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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten

rungsrate, dem die einfachsten technischen Sachen unbekannt sind, und der
vielleicht nicht einmal einen Grundriß- oder Lageplan versteht, so kann das
der Geschäftsführung nicht förderlich sein. Und das ist vorgekommen und
wird noch nicht ausgeschlossen sein. Die Überschätzung des Juristen spielt
dabei hauptsächlich mit, oft mag aber die Gesamtbesetzung der Behörde hierin
keine Auswahl ermöglichen. In dieser Hinsicht kann jedenfalls mancher un¬
liebsamen Klage über unpraktisches Gebcihren der Verwaltungsbehörden vor¬
gebeugt werden. Wäre es nur möglich, das gewerbliche Dezernat einem aus
einer Jndustriegegend stammenden, das landwirtschaftliche Dezernat einem vom
Lande stammenden Rate und ähnlich die übrigen Dezernate zu verteilen, so
würden sich die vielfachen Klagen bald vermindern. Auf die Besonderheit der
Verhältnisse, in denen der Referendar aufgewachsen ist, könnte auch schon bei
der großen Staatsprüfung Rücksicht genommen und danach ein Urteil über
seine Verwendbarkeit in den verschiednen Dezernaten abgegeben werden.

Der jetzige preußische Kultusminister war nach der Annexion längere
Jahre bei dem Oberpräsidium in Hannover beschäftigt. Nach den Erfahrungen,
die er dort bei der Bearbeitung der Personalien gemacht hat. hat er sich in
einem in der Monatsschrift für deutsche Beamte von 1887 abgedruckten Auf¬
satze dahin ausgesprochen, daß der völlig abweichende hannoversche Vorbe¬
reitungsdienst ganz vorzügliche Ergebnisse auszuweisen gehabt habe. In Han¬
nover aber wurde der junge Verwaltungsbeamte nach zweijähriger Beschäfti¬
gung in der Justiz und zwar bei den Amtsgerichten, nicht bei den höhern
Verwaltungsbehörden, sondern ausschließlich oder doch fast ausschließlich bei
den Lokalverwaltnngsbehörden, den Ämtern, ausgebildet.

Eine Rückkehr zu dem hannoverschen Systeme wird in jenem Aufsatze
freilich kaum als möglich erachtet, und in der That waren die Verhältnisse
der hannoverschen Ämter von den damaligen Verhältnissen der preußischen
Landratsümter sehr verschieden, aber inzwischen haben sich auch die Verhältnisse
und der ganze Geschäftsbetrieb der Landratsämter wesentlich geändert. Die
hannoverschen Ämter umfaßten nur Bezirke durchschnittlich von 15000 Seelen,
aber bei wenig dichter Bevölkerung zum Teil von bedeutender räumlicher
Ausdehnung. Die Ämter waren in den meisten Angelegenheiten erste ent¬
scheidende Instanz, und die von dort an altpreußische Regierungen versetzten
Beamten traten bei diesen in gewohnte Arbeit ein. Sie waren regelmäßig mit
zwei Beamten aus der höhern Verwaltung besetzt, hatten keine Kreissekretäre
und in den Amtsgehilfen und Vögten nur Unterbeamte, die in ihren Bezirken
die Polizeiaufsicht zu führen, Einzelheiten zu ermitteln und zugleich Ladungen
und Zustellungen zu besorgen hatten. Die Amtsgehilfen und Vögte konnten
außerdem zu Protokollführung, Registraturarbeiten und Aufstellung und
Führung von Verzeichnissen, Rollen und Berechnungen sowie zu Rechnungs¬
prüfungen herangezogen werden.


Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten

rungsrate, dem die einfachsten technischen Sachen unbekannt sind, und der
vielleicht nicht einmal einen Grundriß- oder Lageplan versteht, so kann das
der Geschäftsführung nicht förderlich sein. Und das ist vorgekommen und
wird noch nicht ausgeschlossen sein. Die Überschätzung des Juristen spielt
dabei hauptsächlich mit, oft mag aber die Gesamtbesetzung der Behörde hierin
keine Auswahl ermöglichen. In dieser Hinsicht kann jedenfalls mancher un¬
liebsamen Klage über unpraktisches Gebcihren der Verwaltungsbehörden vor¬
gebeugt werden. Wäre es nur möglich, das gewerbliche Dezernat einem aus
einer Jndustriegegend stammenden, das landwirtschaftliche Dezernat einem vom
Lande stammenden Rate und ähnlich die übrigen Dezernate zu verteilen, so
würden sich die vielfachen Klagen bald vermindern. Auf die Besonderheit der
Verhältnisse, in denen der Referendar aufgewachsen ist, könnte auch schon bei
der großen Staatsprüfung Rücksicht genommen und danach ein Urteil über
seine Verwendbarkeit in den verschiednen Dezernaten abgegeben werden.

Der jetzige preußische Kultusminister war nach der Annexion längere
Jahre bei dem Oberpräsidium in Hannover beschäftigt. Nach den Erfahrungen,
die er dort bei der Bearbeitung der Personalien gemacht hat. hat er sich in
einem in der Monatsschrift für deutsche Beamte von 1887 abgedruckten Auf¬
satze dahin ausgesprochen, daß der völlig abweichende hannoversche Vorbe¬
reitungsdienst ganz vorzügliche Ergebnisse auszuweisen gehabt habe. In Han¬
nover aber wurde der junge Verwaltungsbeamte nach zweijähriger Beschäfti¬
gung in der Justiz und zwar bei den Amtsgerichten, nicht bei den höhern
Verwaltungsbehörden, sondern ausschließlich oder doch fast ausschließlich bei
den Lokalverwaltnngsbehörden, den Ämtern, ausgebildet.

