierung häufig mit zu jungen Leuten besetzt und sogar sehr junge Leute zur dauernden Veschästiguug in die Ministerien berufen werden. Bei den Landratsstellen ist bis jetzt die ungenügende Besoldung der Grund gewesen, daß sich überall dort, wo die Besetzung nur mit Verwaltungsbeamten möglich war, junge Assessoren gern um ein Landratsamt bewarben, weil sie dort einen angenehmem Dienst und ein höheres Einkommen zu erwarten hatten als in der Stellung eines Negierungsassessors. Sie rechneten aber daraus, später wieder in eine Ne¬ gierung eintreten zu können, und so hat vielfach ein häufiger, der Verwaltung keineswegs förderlicher Wechsel der Landräte stattgefunden. Soll an dieser Stelle aber etwas nachhaltiges geschaffen und gewirkt werden, so muß der Landrat bleiben, denn zunächst braucht er einen oft nach Jahren zu berechnenden Zeit¬ raum, um die Verhältnisse und Persönlichkeiten seines Kreises gründlich kennen zu lernen, zumal wenn er aus einer andern Provinz herstammt. Der Grund, weshalb die zu Landräten ernannten Negierungsassessoren nicht auf den Landratsämtern aushielten, war das für die höhern Dienstjahre nicht ausreichende Einkommen; hierin ist aber jetzt eine erhebliche Besserung eingetreten, und so darf angenommen werden, daß die Landräte künftig nicht so häufig wechseln, sondern auf den Stellen verbleiben. Der Wirkungskreis und das Einkommen des Landrath sind jetzt so, daß sich dabei jeder Verwal¬ tungsbeamte, der nicht nach hoher Stellung strebt, und der die Genüsse der großen Städte entbehren kann, vollkommen befriedigt fühlen wird. Schon jetzt werden junge Regierungsasfessoren den Landräten als Hilfsbeamte beigegeben. Werden sie künftig lange genug in solcher Stellung gelassen und erst nach gründlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/630>, abgerufen am 23.07.2024.