Eine Rückkehr zu dem hannoverschen Systeme wird in jenem Aufsatze
freilich kaum als möglich erachtet, und in der That waren die Verhältnisse
der hannoverschen Ämter von den damaligen Verhältnissen der preußischen
Landratsümter sehr verschieden, aber inzwischen haben sich auch die Verhältnisse
und der ganze Geschäftsbetrieb der Landratsämter wesentlich geändert. Die
hannoverschen Ämter umfaßten nur Bezirke durchschnittlich von 15000 Seelen,
aber bei wenig dichter Bevölkerung zum Teil von bedeutender räumlicher
Ausdehnung. Die Ämter waren in den meisten Angelegenheiten erste ent¬
scheidende Instanz, und die von dort an altpreußische Regierungen versetzten
Beamten traten bei diesen in gewohnte Arbeit ein. Sie waren regelmäßig mit
zwei Beamten aus der höhern Verwaltung besetzt, hatten keine Kreissekretäre
und in den Amtsgehilfen und Vögten nur Unterbeamte, die in ihren Bezirken
die Polizeiaufsicht zu führen, Einzelheiten zu ermitteln und zugleich Ladungen
und Zustellungen zu besorgen hatten. Die Amtsgehilfen und Vögte konnten
außerdem zu Protokollführung, Registraturarbeiten und Aufstellung und
Führung von Verzeichnissen, Rollen und Berechnungen sowie zu Rechnungs¬
prüfungen herangezogen werden.


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[0628] Die Ausbildung der preußischen höhern Verwaltungsbeamten rungsrate, dem die einfachsten technischen Sachen unbekannt sind, und der vielleicht nicht einmal einen Grundriß- oder Lageplan versteht, so kann das der Geschäftsführung nicht förderlich sein. Und das ist vorgekommen und wird noch nicht ausgeschlossen sein. Die Überschätzung des Juristen spielt dabei hauptsächlich mit, oft mag aber die Gesamtbesetzung der Behörde hierin keine Auswahl ermöglichen. In dieser Hinsicht kann jedenfalls mancher un¬ liebsamen Klage über unpraktisches Gebcihren der Verwaltungsbehörden vor¬ gebeugt werden. Wäre es nur möglich, das gewerbliche Dezernat einem aus einer Jndustriegegend stammenden, das landwirtschaftliche Dezernat einem vom Lande stammenden Rate und ähnlich die übrigen Dezernate zu verteilen, so würden sich die vielfachen Klagen bald vermindern. Auf die Besonderheit der Verhältnisse, in denen der Referendar aufgewachsen ist, könnte auch schon bei der großen Staatsprüfung Rücksicht genommen und danach ein Urteil über seine Verwendbarkeit in den verschiednen Dezernaten abgegeben werden. Der jetzige preußische Kultusminister war nach der Annexion längere Jahre bei dem Oberpräsidium in Hannover beschäftigt. Nach den Erfahrungen, die er dort bei der Bearbeitung der Personalien gemacht hat. hat er sich in einem in der Monatsschrift für deutsche Beamte von 1887 abgedruckten Auf¬ satze dahin ausgesprochen, daß der völlig abweichende hannoversche Vorbe¬ reitungsdienst ganz vorzügliche Ergebnisse auszuweisen gehabt habe. In Han¬ nover aber wurde der junge Verwaltungsbeamte nach zweijähriger Beschäfti¬ gung in der Justiz und zwar bei den Amtsgerichten, nicht bei den höhern Verwaltungsbehörden, sondern ausschließlich oder doch fast ausschließlich bei den Lokalverwaltnngsbehörden, den Ämtern, ausgebildet. Eine Rückkehr zu dem hannoverschen Systeme wird in jenem Aufsatze freilich kaum als möglich erachtet, und in der That waren die Verhältnisse der hannoverschen Ämter von den damaligen Verhältnissen der preußischen Landratsümter sehr verschieden, aber inzwischen haben sich auch die Verhältnisse und der ganze Geschäftsbetrieb der Landratsämter wesentlich geändert. Die hannoverschen Ämter umfaßten nur Bezirke durchschnittlich von 15000 Seelen, aber bei wenig dichter Bevölkerung zum Teil von bedeutender räumlicher Ausdehnung. Die Ämter waren in den meisten Angelegenheiten erste ent¬ scheidende Instanz, und die von dort an altpreußische Regierungen versetzten Beamten traten bei diesen in gewohnte Arbeit ein. Sie waren regelmäßig mit zwei Beamten aus der höhern Verwaltung besetzt, hatten keine Kreissekretäre und in den Amtsgehilfen und Vögten nur Unterbeamte, die in ihren Bezirken die Polizeiaufsicht zu führen, Einzelheiten zu ermitteln und zugleich Ladungen und Zustellungen zu besorgen hatten. Die Amtsgehilfen und Vögte konnten außerdem zu Protokollführung, Registraturarbeiten und Aufstellung und Führung von Verzeichnissen, Rollen und Berechnungen sowie zu Rechnungs¬ prüfungen herangezogen werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/628>, abgerufen am 26.08.2024.